Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung und Rückforderung der ihm für die Zeit von Juli 1976 bis 1. Februar 1979 gezahlten Arbeitslosenhilfe (Alhi), die die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) wegen unterlassener Meldung des Wegfalls seiner Arbeitslosigkeit ausgesprochen hat.
Der Kläger, der verheiratet ist und drei Kinder (geboren 1963, 1968 und 1972) hat, meldete sich am 1. August 1974 beim Arbeitsamt Heidelberg arbeitslos, nachdem er vorher vier Monate lang als Exportsachbearbeiter tätig gewesen war; dabei wurde ihm im Arbeitsamt das "Merkblatt für Arbeitslose" ausgehändigt, in dem u.a. darauf hingewiesen wird, daß der Arbeitslose jede Veränderung seines Einkommens und Vermögens und die Übernahme einer Tätigkeit anzuzeigen hat. Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 14. November 1974 Alhi ab 1. August 1974. Im Oktober 1976 erfolgten Alhi-Nachzahlungen, weil die Beklagte bis dahin irrtümlich die Dynamisierung des Bemessungsentgelts unterlassen hatte (Änderungsbescheide vom 15. Oktober 1976); von da an bis 1978 wurde der Leistungssatz jährlich angepaßt.
Mit Bescheid vom 28. März 1979 bewilligte die Beklagte erneut Alhi für die Zeit ab 17. Februar 1979. Nachdem festgestellt worden war, daß der Kläger vom 2. bis 20. Februar eine Nebenbeschäftigung bei der H. D. AG innegehabt hatte, hob sie die Bewilligung für diesen Zeitraum auf und verrechnete einen entsprechenden Erstattungsbetrag mit den laufenden Alhi-Zahlungen. Seit August 1979 bezog der Kläger Unterhaltsgeld, danach Arbeitslosengeld und seit Mai 1980 wieder Alhi.
Im Juli 1982 ging beim Arbeitsamt eine Pfändungsverfügung wegen rückständiger Steuern des Finanzamtes Heidelberg ein, bei dem der Kläger aufgrund einer Tätigkeit als Kundenkredit- bzw. Unternehmensberater angezeigt worden war. Von Juli 1976 bis Mai 1979 war er nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen unter der Firma "U. Z " für zwei Kreditagenturen auf Provisionsbasis tätig geworden; außerdem hatte er in dieser Eigenschaft eine weitere Zweigstellen-Agentur beraten, in deren Firma er im Mai 1978 eintrat. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Geschäftsverbindungen innerhalb des gesamten Bundesgebietes aufrecht zu erhalten und anzuknüpfen sowie säumige Kunden aufzusuchen; anfallende Kosten hatte er selbst zu tragen. Nach eigenen Angaben hat er dabei durchschnittlich 5 bis 7 Stunden täglich gearbeitet.
Mit Bescheid vom 4. Januar 1983 (Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1983) hob die Beklagte die Entscheidungen "vom 11. Oktober 1976 und 21. Februar 1979 über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe" für den Zeitraum vom 1. Juli 1976 bis 1. Februar 1979 und vom 21. Februar bis 31. Mai 1979 unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) auf, weil der Kläger in dieser Zeit nicht arbeitslos gewesen sei. Gleichzeitig machte sie die Erstattung des für den Aufhebungszeitraum geleisteten Betrages von 41.121, 10 DM geltend.
Während des sich anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat das Amtsgericht Heidelberg - Schöffengericht - mit Urteil vom 18. Juli 1984 den Kläger u.a. wegen Betrugs zum Nachteil der Beklagten zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Es sah als erwiesen an, daß der Kläger durch seine Tätigkeit von Juli 1976 bis Mai 1979 (möglicherweise unterbrochen von November 1977 bis September 1978) Provisionen von insgesamt 22.400,-- DM erzielt habe, denen, was nicht auszuschließen sei, gleich hohe oder höhere Ausgaben gegenübergestanden hätten.
Das SG hob den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 22. August 1985 hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. November 1977 bis 30. September 1978 auf, weil die Voraussetzungen einer Aufhebung der Alhi-Bewilligung auf der Grundlage des Urteils des Amtsgerichts Heidelberg für diesen Zeitraum nicht erfüllt seien; im übrigen wurde der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid bestätigt.
