Leitsatz (amtlich)
1. Soweit die Gewährung von Mutterschaftsgeld davon abhängt, daß während der Schwangerschaft ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, kommt grundsätzlich nur ein Arbeitsverhältnis im Inland in Betracht.
2. FinÄndG 1967 Art 3 § 1, wonach Leistungen im Falle der Mutterschaft nach dem bisherigen Recht gewährt werden, wenn die Schutzfrist nach MuSchG § 3 Abs 2 iVm § 5 Abs 2 vor Inkrafttreten des FinÄndG 1967 (1968-01-01) begonnen hat, verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Rückwirkungsverbot).
Normenkette
GG Art. 20 Fassung: 1949-05-23; RVO § 200 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1967-12-21; MuSchG § 3 Abs. 2, § 5 Abs. 2; FinÄndG 1967 Art. 3 § 1 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, die am 19. März 1968 ein Kind geboren hat, verlangt von der beklagten Ersatzkasse Mutterschaftsgeld. Vor der Entbindung war sie von Anfang März bis Ende Oktober 1967 bei einer Schweizer Firma in Zürich als kaufmännische Angestellte, vom 20. November 1967 an bei einer Firma in Stuttgart als Kontoristin beschäftigt und seitdem versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Da die Entbindung nach ärztlichem Zeugnis am 13. März 1968 erfolgen sollte, stellte sie Ende Januar (Beginn der Schutzfrist) ihre Arbeit ein und beantragte Mutterschaftsgeld. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil nach § 200 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Gewährung von Mutterschaftsgeld voraussetze, daß in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat vor der Entbindung für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, und diese Voraussetzung nur im Inland erfüllt werden könne. Anstelle des beantragten Mutterschaftsgeldes gewährte die Beklagte der Klägerin aus Anlaß der Entbindung nach § 200 b RVO eine einmalige Leistung in Höhe von 150 DM sowie eine Entbindungskostenpauschale von 50 DM (§ 198 RVO) und übernahm die Kosten des Klinikaufenthalts. Die Klägerin, die sich hiermit nicht zufrieden gab, erhob Klage. Ihrer Ansicht nach kann auch eine im Ausland zurückgelegte Beschäftigungszeit ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO sein. Das Sozialgericht (SG) ist der Auffassung der Beklagten beigetreten und hat die Klage abgewiesen, die Berufung jedoch zugelassen: Nach § 200 Abs. 1 RVO müsse ein der Entbindung vorhergehendes Arbeitsverhältnis im Inland bestanden haben, sofern nicht durch Sozialversicherungsabkommen etwas anderes bestimmt sei, was im Verhältnis zur Schweiz nicht zutreffe (Urteil vom 3. Juni 1969).
Die Klägerin hat mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie beruft sich vor allem auf den Gesetzeswortlaut, der allgemein von einem "Arbeitsverhältnis" spreche, mithin auch Arbeitsverhältnisse erfasse, die im Ausland bestünden oder bestanden hätten. Im übrigen sei eine Frau, die vor ihrer Entbindung im Ausland beschäftigt gewesen sei, ihrem Lebenszuschnitt nach nicht weniger auf Mutterschaftsgeld angewiesen als eine im Inland tätig gewesene Frau. Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide und des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, Mutterschaftsgeld in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ein Schreiben des Bundesarbeitsministers vom 2. November 1970, die Sprungrevision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig. Die von ihr beanspruchte Leistung ("Mutterschaftsgeld in satzungsgemäßer Höhe") wäre, wenn der Anspruch bestünde, für sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung, insgesamt also für 14 Wochen, zu gewähren (§ 200 Abs. 3 i.V.m. § 507 a RVO). Die Berufung wäre für diesen Anspruch nicht ausgeschlossen gewesen, insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen). Für die - vom SG ausgesprochene - Zulassung der Berufung und damit für das Rechtsmittel der Sprungrevision war deshalb an sich kein Raum (§§ 150, 161 SGG). Gleichwohl ist die eingelegte Sprungrevision zulässig, weil die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit des Zulassungsausspruchs vertrauen durfte (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 9. September 1971 - 3 RK 70/68).
Die Sprungrevision ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht Mutterschaftsgeld nicht zu, wie das SG zutreffend entschieden hat.
