Leitsatz (amtlich)
1. § 180 Abs 7 RVO gilt nicht für das Beitragsrecht der Ersatzkassen.
2. Eine Ersatzkasse kann im Rahmen ihrer Satzung auch private Berufsunfähigkeitsrenten für die Beitragsbemessung heranziehen.
Normenkette
SVAufbauV 12 Art 2 § 4 Abs 2 Fassung: 1937-04-01; RVO § 180 Abs 7 Fassung: 1981-12-01, § 507 Abs 4 Fassung: 1977-06-27, § 514 Abs 2 Fassung: 1981-12-22
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 13.12.1984; Aktenzeichen VI KRBf 23/84) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 03.04.1984; Aktenzeichen 21 KR 175/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, bei der Bemessung des Beitrags für ein nichtversicherungspflichtiges Mitglied Einkünfte aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung zu berücksichtigen.
Der Kläger ist Rentner. Er bezieht seit 1. April 1982 eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Außerdem erhielt er in den Jahren 1983 und 1984 von der D. L. Lebensversicherungs AG aus einer im Zusammenhang mit einer Lebensversicherung abgeschlossenen Zusatzversicherung eine Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 1.388,50 DM. Die Beklagte stufte den Kläger unter voller Berücksichtigung der privaten Berufsunfähigkeitsrente in die Beitragsklasse 471 ein (Bescheid vom 13. Januar 1983). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1983). Durch weiteren Bescheid vom 6. Juni 1984 wurde der Kläger mit Wirkung vom 1. Juni 1984 in die Beitragsklasse 461 umgestuft.
Die Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid vom 13. Januar 1983 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1983 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet, weil bei der Beitragsbemessung die Berufsunfähigkeitsrente zwar mit ihrem Ertrag, nicht aber mit ihrem Kapitalrückzahlungsanteil berücksichtigt werden dürfe (Urteil des SG Hamburg vom 3. April 1984).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Hamburg (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 1984).
Es hat die Auffassung vertreten, daß die Ersatzkassen im Bereich der freiwilligen Versicherung, auch soweit es sich um freiwillig versicherte Rentner handele, nicht an die gesetzliche Beitragsbemessung gebunden seien, sondern weiterhin berechtigt seien, die Beiträge autonom in der Satzung festzulegen. Sowohl § 507 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch § 180 RVO seien rein leistungsrechtliche Vorschriften. § 180 RVO werde lediglich über § 385 Abs 1 RVO auch für das Beitragsrecht bedeutsam. Diese Vorschrift gelte aber nicht für die freiwillig versicherten Rentner von Ersatzkassen, da § 514 Abs 2 RVO (im Gegensatz zu § 514 Abs 3 RVO) hierauf nicht verweise. Maßgeblich sei demnach weiter § 4 Abs 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. Aufbau-Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439).
Die hier einschlägigen Satzungsbestimmungen der Beklagten seien nicht zu beanstanden und richtig angewandt worden. Nach den Versicherungsbedingungen (VB), die Teil der Satzung seien, richte sich die Beitragshöhe nach der Höhe der "regelmäßigen monatlichen Gesamtbezüge" des Mitglieds (Abschn D, Unterabschn: Beiträge und Einstufung der Nichtversicherungspflichtigen, Ziff 1: Personenkreis und dazugehörige Versicherungsklasse, Buchst b). Aus dem Begriff "Gesamtbezüge" ergebe sich, daß jedenfalls alle für den Lebensunterhalt bestimmten und zur Verfügung stehenden Einnahmen erfaßt würden. Hierunter falle auch die vom Kläger bezogene private Berufsunfähigkeitsrente. Diese Rente entspringe einer reinen Risikoversicherung und sei deshalb nicht in einen Kapitalrückzahlungs- und einen Kapitalertragsanteil aufzuteilen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß der Gesetzgeber mit der Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung im Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 und den dazu vorhandenen Materialien deutlich gemacht habe, daß nunmehr für alle Rentner eine einheitliche Beitragsbemessung gelten solle.
Er beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 1983 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1983 insoweit aufzuheben, als der Monatsbeitrag für das Jahr 1983 höher als DM 84,-- und für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1984 höher als DM 82,-festgesetzt wurde, ferner den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 1984 insoweit aufzuheben, als der Monatsbeitrag ab Juni 1984 höher als DM 58,-- festgesetzt wurde, sowie dem Kläger 3.921,-- DM zuviel gezahlte Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergeht (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers konnte keinen Erfolg haben. Die Beklagte hat zu Recht die private Berufsunfähigkeitsrente des Klägers bei der Beitragsbemessung berücksichtigt.
Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß die Ersatzkassen bei der Regelung der Beiträge für nichtversicherungspflichtige Mitglieder nicht an § 180 RVO gebunden sind. Maßgeblich ist insoweit weiter Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. Aufbau-Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439). Diese Auffassung ist vom erkennenden Senat mit Urteil vom selben Tage bestätigt und eingehend begründet worden (Urteil vom 19. Juni 1986 - 12 RK 7/85 -).
Ob trotz der insoweit fehlenden Bindung der Ersatzkassen an § 180 RVO Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu beachten sind, wie zB die Beschränkungen der Beitragspflicht auf Einkünfte (unter Ausschluß von Vermögensverzehr), kann hier dahinstehen, da die Beklagte in ihren VB zwar den vom Gesetz abweichenden Begriff der "Gesamtbezüge" verwendet, dieser aber, wie das LSG ausgeführt hat, ebenso wie § 180 Abs 4 RVO neben Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen nur "Einnahmen zum Lebensunterhalt" erfaßt.
Hieraus folgt allerdings, daß stets zu prüfen ist, ob die der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Beträge echte Einnahmen sind oder ob sie auch Anteile enthalten, die dem Vermögen des Beziehers zuzurechnen sind.
Für die vom Kläger bezogene Berufsunfähigkeitsrente, die auf einer reinen Risikoversicherung beruht, hat eine solche Aufteilung jedoch nicht zu erfolgen. Der erkennende Senat hat zwar bei einer Veräußerungsleibrente in Anlehnung an das Steuerrecht anerkannt, daß sie aus einem Kapitalanteil und einem Einkommensteil (Zins- oder Ertragsanteil) besteht (BSG SozR 2200 § 180 Nr 12). Dies rechtfertigt sich dadurch, daß diese Rente neben den Zinsen des Kapitals eine ratenweise zu zahlende Gegenleistung für die Überlassung eines Vermögenswerts enthält. Soweit nämlich ein überlassener Vermögenswert ratenweise bezahlt wird, handelt es sich lediglich um Vermögensumschichtung und nicht um Einnahmen.
Versicherungen wie die hier streitige, aus denen Leistungen nur erbracht werden, wenn der (ungewisse) Versicherungsfall tatsächlich eintritt (Risikoversicherungen), sind jedoch anders zu beurteilen. Hier handelt es sich nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - um eine Umschichtung oder einen Verzehr des Vermögens; denn der Beitragszahler hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des eingezahlten Kapitals an sich oder seine Erben. Der Versicherer trägt als Gegenleistung ein Risiko, das sich nur bei Eintritt eines Versicherungsfalles in Form von Geldleistungen realisiert. Es werden zwar auch bei Risikoversicherungen von dem Versicherten für die Beiträge Mittel aus seinem Vermögen aufgewandt. Dementsprechend berücksichtigt das Steuerrecht bei Einnahmen aus einer solchen Versicherung, die dem Versicherten nach Eintritt des Versicherungsfalles zufließen, ebenfalls einen Vermögensanteil (§ 22 des Einkommensteuergesetzes). Im Rahmen von § 180 RVO gibt es dafür aber keine Rechtsgrundlage. Dies hat der Gesetzgeber dadurch verdeutlicht, daß er in § 180 Abs 8 RVO vergleichbare Versicherungsleistungen uneingeschränkt als Einkünfte anerkannt hat (Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Renten aus der betrieblichen Altersversorgung, Renten aus berufsständischen Versicherungen). Dementsprechend kann auch den Ersatzkassen nicht versagt werden, solche Einkünfte ungekürzt der Beitragsbemessung zugrunde zu legen.
Nicht zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt im Sinne des Beitragsrechts gehören allerdings nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) diejenigen Einnahmen, die für andere gesetzlich festgelegte Zwecke bestimmt sind (vgl BSG SozR 2200 § 180 Nrn 5, 7, 8, 9, 10, 15 und 18). Auch insoweit bestehen aber im vorliegenden Fall keine Bedenken. Berufsunfähigkeitsrenten dienen dazu, den durch Minderung der Berufsfähigkeit entstehenden Einkommensverlust zu mindern oder auszugleichen. Sie haben also Einkommensersatzfunktion und dienen deshalb ebenso wie Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Auch im übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Richtigkeit der von der Beklagten vorgenommenen Beitragseinstufung.
Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen