Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Zulässigkeit der Vereinbarung von Richtgrößen für Ausgabevolumina ab dem 1.1.2002 im Mai 2002. Bekanntgabe von Richtgrößenvereinbarungen durch Rundschreiben genügt dem Rechtsstaatsprinzip. ausnahmsweise Zulässigkeit der angeordneten Rückwirkung der für das Jahr 2002 maßgeblichen Richtgrößen
Leitsatz (amtlich)
1. Richtgrößen für Ausgabevolumina konnten für die Zeit ab dem 1.1.2002 noch im Mai 2002 und damit innerhalb der für die Festsetzung des Schiedsamts geltenden Frist vereinbart werden.
2. Die Bekanntgabe solcher Richtgrößen durch Rundschreiben der KÄV genügt den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips.
3. Die vom Gesetzgeber angeordnete zeitlich begrenzte Rückwirkung der für 2002 maßgeblichen Richtgrößen ist ausnahmsweise zulässig.
Normenkette
SGB 5 § 84 Abs. 1, 6 S. 1 Fassung: 2001-12-19, S. 4, § 89 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2001-12-19, Abs. 5a Sätze 5, 4 Fassung: 2001-12-19, S. 8; ABAG Art. 3a; GG Art. 20 Abs. 3; SGB 10 § 56; BGB § 126
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. und 4.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Richtgrößenprüfung für das Jahr 2002.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin in G. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Jahr 2002 hatte er rund 1000 Behandlungsfälle pro Quartal. Der Prüfungsausschuss setzte mit Bescheid vom 31.3.2005 gegen den Kläger wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2002 einen Regress in Höhe von 42 393,59 Euro fest. Zur Ermittlung der Gesamtverordnungskosten seien die Wirkstoffe nach Anlage 2 - Arzneimittel zur Ausnahme von Richtgrößenregelungen - der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen herausgegebenen Empfehlung für regionale Vereinbarungen über die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung auf der Grundlage von Richtgrößen für Arzneimittel und Verbandmittel ab dem Jahr 2000 vom 21.2.2000 vorab abgezogen worden. Der Prüfung seien die in der Praxisausrichtung entsprechenden Richtgrößenwerte der Allgemeinärzte Land ohne Diabetesvereinbarung zugrunde gelegt worden. Bei dem Kläger habe einem Gesamtverordnungsvolumen des Jahres 2002 in Höhe von 353 780,14 Euro ein Richtgrößenvolumen von 236 910,24 Euro gegenübergestanden. Er habe somit das Richtgrößenvolumen um 49,33 % bzw 116 869,90 Euro überschritten. Bereinigt um die anzuerkennenden Praxisbesonderheiten in Höhe von 27 957,77 Euro ergebe sich eine Überschreitung von 37,53 % bzw 88 912,13 Euro, die immer noch über dem Prüfvolumen liege, definiert als Richtgrößensumme plus 15 %. Unter Abzug des Apothekenrabatts, der Zuzahlungsquote und eines bereits festgesetzten Regresses wegen fehlender Verordnungsfähigkeit ergebe sich eine Regressforderung in Höhe von 42 393,59 Euro.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs hat der Kläger vorgetragen, es sei ihm eine falsche Richtgröße zugeordnet worden, weil er an der Diabetesvereinbarung teilnehme. Sein Patientengut weise einen deutlichen Schwerpunkt bei Allergikern, Hypertonikern, Diabetikern und Asthmatikern auf. Außerdem habe er im streitbefangenen Zeitraum einige besonders kostenintensive Patienten betreut. Die Durchführung der Prüfung beruhe auf einer unwirksamen Richtgrößenvereinbarung. Die Richtgrößenvereinbarung für die Kalenderjahre 2002 und 2003 sei den bayerischen Vertragsärzten am 27.5.2002 als Anlage zum Arzneimittelvertrag per Post zugesandt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG sei wegen des normativen Charakters der Richtgrößen für ihre Wirksamkeit die amtliche Veröffentlichung der Richtgrößenvereinbarung erforderlich. Die Vereinbarung für die Folgejahre müsse jeweils bis zum 31.12. eines Jahres abgeschlossen und veröffentlicht werden. Eine Richtgrößenvereinbarung, die erst im Lauf des betroffenen Jahres mit Wirkung für das gesamte Jahr getroffen werde, entfalte eine unzulässige echte Rückwirkung. Da die vorherigen Richtgrößen für das Jahr 2001 zum 31.12.2001 gekündigt worden seien, hätten sie auch nicht für die Zwischenzeit bis zur Vereinbarung der neuen Richtgrößen fortbestehen können. Die Vereinbarung verstoße ferner gegen § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V, wonach die Richtgrößen bis zum 31.3.2002 zu vereinbaren gewesen wären. Eine Verlängerung dieser Frist bis zum 31.5.2002 sei nach Art 3a des Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (ABAG) nur für eine Festsetzung durch das Schiedsamt vorgesehen.
Der beklagte Beschwerdeausschuss hat in seiner Sitzung vom 10.5.2006 den Regress auf 40 734,70 Euro reduziert und im Übrigen den Widerspruch zurückgewiesen. Die der Prüfung zugrunde liegende Richtgrößenvereinbarung sei wirksam. Da eine Festsetzung der Richtgrößen durch das Schiedsamt bis zum 31.5.2002 habe erfolgen können, hätten auch die Vertragspartner bis zu diesem Zeitpunkt eine Vereinbarung treffen können. In Bayern sei die Richtgrößenvereinbarung der Jahre 2000/2001 zum 31.12.2001 im Hinblick auf verbesserte, feiner differenzierte Richtgrößen gekündigt worden. Darüber seien alle Ärzte schriftlich informiert worden. Damit sei für jeden Vertragsarzt klar gewesen, dass neue Richtgrößen auf ihn zukämen. Die Werte der Jahre 2000/2001 seien zumindest als Richtschnur noch bekannt gewesen. Unmittelbar nach der Vereinbarung seien die Richtgrößenwerte mit Rundschreiben an die Mitglieder veröffentlicht worden. Der Normtext der Richtgrößenvereinbarung sei am 21.5.2002 als Faxabruf bereitgestellt und im Internet bekannt gegeben worden.
