Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeit Behinderter
Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich kann auch ein Behinderter das ihm verbliebene Leistungsvermögen erwerbswirtschaftlich nutzen und damit ein Arbeitsentgelt erzielen.
2. Aus der Tatsache allein, daß ein Behinderter in einer Werkstatt für Behinderte tätig ist, folgt nicht schon seine Erwerbsunfähigkeit. Auch der dort real als "Arbeitsentgelt" gezahlte Betrag rechtfertigt ohne zusätzliche, konkret festgestellte Umstände nicht einen solchen Schluß (Anschluß an und Fortentwicklung von BSG vom 11.12.1969 - GS 2/68 = BSGE 30, 192, 195 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO; BSG vom 10.12.1976 - GS 2/75 = BSGE 43, 75, 79 = SozR 2200 § 1247 Nr 13 und BSG vom 9.9.1983 - 5b RJ 90/82 - 5b RJ 90/82 = SozR 2200 § 1247 Nr 41).
Orientierungssatz
1. Für die Beurteilung, ob ein in einer Werkstatt für Behinderte tätiger Behinderter eine für §§ 1246 Abs 1, 1247 Abs 1 RVO erhebliche Beschäftigung oder Tätigkeit ausübt, ist grundlegend die Ermittlung erforderlich, von welchen Arbeiten der Behinderte nach Art und Schwere seiner Behinderung ausgeschlossen ist und zu welchen Leistungen er nach seiner individuellen Situation fähig ist. Denn nicht jede körperliche, geistige oder seelische Behinderung hat ungeachtet ihrer speziellen Ausprägung in den drei Beziehungen zur Folge, daß die Leistungsfähigkeit des Behinderten auch in jedweder Hinsicht ausgeschlossen ist.
2. Angelpunkt der Beurteilung, ob ein Behinderter erwerbsfähig oder erwerbsunfähig ist, ist die Feststellung, ob es sich bei der konkret verrichteten Arbeit um eine entgeltliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken handelt oder nicht.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 1, § 1247 Abs 1; SchwbWV §§ 3-5, 13 Abs 2; SVBehindertenG Art 1 §§ 1, 2 Abs 3, § 3 Abs 1, § 8
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 22.07.1988; Aktenzeichen L 6 J 323/87) |
SG Trier (Entscheidung vom 10.12.1987; Aktenzeichen S 2 J 226/86) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem verstorbenen Sohn der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen hatte.
Der 1950 geborene, am 5. August 1989 verstorbene frühere Kläger erlernte keinen Beruf und verließ die Volksschule nach der 7. Klasse wegen eines frühkindlichen Hirnschadens. Von 1975 bis Anfang 1986 war er in einer Behindertenwerkstatt mit leichten Montage- und Verpackungsarbeiten täglich 8 Stunden bei 1 1/2 Stunden Pause an fünf Tagen wöchentlich versicherungspflichtig beschäftigt. Sein Bruttoarbeitslohn für das Jahr 1985 betrug ausweislich der Lohnsteuerkarte 2.244,-- DM. Die Versicherungsbeiträge für die Rentenversicherung wurden aus monatlichen Einkünften zwischen 1.500,-- und 2.400,-- DM errechnet. Anfang Januar 1986 wurden bei ihm maligne Tumoren des Muskelgewebes festgestellt, die seine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er für 126 Kalendermonate Sozialversicherungsbeiträge entrichtet.
Seinen am 12. Februar 1986 gestellten Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente wies die Beklagte mit der Begründung zurück, er sei schon vor Eintritt in das Erwerbsleben erwerbsunfähig gewesen und habe die Wartezeit nach § 1247 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt. Der Widerspruch des früheren Klägers dagegen blieb ohne Erfolg (Bescheid der Beklagten vom 18. November 1986).
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 10. Dezember 1987 mit gleicher Begründung wie die Beklagte ab. Die Berufung des früheren Klägers dagegen wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22. Juli 1988 zurück. In seiner Begründung ging auch das LSG davon aus, daß der Kläger bereits bei Eintritt in das Erwerbsleben erwerbsunfähig gewesen sei. Er sei lediglich imstande gewesen, in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten, dh aber nicht unter den in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen. Die Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte sei sozialrechtlich einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gleichzusetzen. Hierfür maßgebend seien nicht seine für den Versicherungsverlauf errechneten Einkünfte von 1.500,-- bis 2.400,-- DM, sondern der auf seiner Lohnsteuerkarte ausgewiesene erheblich geringere Bruttoarbeitslohn. Vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit sei infolgedessen eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten nicht zurückgelegt worden. Ebensowenig sei auch eine Versicherungszeit von 240 Kalendermonaten erfüllt.