Hiergegen legten beide Beteiligten Berufung ein. Während das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22. März 1989 das Rechtsmittel der Beklagten zurückwies, änderte es auf die Berufung des Klägers die erstinstanzliche Entscheidung ab und hob den angefochtenen Bescheid in vollem Umfang auf. Der Kläger sei im Bewilligungszeitraum zwar durchgehend seit Juli 1976 mehr als kurzzeitig beschäftigt und daher nicht mehr arbeitslos gewesen; auch im übrigen lägen hinsichtlich des Bewilligungsbescheides vom 14. November 1974 und der nachfolgenden Dynamisierungsbescheide die Voraussetzungen des § 48 SGB X vor. Die Beklagte habe es aber versäumt, bei der Aufhebungsentscheidung ihr Ermessen auszuüben. Denn der Fall des Klägers sei atypisch, weil die Rückzahlungsverpflichtung für ihn eine besondere Härte darstelle. Dies ergebe sich daraus, daß er im Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit nicht unerhebliche Beträge habe aufwenden müssen, so daß seine Bedürftigkeit i.S. des § 134 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auch bei einer ordnungsgemäßen Anrechnung der daraus geflossenen Einnahmen nicht völlig entfallen wäre. Hinsichtlich der Alhi-Neubewilligung durch den Bescheid vom 28. März 1979 sei die Aufhebungs- und Erstattungsforderung der Beklagten ebenfalls unbegründet; es hätte § 45 SGB X angewandt und dabei Ermessen ausgeübt werden müssen. Bei der Ermessensausübung sei zu prüfen, ob der Kläger eventuell durch Minderung des Rückforderungsbetrages so zu stellen sei, als ob er im Aufhebungszeitraum über Einkommen in Höhe der Alhi bzw. Sozialhilfe verfügt habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 48 Abs. 1 SGB X und 103 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG gehe zu Unrecht von einem atypischen Fall und damit von der Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung aus.
Die Beklagte beantragt,
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im Umfang des Rückforderungszeitraumes vom 1. Juli 1976 bis 16. Februar 1979 das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 1989 und, soweit es der Klage stattgegeben hat, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. August 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entsprechend dem Antrag der Beklagten richtet sich die Revision nur "im Umfang des Rückforderungszeitraumes vom 1. Juli 1976 bis 16. Februar 1979" gegen das Urteil des LSG. Demgemäß ist die den Zeitraum vom 21. Februar bis 31. Mai 1979 betreffende Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1983 rechtskräftig geworden.
Der Revisionsantrag der Beklagten ist, soweit er einen Rückforderungszeitraum "vom 1. Juli 1976 bis 16. Februar 1979" nennt, dahin auszulegen, daß als Endzeitpunkt der Rückforderung nicht der 16. Februar 1979, sondern der 1. Februar 1979 gewollt war. Denn der Aufhebungsbescheid vom 4. Januar 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1983 nennt ausdrücklich als Endzeitpunkt den "1. Februar 1979". Dieser Endzeitpunkt erklärt sich daraus, daß die anschließende Zeit vom 2. Februar bis 20. Februar 1979 - in der der Kläger eine Nebenbeschäftigung bei der H. D. AG innehatte - Gegenstand einer anderen, nicht streitbefangenen Aufhebung der Leistungsbewilligung war (Bescheide vom 29. Juni und 11. Juli 1979). Die Beklagte hat ihren Revisionsantrag nur zeitlich begrenzt. Im Wege der Auslegung ist jedoch davon auszugehen, daß sie ihren Antrag auch hinsichtlich der Höhe ihrer Erstattungsforderung begrenzt hat. Der im Aufhebungsbescheid vom 4. Januar 1983 genannte Erstattungsbetrag in Höhe von 41.121, 10 DM, der auch die Erstattung für den Zeitraum vom 21. Februar bis 31. Mai 1979 umfaßt, reduziert sich - da insoweit von der Beklagten die Erstattungsforderung nicht mehr aufrechterhalten wird -auf 37.405, 90 DM.