Mit den Bruttoverordnungskosten für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Jahr 2002, soweit die Verordnungen über die Verrechnungsstelle Süddeutscher Apotheken eingereicht und abgerechnet worden seien, hätten 96 % der Gesamtverordnungskosten zur Prüfung vorgelegen. Den fehlenden 4 % sei dadurch Rechnung getragen worden, dass die ermittelte Summe der als Praxisbesonderheiten anerkannten Verordnungskosten auf 100 % hochgerechnet worden sei. Hinsichtlich der Präparate, die in der Anlage 3 der Empfehlung zu Richtgrößen und in der in Bayern von der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen zusätzlich abgestimmten Liste zu berücksichtigender Praxisbesonderheiten aufgeführt seien, sei der wirtschaftlich verordnete Mehrbedarf ermittelt worden. Nur soweit ein Vergleich der durchschnittlichen Kosten pro Verordnung in der Praxis des Klägers mit den entsprechenden Kosten der Vergleichsgruppe auf der Basis von Indikationsgruppen eine Überschreitung von nicht mehr als 20 % ergeben habe, sei ein Mehrbedarf für das jeweilige Präparat in voller Höhe anerkannt worden, ansonsten nur der jeweils wirtschaftliche Anteil am Mehrbedarf. Ein allergologischer Schwerpunkt der Praxis sei durch Berücksichtigung des Mehrbedarfs für die Verordnung der Präparate Oralvac und Pollinex Quattro berücksichtigt worden. Im Übrigen sei nicht festzustellen, dass der Kläger über ein besonderes Patientenklientel verfüge. Bei Patienten mit Hauterkrankungen seien im Rahmen der vom Kläger praktizierten "mikroökologischen Therapie" vor allem Rezepturen verordnet worden, die meist teurer seien als ein entsprechend wirksames Fertigarzneimittel. Zugunsten des Klägers seien in voller Höhe Hilfsmittel und Impfstoffe anerkannt worden, die von ihm nicht ordnungsgemäß als solche gekennzeichnet worden seien. Bei einem bereinigten Verordnungsvolumen von 323 832,43 Euro und einem Richtgrößenvolumen von 236 910,24 Euro ergebe sich eine Überschreitung von 36,69 % = 86 922,19 Euro. Diese Überschreitung sei auf eine Restüberschreitung von 15 % zurückzuführen. Abzüglich 6 % Apothekenrabatt (3083,14 Euro) und einer Zuzahlungsquote von 10,62 % (5457,16 Euro) ergebe sich ein Netto-Regressbetrag von 42 845,36 Euro, der sich nach Abzug eines Regresses wegen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel bzw Sprechstundenbedarfs in Höhe von 2110,66 Euro auf 40 734,70 Euro reduziere.
Das SG hat mit Urteil vom 24.10.2007 den Bescheid des Beklagten insoweit aufgehoben, als der Kläger durch ihn beschwert wurde. Die Richtgrößenvereinbarung sei rechtswidrig. Sie sei nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden und entfalte eine unzulässige Rückwirkung. Das LSG hat mit Urteil vom 25.11.2009 auf die Berufung des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1., 2., 4., 5. und 6. das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Richtgrößenvereinbarung sei hinreichend durch ein Rundschreiben an alle bayerischen Vertragsärzte, das auch der Kläger am 2.5.2002 erhalten habe, bekannt gemacht worden. Zwar sei in dem Rundschreiben primär für die Teilnahme am Arzneimittelprogramm der Beigeladenen zu 1. geworben worden. Es habe sich aber auf der Seite 2 ein Hinweis auf "neue verfeinerte Richtgrößen" gefunden. In der Anlage 1 sei der Berechnungsmodus für das Richtgrößenvolumen der jeweiligen Praxis aufgezeigt worden. In einer Tabelle sei für 36 Arztgruppen die für die einzelnen Altersgruppen jeweils sich ergebende Richtgröße genannt. Ferner finde sich eine Rechenvorschrift, nach der für die jeweilige Praxis anhand der Richtgröße und der Anzahl der Patienten jeder Altersgruppe das Richtgrößenvolumen für die Praxis exakt habe berechnet werden können. Außerdem seien im Rundschreiben E-Mail-Adressen und Hotlines der einzelnen Bezirksstellen der beigeladenen KÄV sowie ein Hinweis auf ihre Internetseite enthalten gewesen.
Der Rechtmäßigkeit der Richtgrößenvereinbarung stehe nicht entgegen, dass sie erst im Mai 2002 zustande gekommen sei. Damit sei die dem Schiedsamt gesetzte Frist bis zum 31.5.2002 eingehalten worden. Die Vertragspartner könnten sich jederzeit auch während des Schiedsverfahrens noch einigen; es sei unschädlich, dass das Schiedsamt tatsächlich nicht angerufen worden sei. Die Richtgrößenvereinbarung messe sich zwar Rückwirkung bei, es bestehe aber insofern eine Besonderheit, als der Kläger nicht mit dem Fortbestand des bisherigen Regelungszustandes habe rechnen können. Bereits mit Schreiben vom 20.8.2001 sei den Vertragsärzten mitgeteilt worden, dass man für das Jahr 2002 Richtgrößen anstrebe, die das Alter der Patienten und weitere versorgungsrelevante Komponenten besser als bisher berücksichtigen sollten. Genau dies sei mit den ab dem 1.1.2002 gültigen neuen Richtgrößen geschehen. Der Unterschied zwischen dem Jahr 2002 und den vorausgegangenen Jahren liege weniger in der Ausgestaltung und der Höhe der neuen Richtgrößen als vielmehr darin, dass in Bayern vor dem Jahr 2002 Prüfungen des Verordnungsverhaltens anhand der Richtgrößen nicht durchgeführt worden seien. Selbst wenn man eine Rückwirkung annehme, sei sie nur insoweit rechtswidrig, als die neuen Richtgrößen die Rechtsposition der Vertragsärzte verschlechterten. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Den Richtgrößen 2002/2003 sei ein größeres Ausgangsvolumen als den zuvor geltenden Richtgrößen zugrunde gelegt worden. Die weitaus differenziertere Berechnung der Richtgrößen habe zwar im Einzelfall zu einer Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr führen können. Dem Kläger habe aber für 2002 ein höheres Richtgrößenvolumen zur Verfügung gestanden als im Vorjahr. Er sei nur insofern schlechter gestellt, als vor dem Jahr 2002 in Bayern keine Richtgrößenprüfung durchgeführt worden sei.
Im Übrigen sei die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger meine, sein Verordnungsvolumen sei nicht ordnungsgemäß berechnet worden, weil nur 96 % der Verordnungen erfasst worden seien, stelle dies die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage. Die Vorlage aller Originalbelege sei nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Arzneikostenregresses. Die Beklagte habe außerdem bei der Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten diese auf 100 % hochgerechnet und damit praktisch einen Sicherheitsabschlag zugunsten des Klägers vorgenommen. Den Praxisbesonderheiten sei hinreichend dadurch Rechnung getragen worden, dass die in der Anlage 3 der Empfehlung zu Richtgrößen sowie die in der Anlage 3a der in Bayern von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und den Spitzenverbänden abgestimmten Liste aufgeführten Präparate berücksichtigt worden seien. Zu Recht habe der Beklagte die Verordnungen nur insoweit anerkannt, als sie über den Durchschnitt hinausgegangen und nicht ihrerseits unwirtschaftlich gewesen seien.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt, dass die Richtgrößenvereinbarung nicht ordnungsgemäß veröffentlicht worden sei. Das Rundschreiben vom 2.5.2002 habe primär für die Teilnahme an einem Arzneimittelprogramm geworben. Nicht nur den rechnerischen Größen, sondern auch dem Text der Vereinbarung komme essenzielle Bedeutung zu, weil sich gegenüber 2001 erhebliche Änderungen ergeben hätten. Die Vereinbarung hätte daher in Gänze abgedruckt werden müssen. Das Rundschreiben könne schon deshalb nicht als ordnungsgemäße Publikation angesehen werden, weil die letzten Unterschriften erst am 13.5.2002 geleistet worden seien. Weiterhin sei die gesetzliche Frist für die Vereinbarung von Richtgrößen bis zum 31.3.2002 nicht eingehalten worden. Da tatsächlich kein Schiedsverfahren eingeleitet worden sei, komme eine Verlängerung bis zum 31.5.2002 nicht in Betracht. Die Richtgrößenvereinbarung entfalte eine unzulässige echte Rückwirkung. Für das Jahr 2002 sei die Richtgrößenvereinbarung erstmals zu Lasten der Vertragsärzte angewandt worden, zudem in einer gegenüber 2001 grundlegend anderen Struktur. Schon die erstmalige Durchführung von Richtgrößenprüfungen habe eine Verschlechterung dargestellt. Gehe man von einer korrekten Bekanntgabe aus, könne allenfalls für den Zeitraum ab Mai 2002 eine Richtgrößenprüfung erfolgen. Dem stehe aber das Jährlichkeitsprinzip dieser Prüfung entgegen. Der Beklagte habe auch die konkrete Prüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Es hätten die Verordnungen nach den Anlagen 3 (der Bundesempfehlung) und 3a (Bayern: Sonstige Praxisbesonderheiten) in vollem Umfang als Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 2009 aufzuheben und die Berufungen des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1., 2., 4., 5. und 6. gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Oktober 2007 zurückzuweisen.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1., 2., 5. und 6. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die zu 1. beigeladene KÄV trägt vor, dem Erfordernis der Bekanntmachung der Richtgrößenvereinbarung sei dadurch Genüge getan, dass die vereinbarten Richtgrößen dem Rundschreiben vom 2.5.2002 beigefügt und Hinweise auf die Möglichkeit des Abrufs der Textfassung gegeben worden seien. Der Umstand, dass die erforderlichen Unterschriften der Vertragspartner erst nach dem Versand des Rundschreibens vom 2.5.2002 geleistet worden seien, sei nicht entscheidungserheblich, weil die Vereinbarung im Zeitpunkt der Bekanntmachung durch die zuständigen Gremien jedenfalls abschließend geprüft worden sei. Da die Anrufung des Schiedsamts nichts an der Dispositionsbefugnis der Vertragsparteien ändere, sei es unschädlich, dass die Richtgrößenvereinbarung innerhalb der Frist des § 3a ABAG zustande gekommen sei. Es liege auch kein Fall einer unzulässigen echten Rückwirkung vor. Die Vertragsärzte hätten für das Jahr 2002 mit neuen Richtgrößen rechnen müssen. Die neuen Richtgrößen seien für die Ärzte allgemein und den Kläger konkret günstiger gewesen als die zuvor vereinbarten Richtgrößen, die gemäß § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V über den 31.12.2001 hinaus fortgegolten hätten. Zum einen sei das Richtgrößenvolumen für 2002 größer gewesen als für 2001, zum anderen sei das Verordnungsgeschehen weitaus differenzierter abgebildet worden. Auch die Aufgreifkriterien hätten sich verbessert, indem eine Überprüfung erst ab einer Überschreitung um mehr als 15 % und nicht wie zuvor ab einer Überschreitung von 5 % erfolgt sei. Bei einer höheren Überschreitung als 25 % sei lediglich der das Richtgrößenvolumen um 15 % überschreitende Mehraufwand zu erstatten gewesen.
Auch die zu 2. beigeladene AOK Bayern ist dieser Auffassung und weist darauf hin, dass sich für den Kläger der Rahmen seines Verordnungsvolumens vergrößert habe. Da eine Richtgrößenprüfung bereits 2001 hätte durchgeführt werden können, könne er sich nicht darauf berufen, dass eine Verschlechterung durch ein Abgehen von der Durchschnittsprüfung eingetreten sei. Die Beigeladene zu 6. hält die Revision des Klägers ebenfalls für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht auf die Berufungen des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1., 2., 4., 5. und 6. das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der gegen den Kläger mit dem angefochtenen Bescheid verhängte Verordnungsregress in Höhe von 40 734,70 Euro ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Abs 5a iVm § 3 der Richtgrößenvereinbarung nach § 84 Abs 6 SGB V. § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V idF des ABAG (vom 19.12.2001 ≪BGBl I 3773≫) sah die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 SGB V vor. Gemäß § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V (idF des Art 1 Nr 3 ABAG) vereinbaren die Gesamtvertragspartner - die Landesverbände der Krankenkassen, die Verbände der Ersatzkassen und die KÄV - zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Absatz 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung, erstmals bis zum 31.3.2002. Art 3a ABAG bestimmt, dass das von den Vertragsparteien gebildete Schiedsamt den Vertragsinhalt innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Fristablauf festsetzt, wenn die Vereinbarung nach § 84 Abs 6 SGB V innerhalb der dort genannten Fristen ganz oder teilweise nicht zustande kommt. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst gemäß § 84 Abs 6 Satz 4 SGB V eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs 5a SGB V aus.
Auf der Grundlage von § 84 Abs 6 SGB V wurde hier eine wirksame Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2002 getroffen. Die wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung ist nicht zu beanstanden.
1. Die Richtgrößenvereinbarung ist wirksam zustande gekommen. Dem steht nicht entgegen, dass sie erst im Mai 2002 und damit nach der gesetzlich vorgesehenen Frist bis zum 31.3.2002 endgültig abgeschlossen worden ist. Zwar ist eine Verlängerung dieser Frist bis zum 31.5.2002 in Art 3a ABAG nur für den Fall vorgesehen, dass eine Festsetzung durch das Schiedsamt erfolgt, was hier nicht geschehen ist. Dem Gesetz ist aber nicht zu entnehmen, dass eine nach dem 31.3.2002 geschlossene Vereinbarung der Vertragspartner wegen Fristüberschreitung unwirksam sein soll. Da die Dispositionsbefugnis der Gesamtvertragspartner auch während eines Schiedsverfahrens fortbesteht, können sie auch innerhalb der für das Schiedsamt gesetzten Frist eine Vereinbarung ohne Beteiligung des Schiedsamts treffen. Im Übrigen hat der Senat bereits entschieden, dass die Vorgabe, Richtgrößen vor Beginn des Kalenderjahres zu vereinbaren, keine strikte Verpflichtung der Vertragspartner begründet und die Rechtsfolge, dass die Vereinbarung andernfalls nichtig sei, dem Gesetz nicht zu entnehmen sei (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 44). Die Fristsetzung bis zum 31.3.2002 verbunden mit der gegenüber der normalen Dreimonatsfrist des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V verkürzten Entscheidungsfrist des Schiedsamts von zwei Monaten diente hier dazu, das zeitnahe Zustandekommen einer Vereinbarung zu gewährleisten. Der Ausschuss für Gesundheit, auf dessen Empfehlung Art 3a ABAG eingefügt wurde, hat dementsprechend ausgeführt, die Ergänzung bewirke, dass bei Nichteinigung der Vertragsparteien innerhalb der festgelegten Fristen das jeweilige Schiedsamt von Amts wegen tätig werde und den Inhalt der Vereinbarung kurzfristig festsetze (BT-Drucks 14/7170 S 16). Es kann offen bleiben, ob § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V daher lediglich als Ordnungsvorschrift zu qualifizieren ist. Angesichts des Fortbestehens der Dispositionsbefugnis der Vertragspartner auch während eines Schiedsamtsverfahrens ist jedenfalls ein Abschluss der Vereinbarung bis zum 31.5.2002 nicht zu beanstanden.
2. Die Richtgrößenvereinbarung ist auch ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Ebenso wie Vereinbarungen nach § 84 Abs 1 SGB V bedürfen die Richtgrößenvereinbarungen der Veröffentlichung. Das folgt aus ihrer Eigenschaft als Normsetzungsvertrag und entspricht ihrer Funktion, das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Bereich der Verordnungen zu steuern (vgl Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: März 2011, K § 84 RdNr 119a). Eine besondere Form der Bekanntmachung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von Rechtsnormen verschaffen können müssen (vgl BVerfGE 65, 283, 291 mwN). Ob insoweit § 18 der Satzung der Beigeladenen zu 1. in der im Jahr 2002 geltenden Fassung, wonach Bekanntmachungen an Mitglieder im Bayerischen Ärzteblatt oder durch Rundschreiben erfolgen, Anwendung findet, kann offen bleiben. Hier ist jedenfalls durch das Rundschreiben vom 2.5.2002, dessen Zugang beim Kläger im Urteil des LSG festgestellt ist (§ 163 SGG), der Bekanntmachungspflicht genügt. Der Senat hat gegen diese Art der Bekanntmachung auch für Honorarverteilungsmaßstäbe in der Vergangenheit keine Bedenken erhoben (vgl zB BSGE 77, 288, 290 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 11 S 66; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 38).
Zwar wurde in der Überschrift des Rundschreibens vom 2.5.2002 für die Teilnahme an einem Arzneimittel-Programm der zu 1. beigeladenen KÄV geworben: "Das Arzneimittel-Programm der KVB: Teilnahme lohnt sich!". Auf S 2 des Rundschreibens findet sich aber deutlich erkennbar ein Absatz mit der Überschrift "Neue, verfeinerte Richtgrößen", in dem die Untergliederung der neuen Richtgrößenvereinbarung vorgestellt und auf Erläuterungen zu den neuen Richtgrößen in der Anlage 1 hingewiesen wird. In der Anlage 1a wurde die Struktur der neuen Richtgrößen skizziert sowie ihre Berechnung für die einzelne Praxis erklärt. Hingewiesen wurde auch auf die Möglichkeit, die Anlage 2 der Empfehlung zu Richtgrößen der KÄBV und der Spitzenverbände vom 21.2.2000 (Arzneimittel zur Ausnahme von Richtgrößenregelungen) im Extranet oder bei einem Hotline-Mitarbeiter abzurufen. In der Anlage 1b wurden die arztgruppenspezifischen Richtgrößen je ambulantem Behandlungsfall getrennt nach Altersklassen der Patienten aufgeführt. Schließlich wurden in der Anlage 2 des Rundschreibens Ansprechpartner mit E-Mail-Adresse und Telefonnummer für die Beantwortung von Fragen benannt. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass dem Vertragsarzt damit die maßgeblichen Informationen zur Verfügung gestellt waren. Er benötigte nicht den genauen Text der Vereinbarung, um anhand der im Rundschreiben aufgeführten Daten zu ermitteln, welches Richtgrößenvolumen ihm zur Verfügung stand. Zu Recht formulierte die KÄV in dem weiteren Rundschreiben vom 21.5.2002 daher: "Sie haben Ihre neuen, verfeinerten Richtgrößen erhalten und möglicherweise auch bereits eine Proberechnung für Ihre Praxis durchgeführt."
Dass zum Zeitpunkt der Publikation die Richtgrößenvereinbarung noch nicht unterschrieben war, ist unschädlich. Zwar ist für das Zustandekommen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, als der die Richtgrößenvereinbarung zu qualifizieren ist, nach § 56 SGB X die Schriftform vorgeschrieben, die nach § 126 BGB auch die Unterzeichnung des Vertragstextes erfordert (vgl dazu Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 56 RdNr 4). Sofern aber der publizierte Text der tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichneten Vereinbarung entspricht, was hier von keinem Beteiligten in Frage gestellt wird, steht die fehlende Unterzeichnung einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe nicht entgegen. Nach den Angaben der KÄV war die Willensbildung der Gesamtvertragspartner zum Zeitpunkt der Bekanntgabe abgeschlossen, es lief lediglich noch das Unterschriftsverfahren. Es ist nicht zu beanstanden, dass in dieser Situation im Interesse der Betroffenen und entsprechend der vom Gesetzgeber angestrebten kurzfristigen Umsetzung eine Veröffentlichung bereits vor dem formellen Abschluss der Vereinbarung erfolgte. Sinn der Bekanntmachung ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den betroffenen Personenkreis, Sinn der Schriftform ist ihre Beweisfunktion. Angesichts dieser unterschiedlichen Zielsetzungen wird die Wirksamkeit der Bekanntmachung hier nicht durch die am Tag der Publikation noch fehlenden Unterschriften in Frage gestellt.
3. Die Richtgrößenvereinbarung hat sich keine unzulässige Rückwirkung beigemessen. Zwar entfaltet sie eine echte Rückwirkung. Diese ist jedoch ausnahmsweise zulässig.
a) Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (vgl BVerfGE 126, 369, 391 mwN). Eine unechte Rückwirkung liegt dagegen dann vor, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, indem sie Rechtspositionen nachträglich entwertet (vgl BVerfGE 101, 239, 263 mwN; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 10, mwN; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46). Bei der Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung der Rechtsnorm abzustellen (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46 mwN).
Im Falle einer erst im Laufe eines Jahres bekannt gemachten Richtgrößenvereinbarung ist nach der Rechtsprechung des Senats - bezogen auf den bereits verstrichenen Zeitraum des Jahres - ein Fall echter Rückwirkung bzw ein Fall der Rückbewirkung von Rechtsfolgen gegeben (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 47 ff). Richtgrößen sollen nach der Gesetzeskonzeption das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Interesse einer Reduzierung des Ausgabenvolumens im Bereich vertragsärztlicher Verordnungen steuern (so die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesundheitsstrukturgesetzes ≪GSG≫, BT-Drucks 12/3608 S 100 "Zu Buchstabe f"). Sie bilden für den Vertragsarzt Orientierungsgrößen bei seinen Entscheidungen über Verordnungen für Arznei-, Verband- und Heilmittel. Hier ist Raum für eine Steuerung, weil der Vertragsarzt in vielen Fällen Entscheidungsspielräume hat, zB bei der Auswahl zwischen wirkungsgleichen, aber im Preis unterschiedlichen Arznei-, Verband- und Heilmitteln. Die Richtgrößensumme bewertet das Gesamtvolumen der in dem Kalenderjahr getätigten Verordnungen von Arznei- bzw Heilmitteln und erfasst dabei auch diejenigen Verordnungen, die der Arzt in dem bereits verstrichenen Jahresteil tätigte. Jede seit Jahresbeginn ausgestellte Einzelverordnung erfährt nachträglich durch die neue Richtgröße eine neue Bewertung, kann nämlich je nach Bemessung der neuen Richtgröße im Rahmen der Jahresgesamtbewertung möglicherweise zu einer Richtgrößenüberschreitung beitragen. Dem kann der Arzt nicht entgehen; er kann bereits vorgenommene Verordnungen nicht mehr nachträglich rückgängig machen oder ändern. Dieses Verordnungsvolumen ist unabänderlicher Teil der sich im weiteren Jahresverlauf saldierenden Verordnungssumme, die das Jahresgesamtergebnis darstellt, das an der festgelegten Richtgrößensumme gemessen wird. In dieser Einbeziehung bereits unabänderlich getätigter Verordnungen liegt ein rückwirkender Eingriff in einen der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt.
b) Anders als in dem vom Senat am 2.11.2005 entschiedenen Fall liegt hier jedoch ein Ausnahmefall vor, in dem nach den Grundsätzen über die Zulässigkeit rückwirkender normativer Regelungen (zu deren Anwendung auf untergesetzliche Rechtsnormen s zB BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 10 mit BVerfG-Angaben; so auch BSGE 81, 86, 89, 102 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 84, 98; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 45 ff) eine echte Rückwirkung bzw Rückbewirkung von Rechtsfolgen als rechtmäßig anzusehen ist. In der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG werden Ausnahmen vom Rückwirkungsverbot in Betracht gezogen, wenn die bisherige Rechtslage unklar, verworren oder lückenhaft war und der Gesetzgeber lediglich eine Klarstellung vorgenommen hat, wenn eine gerichtlich als rechtswidrig angesehene Regelung durch eine neue ersetzt wird, wenn der Bürger nicht mit dem Fortbestand des bisherigen Regelungszustandes rechnen konnte, wenn überragende Belange des Gemeinwohls deren Beseitigung erforderlich machen oder wenn die Neuregelung nur einen marginalen Eingriff bedeutet (Aufzählung in BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 15 mit BVerfG-Angaben; zum Bagatellfall s auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 15 RdNr 14, 16; BSG SozR 4-5050 § 22b Nr 4 RdNr 18 ff).
aa) Von diesen Ausnahmetatbeständen ist hier die Konstellation gegeben, dass der Betroffene nicht mit dem Fortbestand des bisherigen Regelungszustandes rechnen konnte (vgl BVerfGE 126, 369, 393 f mwN; s dazu auch BSGE 81, 86, 96 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 92). Mit Blick auf die im Dezember 2001 verabschiedete gesetzliche Vorgabe, neue Richtgrößen bis zum 31.3.2002, spätestens mit Hilfe des Schiedsamts bis zum 31.5.2002 zu vereinbaren und bekannt zu machen, musste ein Vertragsarzt innerhalb dieser Frist mit der Festlegung neuer Richtgrößen für das Kalenderjahr 2002 rechnen. Im Hinblick auf § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V idF des ABAG hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2.11.2005 von einer Ausnahme von dem dort angenommenen Vertrauensschutz gesprochen (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 52). Der Vertragsarzt konnte weder auf die Fortgeltung der für das Jahr 2001 vereinbarten Richtgrößen vertrauen noch darauf, dass weiterhin die Verordnungsweise nur nach Durchschnittswerten geprüft werden würde.
Der Gesetzgeber hat mit § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V idF des Art 1 Nr 3 ABAG selbst die Entscheidung für eine zeitlich begrenzte Rückwirkung der Richtgrößenvereinbarung für 2002 getroffen. Insofern unterscheidet sich der Fall von dem am 2.11.2005 entschiedenen, in dem - wie dies auch für die Jahre ab 2003 wieder vorgesehen war - Richtgrößen "für das jeweils folgende Kalenderjahr" zu vereinbaren waren (vgl BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 52; mit dem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.4.2006 ≪BGBl I 984≫ wurde in § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V für die Vereinbarung von Richtgrößenvolumen für das folgende Kalenderjahr eine Frist bis zum 15.11. festgesetzt). Lediglich für die erstmalige Vereinbarung von Richtgrößen unter der Geltung der durch das ABAG neu ausgestalteten Steuerungsinstrumente, insbesondere der Arzneimittelvereinbarung nach § 84 Abs 1 SGB V, sah der Gesetzgeber im Interesse einer schnellen Umsetzung des neuen Rechts ausdrücklich eine Rückwirkung vor (vgl BT-Drucks 14/6309 S 9). Dabei ging er davon aus, dass die Vertragsparteien auf die bisherige Praxis aufbauen konnten. Ungeachtet der Frage ihrer einstweiligen Weitergeltung etwa nach § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V, konnten die bisherigen Vereinbarungen zumindest vorübergehend als Orientierungshilfen dienen. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass mit neuen Richtgrößen für das Jahr 2002 nicht zu rechnen war, konnte hier auch deshalb nicht entstehen, weil die KÄV bereits in ihrem an alle Vertragsärzte in Bayern gerichteten Rundschreiben vom 20.8.2001 "Richtgrößentrendmeldung für I/2001" angekündigt hatte, so schnell wie möglich eine neue Richtgrößenvereinbarung auf den Weg zu bringen, bei der das Alter der Patienten und weitere versorgungsrelevante Komponenten besser berücksichtigt würden. Schließlich sind Richtgrößen für das Verordnungsvolumen bei Arznei- und Verbandmitteln kein Steuerungsinstrument, das für Vertragsärzte neu und überraschend erscheinen müsste. Seit Inkrafttreten des GSG vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) ist gesetzlich als Grundsatz vorgegeben, das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte anhand von Richtgrößen und nicht mehr vorrangig nach fachgruppenbezogenen Durchschnittswerten zu prüfen (§ 84 Abs 3 SGB V idF des GSG). Mit dem ABAG wurde nach heftiger öffentlicher Diskussion und erheblichem Widerstand der Ärzteschaft der sogenannte "Kollektivregress" beseitigt und eine differenzierte Prüfung nach Richtgrößen in einem nach Intensität gestuften Verfahren unter besonderer Betonung der Selbstverwaltung im Gesetz verankert (vgl dazu die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks 14/6309 S 6 f; zur wechselvollen Entwicklung des § 84 SGB V vgl Engelhard aaO, K § 84 RdNr 3 ff).
bb) Ein Fall unzulässiger Rückwirkung liegt hier aber auch deshalb nicht vor, weil die neuen Richtgrößen die Rechtsposition der Vertragsärzte in Bayern generell und die des Klägers im Speziellen nicht verschlechtert haben. Sofern keine Verschlechterung eintritt, stellen die neuen Richtgrößen keinen "Eingriff" dar, und es fehlt an der Grundlage für die Annahme unzulässiger Rückwirkung (vgl BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 55). Eine grundsätzliche Verbesserung gegenüber der 2001 geltenden Richtgrößenvereinbarung bestand bereits darin, dass nach § 2 Abs 2 Satz 2 der Vereinbarung die Limitierung bei der Verordnung der in der Anlage 2 der in der Empfehlung der KÄBV und der GKV-Spitzenverbände zu Richtgrößen bestimmten Medikamente wegfiel. Die dort aufgeführten Arzneimittel unterfielen damit generell nicht mehr der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen. Gleichzeitig vergrößerte sich das Gesamtausgabevolumen. Nach den Rahmenvorgaben der Bundesebene war das Ausgabevolumen auf der Grundlage der Ist-Verordnungskosten des Jahres 2000 und einer Steigerungsrate von 4,5 % zu vereinbaren. Das LSG hat für den Senat bindend festgestellt (vgl § 163 SGG), dass den Richtgrößen 2002/2003 ein Ausgangsvolumen von 3 003 776 941,25 Euro zugrunde lag. Bereinigt um die Kosten für die in Anlage 2 der Empfehlung zu Richtgrößen genannten Wirkstoffe, die 2001 noch Bestandteil der Richtgrößen waren, in Höhe von 274 914 970,91 Euro verblieb ein Volumen von 2 728 861 970,34 Euro und damit ein im Vergleich zum Volumen der Richtgrößen 2000/2001 in Höhe von 2 681 842 924,71 Euro größeres Ausgangsvolumen. Zwar teilte die beigeladene KÄV in dem Rundschreiben vom 2.5.2002 mit, sie müsse Rahmenvorgaben umsetzen, die eine Absenkung der Richtgrößen um 4,39 % gegenüber dem Ist-Ausgabenvolumen des Jahres 2001 nach sich zögen. Diese Formulierung bezog sich auf das Zielvereinbarungsvolumen nach den auf Bundesebene vereinbarten Rahmenvorgaben gemäß § 84 Abs 7 SGB V für das Jahr 2002. Es handelte sich dabei lediglich um eine Zielvereinbarung für das Jahr 2002 zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitspotentialen; im Übrigen erfolgte die im Rundschreiben erwähnte Absenkung tatsächlich nicht.
Schließlich veränderten sich auch die Aufgreifkriterien für eine Prüfung für das Jahr 2002 gegenüber 2001 zugunsten der Vertragsärzte. Während nach dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) eine Prüfung ab Überschreitungen um 5 % erfolgte und Erstattungspflichten ab Überschreitungen um 15 % bestanden, wobei Praxisbesonderheiten gegenzurechnen waren, sah das ABAG und ihm folgend die Richtgrößenvereinbarung ab dem 1.1.2002 eine Prüfung erst ab Überschreitungen um 15 % mit ggf weiteren Kontrollmaßnahmen für zwei Jahre und Erstattungspflichten erst ab Überschreitungen um 25 % sowie Möglichkeiten einer Minderung des Regresses um bis zu einem Fünftel bei kooperativem Verhalten des Vertragsarztes vor. Durch die Differenzierung nach 6 Altersklassen und 36 Fachuntergruppen wurden gruppenspezifische Besonderheiten berücksichtigt und eine bessere Abbildung des arztspezifischen Patientenklientels ermöglicht.
Das LSG hat zwar zu Recht ausgeführt, dass sich aus dem höheren Gesamtvolumen nicht notwendig für jeden Vertragsarzt ein größeres Richtgrößenvolumen ergab. In Anbetracht der größeren Differenzierungen sowohl hinsichtlich des Alters der Patienten als auch hinsichtlich der Arztgruppen in der Richtgrößenvereinbarung 2002 war vielmehr auch denkbar, dass sich für einzelne Ärzte ein niedrigeres Volumen als im Jahr 2001 ergab. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtung ist aber in Anbetracht des erhöhten Gesamtvolumens und der weitergehenden Differenzierung, die eine passgenauere Bewertung des Patientenguts erlaubt, von einer begünstigenden Wirkung der Richtgrößenvereinbarung auszugehen. Auch der Kläger hat von der von ihm angegriffenen Vereinbarung profitiert. Ihm hätte unter Anwendung der Richtgrößen für 2000/2001 im Jahr 2002 ein Volumen von 230 974,69 Euro zur Verfügung gestanden, das er mit Ist-Ausgaben von 353 780,14 Euro (vorab bereinigt um die "Anlage 2 Medikamente") um 53,16 % überschritten hätte, während seine Überschreitung gemessen an der Richtgrößenvereinbarung für 2002 236 910,24 Euro und damit nur 49,33 % betrug. Es ist nicht zu beanstanden, dass die beigeladene KÄV bei der von ihr angestellten Vergleichsberechnung den Anteil an Medikamenten aus der Anlage 2 am Ausgangsvolumen für die Festsetzung der Richtgrößen in Höhe von 5,23 % im Jahr 2002 bei dem Richtgrößenvolumen für das Jahr 2001 in Abzug gebracht hat. Die Berechnung der KÄV hat der Kläger im Revisionsverfahren auch nicht mehr angegriffen.
Eine die Zulässigkeit der Rückwirkung ausschließende Verschlechterung seiner Rechtsposition bestand für den Kläger schließlich auch nicht darin, dass er überhaupt einer Richtgrößenprüfung ausgesetzt war. Zwar handelte es sich dabei um ein im Vergleich zur Durchschnittsprüfung neues Instrumentarium. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 2.11.2005 ausgeführt (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 50), dass Richtgrößen im Grundsatz die gleiche Funktion haben wie die Durchschnittswerte im Rahmen der hieran orientierten Vergleichsprüfung, sich von diesen aber dadurch unterscheiden, dass sie normativ festgelegt werden mit typischerweise geringerem Volumen als die Durchschnittswerte, um so die Verordnungsmenge effektiver zu begrenzen (vgl dazu die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines GSG, BT-Drucks 12/3608 S 100 "Zu Buchstabe f"). Zudem führen bei ihnen - wenn nicht Praxisbesonderheiten anzuerkennen sind - schon Überschreitungen um mehr als 25 % zum Regress (§ 106 Abs 5a Satz 1 - bzw heute Satz 3 - SGB V), während bei der an Durchschnittswerten orientierten Wirtschaftlichkeitsprüfung ein Regress typischerweise erst ab Überschreitungen um mehr als ca 40 % in Betracht kommt (zu Letzterem s stRspr, zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 41 S 225 f; BSG Urteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 79/03 R -, ArztR 2005, 291, 293; BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, RdNr 7; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 50). Die Schaffung der Möglichkeit von Richtgrößenregressen kann nach der Entscheidung des Senats vom 2.11.2005 auch nicht als nur eine andere Form des früher in § 84 Abs 1 Satz 4 ff SGB V geregelten, durch das ABAG mit Wirkung vom 31.12.2001 endgültig beseitigten Kollektivregresses angesehen werden, weil Richtgrößenregresse den einzelnen Vertragsarzt in voller Höhe seiner über 25 % hinausgehenden Überschreitung treffen, während eine Beteiligung am allgemeinen Kollektivregress, sofern dieser überhaupt realisiert wurde (s dazu Art 16 Abs 3 GKV-SolG und Art 2 ABAG), eher geringer ausfallen dürfte.
Auch insofern bestand aber kein schützenswertes Vertrauen des Klägers auf die Fortführung allenfalls von Durchschnittsprüfungen. Dass es nicht erst seit 2002 Regresse wegen Überschreitung von Richtgrößen gab, belegt nicht zuletzt das vom Senat am 2.11.2005 entschiedene Verfahren, das das Jahr 1998 betraf. Auch in Bayern waren bereits für die Vorjahre Richtgrößen vereinbart worden. Die Vertragsärzte erhielten im Jahr 2001 "Richtgrößentrendmeldungen" für die einzelnen Quartale, in denen ihre Arzneimittelkosten den Richtgrößen gegenübergestellt wurden. In der Richtgrößentrendmeldung für I/2001 vom 20.8.2001 wird unter der Überschrift "Nun, wie geht es im laufenden Jahr 2001 und im Jahr 2002 weiter?" nicht nur auf die angestrebten neuen Richtgrößen hingewiesen, sondern auch darauf, dass bei einer Überschreitung um mehr als 5 % über das ganze Jahr mit einer Richtgrößenprüfung zu rechnen sei. In dieser Situation konnte der Kläger, auch wenn in der Folgezeit tatsächlich keine Richtgrößenprüfungen für das Jahr 2001 durchgeführt wurden, nicht mehr davon ausgehen, ausschließlich nach Durchschnittswerten geprüft zu werden. Das galt umso mehr, als mit dem ABAG im Interesse der wirtschaftlichen Verordnung von Arznei-, Verband- und Heilmitteln neue Steuerungsmechanismen geschaffen wurden. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Aktivitäten einerseits und der bereits zuvor auf regionaler Ebene bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, mussten die Mitglieder der KÄV mit der Durchführung von Richtgrößenprüfungen rechnen.
Entfaltet damit die im Mai 2002 getroffene Richtgrößenvereinbarung zulässigerweise Rückwirkung, kann offenblieben, ob § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V stets - nicht nur im Fall der Anrufung des Schiedsamts - zur Fortgeltung eines gekündigten Vertrages bis zum Zustandekommen eines neuen Vertrages führt. Für die generelle Anwendung dieser Vorschrift spricht, dass damit ein vertragsloser Zustand vermieden wird. Das würde hier aber lediglich dazu führen, dass für die Prüfung das Richtgrößenvolumen als zeitanteiliger Mischwert zu errechnen wäre (vgl BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 55), was sich angesichts des niedrigeren Richtgrößenvolumens für 2001 zum Nachteil des Klägers auswirken würde.
4. Auch die Anwendung der Richtgrößenvereinbarung in dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu beanstanden.
a) Der vom Beklagten festgesetzte Regress ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil ihm nicht sämtliche, die Verordnungen des Klägers im Jahr 2002 betreffenden Originalverordnungsblätter bzw Images vorlagen. Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich der Verordnungsweise eines Vertragsarztes setzen nicht generell voraus, dass sämtliche Originalverordnungsblätter des betroffenen Prüfungszeitraums (bzw die von ihnen eingescannten Images) zum Nachweis der Höhe der von dem Arzt veranlassten Verordnungskosten vorliegen. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 2.11.2005 (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 26 ff) entschieden, dass für eine Richtgrößenprüfung hinsichtlich des Nachweises der vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten nichts anderes gilt als bei der Prüfung nach Durchschnittswerten. Wie der Senat in der genannten Entscheidung näher ausgeführt hat, liegt der gesetzlichen Konzeption das in § 296 Abs 3 SGB V (in den bis zum 31.12.2003 geltenden Fassungen des Gesundheits-Reformgesetzes, des GSG und des ABAG) für Richtgrößen- und Durchschnittswertprüfungen das einheitlich ausgestaltete Modell einer elektronischen Erfassung, Übermittlung und arztbezogenen Zusammenfassung der veranlassten Verordnungskosten zu Grunde. Den auf diese Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung ihrer Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 17). Mittlerweile verdeutlicht § 106 Abs 2c SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes ≪GMG≫ vom 14.11.2003, BGBl I 2190), dass Durchschnittswert- und Richtgrößenprüfungen der Wirtschaftlichkeit von Arzneiverordnungen auf der Grundlage der von den Krankenkassen und den KÄVen ohne Versichertenbezug gemäß §§ 296, 297 SGB V übermittelten elektronischen Daten und nicht auf der Grundlage von Originalbelegen durchzuführen sind.
Das LSG hat zu Recht ausgeführt, dass bei einer Vorlage von 96 % der Einzelnachweise eine zuverlässige Prüfung möglich war. Auch der Senat hat für den Anscheinsbeweis von Unrichtigkeiten gefordert, dass sich nach einer Einzelfallprüfung ergibt, dass wenigstens 5 % der für den betroffenen Vertragsarzt elektronisch erfassten Verordnungskosten diesem tatsächlich nicht zugerechnet werden können und deshalb in Abzug zu bringen sind (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 33). Zugunsten des Klägers hat der Beklagte zudem die anerkannten Praxisbesonderheiten auf 100 % der Verordnungen hochgerechnet, sodass eine Beschwer des Klägers nicht zu erkennen ist.
b) Die Bemessung der für den Kläger maßgeblichen Richtgröße nach der Arztgruppe der Allgemein-Ärzte-Landkreis ohne Diabetesvereinbarung ist zutreffend und auch vom Kläger nicht mehr beanstandet worden. Der Beklagte hat zunächst zu Recht die Kosten für Wirkstoffe nach Anlage 2 der "Empfehlung zu Richtgrößen vom 21.2.2000 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen" vorab berücksichtigt und nicht in das Verordnungsvolumen eingerechnet. Nach § 2 Abs 2 der Richtgrößenvereinbarung für 2002 findet diese Anlage bei der Berechnung der Richtgrößen und der Erfassung der praxisbezogenen Daten automatisch Berücksichtigung.
c) Art und Umfang der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat zu Recht Arzneimittel, deren Verordnung nach der Anlage 3 der Empfehlung der KÄBV und der GKV-Spitzenverbände zu Richtgrößen ("Indikationsgebiete zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen") bzw der Anlage 3a der in Bayern von der KÄV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen abgestimmten Liste fallbezogen und indikationsabhängig im Rahmen der vom Kläger geltend gemachten Praxisbesonderheiten anerkannt, soweit sie nicht mehr als 20 % vom Durchschnitt der Fachgruppe abgewichen sind. Die vom Kläger begehrte vollständige Herausnahme der erfassten Arzneimittel war rechtlich nicht geboten.
Nach § 106 Abs 5a SGB V kommt eine Erstattung von Mehraufwand nur in Betracht, wenn die Überschreitung des Richtgrößenvolumens nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist. Seit dem 1.1.2004 verpflichtet § 106 Abs 5a Satz 5 SGB V die Vertragspartner, in der Prüfvereinbarung Maßstäbe für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu bestimmen. Ebenso wie bei der Prüfung nach Durchschnittswerten besteht auch bei einer Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (vgl BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 36). Der Begriff der Praxisbesonderheiten ist hier nicht anders zu verstehen als im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; Clemens in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr 123 Fn 129). Für eine unterschiedliche Beurteilung finden sich weder Anhaltspunkte im Gesetz, noch ergeben sie sich notwendig aus der Art der Prüfungsmethode. Zwar ist für die Richtgrößenprüfung nicht das statistische Verhalten der Vergleichsgruppe maßgeblich, das arztbezogen festgelegte Richtgrößenvolumen basiert jedoch letztlich auch auf einem Durchschnittswert (vgl Engelhard aaO, K § 106 RdNr 191b). Praxisbesonderheiten sind anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35). Regelmäßig nicht zielführend ist der Hinweis auf schwierige Krankheitsfälle, weil sich solche Fälle in jeder Praxis finden (vgl Clemens aaO RdNr 63).
Die Anlage 3 der Empfehlung zu den Richtgrößen beschreibt Indikationsgebiete, aus denen sich fallbezogen und indikationsabhängig Praxisbesonderheiten ergaben im Hinblick auf nicht in der Wirkstoffliste nach Anlage 2 berücksichtigte Arzneimittel. Bereits aus der Fall- und Indikationsbezogenheit ergibt sich, dass nicht automatisch bestimmte Präparate wie die in der Anlage 2 aufgeführten unberücksichtigt zu bleiben hatten. Auch aus der "Anlage 3a" -"Sonstige Praxisbesonderheiten" folgt keine Verpflichtung der Prüfgremien, die Verordnungen der genannten Wirkstoffe in vollem Umfang als durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt anzuerkennen. Vielmehr waren auch dort Indikationsgebiete genannt und nur für einige Präparate eine "volle Anerkennung" vorgesehen, für andere wurde hingegen auf die Feststellung eines Mehrbedarfs abgestellt. Dies entsprach dem Umstand, dass die betroffenen Arzneimittel grundsätzlich bei der Bildung der Richtgrößen einbezogen waren. Ihre Verordnung war daher nicht pauschal vorab als Praxisbesonderheit anzuerkennen, sondern sollte nur in bestimmten Konstellationen einer Richtgrößenprüfung entzogen sein.
Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise den Mehrbedarf ermittelt, indem er die durchschnittlichen Arzneimittelkosten pro Verordnung in einer Indikationssubgruppe mit den Kosten der Vergleichsgruppe pro Verordnung in dieser Indikationssubgruppe verglichen hat. Damit ist sachgerecht abgebildet, in welchem Umfang diese Indikationen im Durchschnitt Mehrkosten verursachen. Die Ermittlung von Praxisbesonderheiten durch Vergleich mit den Diagnosen und Verordnungen in einzelnen Anwendungsbereichen der entsprechenden Fachgruppe ist mittlerweile in § 106 Abs 5a Satz 8 SGB V ausdrücklich vorgesehen. Wenn die Prüfgremien auf den auf diesem Wege ermittelten Durchschnitt der indikationsbedingten Besonderheiten einen Aufschlag von 20 % für etwaige zusätzliche Besonderheiten der Praxis des Klägers addieren, hält sich dies innerhalb ihres Beurteilungsspielraums.
Den allergologischen Schwerpunkt der Praxis hat der Beklagte durch die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die zur Behandlung von Allergien eingesetzten Präparate Pollinex Quattro und Oralvac berücksichtigt. Weitere Besonderheiten konnten nicht festgestellt werden. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Medikation im Rahmen der vom Kläger praktizierten "mikroökologischen Therapie" wegen deren fehlender wissenschaftlicher Anerkennung nicht gesondert berücksichtigt hat. Zugunsten des Klägers hat der Beklagte Hilfsmittel und Impfstoffe aus dem Verordnungsvolumen herausgerechnet, die der Kläger nicht als solche gekennzeichnet hatte.
Den zu erstattenden Mehraufwand hat der Beklagte nach § 106 Abs 5a Satz 4 SGB V idF des ABAG in Höhe der Differenz zwischen dem Prüfungsvolumen (Richtgrößenvolumen + 15 %) und dem Verordnungsvolumen bestimmt. Schließlich wurden von dem festgestellten Überschreitungsbetrag der 6%ige Apothekenrabatt sowie die anteiligen Zuzahlungen der Patienten abgezogen (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 32; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 38 S 211). Zu Recht hat der Beklagte auch den Betrag eines bestandskräftigen Regresses wegen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel bzw Sprechstundenbedarfs aus den Quartalen I, II und IV/2002 von dem Regressbetrag abgezogen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. und 4. ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Fundstellen
Haufe-Index 2713105 |
FA 2011, 352 |
NZS 2011, 8 |
SGb 2011, 269 |
Breith. 2012, 234 |