Der frühere Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Nach seinem Tode haben seine Eltern als Rechtsnachfolger erklärt, daß sie das Revisionsverfahren fortsetzen.
Die Kläger beantragen,
die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. April 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern als Rechtsnachfolgern des verstorbenen Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. März 1986 bis zum 31. August 1989 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Juli 1988 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Kläger ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden muß. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der frühere Kläger auf der Grundlage, daß auch Tätigkeiten von Behinderten in Werkstätten für Behinderte iS von § 54 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) idF vom 26. August 1986 (BGBl I, 1421) "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" gemäß §§ 1246 Abs 1, 1247 Abs 1 RVO sein können, nach der Art und der Schwere seiner Behinderung außerstande war, mit den von ihm in der Werkstatt durchgeführten Montage- und Verpackungsarbeiten konkret eine Leistung zu erbringen, die gemessen an den durchschnittlichen Arbeitsergebnissen einer typgleichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als wirtschaftlich (zumindest noch) verwertbar bezeichnet werden kann.
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält gemäß § 1247 Abs 1 RVO der Versicherte, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Erwerbsunfähig ist gemäß § 1247 Abs 2 Satz 1 RVO der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Gemäß § 1247 Abs 3 RVO ist die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt, wenn a) vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten oder b) vor der Antragstellung insgesamt eine Versicherungszeit von 240 Kalendermonaten zurückgelegt ist.
Die Tatsache, daß der Sohn der Kläger ab Januar 1986 aufgrund der damals diagnostizierten Tumoren des Muskelgewebes nicht mehr in der Lage war zu arbeiten, ist unter der Beteiligten nicht streitig. Die darauf gerichteten Feststellungen des LSG sind nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden und damit gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Revisionsgericht bindend.
Für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreites noch nicht ausreichend sind aber die Feststellungen des LSG zu der - für das auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 1247 RVO gerichtete Klagebegehren erheblichen - weiteren Frage, ob der Sohn der Kläger überhaupt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausübte und die Wartezeit erfüllte. Das LSG hat seine Stellungnahme hierzu im rechtlichen Obersatz daran geknüpft, daß "jedenfalls sozialrechtlich die Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gleichzusetzen" sei. Eine derartige pauschale, nicht nach spezifischen Tatbestandsgruppen differenzierende Normbildung wird weder der Vielfalt der Arten und Grade von Behinderung noch der Verschiedenheit der Tätigkeiten von Behinderten in den einzelnen Aufgabensparten der Werkstätten für Behinderte gerecht.
Für die Beurteilung, ob ein in einer Werkstatt für Behinderte tätiger Behinderter eine für §§ 1246 Abs 1, 1247 Abs 1 RVO erhebliche Beschäftigung oder Tätigkeit ausübt, ist grundlegend die Ermittlung, von welchen Arbeiten der Behinderte nach Art und Schwere seiner Behinderung ausgeschlossen ist und zu welchen Leistungen er nach seiner individuellen Situation fähig ist. Denn nicht jede körperliche, geistige oder seelische Behinderung hat ungeachtet ihrer speziellen Ausprägung in den drei Beziehungen zur Folge, daß die Leistungsfähigkeit des Behinderten auch in jedweder Hinsicht ausgeschlossen ist. In gleicher Weise, wie es in diesem Sinn 'totale' Behinderungen mit einem 'totalen' Leistungsausschluß gibt, sind Behinderungen anzutreffen, die sich demgegenüber als bloß 'partiell' darstellen und dementsprechend auch bloß eine 'partielle' Leistungsunfähigkeit zur Folge haben. Bei der zuletzt genannten Fallgruppe spielt die konkret vorhandene Einschränkung der Leistungsfähigkeit für bestimmte Arten von Beschäftigung oder Tätigkeit gar keine Rolle, weil diese andere Fähigkeiten und Fertigkeiten voraussetzen als die, die der Behinderte wegen seiner Behinderung gerade nicht hat. In Formulierung auf das positiv feststellbare Leistungsvermögen eines Behinderten heißt das, daß er trotz seiner individuellen Behinderung durchaus zu einzelnen, mehreren oder sogar auch vielen Erwerbstätigkeiten in gleicher Weise in der Lage sein kann, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von nichtbehinderten Erwerbstätigen wahrgenommen werden. Die Aussage, ein Versicherter sei wegen Behinderung erwerbsunfähig, erfordert demzufolge stets eine Präzisierung in doppelter Hinsicht: Zum einen ist zu substantiieren, welche Behinderung vorliegt und in welchen Beziehungen diese das für eine Erwerbstätigkeit verwertbare Können einschränkt oder ausschließt. Zum anderen ist zwischen der so spezifizierten Behinderung und der Gruppe von Erwerbstätigkeiten, für die sich der Behinderte angeblich nicht eignet und die konkret zu bezeichnen sind, ein ursächlicher Zusammenhang dahin aufzuzeigen, daß diese Erwerbstätigkeiten gerade durch die Behinderung und nicht aus einem anderen, von der Behinderung unabhängigen Grund ausgeschlossen sind.
Geht der Behinderte bereits einer konkreten Arbeit nach, ist ergänzend darzutun, um welche Art von Arbeit es sich handelt und in welcher Weise und in welchem Umfang der Behinderte den Anforderungen dieser Arbeit genügt. Für die Argumentationsabfolge und daran anknüpfende Begründungslast ist hierbei zwischen zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Deckt sich die Arbeit in ihren charakteristischen Merkmalen mit einem Tätigkeitstyp, der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzutreffen ist und zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken benutzt wird, so sind zur Rechtfertigung der Aussage, daß der Behinderte trotz dieser Arbeit erwerbsunfähig sei, besondere Gründe aufzuführen, die eine abweichende Beurteilung des behinderten Versicherten von einem nichtbehinderten Versicherten tragen, der die typgleiche Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet und nicht als erwerbsunfähig angesehen wird. Liegt dagegen eine Arbeit vor, die nach ihrer berufskundlichen Eigenart oder den äußeren Umständen ihrer Durchführung auf eine Behinderung zugeschnitten ist und im Katalog der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes keine Entsprechung findet, so sind im Unterschied zum ersten Fall hier besondere Gründe darzutun, wenn der Behinderte nunmehr umgekehrt ungeachtet seiner speziellen Arbeit als erwerbsfähig iS des allgemeinen Arbeitsmarktes betrachtet werden soll. Angelpunkt der Beurteilung, ob ein Behinderter erwerbsfähig oder erwerbsunfähig ist, ist also die Feststellung, ob es sich bei der konkret verrichteten Arbeit um eine entgeltliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken handelt oder nicht. Hierauf hat der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 9. September 1983 - 5b RJ 90/82; SozR 2200 § 1247 Nr 41 - hingewiesen. Er hat sich dort zugleich der Rechtsprechung des Großen Senats - GS - des Bundessozialgerichts - BSG - (s BSGE 30, 192, 195 ff = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO; BSGE 43, 75, 79 = SozR 2200 § 1247 Nr 14) angeschlossen, nach der die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wirtschaftlich zu interpretieren ist, das heißt die Arbeitsleistung muß wirtschaftlich iS des Erzielens von "mehr als nur geringfügigen Einkünften" verwertbar sein. Bei vollschichtig tätigen Versicherten ist die Erwerbsunfähigkeit nicht schon dann gegeben, wenn sie in ihrer Arbeitsleistung qualitativ und quantitativ hinter dem Normalmaß zurückbleiben (GS des BSG BSGE 30, 201, 202). Seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter (SVBG) vom 7. Mai 1975 (BGBl I, 1061) muß dies um so mehr gelten, als nach den in §§ 1 bis 3 und 8 des Gesetzes getroffenen Regelungen davon auszugehen ist, daß grundsätzlich auch ein Behinderter das ihm verbliebene Leistungsvermögen erwerbswirtschaftlich nutzen und damit ein Arbeitsentgelt erzielen kann.
