Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rechtsmittelbelehrung, die den Zusatz enthält, gemäß § 93 SGG seien die Klageschrift, sonstige Schriftsätze sowie alle zur Klage notwendig erachteten Unterlagen in doppelter Ausfertigung einzureichen, ist unrichtig. Sie erschwert die Einlegung der Klage und setzt die einmonatige Klagefrist nicht in Lauf.
Orientierungssatz
1. Der Herstellungsanspruch beruht auf der Erwägung, daß mit der Begründung eines Sozialrechtsverhältnisses hieraus insbesondere nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für den Versicherungsträger bestimmte Nebenpflichten erwachsen. Verletzt der Versicherungsträger diese ihm obliegende Nebenpflicht, so kann dem Versicherten daraus ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen. Dieser ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl BSG 1980-09-11 1 RA 43/79 = SozR 1200 § 14 Nr 8 mwN).
2. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist unabhängig von der Frage, ob sich die BA eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung einer anderen Behörde (hier des Notaufnahmelagers für Übersiedler aus der DDR) überhaupt zurechnen lassen muß (grundsätzlich bejahend BSG 1980-12-17 12 RK 34/80 = SozR 2200 § 381 Nr 44), nicht gegeben, wenn das Notaufnahmelager den Übersiedler darüber informiert, an welche Stelle er sich wegen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung wenden kann. Ob er dem Hinweis Folge leistet, liegt in seiner freien Entschließung.
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. August 1981 wird insoweit zurückgewiesen, als sie die Gewährung von Arbeitslosengeld begehrt.
Im übrigen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die 1922 geborene Klägerin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg oder - hilfsweise - Arbeitslosenhilfe (Alhi) hat.
Die Klägerin war bis 17. November 1975 und aushilfsweise vom 11. - 17. Januar 1976 bei einer Genossenschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschäftigt. Ab 1. November 1975 erhielt sie Invalidenrente. Am 9. Februar 1978 siedelte sie nach Berlin-West über und suchte am 15. Februar 1978 das dortige Notaufnahmelager auf. Sie sollte nach dem ihr vom Senat Berlin übergebenen Laufzettel zu verschiedenen Dienststellen, die im Lager waren, darunter auch die einer der Beklagten, gehen. Diese Dienststelle suchte die Klägerin jedoch nicht auf. Sie beantragte vielmehr bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin, die nicht auf dem Laufzettel aufgeführt war, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 13. September 1978 abgelehnt.
Am 15. September 1978 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte beim Arbeitsamt U die Bewilligung von Alg. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 27. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1978 mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Alg, da sie innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist nicht mindestens 26 Wochen oder sechs Monate in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden habe. Ein Anspruch auf Alhi entfalle deshalb, weil sie innerhalb eines Jahres vor ihrer Arbeitslosmeldung kein Alg bezogen und auch nicht zehn Wochen in einer entlohnten Beschäftigung gestanden habe. Ein Ersatztatbestand nach der Arbeitslosenhilfeverordnung (Alhi-VO) vom 7. August 1974 liege gleichfalls nicht vor.
Der Widerspruchsbescheid ist der Klägerin am 5. Januar 1979 zugestellt worden. Er enthält mit der Rechtsmittelbelehrung ua folgenden Hinweis: "Gemäß § 93 SGG sind die Klageschrift, sonstige Schriftsätze sowie alle zur Klage für notwendig erachteten Unterlagen in doppelter Ausfertigung einzureichen".