Im Umfang des Rückforderungszeitraumes vom 1. Juli 1976 bis 1. Februar 1979 hat die Beklagte zu Recht die Alhi-Bewilligung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufgehoben; diese Vorschrift ist gemäß Art II § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch dann anzuwenden, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt - wie hier - vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist.
Die Aufhebungsvorschrift des § 48 SGB X setzt nach Abs. 1 Satz 1 den (nachträglichen) Eintritt einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen voraus, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, wozu die Alhi-Bewilligung zählt, vorgelegen haben.
Im Falle des Klägers ist abzustellen auf die ursprüngliche Bewilligung von Alhi mit Bescheid vom 14. November 1974. Der Aufhebungsbescheid vom 4. Januar 1983 nennt zwar insoweit nur die Dynamisierungsbescheide vom Oktober 1976. Dem LSG ist aber darin beizupflichten, daß die Dynamisierungsbescheide den ursprünglichen Bewilligungsbescheid nicht ersetzten, sondern die Leistung lediglich an die geänderten Verhältnisse anpaßten. Insoweit ist der Aufhebungsbescheid vom 4. Januar 1983 auch ausreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Er erfaßt also über seinen Wortlaut hinaus nicht nur die Dynamisierungsbescheide ab Oktober 1976, sondern die diesen zugrundeliegende Leistungsbewilligung ab dem Jahre 1974.
In den tatsächlichen Verhältnissen, die der ursprünglichen Bewilligung von Alhi mit Bescheid vom 17. November 1974 und den nachfolgenden Dynamisierungsbescheiden ab 15. Oktober 1976 zugrunde lagen, ist ab 1. Juli 1976 nachträglich eine wesentliche Änderung eingetreten. Diese lag darin, daß der Kläger nun nicht mehr arbeitslos war, so daß die Voraussetzung des Alhi-Anspruchs nach § 134 Abs. 1 Nr. 1 AFG entfiel.
Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AFG (idF des 3. AFG-Änderungsgesetzes vom 17. Juli 1974 - BGBl. I 1481 - bzw. i.d.F. durch Art II § 9 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - vom 23. Dezember 1976 - BGBl. I 3845 -) ist arbeitslos, wer allenfalls eine geringfügige bzw. kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Nicht arbeitslos ist nach § 101 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AFG, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AFG (in der hier anzuwendenden Fassung des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuer-Reformgesetz vom 21. Dezember 1974 - BGBl. I 3656 -) ist eine Beschäftigung geringfügig, die - was im Fall des Klägers allein in Betracht kommt - auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt. Dieses Maß war bei der selbständigen Tätigkeit des Klägers als Kreditberater überschritten.
Denn sie ist nach den Feststellungen des LSG der Natur der Sache nach, d.h. nach ihrer Art, dem Umfang der anfallenden Verrichtungen sowie den zeitlichen Umständen für ihre Erledigung auf eine Dauer von jedenfalls deutlich mehr als 20 Stunden wöchentlich angelegt gewesen. Mit diesem Ergebnis stimmt überein, daß der Kläger beispielsweise auftragsgemäß Kunden im gesamten Bundesgebiet besuchte, über einen eigenen Büroraum für seine Tätigkeit verfügte und nach eigenen Angaben täglich fünf bis sieben Stunden gearbeitet hat. Diese Feststellungen des LSG binden nach § 163 SGG das Revisionsgericht auch insoweit, als sie - im Gegensatz zum Urteil des SG - ausdrücklich die Zeit von November 1977 bis September 1978 einschließen.