Die Feststellung bloß dahin, daß ein Behinderter in einer Werkstatt für Behinderte in einem bestimmten zeitlichen Umfang mit bestimmten Arbeiten gegen ein bestimmtes Entgelt und unter Abführung bestimmter Sozialversicherungsbeiträge beschäftigt war, ist nicht genügend differenziert, um eine Entscheidung in der einen oder der anderen oben genannten Richtung zu treffen. Gemäß §§ 3 bis 5 der Werkstättenverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbWV) vom 13. August 1980 (BGBl I, 1365) sind die Aufgabensparten und entsprechenden Organisationsteile der Werkstätten für Behinderte nach Zielsetzung, Dauer der Zugehörigkeit des Behinderten und wirtschaftlichem Effekt für den Behinderten unterschiedlich gestaltet. Je nachdem, in welchem Teil sich der Behinderte aufhält und welche Arbeit er dort verrichtet, kann es sich dabei um eine entgeltliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken iS der Rechtsprechung des BSG handeln oder nicht. Speziell für den Arbeitsbereich der Werkstätten iS von § 5 SchwbWV hat der 11. Senat des BSG im Urteil vom 27. Juli 1989 - 11 RAr 45/87; SozR 4100 § 58 Nr 18 - ausgesprochen, daß der Arbeitsbereich Teil des Arbeitsmarktes ist, auf dem Erwerbstätigkeiten ausgeübt werden.
Der Geldbetrag, den der Behinderte von der Werkstatt als "Arbeitsentgelt" real ausgezahlt bekommt, kann nicht ohne weiteres - das heißt ohne substantiierten Vergleich zwischen dem objektiven qualitativen Wert der erbrachten Arbeit und der Höhe des gezahlten Betrages - als Indiz dafür verwendet werden, daß die geleistete Arbeit wirtschaftlich verwertbar ist oder nicht. Einer solchen pauschalen Beurteilung steht nicht nur die Art entgegen, in der nach § 13 Abs 2 SchwbWV das Arbeitsentgelt berechnet wird, das an die im Arbeitsbereich beschäftigten Behinderten zu zahlen ist (für alle Behinderten einheitlicher Grundbetrag; dazu ein nach dem individuellen Leistungsvermögen des Behinderten zu bemessender Steigerungsbetrag). Der Rückschluß vom gezahlten Arbeitsentgelt auf den Wert der individuell erbrachten Arbeitsleistung ist vielmehr auch dadurch abgeschnitten, daß die Arbeitsentgelte gemäß § 13 Abs 3 SchwbWV an dem von der Werkstatt insgesamt erwirtschafteten Arbeitsergebnis orientiert sind und damit allenfalls eine Bewertung der kollektiven Leistungsfähigkeit aller in der Werkstatt beschäftigten Behinderten, nicht dagegen die für §§ 1246, 1247 RVO erforderliche Einstufung der individuellen Leistungsfähigkeit ermöglicht ist.
Einer undifferenzierten Gleichsetzung von Zugehörigkeit eines Behinderten zu einer Werkstatt für Behinderte mit dessen Erwerbsunfähigkeit iS von §§ 1246, 1247 RVO stehen auch die Regelungen des SVBG entgegen. Nach § 2 Satz 1 dieses Gesetzes gelten als beschäftigt Behinderte, die ohne oder gegen Entgelt in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines vollerwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht. Gemäß § 2 Abs 3 des Gesetzes liegt dann, wenn die Voraussetzungen des zitierten Absatzes 2 erfüllt sind, eine Beschäftigung iS der Sozialversicherung auch dann vor, wenn sie tatsächlich nicht als solche bezeichnet wird. Hieraus ergibt sich nicht nur, daß eine quantitative Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Behinderten notwendig ist, sondern ebenso, daß eine - zum Teil sogar erhebliche - Reduzierung des Leistungsvermögens des Behinderten gegenüber einem Nichtbehinderten für die Einstufung des Behinderten als "beschäftigt" nicht hinderlich ist. Gemäß § 3 Abs 1 des Gesetzes finden auf die Versicherung nach dem Gesetz die Vorschriften für die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung Anwendung, soweit nicht das Gesetz etwas Abweichendes bestimmt. Dabei stehen die nach den §§ 1 und 2 Versicherten den aufgrund einer entgeltlichen Beschäftigung Versicherten gleich. Diese gesetzlich angeordnete Gleichbehandlung würde sachlich unterlaufen, wenn aus der Zugehörigkeit eines Behinderten zur Werkstatt für Behinderte pauschal und undifferenziert geschlossen würde, daß er allein deshalb erwerbsunfähig iS von §§ 1246, 1247 RVO ist und damit von vornherein aus dem Kreis der versicherungspflichtigen Beschäftigten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgegliedert ist.
Nach alledem mußte das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1649624 |
BSGE, 295 |