Mutterschaftsgeld erhalten seit dem 1. Januar 1968 Versicherte, die bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind oder deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist. Voraussetzung ist jedoch, daß in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat einschließlich dieser Monate vor der Entbindung für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (§ 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 RVO idF des Finanzänderungsgesetzes - FinÄndG - vom 21. Dezember 1967, BGBl I 1259). Vor dem 1. Januar 1968 erhielten Frauen, die - wie die Klägerin - in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert waren, Wochengeld nach dem MuSchG vom 24. Januar 1952 (BGBl I 69), ohne daß während der Schwangerschaft eine Pflichtversicherung oder ein Arbeitsverhältnis von bestimmter Dauer bestanden zu haben brauchte (nur für die Wochenhilfe nach der RVO galten Vorversicherungszeiten, § 195 a RVO aF); es genügte, daß im Zeitpunkt des Leistungsbeginns (Schutzfrist) eine Pflichtversicherung bestand. Die Gesetzesänderung (Erschwerung der Voraussetzungen für den Bezug des Mutterschaftsgeldes, jetzt § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO) erfolgte, um eine mißbräuchliche Inanspruchnahme des hohen Mutterschaftsgeldes auszuschließen (vgl. den schriftlichen Bericht des zuständigen Bundestags-Ausschusses zu Drucks. IV/3652, S. 8 f zu §§ 200 und 200 a). Eine Übergangsvorschrift im FinÄndG (Art. 3 § 1) bestimmt, daß Leistungen im Falle der Mutterschaft nach dem bisherigen Recht gewährt werden, wenn die Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 MuSchG vor dem Inkrafttreten des FinÄndG am 1. Januar 1968 begonnen hatte. Da bei der Klägerin die Schutzfrist erst nach dem genannten Stichtag, nämlich erst Ende Januar 1968, begann, gelten für sie bereits die neuen - einschränkenden - Leistungsvoraussetzungen.
Die getroffene Übergangsregelung ist rechtlich unbedenklich, obwohl nach ihr das neue Recht auch Frauen erfaßt, die, wie die Klägerin, bei seinem Inkrafttreten bereits schwanger waren. Die Übergangsregelung verstößt insbesondere nicht gegen ein - im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG) enthaltenes - Rückwirkungsverbot. Schon mit der Verkündung des Änderungsgesetzes zum MuSchG vom 24. August 1965 (BGBl I 912), dessen Inkrafttreten sich dann allerdings verzögerte, hatte der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß er eine Inanspruchnahme des Mutterschaftsgeldes (Wochengeldes) durch Frauen, bei denen während der Schwangerschaft weder eine Pflichtversicherung noch ein Arbeitsverhältnis von bestimmter Dauer bestanden hatte, für unvereinbar hielt mit dem Zweck des - "zum Schutze der erwerbstätigen Mutter" erlassenen MuSchG (§ 200 a Abs. 1 Satz 2 RVO idF des Gesetzes vom 24. August 1965 = § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO idF des FinÄndG). Ein schutzwürdiges Vertrauen in dem Sinne, daß sich eine werdende Mutter darauf verlassen durfte, sie werde - wie nach bisherigem Recht - schon dann in den Genuß des Mutterschaftsgeldes kommen, wenn sie bei Beginn der Schutzfrist pflichtversichert sei, konnte deshalb seit Verkündung des Änderungsgesetzes im Jahre 1965 nicht mehr entstehen (vgl. BVerfG in SozR Nr. 68 zu Art. 3 GG, Bl. A b 65 Rs). Auch für die Klägerin gelten somit die Leistungsvoraussetzungen des neuen Rechts, insbesondere § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO.
Danach steht ihr aber kein Anspruch auf Mutterschaftsgeld zu, weil bei ihr nicht während des in § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO abgesteckten Rahmens (Zeit zwischen dem zehnten und vierten Monat vor der Entbindung) "für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat".
Ob auch ein Arbeitsverhältnis im Ausland - die Klägerin könnte nur zusammen mit der Zeit ihrer Beschäftigung in der Schweiz die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllen - ein Arbeitsverhältnis im Sinne der genannten Vorschrift ist, läßt sich ihrem Wortlaut nicht unmittelbar entnehmen. Sinnzusammenhang und Systematik des MuSchG machen jedoch deutlich, daß § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO ein inländisches Arbeitsverhältnis voraussetzt.