Die Aufhebung konnte gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen. Zutreffend hat das LSG die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X als erfüllt angesehen. Nach dieser Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Der Kläger war nach den Feststellungen des LSG durch das ihm anläßlich seiner Arbeitslosmeldung und Antragstellung ausgehändigte "Merkblatt für Arbeitslose" ausdrücklich auf seine Pflicht hingewiesen worden, dem Arbeitsamt sowohl jede Veränderung seines Einkommens und Vermögens als auch die Übernahme einer Tätigkeit anzuzeigen. Anderslautende Einlassungen des Klägers, wonach ihm anläßlich einer Vorsprache beim Arbeitsamt etwas anderes gesagt worden sei, haben sich nach den Feststellungen des LSG nicht bestätigt. Von seiner Mitteilungspflicht hatte der Kläger auch positive Kenntnis. Das LSG hat hierzu festgestellt: "Der Kläger hat sich auch dessen bewußt sein müssen, daß seine Tätigkeit von durchschnittlich 5 bis 7 Stunden täglich den Leistungsanspruch zum Wegfall bringt". Auf Unkenntnis über seine Mitteilungspflicht kann sich der Kläger nicht berufen; nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG war er durch die Beklagte bzw. das erhaltene Merkblatt unmißverständlich über seine Pflicht unterrichtet worden, jede Änderung der im Leistungsantrag angegebenen Verhältnisse sofort selbst anzuzeigen. Daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG gewußt hat, daß er die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit mitteilen muß, und zwar auch dann, wenn er hieraus nur geringfügige Einkünfte erzielt, ergibt sich im übrigen auch aus den weiteren Darlegungen des LSG. Danach ist, "selbst wenn der Kläger seine entsprechenden Pflichten nicht positiv gekannt bzw. nicht vom Wegfall des Anspruches gewußt hat", ihm jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Mit dem LSG ist dem Kläger nicht nur eine hilfsweise vom LSG geprüfte grobe Fahrlässigkeit, sondern ein vorsätzlicher Verstoß gegen seine Mitteilungspflicht vorzuwerfen. Wenn er trotz Kenntnis seiner Mitteilungspflicht der Beklagten seine selbständige Tätigkeit nicht anzeigte, hat er bewußt und gewollt diese Anzeige unterlassen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob dies - wovon das Strafurteil ausgegangen ist - in betrügerischer Absicht geschehen ist, um den Wegfall des Alhi-Anspruchs zu verhindern. Jedenfalls liegen keine Umstände vor, die den Kläger vom Vorwurf des vorsätzlichen Verstoßes gegen seine Mitteilungspflicht entlasten könnten.
Da der Kläger die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllte, erübrigt sich in seinem Fall die Prüfung, ob auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 4 SGB X gegeben sind. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bestimmt, daß der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden "soll". Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bedeutet "soll", daß der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufhebt, daß er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Hierzu ist inzwischen klargestellt, daß die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären ist, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist (BSGE 66, 103, 108 = SozR 4100 § 103 Nr. 47 m.w.N.).
Wann ein atypischer Fall vorliegt, in dem die Behörde eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend aufgehoben wird, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BSG a.a.O.). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist auch zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falles eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastet, als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (vgl. u.a. BSG SozR 1300 § 48 Nrn 44, 53 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist hier ein atypischer Fall zu verneinen. Es steht fest, daß der Kläger die Änderung der Verhältnisse i.S. von § 48 Abs. 1 SGB X in Form des Wegfalls seiner Arbeitslosigkeit nach § 101 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AFG durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit selbst herbeigeführt hat. Fest steht ferner, daß der Kläger vorsätzlich gegen seine Mitteilungspflicht verstoßen hat. Er kann sich auch nicht darauf berufen, ihm sei nicht bewußt gewesen, daß er auch bei geringfügigem Nebenverdienst, d.h. bei einem anrechnungsfreien Nebeneinkommen in Höhe von 15,-- DM wöchentlich (§ 115 AFG in der hier maßgebenden Fassung) die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit melden mußte. Denn unabhängig von der Höhe seines Nebenverdienstes wußte der Kläger um seine Pflicht, seine die Geringfügigkeitsgrenze überschreitende selbständige Tätigkeit dem Arbeitsamt mitzuteilen.
