Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegen Rentenansprüche des Beitragsschuldners aus der Rentenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Die gesetzliche Ermächtigung der Krankenkassen, die Sozialversicherungsbeiträge einzuziehen, schließt nicht das Recht in sich, von dem Träger der Rentenversicherung zu verlangen, daß er die anderenfalls uneinbringlichen Beiträge gegen Rentenansprüche aufrechnet.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das der KK als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge zugewiesene Aufgabengebiet Maßnahmen ausschließlich oder schwerpunktmäßig in das Tätigkeitsfeld eines anderen öffentlichen Rechtsträgers (Rentenversicherungsträger) gehören.
2. Der Rentenversicherungsträger hat regelmäßig nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob er dem Aufrechnungsvorschlag der Einzugsstelle folgen und seine Aufrechnungsbefugnis ausüben will. Eine Rechtspflicht zum Handeln trifft ihn aber der Einzugsstelle gegenüber nicht. Die Aufrechnung ist und bleibt seine Angelegenheit.
3. Im Einzelfall wird, sofern diese notwendig ist, die Aufsichtsbehörde (RVO §§ 30 ff) die Rechtskontrolle auszuüben haben.
Normenkette
RVO § 115 Fassung: 1924-12-15, § 1299 Fassung: 1959-07-23, § 1399 Fassung: 1957-02-23, § 30
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. November 1960 aufgehoben.
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Januar 1960 wird abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der beigeladene Emil F bezieht seit November 1954 wegen Invalidität eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter. Andererseits schuldet er der Klägerin - einer Arbeiter-Ersatzkasse - Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 202,51 DM sowie an
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Säumniszuschlägen |
6,80 DM, |
Mahngebühren und zusätzlich entstandenen Kosten |
9,50 DM |
und Vollstreckungskosten |
11,60 DM. |
Von den Beitragsrückständen werden an die
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Krankenversicherung |
64,89 DM, |
Invalidenversicherung |
108,14 DM, |
Arbeitslosenversicherung |
29,48 DM |
geschuldet. Dabei handelt es sich ausschließlich um die auf den Arbeitgeber entfallenden Beitragsanteile, da der Beigeladene selbst, weil er eine Rente bezog, für seinen Teil von der Beitragsentrichtung nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 20 freigestellt war. Der Arbeitgeber hatte die von ihm aufzubringenden Beitragsteile an den Beigeladenen bei der Lohnzahlung ausgefolgt; dieser hatte sie aber nicht, wie es nach § 520 Abs. 1 RVO seine Pflicht gewesen wäre, an die Krankenkasse abgeführt. Die Krankenkasse - die Klägerin - hat erfolglos versucht, die Rückstände beizutreiben. Der Beigeladene hat den Offenbarungseid geleistet; er ist vermögenslos. Schließlich hat sich die Klägerin an die beklagte Landesversicherungsanstalt gewendet mit dem Begehren, diese möge die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge gegen die Rentenansprüche des Beigeladenen aufrechnen. Die Beklagte hatte dieses an sie gerichtete Ersuchen abgelehnt, weil nicht sie, sondern allein die Klägerin als Einzugsstelle die Gläubigerin der Beitragsforderungen sei. Die zur Aufrechnung zu stellenden Rentenschulden und Beitragsforderungen stünden sich mangels Identität von Gläubiger und Schuldner nicht im Verhältnis der Gegenseitigkeit gegenüber. Die Gegenseitigkeit könne auch nicht dadurch hergestellt werden, daß die Klägerin ihre Beitragsansprüche an die Beklagte abtrete, denn das Gesetz lasse eine derartige Rechtsübertragung nicht zu (vgl. Urteile des 1. Senat des BSG vom 25.8.1961 in BSG 15, 36; vom 23.11.1962 - 1 RA 26/60 -). Die Beklagte will nicht einmal die zur Rentenversicherung der Arbeiter zu bewirkenden Beiträge als solche Beiträge gelten lassen, die ihr unmittelbar geschuldet werden. Sie meint, davon machten lediglich die durch Verwendung von Marken zu entrichtenden Beiträge (§ 1405 RVO) eine Ausnahme. Ein solcher Ausnahmesachverhalt liege aber hier nicht vor. Daß die Krankenkasse die von ihr eingezogenen Beiträge nach einem Schlüsselverfahren zum Teil mit dem Rentenversicherungsträger abzurechnen habe (vgl. BABl. 1962, 275), und daß der Träger der Rentenversicherung sogar die Aufgabe der Überwachung rechtzeitiger und vollständiger Beitragsentrichtung wahrnehmen müsse (§§ 1426 ff RVO), ändere nichts an der Beurteilung des Beitragsrechtsverhältnisses zwischen der Einzugsstelle und dem Arbeitgeber oder Versicherten. Die Beitragsforderungen und die Rentenansprüche stünden in keinem Falle einander aufrechenbar gegenüber.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Klage erhoben. Mit dieser Klage hatte sie bei dem Sozialgericht (SG) vollen und bei dem Berufungsgericht im wesentlichen Erfolg (Urt. des SG Hamburg vom 20.1.1960; Urt. des LSG Hamburg vom 22.11.1960). Die Vorinstanzen wollen die Vorschrift des § 1299 RVO über die Aufrechenbarkeit von Forderungen aus der Sozialversicherung gegen Rentenansprüche dahin verstanden wissen, daß die Gestaltung der Befugnis zur Aufrechnung dem Recht des Lohnabzugs angepaßt worden sei. Hinsichtlich der zur Aufrechnung gestellten "Sozialversicherungsbeiträge" folge § 1299 RVO nicht den Regeln des bürgerlichen Rechts über das strikte Erfordernis der Gegenseitigkeit. Diese rentenversicherungsrechtliche Sondervorschrift führe vielmehr eigene und erschöpfend aufgezählte Aufrechnungsfälle an und erweitere insoweit die im BGB für die Aufrechnung vorgezeichneten Richtlinien. Mit der Bezeichnung "Sozialversicherungsbeiträge" knüpfe das Gesetz in § 1299 RVO unverkennbar an den Sprachgebrauch der Bestimmungen über den Lohnabzug an (Erlaß des RAM vom 19.6.1942 - RABl. 1942 II Seite 361 -; Überschrift des Abschn. II der Ersten Lohnabzugsverordnung vom 1.7.1941; DVO zur Zweiten LAVA § 19; vgl. auch § 233 Abs. 3 des Entwurfs zum Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz und Begründung dazu - BT-Drucks. IV/816 -). Demgegenüber verwende das Gesetz aber auch einerseits die unbestimmten Wörter "Beiträge" und "Beitrag" in den §§ 398, 1397 ff RVO und andererseits in den §§ 1433 ff präzise die Wendung "Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter". Dieser differenzierende Sprachgebrauch des Gesetzes lasse auf die klare Absicht des Gesetzgebers schließen, die Aufrechnung wegen des gemeinsamen Beitragseinzugs durch die Krankenkassen über den Rahmen des früheren § 1309 RVO (in der bis zum 31.12.1956 gültigen Fassung) hinaus zuzulassen. - Von dieser Rechtsauffassung aus hat das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten dahin gefaßt, daß diese gegen die Rentenansprüche des beigeladenen E. F. die von diesem geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 202,51 DM aufzurechnen habe. Dagegen wies das Berufungsgericht - insoweit das Urteil der Vorinstanz abändernd - die Klage ab, als mit ihr im Wege der Aufrechnung eine Befriedigung der Ansprüche aus Säumniszuschlägen, Mahn- und Vollstreckungskosten erstrebt wird. Diese Nebenforderungen fielen, so führte das Berufungsgericht aus, weder unter das Merkmal "Sozialversicherungsbeiträge" noch unter das Tatbestandsstück der Verfahrenskosten.
Gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) haben sowohl die Beklagte als auch die Klägerin die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision fristgerecht eingelegt und begründet.
Die Beklagte verficht ihren Standpunkt, daß sie selbst dann nicht mit einer von der Klägerin einzuziehenden Beitragsforderung aufrechnen könne, wenn die Klägerin dem zustimme oder dies sogar wünsche.
Die Klägerin macht dagegen weiterhin geltend, daß schon ihre bloße Einwilligung als solche für die Aufrechnung der gesamten Forderungen gegen die Rentenschuld der Beklagten ausreiche. Keineswegs sei aber deshalb, weil sie die Beiträge im eigenen Namen einzunehmen habe, die rentenversicherungsrechtliche Beitragsforderung aus dem Vermögen der Beklagten ausgeschieden. - Im übrigen rechtfertigt die Klägerin ihr Rechtsmittel damit, daß die Säumniszuschläge den unbezahlten Beiträgen gleichzustellen und daß die Mahn- und Verfahrenskosten als Kosten des Verfahrens im Sinne von § 1229 RVO zu behandeln seien.
Die beigeladene Bundesanstalt pflichtet den Darlegungen der Klägerin bei und nimmt hiervon nur den Punkt aus, der die Aufrechenbarkeit der Mahn- und Vollstreckungskosten betrifft.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Januar 1960 aufzuheben und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts zu dem Teil aufzuheben, zu dem es die Klage abgewiesen hat, und die Beklagte zu verurteilen, auch die geschuldeten Säumniszuschläge, Mahngebühren und Vollstreckungskosten in Höhe von 27,90 DM zur Aufrechnung zu stellen; sowie ferner die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die frist- und formgerecht eingelegte, vom LSG zugelassene Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Gegen die Zulässigkeit der Klage sind Bedenken nicht zu erheben. - Gewiß ist es ohne eine ausdrückliche Anordnung des Gesetzes nicht wahrscheinlich, daß eine Verwaltungsstelle über einen anderen gleichgeordneten Verwaltungsträger eine Willensmacht der hier geltend gemachten Art auszuüben vermag. - Leiten zwei selbständige Rechtsträger des öffentlichen Rechts, die derselben Stufenordnung angehören, ihre Befugnisse aus derselben Quelle der Staatshoheit ab und nehmen sie gleichwertige und gleichartige öffentliche Belange wahr, dann wird es in der Regel der Gedanke der "Einheit der Staatsverwaltung" verbieten, daß die genannten Rechtsträger im Prozeß in verschiedenen Parteirollen gegenübertreten (vgl. PrOVG 2, 399; 3, 191, 345; 5, 360 u. ständ. Rechtspr.). Gleichwohl ist bei der Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Träger der Rentenversicherung und der Krankenkasse als Beitragseinzugsstelle nach dem Gesetz (§§ 1399, 1433 ff RVO) nicht ohne weiteres auszuschließen, daß der Klägerin ein mit der sozialgerichtlichen Klage verfolgbares Recht zuerkannt werden kann, sei es auch ein nur formelles Recht, nämlich die Befugnis, die zuständige Stelle unter den obwaltenden Umständen zu einem fehlerfreien Ermessensgebrauch zu veranlassen. Diese Befugnis könnte von dem gesetzlichen Auftrag an die Einzugsstelle mitumfaßt sein, dies kann um so mehr gelten, als eine Pfändung der Rentenansprüche nicht mehr angängig war, als die Klägerin ihr Aufrechnungsersuchen an die Beklagte richtete. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist, während welcher wegen rückständiger Beiträge der Zugriff auf die Rentenansprüche erlaubt gewesen wäre - drei Monate seit Fälligkeit -, mit Sicherheit längst verflossen (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 RVO). Ist somit rechtlich die Möglichkeit, daß der Klägerin ein durch Klage vor den Sozialgerichten verfolgbares Recht zusteht, ohne eindringende Prüfung nicht auszuschließen, so ist dem Gericht die Erörterung der Sachfrage nicht verwehrt.
Ein sachlicher Erfolg kann der Klage jedoch nicht beschieden sein, denn es fehlt an einem Rechtssatz, welcher der Klägerin das Recht gäbe, von der Beklagten die begehrte Handlung zu verlangen.
Die Befugnis zu einem solchen Verlangen läßt sich nicht aus dem Rechtsverhältnis herleiten, das kraft Gesetzes zwischen der Krankenkasse als Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger besteht. Die gesetzlichen Vorschriften über die gegenseitigen Beziehungen und namentlich die §§ 1399, 1426, 1427, 1433 ff RVO bieten keine Grundlage dafür, daß sich die Klägerin mit ihrem an die Beklagte gestellten Ansinnen durchsetzen könnte. Freilich wird man sich mit dieser Feststellung nicht zufriedengeben dürfen. Das Rechtsverhältnis der beteiligten Versicherungsträger, das in BSG 15, 118 als ein "Treuhandverhältnis" gekennzeichnet worden ist, beschränkt sich nicht auf die im Gesetz aufgeführten Regeln und Wirkungen. Die gegenseitigen Rechte und Verbindlichkeiten sind nach dem Charakter und der Natur der durch § 1399 RVO begründeten Einziehungsermächtigung zu beurteilen. Zur Konkretisierung dieses öffentlich-rechtlichen Verhältnisses gibt das Gesetz selbst einen beispielhaften Hinweis. Es erklärt bezüglich eines Einstehens der Einzugsstelle für eine schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Einzugspflichten die Vorschriften des BGB über die Haftung für Vertragsverletzungen für entsprechend anwendbar (§ 1436 RVO). Diese Rechtsgestaltung eines wichtigen Einzelpunktes und die verbreitete Auffassung von der "Treuhänder"-Stellung der Krankenkasse erwecken den Eindruck, als habe man es nicht bloß mit einer Aufteilung von Rechtszuständigkeiten unter zwei öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu tun, und als habe man nicht davon auszugehen, daß die Funktionsbereiche dieser Körperschaften lediglich parallel geschaltet und deshalb aufeinander abzustimmen seien. Stattdessen scheint manches auf die Existenz eines obligatorischen Innenverhältnisses zwischen den beiden Rechtssubjekten hinzudeuten. Man ist zu der Annahme eines Treueverhältnisses verleitet kraft dessen die Beteiligten einander die Mitwirkung zur Erreichung des vorgeschriebenen Zwecks schulden.
Diesen Gedanken weiter verfolgend, ließe sich zur Begründung des Klagebegehrens argumentieren: Die beauftragte Krankenkasse vermöge mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das Einzugsgeschäft in absehbarer Zeit nicht zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Bevor deshalb an eine Niederschlagung der Beitragsforderungen gedacht werden müsse, biete sich als Ausweg die Möglichkeit der Aufrechnung mit den Rentenforderungen. Hierzu müsse sich die Krankenkasse der Mitwirkung des Rentenversicherungsträgers um so mehr bedienen können, weil ihr innerhalb ihres engeren Geschäftskreises die Beitreibung durch Zwangsvollstreckung mißlungen sei und aller Voraussicht nach auch künftig mißlingen werde. Der Träger der Rentenversicherung vermöge aber ohne Aufwand von Mühen und Kosten den dauernden Schaden, der mit dem Ausfall der Beiträge entstehe, abzuwenden. Er dürfe aus dem Gebot des eigenen Interesses und des praktischen Bedürfnisses seine Hilfe allein um deswillen nicht grundsätzlich versagen, weil ihm in Bezug auf den Beitragseinzug zusätzliche Verwaltungsfunktionen oblägen und weil er im übrigen immer noch angemessene Rücksicht auf die Belange des Rentners nehmen könne.
Alle diese Überlegungen sind jedoch bereits in ihrem Ansatz nicht gerechtfertigt. Die Einziehungsermächtigung der Krankenkasse ist nicht dahin ausgestaltet, daß der Träger der Rentenversicherung der Krankenkasse gegenüber zum unmittelbaren Handeln bei der Beitragserhebung verpflichtet ist. Wohl ist die Rechtszuständigkeit des Rentenversicherungsträgers in dem Umfang eingeengt, in dem die Krankenkasse allein die Verfügungs- und Ausübungsmacht besitzt. Zugleich dienen eine Reihe weiterer Vorschriften dem Schutz des eigentlichen Rechtsinhabers; das ist der Träger der Rentenversicherung. Die Ermächtigung schafft an sich für den Träger der Rentenversicherung nur Rechte und keine Verpflichtungen. Selbst diese Rechte beschränken sich den Krankenkassen gegenüber auf generelle Weisungsbefugnisse und räumen keine Eingriffsmöglichkeit im Einzelfall ein. Der Rentenversicherungsträger seinerseits ist im Verhältnis zur Krankenkasse zu keiner bestimmten positiven Tätigkeit verpflichtet. Eine derartige Verpflichtung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt Treu und Glauben. Die der Krankenkasse als Einzugsstelle vermittelte Rechtsmacht wirkt nach außen, bedeutet aber nicht auch gleichermaßen eine Verteilung und gar eine Überlagerung von Zuständigkeiten im Innenverhältnis.
Hier ist der Rentenversicherungsträger keineswegs dem Willen der Einzugsstelle unterworfen. Das der Einzugsstelle zugewiesene Aufgabengebiet findet dort seine Grenze, wo die zu ergreifenden Maßnahmen ausschließlich oder schwerpunktmäßig in das Tätigkeitsfeld eines anderen öffentlichen Rechtsträgers gehören. (vgl. W. Jellinik, Verw.Recht 1948 Seite 17; Forsthoff, Lehrbuch des Verw. Rechts, 7. Aufl. Seite 92). Denn da sich weder aus dem Gesetz noch aus der Eigenart der gegenseitigen Rechtsbeziehungen etwas anderes ergibt, gilt der Grundsatz, daß jeder Verwaltungsträger seine Aufgaben ohne Bindung gegenüber dem anderen selbständig zu erfüllen und die Rechtsakte oder Unterlassungen des anderen zu respektieren hat (vgl. hierzu für die öffentlich-rechtliche Auftragsverwaltung: BGHSt 16, 95, 99). Dieses Prinzip ist in dem hier behandelten Punkte nicht durchbrochen. Die Entschließung darüber, ob und in welcher Weise mit Rentenverpflichtungen gegen Beitragsforderungen aufzurechnen sei, fällt allein in die Kompetenz der Rentenversicherung.
Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß die Einzugsstelle den Rentenversicherungsträger von der Fruchtlosigkeit ihrer Beitreibungsversuche zu benachrichtigen und auf eine bestehende Aufrechnungslage aufmerksam zu machen hat. Und was weiter das von der Beklagten bestrittene Aufrechnungsrecht anlangt, so wird man aus der Tatsache der Einziehungsermächtigung nicht - mit der Beklagten - zu entnehmen haben, daß der Rentenversicherungsträger jede nach außen hin in Erscheinung tretende Gläubigerstellung verloren habe (vgl. BGH 22, 10.1.1957, NJW 1957, 18). Die Substanz des Beitragsrechts ist bei ihm geblieben. Wenn auch der Beitragsschuldner sogar an die Einzugsstelle leisten muß, so stehen sich die Rentenschuld dennoch im Verhältnis der Gegenseitigkeit einander gegenüber. Der Rentenversicherungsträger wird deshalb regelmäßig nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen haben, ob er dem "Vorschlag" der Einzugsstelle folgen und seine Aufrechnungsbefugnis ausüben soll. Eine Rechtspflicht zum Handeln trifft ihn aber der Einzugsstelle gegenüber nicht. Die Aufrechnung ist und bleibt seine Angelegenheit.
Mit dieser Antwort auf die Zuständigkeitsfrage stimmt überein, daß die Krankenkasse nicht die nötige Sachlegitimation im vorliegenden Falle besitzt. In der Gleich- und Nebenordnung der Kompetenzen ist eingeschlossen, daß jeder der nebeneinander wirkenden, in der Erfüllung ihrer Funktionen voneinander unabhängigen Hoheitsträger sich seinen eigenen Willen bildet. Gerät dieser Wille mit den Absichten des anderen in Widerspruch, so kann sich nicht eine einzelne Stelle einseitig gegenüber der anderen durchsetzen. Die Entscheidung darüber, welcher Wille die Oberhand behält und ob dem einen oder anderen Interesse der Vorzug zu geben oder zwischen beiden ein Ausgleich zu finden ist, kann nicht im Rechtsweg gesucht werden, sondern ist der gesetzlichen Ordnung über die Willensbildung innerhalb der Exekutive überlassen. Sollte im Einzelfall einmal der eine der beiden Hoheitsträger in seinem Verhalten von einer unrichtigen Rechtsauffassung geleitet werden, dann wird es der zuständigen Aufsichtsbehörde obliegen, die nötige Rechtskontrolle auszuüben (§§ 30 ff RVO). An sie mag sich der betroffene oder vermeintlich beschwerte Verwaltungsträger wenden. Den Gerichten ist dagegen nicht aufgetragen, schlechterdings jedes Verwaltungshandeln auf seine Übereinstimmung mit dem objektiven Recht zu prüfen. Wenn die Rechtsprechung auch nicht nur dem Schutze des rechtssuchenden Bürgers zu dienen bestimmt ist (vgl. dazu § 54 Abs. 3 SGG sowie Menger in Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III 2 Seite 724, 727 ff; Maunz/Dürig, RdNr. 7 zu Art. 19 Abs. 4 GG mit Nachw.), so vermag doch der eine Hoheitsträger die Verurteilung eines anderen zum Erlaß eines Verwaltungsakts oder zu einer sonstigen Handlung nur zu erreichen, wenn der andere ihm dies schuldet. Daran fehlt es hier.
Des weiteren kann die Klage nicht auf den anerkannten Rechtssatz gestützt werden, daß die Organe des Staates und alle Stellen, denen sich der Staat zur Durchführung seiner Aufgaben bedient, einander den erforderlichen Beistand zu gewähren haben (GG Art. 35; RVO §§ 115, 116; GVG § 158 Abs. 1; BGHZ 15, 305, 309, Nebinger, Verw.Recht 1946 Seite 10). An diese allgemeine Rechtsregel wäre vornehmlich im Zusammenhang damit zu denken, daß die Klägerin den Einbehalt von Rentenbeträgen nicht allein wegen der zur Rentenversicherung geschuldeten Beiträge wünscht, sondern die Aufrechnung auch hinsichtlich derjenigen Beiträge anstrebt, die sie zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung einzutreiben hat. Indessen verschafft auch dieser Gesichtspunkt der Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte. Denn die Pflicht der Verwaltungsträger zur gegenseitigen Unterstützung bezweckt nicht speziell den Schutz des einzelnen Hoheitsträgers und vermittelt der Klägerin kein klagfähiges subjektives Recht. Gegen die Ablehnung eines Amtshilfeersuchens ist vielmehr - von den Fällen eines gesetzlich geregelten Beschwerdeverfahrens abgesehen - lediglich die Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben (Dreher, Die Amtshilfe, Göttingen 1959 Seite 125 ff). Im übrigen wäre auch der Tatbestand der Amtshilfe nicht gegeben; denn mit der Aufrechnung von Rentenverpflichtungen gegen Beitragsforderungen nähme die Beklagte keine fremde, sondern eine eigene Aufgabe eigenverantwortlich wahr, während die Klägerin als ersuchende Behörde die gewünschte Handlung nicht aus eigener sachlicher Zuständigkeit selbst vornehmen könnte. Eine derartige Veränderung der Verantwortlichkeit fällt aber nicht unter das Institut der Amtshilfe.
Aus dem gleichen Grund scheidet ferner die Idee eines Mandats aus, und zwar eines - in Umkehrung des gesetzlichen Auftrags zu verstehenden - Mandats der Krankenkasse an den Rentenversicherungsträger, die Beitragsforderungen durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen. Abgesehen davon, daß ein Mandatsverhältnis der hier in Frage kommenden Art überhaupt noch erst zustandekommen müßte, wäre es als Mandat nur anzusehen, wenn die Landesversicherungsanstalt zur Erledigung von solchen Angelegenheiten angewiesen werden sollte, über die sonst von der Krankenkasse zu befinden ist (vgl. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht 1942, 22 ff, 29, 30, 131 ff, 135; PrOVG 30, 292). Hier soll aber die Landesversicherungsanstalt nicht kraft Auftrags, nicht als Mandant eine in der Kompetenz des Mandatars - der Krankenkasse - gelegene Aufrechnungserklärung abgeben, sondern sie soll aus eigener Zuständigkeit heraus und im eigenen Namen tätig werden. Sie und nicht die Krankenkasse hätte auch im Streitfalle eigenverantwortlich die Maßnahme dem Aufrechnungsgegner gegenüber zu vertreten. Das würde indessen die begrifflichen Grenzen eines Mandats überschreiten. Es ist somit nicht daran vorbeizukommen, daß die Klägerin mit ihrem Klagebegehren in den Geschäftsbereich des anderen Verwaltungsträgers übergreift. Dazu ist ihr jedoch eine Rechtsmacht nicht verliehen. Diese Erwägung, daß zwischen der Zuständigkeit oder Kompetenz des einen und des anderen Verwaltungsträgers eine Scheidewand gezogen ist, greift gerade dann ein, wenn man die Vorschrift über die Aufrechnung in der Rentenversicherung (§ 1299 RVO) in dem von dem Berufungsgericht vorgeschlagenen Sinne deutet (entgegen BSG 15, 36 und Urt. vom 23.11.1962 - 1 RA 26/60 -). Denn selbst, wenn "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" ganz allgemein gegen Rentenansprüche aufgerechnet werden dürften, so wäre aus dieser Befugnis nicht zugleich noch mehr zu folgern: Den Trägern der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung sollte ein einklagbares Recht auf die Ausübung dieser Befugnis nicht vermittelt werden, und sei es auch nur ein Recht, welches durch das Ermessen des Rentenversicherungsträgers gehemmt wäre. Eine derart unmittelbar übergreifende Funktionsverknüpfung zwischen den einzelnen Sozialversicherungsbereichen hat weder das Gesetz zum Inhalt noch lag dies in der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers.
Nach alledem fehlt es an unerläßlichen Voraussetzungen für eine Verurteilung der Beklagten zur Abgabe der Aufrechnungserklärung. Das haben die Vorinstanzen übersehen. Ihre Urteile konnten deshalb keinen Bestand haben.
Zugleich war die Revision der Klägerin aus den oben dargelegten Erwägungen zurückzuweisen.
Der Ausspruch über das Fehlen einer Kostenerstattungspflicht beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2379789 |
BSGE, 273 |