Die Vorschriften der RVO über die Gewährung von Mutterschaftsgeld hängen aufs engste mit dem MuSchG zusammen, das in § 13 Abs. 1 ausdrücklich auf sie verweist. Das MuSchG bezweckt, wie schon seine Überschrift erkennen läßt, den Schutz der "erwerbstätigen" Mutter. Seine Geltung beschränkt sich deshalb auf Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind (§ 1). Diese Frauen sind während einer Schwangerschaft besonderen Gefahren für die eigene und die Gesundheit des werdenden Kindes ausgesetzt, denen das Gesetz durch eine Reihe von Vorschriften begegnen will, die die Beschäftigung nach Art und Umfang einschränken (§§ 3 ff). Außerdem bedürfen sie für Zeiten, in denen sie einem Beschäftigungsverbot unterliegen, insbesondere während der Schutzfristen vor und nach der Entbindung (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1), einer ausreichenden wirtschaftlichen Sicherung, die ihnen in Gestalt bestimmter Leistungsansprüche zuteil wird (vgl. §§ 11 ff). Die Art und Umfang der Beschäftigung regelnden Vorschriften können sich - als Normen, die in die Handlungsfreiheit eingreifen, insbesondere den Arbeitgebern Unterlassungspflichten auferlegen - nur an Personen wenden, die der gesetzgebenden Gewalt des Staates unterworfen sind, sich also im Inland aufhalten (Territorialprinzip, vgl. dazu Urteil des Senats vom 19. Januar 1971, BSG 32, 174). Die Leistungen gewährenden Vorschriften könnten sich dagegen auch auf Frauen beziehen, die außerhalb der Staatsgrenzen arbeiten oder gearbeitet haben. Da Mutterschaftsgeld seinem Zwecke nach indessen nur gewährt wird, wenn und weil die (werdende) Mutter einem Beschäftigungsverbot unterliegt, muß das Arbeitsverhältnis, um einen Leistungsanspruch auszulösen, ein Arbeitsverhältnis sein, das von dem Beschäftigungsverbot betroffen werden kann, das mithin im Inland besteht oder, wenn es während der Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist, im Inland bestanden hat (§ 200 Abs. 1 Satz 1 RVO, der ein Arbeitsverhältnis bei Beginn der Schutzfrist oder bis zur zulässigen Auflösung durch den Arbeitgeber fordert). Im gleichen Sinne ist aber auch die anschließende Vorschrift in § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO zu verstehen, nach der als weitere Leistungsvoraussetzung während einer bestimmten Zeit vor der Entbindung Versicherungspflicht "oder ein Arbeitsverhältnis" bestanden haben muß; denn es fehlt jeder Anhalt dafür, den Begriff "Arbeitsverhältnis" innerhalb des § 200 Abs. 1 RVO verschieden auszulegen.
Jede andere Lösung würde im übrigen eine mißbräuchliche Ausnutzung der Mutterschaftshilfe, insbesondere in Grenzgebieten, erleichtern. Da Mutterschaftsgeld auch Frauen gewährt wird, die bei Beginn der Schutzfrist nicht krankenversichert sind, aber zu diesem Zeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis oder in Heimarbeit stehen und die Voraussetzungen des § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO erfüllen (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG), müßte eine - bisher im Ausland beschäftigte - Frau nur mit Beginn der Schutzfrist ihren Wohnsitz ins Inland verlegen, um hier in den vollen Genuß der Mutterschaftsleistungen zu gelangen. Daß ein solches Ergebnis nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprechen würde, liegt auf der Hand. Soweit hiernach die Gewährung von Mutterschaftsgeld davon abhängt, daß während der Schwangerschaft ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (§ 200 Abs. 1 RVO), kommt nur ein Arbeitsverhältnis im Inland in Betracht, sofern sich nicht ausnahmsweise aus zwischen- oder überstaatlichen Regelungen etwas anderes ergibt (ebenso Töns, Mutterschaftshilfe und Mutterschutz, Anm. B I 1 g zu § 200 RVO; Eisel, Das Mutterschutzgesetz, 9. Aufl., Anm. 3 zu § 200 RVO; Specke, Die Leistungen der Krankenkassen bei Mutterschaft, S. 39; vgl. auch Schreiben des Bundesarbeitsministers vom 2. Dezember 1970, DOK 1971, 77).
Das Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz vom 25. Februar 1964 (BGBl II 1293), das im vorliegenden Fall heranzuziehen ist, enthält keine Bestimmungen, die für die Erfüllung der Voraussetzungen des Bezuges von Mutterschaftsgeld die in beiden Ländern zurückgelegten Beschäftigungszeiten einander gleichstellen. Im Schlußprotokoll zu diesem Abkommen ist vielmehr ausdrücklich festgelegt, daß die in der schweizerischen Krankenpflegeversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten für den Erwerb des Leistungsanspruchs im Falle der Mutterschaft nach deutschem Recht nicht zu berücksichtigen sind (Nr. 14 Buchst. b Satz 2).
Der Klägerin steht somit, wie das SG zutreffend entschieden hat, kein Anspruch auf Mutterschaftshilfe zu. Ihre Revision ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 928061 |
BSGE, 76 |