Dem Verhalten des Klägers lagen auch keine Motive zugrunde, die an sich billigenswert gewesen wären. Insoweit unterscheidet sich sein Fall deutlich von der Fallgestaltung, die der vom LSG zitierten Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 26. November 1986 (NZA 1987, 467f.) zugrunde lag. Hier hatte der Arbeitslose eine als vorübergehend gedachte Tätigkeit als freier Mitarbeiter zwei Monate lang ausgeübt, weil ihm im Anschluß daran eine Festanstellung zugesagt worden war. Vor allem im Hinblick auf die Konfliktlage dieses Arbeitslosen, der subjektiv vor der Frage stand, entweder die Anzeige pflichtgemäß zu erstatten, damit auf die in Aussicht gestellte Stellung von vornherein zu verzichten und weiterhin arbeitslos zu bleiben, oder die Anzeige pflichtwidrig zu unterlassen und damit eine konkrete Chance für die Beendigung der Arbeitslosigkeit zu haben, hat das BSG einen atypischen Fall bejaht. Hier hat der Kläger jedoch nicht kurzfristig, sondern über einige Jahre die Anzeige pflichtwidrig unterlassen. Er stand auch nicht vor der Frage, eine in Aussicht gestellte Stellung andernfalls zu verlieren. Vielmehr hat er die zu Unrecht bezogene Leistung, wenn nicht allein aus Gewinnstreben, so doch deswegen weiterbezogen, weil er seiner Mitteilungspflicht bewußt nicht nachgekommen ist. Gerade diese Fallgestaltung begründet, wie der 7. Senat in seiner Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben hat, keinen atypischen Fall.
Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Entscheidung des 7. Senats, die bei der Prüfung des atypischen Falles auch auf die subjektive Sicht des Leistungsempfängers abhebt, zu folgen ist. Die in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassene Frage, ob eine Rückzahlungsverpflichtung bei weiterbestehender Bedürftigkeit eine besondere Härte und damit einen atypischen Fall begründen kann, stellt sich hier nicht. Denn der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger durch das Unterlassen der Mitteilung über die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit den Aufhebungsgrund selbst gesetzt hat. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG kann er sich auch nicht darauf berufen, daß die im Normalfall bei Arbeitsaufnahme entfallende Bedürftigkeit bei ihm - zumindest teilweise - fortbestanden habe. Denn der Zweck des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X schließt es aus, einen Verwaltungsakt weiterhin als Rechtsgrund einer Leistung bestehen zu lassen, obwohl der Leistungsempfänger seiner Anzeigepflicht hinsichtlich der geänderten Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (vgl. Begründung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - BT-Drucks 8/2034, S. 35 zu § 46). Es kann deshalb keine Härte sein, daß die vom Kläger ausgeübte und nicht angezeigte Tätigkeit nach seinem Vorbringen seine Bedürftigkeit nicht in vollem Umfang beseitigt hat.
Demgemäß hat auch der 7. Senat des BSG in seiner Rechtsprechung zur Frage des atypischen Falls wiederholt entschieden, daß ein ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Leistungsempfängers fallendes Fehlverhalten zur rückwirkenden Aufhebung der Alhi-Bewilligung berechtigt (Urteil vom 21. Juli 1988 - 7 RAr 21/86 - veröffentlicht in AuB 1989, 161, 162; BSGE 66, 103, 108f. = SozR 4100 § 103 Nr. 47; Urteile vom 11. Januar 1990 und 25. April 1990 - 7 RAr 54/88 bzw. 7 RAr 20/89 -).
Der Umstand, daß der Kläger bei ordnungsgemäßer Mitteilung der Arbeitsaufnahme möglicherweise einen Sozialhilfeanspruch gemäß § 11 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt hätte, den er nun nicht mehr geltend machen kann, begründet ebenfalls keine besondere Härte i.S. eines atypischen Falles. Denn diese Situation entspricht dem Regelfall bei rückwirkender Erstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen (BSG AuB 1989, 161, 163). Einen atypischen Fall begründet die Erstattungspflicht selbst bei schlechter Einkommens- und Vermögenslage (Überschuldung) nicht, wenn die Überzahlung durch eine grobe Pflichtwidrigkeit verursacht worden ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44; BSG NZA 1987, 467, 468).
Da somit keine Atypik vorliegt, die eine Ermessensentscheidung der Beklagten notwendig macht, war die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 14. November 1974 und der Dynamisierungsbescheide ab Oktober 1976 für die hier noch streitige Zeit vom 1. Juli 1976 bis 1. Februar 1979 rechtmäßig. Der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der in diesem Zeitraum zu Unrecht erbrachten Leistungen folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.11 RAr 67/89
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen