Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Berufsausbildung. Sprachkurs im Ausland
Leitsatz (amtlich)
Die Teilnahme an einem Sprachkurs im Ausland kann Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG sein, wenn er von einer dortigen Hochschule für die Zulassung zum angestrebten Studium vorgeschrieben ist.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. August 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine am 15. Dezember 1970 geborene Tochter S. (S.) für die Zeit von Oktober 1991 bis September 1992 streitig.
Sie beendete am 31. Juli 1990 mit dem Abitur ihre Gymnasialausbildung. Vom 7. Oktober 1991 bis 3. Juli 1992 nahm sie an einem Sprachkurs der Universität E. (Großbritannien) teil, dessen erfolgreicher Abschluß Voraussetzung für die Zulassung zum Studium der Anglistik an der Universität D. (Großbritannien) war. Nach dem Abschluß des Sprachkurses (Testamur vom 6. Juli 1992) erhielt sie die Zulassung und begann im Oktober 1992 mit dem Studium an der Universität D., um den akademischen Grad eines Bachelor of Arts (in Englisch) zu erwerben. Seither erhält der Kläger erneut Kindergeld für S. (Wiederbewilligung durch Verfügung vom 22. Januar 1993).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 1. Juli 1991 die Bewilligung des Kindergeldes für den streitigen Zeitraum ab: Der Kurs an der Universität E. stelle keine Ausbildung iS des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) dar. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1991).
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen: Der englische Sprachkurs stelle keine Berufsausbildung dar; er sei noch kein Teil des Studiums der englischen Sprache, sondern zur Erlangung der Zulassungsvoraussetzungen für das Studium in England notwendig gewesen (Urteil vom 3. Dezember 1992).
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die am 14. Januar 1993 eingegangene Berufung des Klägers die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, von Oktober 1991 bis September 1992 Kindergeld für S. zu gewähren: Der Sprachkurs an der Universität E. sei für die Aufnahme des Studiums der englischen Literatur an der Universität D. zwingend vorgeschrieben gewesen. S. habe sich demnach bis 3. Juli 1992 in Schul- oder Berufsausbildung befunden. Der nachfolgende Zeitraum bis zur Aufnahme des Studiums im Oktober 1992 sei als Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gem § 2 Abs 2 Satz 5 BKGG ebenfalls zu berücksichtigen (Urteil vom 24. August 1993 – veröffentlicht in Breithaupt 1994, 158).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Zuordnung des Sprachlehrganges als Schul- oder Berufsausbildung offengelassen. Der Lehrgang könne weder als Schul- noch als Berufsausbildung gewertet werden. S. wäre auch ohne Sprachlehrgang in der Lage gewesen, das Studium der englischen Literaturwissenschaften an deutschen Hochschulen aufzunehmen. Die Anerkennung des Sprachlehrganges als Berufsausbildung sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt geboten, daß das Auslandsstudium möglicherweise bessere berufliche Perspektiven eröffne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. August 1993 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Dezember 1992 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. August 1993 zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Seiner Tochter S. sei es keinesfalls zumutbar, auf ein Studium der englischen Literaturwissenschaften in Deutschland verwiesen zu werden. Gerade bei einem Studiengang der sich intensiv mit Sprache auseinandersetze, sei ein Studium im Heimatland nicht mit dem Mutterland der betreffenden Sprache gleichzusetzen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die Berufung zulässig ist. Denn die Statthaftigkeit des Rechtsmittels richtet sich nach den Verhältnissen bei Einlegung der Berufung (BSG SozR 1500 § 146 Nr 7). Zu diesem Zeitpunkt betraf das Rechtsmittel auch noch Kindergeld für einen zukünftigen Zeitraum, so daß die Berufungsausschlußnorm des § 27 Abs 2 BKGG nicht eingreift. Die Beklagte hat erst nach Einlegung der Berufung mit Verfügung vom 22. Januar 1993 Kindergeld für S. ab Oktober 1992 wieder bewilligt. Der Kläger hat seinen Berufungsantrag nicht ausdrücklich auf den in Wirklichkeit noch streitigen Kindergeldzeitraum Oktober 1991 bis September 1992 beschränkt. Daraus ergeben sich aber keine Folgen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Denn auch im Falle einer nachträglichen Einschränkung des Berufungsantrages auf einen Anspruch auf Kindergeld für einen im Zeitpunkt der Berufungseinlegung bereits abgelaufenen Zeitraum, wäre das Rechtsmittel zulässig geblieben, weil die Einschränkung des Rechtsmittels im Hinblick auf die erfolgte Wiederbewilligung des Kindergeldes nicht willkürlich gewesen wäre (BSG aaO).
Der streitige Anspruch ist nicht schon nach § 2 Abs 5 BKGG ausgeschlossen, obwohl S. sich in der streitigen Zeit, als sie den Sprachkurs in Großbritannien absolvierte, nicht im Geltungsbereich des BKGG aufhielt. Nach den für den erkennenden Senat verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil handelte es sich um einen nur vorübergehenden, also zeitlich begrenzten Aufenthalt von S. zum Zwecke der Ausbildung im Ausland, so daß ihr Wohnsitz bei ihren Eltern verblieb (§ 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫).
Der Kläger hat für die Zeit, in welcher seine Tochter S. an einem Sprachkurs ab 7. Oktober 1991 an der Universität E. teilnahm, einen Anspruch auf das Kindergeld nach § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Danach werden Kinder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, nur berücksichtigt, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden.
S. befand sich während der Teilnahme an dem englischen Sprachkurs zwar nicht in Schulausbildung, da sie im Juli 1990 mit dem Abitur ihre Gymnasialausbildung mit dem höchstmöglichen Abschluß beendet hatte. Sie stand aber während des Sprachkurses in England in Berufsausbildung. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats liegt Berufsausbildung dann vor, wenn die Ausbildung Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln soll, die die Ausübung des zukünftigen Berufes ermöglichen (s ausführlich BSG SozR 5870 § 2 Nr 66 mwN). Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG war die Teilnahme und die bestandene Abschlußprüfung des an der Universität E. durchgeführten Sprachkurses zwingende Voraussetzung für die Zulassung zum Studium der englischen Sprache und Literatur an der Universität D.. Der Sprachkurs war nach den Feststellungen des LSG schulmäßig organisiert und sollte die sprachlichen Kenntnisse der angehenden Studenten auf das für das Studium der englischen Philologie erforderliche Maß anheben. Er diente damit der Erlangung berufsspezifischer Kenntnisse und war nicht in die freie Gestaltung der Tochter des Klägers gestellt. Ferner erfüllte er die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für die Anerkennung als Ausbildung (vgl BSG aaO). Mit dem geforderten Abschluß des Sprachkurses wurde die Voraussetzung zur Zulassung für das Studium der englischen Philologie an der Universität D. erfüllt. Da der Sprachkurs Voraussetzung für das ins Auge gefaßte Philologie-Studium der Anglistik war, war er zugleich als Teil des geregelten Studiums der Hochschule und folglich Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG.
Auch wenn S. das Studium der Anglistik an deutschen Hochschulen ohne den für den Besuch der Universität D. erforderlichen Sprachkurs hätte absolvieren können, bleibt dieser Berufsausbildung iSd § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG. Gleichgültig ist, ob sich die Ausbildungsstätte im Inland oder Ausland befindet: Maßgeblich ist allein, ob der Besuch des Sprachkurses Ausbildungscharakter iS des BKGG hatte (BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 12 S 30). S. durfte ohne nachteilige kindergeldrechtliche Folgen die Universität D. für ihr Anglistikstudium auswählen. Dem hat die Beklagte auch durch Bewilligung des Kindergeldes ab Oktober 1992 Rechnung getragen. Wenn aber dort der erfolgreiche Abschluß des fraglichen Sprachkurses an der Universität E. als Aufnahmevoraussetzung verlangt wurde, ist auch dieser Berufsausbildung iS des BKGG.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat der Sprachkurs auch die Zeit und die Arbeitskraft von S. überwiegend in Anspruch genommen (BSG SozR 5870 § 2 Nr 64).
Nachdem sich S. somit bis 3. Juli 1992 in Berufsausbildung befand, ist der nachfolgende Zeitraum bis zur Aufnahme des Studiums der Anglistik im Oktober 1992 als Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gem § 2 Abs 2 Satz 5 BKGG zu berücksichtigen.
Die Revision der Beklagten konnte demnach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172697 |
SozR 3-5870 § 2, Nr.26 |
Breith. 1995, 288 |