Am 9. Januar 1979 ging das Schreiben der Klägerin vom 8. Januar 1979 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg ein, das folgenden Inhalt hat:
"Betr.:
Widerspruchsbescheid vom 3.1.79
Zeichen der Widerspruchsstelle
II2 - 124717/271 WL 661/78 Hiermit übersende ich Ihnen beigefügte Unterlagen zu Ihrer gefälligen Verwendung". Diesem Schreiben waren eine Reihe von Unterlagen über die von der Klägerin ausgeübten Beschäftigungen und die erzielten Arbeitsverdienste sowie ein Laufzettel für das Notaufnahmelager, nicht jedoch der eingangs erwähnte Widerspruchsbescheid beigefügt. Am 5. März 1979 erkundigte sich die Klägerin nach dem Sachstand und bat um Mitteilung, unter welchem Aktenzeichen die Sache geführt werde. Mit Schriftsatz vom 28. März 1979 - eingegangen beim SG am 29. März 1979 - stellte sie klar, daß sie mit ihrem Schreiben vom 8. Januar 1979 Klage gegen den Bescheid des Arbeitsamtes U vom 27. November 1978 erheben wollte.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. November 1980 abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, eine wirksame Klageerhebung sei erst durch das Schreiben vom 5. März 1979 erfolgt. Die Klage sei jedoch unzulässig, weil sie erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden sei und keine Gründe vorlägen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 25. August 1981 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es bestünden keine Bedenken, den Schriftsatz der Klägerin vom 8. Januar 1979 als Klage anzusehen. Die Beklagte sei jedoch zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Alg oder Alhi habe. Die Klägerin sei innerhalb der Rahmenfrist, die den Zeitraum vom 15. September 1975 bis 14. September 1978 erfasse, nicht mindestens 26 Wochen oder sechs Monate beschäftigt gewesen. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Alhi, da sie nicht innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgegangen sei, Alg bezogen oder mindestens zehn Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden habe. Auch die Voraussetzungen des § 3 Nr 1 der Alhi-VO lägen nicht vor. Die Klägerin könne weiterhin nicht einwenden, sie sei über ihre möglichen Ansprüche gegen Sozialversicherungsträger nicht hinreichend aufgeklärt bzw von der Zeugin S dahingehend falsch belehrt worden, daß sie keinen Anspruch auf Alg habe, da sie ohnehin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten werde. Zwar habe sich die Zeugin in dem Beweisaufnahmetermin nicht mehr an die Klägerin erinnern können, sie habe aber ausdrücklich erklärt, daß sie als damalige Vorprüferin an Übersiedler keine Auskünfte darüber erteilt habe, ob Anträge auf Rente, Alg usw geboten seien. Diese Aussage erscheine glaubwürdig. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen einer etwaigen Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht seitens der LVA Berlin sei nicht gegeben. Die LVA habe die Klägerin nicht auf die Nahtlosigkeitsregelung des § 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aF hinzuweisen brauchen. Die Frage, ob etwas anderes gelte, wenn der Antragsteller unter Darlegung seiner Verhältnisse um Beratung nachsuche, könne hier unentschieden bleiben, da die Klägerin ein solches Ersuchen nicht gestellt habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 104 AFG . Nach dieser Vorschrift gehe die dreijährige Rahmenfrist dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt seien, unmittelbar voraus. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei diese Rahmenfrist nicht von dem ersten Tag der Arbeitslosmeldung zurückzurechnen. Vielmehr sei hier entscheidend, daß die Klägerin schon im Februar 1978 arbeitslos gewesen sei. Von dieser Zeit sei die Rahmenfrist zurückzurechnen, innerhalb der sie dann mehr als 26 Wochen beschäftigt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des LSG sei zugunsten der Klägerin auch § 3 Nr 1 der Alhi-VO anzuwenden. Darüberhinaus lägen bei ihr auch die Voraussetzungen von § 4 Nr 1 der Alhi-VO vor. Die Klägerin sei, ebenso wie ihr Ehemann, Berechtigte iS von § 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), die nach den §§ 9 bis 13 dieses Gesetzes Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen könne. Des weiteren habe das LSG bei der Verneinung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches verkannt, daß aus der DDR übergesiedelte Deutsche anders behandelt werden müßten, als dies sonst der Fall sei. Bei dieser Personengruppe sei davon auszugehen, daß sie erwarte, darüber umfassen belehrt zu werden, welche Anträge zweckmäßigerweise für die geltend zu machenden Sozialansprüche zu stellen seien. Ohne solche sachkundige Hilfe könne ein DDR-Rentner sich nicht in dem Sozialrechtssystem der Bundesrepublik orientieren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. August 1981
und das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 28. November 1980
sowie den Bescheid vom 27. November 1978 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1980 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab 15. September 1978
Arbeitslosengeld, hilfsweise Arbeitslosenhilfe, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt ( § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, soweit die Klägerin Alg begehrt, nicht begründet. Hinsichtlich des geltend gemachten Alhi-Anspruchs ist sie im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Bei einer zulässigen Revision ist von Amts wegen zu prüfen, ob die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen, zu denen die Zulässigkeit der Klage gehört, vorliegen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des LSG zutrifft, das Schreiben der Klägerin vom 8. Januar 1979 sei seinem Inhalt nach eine Klage. Auf jeden Fall hat sie in ihrem Schreiben vom 28. März 1979 erklärt, daß sie gegen den Bescheid des Arbeitsamtes vom 27. November 1978 und damit auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1979 Klage erheben wollte. Dieses Schreiben ist eindeutig eine Klage. Diese ist auch fristgerecht erhoben worden. Die Rechtsbehelfsfrist beträgt im vorliegenden Fall nicht gemäß § 87 Abs 1 SGG einen Monat, sondern gemäß § 66 Abs 2 SGG ein Jahr. Die Rechtsmittelbelehrung in dem Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1979 ist unrichtig.
Der Hinweis in dem Widerspruchsbescheid, gemäß § 93 SGG seien die Klageschrift, sonstige Schriftsätze sowie alle zur Klage für notwendig erachteten Unterlagen in doppelter Ausfertigung einzureichen, ist zwar nicht unmittelbar in die Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommen worden, sondern in einer gesonderten Fußnote. Damit wird jedoch lediglich die äußere Form, nicht aber der Inhalt der Belehrung berührt. Für den Erklärungsempfänger stellt sich dieser Hinweis immer noch als Inhalt der Belehrung dar, was von der Verwaltung auch beabsichtigt war. Nun gehört dieser Hinweis zwar nicht zu den Angaben, die gemäß § 66 Abs 1 SGG zwingend vorgeschrieben sind. Es ist auch anerkannt, daß eine Rechtsbehelfsbelehrung, die mehr als den gesetzlichen Mindestinhalt enthält, grundsätzlich geeignet ist, die allgemeine Rechtsmittelfrist in Lauf zu setzen, sofern dadurch die Klageerhebung nicht erschwert wird und der Zusatz nicht geeignet ist, den Antragsteller von der Klageerhebung abzuhalten (BSG SozR SGG § 66 Nr 25; BSGE 11, 213, 215 ; BSG SozR 1500 § 66 Nr 11; Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- DÖV 1980, 918 ). Der Zusatz muß dann aber auch richtig sein. Das ist hier nicht der Fall.
Die Belehrung "gemäß § 93 SGG sind die Klageschrift, sonstige Schriftsätze sowie alle zur Klage für notwendig erachteten Unterlagen in doppelter Ausfertigung einzureichen" stimmt mit § 93 Satz 1 SGG nicht überein. Dort heißt es, der Klageschrift, den sonstigen Schriftsätzen und nach Möglichkeit den Unterlagen sind Abschriften für die Beteiligten beizufügen. Aus dieser Formulierung folgt, daß entgegen dem Text der Rechtsbehelfsbelehrung für die der Klageschrift beigefügten Unterlagen nur soweit dies möglich ist Abschriften für die Beteiligten beizufügen sind. Überdies kann durch den fehlenden Hinweis, welche Folgen die unterbliebene Einreichung der Abschriften nach § 93 Satz 2 und 3 SGG hat, der Eindruck erweckt werden, es sei zwingend vorgeschrieben, die gesamten Abschriften für die übrigen Beteiligten beizufügen. Der Zusatz ist mithin geeignet, bei der Klägerin den Eindruck entstehen zu lassen, ohne Beachtung der in dem Zusatz enthaltenen Vorschriften werde ihr Rechtsbehelf bereits aus diesem Grunde erfolglos bleiben, obwohl schon ein Postkarte für eine Erhebung der Klage genügt hätte, sofern ihr entnommen werden kann, daß es sich um ein solches Rechtsmittel handelt. Das reicht für die Annahme der Kausalität zwischen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung und Erschwerung der Rechtsverfolgung aus (vgl BSGE 11, 213, 217 ; BVerwG, DÖV 1980 918 ).
In der Sache selbst hat das LSG zutreffend entschieden, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Alg hat. Gemäß § 100 AFG hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich bei dem Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Hier scheitert der Anspruch der Klägerin schon daran, daß sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat. Gemäß § 104 AFG hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 26 Wochen oder 6 Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat.
Die Rahmenfrist ist entgegen der Auffassung der Klägerin vom LSG richtig berechnet worden. Sie geht gemäß § 104 Abs 2 AFG dem ersten Tage der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 AFG als erfüllt gelten. Zu Unrecht will die Klägerin insoweit auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit abstellen. Entscheidender Stichtag ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut der erste Tag der Arbeitslosigkeit, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind. Zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg gehört gemäß § 100 AFG , daß sich der Arbeitslose beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat. Das hat die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht angegriffen werden, erst am 15. September 1978 getan. Die Rahmenfrist erfaßt daher die Zeit vom 15. September 1975 bis 14. September 1978. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin keine 26 Wochen oder 6 Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Sie war in dieser Zeit vom 15. September bis zum 17. November 1975 und vom 11. bis 17. Januar 1976 bei der Konsumgenossenschaft B beschäftigt. Auch wenn man unterstellt, daß letztere Zeit ebenso wie die bis zu 17. November 1975 gemäß § 107 Nr 3 AFG einer die Beitragspflicht begründenden Tätigkeit gleichzusetzen ist, wird damit ab 15. September 1975 nicht die erforderliche Beschäftigungszeit erreicht.
Wie das LSG richtig erkannt hat, kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin in der Zeit, als sie keine Beschäftigung ausgeübt hat, insbesondere also vor dem Aufhebungsvertrag vom 24. März 1976, Krankengeld bezogen hat. Zeiten einer Beschäftigung, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, dienen gemäß § 104 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG grundsätzlich nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit. Ausnahmen von dieser Regelung, die § 104 Abs 1 Satz 3 AFG vorsieht, liegen nicht vor. Im vorliegenden Fall kann lediglich einschlägig sein, daß Satz 2 Nr 1 von § 104 AFG hiernach nicht für Zeiten gilt, die jeweils drei Wochen nicht überschreiten. Das könnten hier allenfalls höchstens zweimal drei Wochen sein, nämlich die Zeit nach dem Beschäftigungszeitraum, der am 17. November 1975 endete, und der Zeitraum, der mit dem 17. Januar 1976 abgeschlossen war. Damit würde die für die Erfüllung der Anwartschaftszeit erforderliche Beschäftigungszeit nicht erreicht. Auch § 107 Nr 3 AFG , wonach Zeiten einer Beschäftigung, die ein Deutscher iS des Art 116 des Grundgesetzes (GG) im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937, aber außerhalb des Geltungsbereiches des AFG, ausgeübt hat, den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichstehen, ist insoweit nicht anwartschaftsbegründend. Nach dem Sinn dieser Vorschrift ist davon auszugehen, daß außerhalb des Geltungsbereiches des AFG zurückgelegte Beschäftigungszeiten nur dann zur Begründung der Anwartschaftszeit führen können, wenn sie als solche im Bundesgebiet hierfür dienen würden. Das ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht der Fall.
Auch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann die Klägerin nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob sie sich rechtzeitig arbeitslos gemeldet und einen Antrag auf Alg gestellt hätte. Der Herstellungsanspruch beruht auf der Erwägung, daß mit der Begründung eines Sozialrechtsverhältnisses hieraus insbesondere nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für den Versicherungsträger bestimmte Nebenpflichten erwachsen. Dazu zählt ua die Pflicht zur Auskunft und Beratung sowie zur verständnisvollen Förderung des Versicherten. Bei Vorliegen eines konkreten Anlasses hat der Versicherungsträger den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zu Tage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, daß jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde. Verletzt der Versicherungsträger diese ihm obliegende Nebenpflicht, so kann dem Versicherten daraus ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen. Dieser ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nr 8 mwN).
Ein Herstellungsanspruch gegenüber der Beklagten läßt sich aus einem Handeln oder Unterlassen, das sie selbst zu vertreten hat, nicht begründen. Das scheitert bereits daran, daß vor dem 15. September 1975 ein Sozialrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten überhaupt nicht entstanden war. Vor diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin weder einen Antrag bei der Beklagten gestellt noch um eine Beratung nachgesucht. Ob sich ein Herstellungsanspruch gegen die Beklagte aufgrund einer rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung einer anderen Behörde - hier des Notaufnahmelagers oder der LVA Berlin - überhaupt begründen läßt (grundsätzlich bejahend: BSG SozR 2200 § 381 Nr 44), kann dahingestellt bleiben. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, weil die Klägerin in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht hat, haben Bedienstete dieser Behörden entsprechende Pflichten nicht verletzt.
Wie das LSG festgestellt hat, ist der Klägerin und ihrem Ehemann am 15. Februar 1978 ein "Wegweiser für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR" (Wegweiser) ausgehändigt worden, in dem auf die Zuständigkeit des Arbeitsamtes für Fragen der Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Leistungen an Arbeitslose hingewiesen worden ist. Außerdem ist in dem der Klägerin ausgehändigten "Laufzettel für das Notaufnahmeverfahren" vorgesehen, daß der Übersiedler die in dem Notaufnahmelager befindliche Dienststelle der Beklagten aufsuchen kann. Wenn die Klägerin trotz dieser Hinweise die Dienststelle der Beklagten nicht aufgesucht hat, dann muß sie sich das selbst zurechnen lassen. Ihre Auffassung, die betreffenden Bediensteten des Notaufnahmelagers hätten sie bei Rückgabe des Laufzettels darauf hinweisen müssen, daß sie noch bei der Dienststelle der Beklagten vorsprechen müsse, ist irrig. Eine solche Verpflichtung liegt nicht mehr im Rahmen einer Betreuungspflicht, wie sie Übersiedler aus der DDR erwarten können. Sie ist vielmehr geeignet, den Eindruck einer Bevormundung hervorzurufen. Das Notaufnahmelager hat seiner Betreuungspflicht und Beratungspflicht damit Genüge getan, daß es die Klägerin dahin informiert hat, an welche Stellen sie sich wegen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung wenden könne. Ob die Klägerin diesem Hinweis Folge leistet, liegt in ihrer freien Entschließung.
Daß die Klägerin von der Vorprüferin des Notaufnahmelagers, der Zeugin S, davon abgehalten worden ist, sich an die Dienststelle der Beklagten zu wenden, ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht der Fall gewesen.
Eine Verletzung von Betreuungs- oder Beratungspflichten durch die LVA Berlin kann schon deshalb nicht vorliegen, weil die Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht um eine Beratung nachgesucht hat. Allein aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung des § 103 AFG brauchte sich der Beklagten eine entsprechende Beratungspflicht nicht aufzudrängen. Die Klägerin selbst behauptet nicht, daß ein entsprechendes Beratungsbedürfnis für die LVA erkennbar war. Abgesehen davon würde eine solche Pflicht nur dahin gehen, die Klägerin an das Arbeitsamt als die für die Beratung zuständige Stelle gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Teil 1 - Allgemeiner Teil - (SGB 1) zu verweisen. Einen solchen Hinweis hatte die Klägerin aber bereits durch den Laufzettel und den Wegweiser erhalten. Wenn sie es dennoch unterlassen hat, das Arbeitsamt aufzusuchen, weil sie - wie sie in der Revisionsbegründung hervorgehoben hat - der irrigen Auffassung war, sie stehe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, weil ihr ohnehin Rente bewilligt werden würde, dann geht dies auch insoweit zu ihren Lasten.
Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Alhi geltend macht, ist ihre Revision im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat ist aufgrund der vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden, ob die Klägerin einen solchen Anspruch hat.
Voraussetzung für die Gewährung von Alhi ist ua gemäß § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG - die Buchstaben a und c dieser Vorschrift sind nicht einschlägig -, daß die Klägerin innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, mindestens 10 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat. Das ist hier nicht der Fall. Auch ein Ersatztatbestand nach § 3 Abs 1 Nr 1 der Alhi-VO vom 7. August 1974 (BGBl I S 1929) besteht nicht. Hiernach ist eine vorherige entlohnte Beschäftigung im Sinne von § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung für mindestens 26 Wochen oder 6 Monate wegen Krankheit, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit Leistungen der Sozialversicherung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes bezogen hat und solche Leistungen nicht mehr bezieht, weil die für ihre Gewährung maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens nicht mehr vorliegt. Hier hat die Klägerin ihre Invalidenrente nicht deswegen verloren, weil die für ihre Gewährung maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens nicht mehr vorliegt, sondern weil die Klägerin im Februar 1978 nach Berlin-West übergesiedelt war.
Auszuschließen ist allerdings nach den bisher vom LSG getroffenen Feststellungen nicht, daß die Klägerin ihren Anspruch auf Alhi auf § 4 Nr 1 der Alhi-VO stützen kann. Hiernach ist eine vorherige entlohnte Beschäftigung im Sinne von § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b des AFG zur Begründung des Anspruches nicht erforderlich bei Personen im Sinne der §§ 1 bis 3 des Bundesvertriebenengesetzes , die nach den §§ 9 bis 13 dieses Gesetzes Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen können, oder auf die § 1 Abs 1 Nr 2 und § 2 des Bundesevakuiertengesetzes anzuwenden sind, wenn sie innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung im Geltungsbereich dieser Verordnung Aufenthalt genommen haben. Die Klägerin hat zwar innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung im Geltungsbereich der Alhi-VO Aufenthalt genommen. Ob sie jedoch zu dem in dieser Vorschrift genannten Personenkreis gehört, läßt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Diese lassen auch nicht den Schluß zu, daß weitere Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi nicht vorliegen. Da der Senat keine tatsächlichen Feststellungen treffen kann, ist er an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Die Sache ist daher in diesem Umfange an das LSG gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zurückzuverweisen, damit dieses noch die erforderlichen Ermittlungen anstellen kann.
Bei seiner Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen