Beteiligte
…Klägerin und Revisionsbeklagte |
…Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Streitig ist, ob § 152 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) die rückwirkende Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes im Ermessenswege ausschließt.
Die Klägerin nahm vom 1. Oktober 1981 bis 27. Juni 1983 an einer Umschulung zum Groß- und Außenhandelskaufmann teil. Hierfür bewilligte ihr die Beklagte Unterhaltsgeld (Uhg) in Höhe von 80 vH des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts. Der Bescheid war mit dem Zusatz versehen, die Bewilligung erfolge unter dem Vorbehalt der Anpassung der Leistungen an das ab 1. Januar 1982 geltende Recht. Mit Bescheid vom 30. Dezember 1981 setzte die Beklagte das Uhg ab 1. Januar 1982 auf 68 vH des Bemessungsentgelts gemäß § 44 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) herab.
Im März 1984 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Oktober 1983 (SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 1) die Rücknahme des Kürzungsbescheides. Die Beklagte lehnte dies im Bescheid vom 29. März 1984 mit der Begründung ab, nach §§ 48 Abs 2, 44 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) iVm § 152 Abs 1 AFG sei die Rücknahme nur für die Zukunft und nicht auch für die Vergangenheit vorgesehen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 23. November 1984 den Bescheid vom 29. März 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Rücknahmeantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die zugelassene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 21. Februar 1986 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 152 Abs 1 AFG schließe zwar die Anwendung des § 44 Abs 1 SGB 10 aus, nicht jedoch die in § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 geregelte Möglichkeit, über die Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Rechtswidrigkeit des Kürzungsbescheides folge aus der Rechtsprechung des BSG, dessen zuständiger 7. Senat in zwei Urteilen vom 20. Oktober und 7. Dezember 1983 (7 RAr 22/83), die von der Beklagten erteilten Hinweise für spätere Kürzungen nicht als ausreichend angesehen habe. Wenn eine solche "ständige Rechtsprechung" ohne Wandel der Rechtsüberzeugung das Recht nachträglich anders auslege als die Verwaltung, so müsse sich das auch auf die Vergangenheit auswirken. Die erforderliche Ermessensentscheidung habe die Beklagte nicht getroffen. In der Berufungsbegründung habe sie zwar noch besondere Umstände für eine Rücknahme im Ermessenswege verneint; nach Abschluß des Vorverfahrens könne sie jedoch keine auf Ausübung des Ermessens gestützte Begründung mehr nachholen.
Mit der von dem LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 152 Abs 1 AFG und des § 44 SGB 10. Nach ihrer Auffassung gilt § 44 Abs 2 SGB 10 nicht für Verwaltungsakte über Sozialleistungen; diese könnten nicht sowohl Abs 1 als auch Abs 2 mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen unterfallen. Im Bereich des AFG schließe § 152 Abs 1 AFG jede Rücknahme für die Vergangenheit aus. Die gegenteilige Bemerkung in der amtlichen Regierungsbegründung zum SGB 10 sei im späteren Gesetzgebungsverfahren nicht wiederholt und somit wohl fallengelassen worden. Daß der Gesetzgeber im AFG keine rückwirkende Rücknahme gewollt habe, bestätige § 20 Abs 5 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), der im Gegensatz zu § 152 Abs 1 AFG in seinem 2. Halbsatz eine Rücknahme für die Vergangenheit nach Ermessen ausdrücklich zulasse. Bei anderer Auffassung würde zudem der mit § 152 Abs 1 AFG verfolgte Zweck unterlaufen, die Arbeitsämter von ungerechtfertigtem Verwaltungsaufwand freizuhalten.
Die Beklagte beantragt,die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht zur Erteilung eines neuen Bescheides verurteilt, in dem sie über die beantragte Rücknahme des Kürzungsbescheides gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.
Die Systematik des § 44 SGB 10 schließt es nicht aus, dessen Abs 2 auf Verwaltungsakte anzuwenden, die wie der Kürzungsbescheid im vorliegenden Fall Sozialleistungen (oder Beitragserhebungen) betreffen. Das zeigt schon der Blick auf die Fälle, die Abs 1 Satz 2 erfaßt, nämlich Verwaltungsakte über Sozialleistungen (Beitragserhebungen), die auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffen beruhen. Für sie gilt Satz 1 mit seiner Rücknahmeverpflichtung für Vergangenheit und Zukunft nicht. Verstände man Abs 2 so wie die Beklagte, gäbe es für diese Verwaltungsakte keinerlei Rücknahmemöglichkeit, weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft. Daß dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand, zumal das SGB 10 frühere Rücknahmegrundsätze nicht einschränken, sondern verallgemeinern wollte (BT-Drucks 8/2034 S 34). Davon abgesehen beseitigt die Gesetzesbegründung jeden Zweifel; nach ihr (aaO) erfaßt Abs 2 vor allem die Fälle, in denen von einem unrichtigen, vom Betroffenen zu vertretenden Sachverhalt ausgegangen worden ist, und daneben auch feststellende Verwaltungsakte. Der mit den Worten "im übrigen" eingeleitete Abs 2 des § 44 SGB 10 muß danach auch auf Verwaltungsakte anwendbar sein können, die Sozialleistungen (und Beitragserhebungen) betreffen. Er gilt für sie dann, wenn besondere Vorschriften - wie zB § 44 Abs 1 Satz 2 SGB 10 - für Gruppen solcher Verwaltungsakte die Anwendung des Abs 1 Satz 1, nicht aber auch die des Abs 2 ausschließen.
Damit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des 10. Senats des BSG vom 10. Dezember 1985 (SozR 5870 § 2 Nr 44) ab. Zwar ist dort ausgeführt, § 44 Abs 2 SGB 10 enthalte nur einen Auffangtatbestand für Bescheide, die weder über eine Leistungsberechtigung noch über eine Beitragsverpflichtung befinden. Es handelte sich um einen Fall, in dem der 10. Senat des BSG § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10 an sich für anwendbar und nur in seinen Tatbestandsvoraussetzungen nicht für erfüllt hielt. Der 10. Senat wollte daher nicht den Regelungsbereich des § 44 Abs 2 SGB 10 abschließend bestimmen. Dafür spricht auch, daß er sich auf Hauck/Haines, Komm zum SGB 10, § 44, RdNr 23 bezogen hat, die in RdNr 22 in den Fällen des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB 10 wie der erkennende Senat den § 44 Abs 2 SGB 10 für anwendbar halten.
Als eine Sondervorschrift, die zwar die Anwendung des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10, nicht aber die des § 44 Abs 2 SGB 10 ausschließt, ist § 152 Abs 1 AFG anzusehen. Nach ihm ist im Arbeitsförderungsrecht der rechtswidrige, nicht begünstigende Verwaltungsakt "abweichend von § 44 Abs 1" SGB 10 mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Schon dem Wortlaut nach ordnet die Vorschrift nur ihr Verhältnis zum Abs 1 des § 44 SGB 10 und nicht zu § 44 SGB 10 insgesamt. Während § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10 die Rücknahme für Vergangenheit und Zukunft vorschreibt, beschränkt § 152 Abs 1 AFG die Rücknahmepflicht auf die Zukunft. Damit bleibt vom Text her offen, wie es sich mit der Anwendbarkeit des § 44 Abs 2 SGB 10 verhält, von dem allerdings nur der Satz 2 Bedeutung erlangt, der die Rücknahme für die Vergangenheit dem Ermessen des Leistungsträgers überläßt.
Aus dem Wortlaut des § 152 Abs 1 AFG läßt sich, bei welchen Erwägungen auch immer, darauf keine überzeugende Antwort gewinnen, wohl aber aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 8/2034 S 37). Dort heißt es, die von § 42 Abs 1 SGB 10 (jetzt § 44 Abs 1 SGB 10) abweichende Regelung ergebe sich aus den Besonderheiten des Leistungssystems des AFG. Eine Verpflichtung der Arbeitsämter, rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte, die unanfechtbar geworden sind, stets auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, würde die Arbeitsämter mit einem Verwaltungsaufwand belasten, der im Hinblick auf die Kurzfristigkeit der Leistungen nicht zu rechtfertigen sei. So sei zB allein 1976 bei durchschnittlich 780.000 Empfängern von Alg und Alhi über mehr als 3 Millionen Leistungsanträge zu entscheiden gewesen. Dem ist wörtlich angeschlossen: "Die Arbeitsämter haben aber über die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden", § 42 (§ 44) Abs 2 bis 4 SGB 10 bleibe unberührt. Dies zeigt eindeutig, daß die Anwendung des § 44 Abs 2 SGB 10 im Arbeitsförderungsrecht nicht ausgeschlossen werden sollte. Dort sollte von den beiden Rücknahmemodellen des § 44 SGB 10 (Abs 1: Rücknahmepflicht für Zukunft und Vergangenheit; Abs 2: Rücknahmepflicht für Zukunft, Ermessen für Vergangenheit) nur das des Abs 2 gelten, nicht aber ein - schon in sich fragwürdiges - drittes Modell einer Rücknahmepflicht für die Zukunft und jeglichen Rücknahmeausschlusses für die Vergangenheit.
Zu Unrecht hält die Beklagte den Rückgriff auf die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf für unzulässig, weil im weiteren Gesetzgebungsverfahren nichts davon wiederholt worden sei. Der gegenteilige Schluß ist richtig. Wenn der Entwurf einer Gesetzesvorschrift wie bei § 152 AFG (vgl BT-Drucks 8/4022 S 50 und 70) unverändert Gesetz geworden ist und die übrigen Gesetzgebungsorgane sich nicht abweichend geäußert haben, dann läßt sich daraus schließen, daß der Gesetzgeber sich die Regierungsbegründung zu eigen gemacht hat.
Aus der Regierungsbegründung muß ferner entnommen werden, daß in dem Einräumen eines Rücknahmeermessens für die Vergangenheit kein Widerspruch zum Zweck des § 152 Abs 1 AFG gesehen wurde, die Arbeitsämter nicht mit dem mit einer Rücknahmepflicht verbundenen Verwaltungsaufwand zu belasten. Ein solcher Widerspruch muß in der Tat nicht gegeben sein. Auch wenn sich kein klares Bild über den Verwaltungsaufwand gewinnen läßt, der im einen und im anderen Falle insgesamt auf die Beklagte zukäme, ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Beklagte bei Ermessensentscheidungen eher als bei gebundenen Entscheidungen den Verwaltungsaufwand - zB durch Richtlinien für die Ermessensausübung - zu begrenzen vermag.
Gegen die Anwendbarkeit des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 im Arbeitsförderungsrecht spricht schließlich nicht, daß der Gesetzgeber in dem ebenfalls durch das SGB 10 eingefügten § 20 Abs 5 BKGG der auch dort "abweichend von § 44 Abs 1" SGB 10 auf die Zukunft beschränkten Rücknahmepflicht in einem weiteren Halbsatz hinzugefügt hat, der Verwaltungsakt könne ganz oder teilweise auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Das könnte zwar den Schluß nahelegen, daß ein Rücknahmeermessen für die Vergangenheit nur im Kindergeldrecht, nicht aber auch im Arbeitsförderungsrecht gewollt sei. Der Gesetzgeber verhält sich in dieser Hinsicht jedoch nicht immer konsequent. Scheinbaren Widersprüchen in der Gesetzesgestaltung kann auch ein einheitlicher Wille des Gesetzgebers zugrunde liegen. Gerade so ist es aber im Verhältnis von § 152 Abs 1 AFG zu § 20 Abs 5 BKGG. Die Begründung zu § 20 Abs 5 BKGG (BT-Drucks 8/2034 S 41) führt nahezu identisch mit der zu § 152 Abs 1 AFG aus, daß nicht begünstigende Verwaltungsakte im Kindergeldrecht überwiegend nur verhältnismäßig kurze Leistungszeiträume beträfen; es sei nicht aus Billigkeitsgründen geboten und würde zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand führen, alle diese Fälle wieder aufzugreifen; daher sei es sachgerecht, die Rücknahme für die Vergangenheit dem Ermessen der Kindergeldstellen zu überlassen. Dem folgt der Satz, der den einheitlichen Regelungswillen bei beiden Vorschriften außer Zweifel stellt: "Die Regelung ist auch erforderlich, um eine einheitliche Durchführung des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit sicher zu stellen". Zur "gesetzlichen Klarstellung" ist im übrigen beabsichtigt, den Wortlaut im AFG an den im BKGG anzugleichen (BT-Drucks 10/6283 S 7).
Der nach alledem anwendbare § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 setzt in Verbindung mit dem vorangehenden Satz 1 voraus, daß der nicht begünstigende Verwaltungsakt, um dessen Rücknahme es geht, rechtswidrig ist. Hierzu kann auf die Umschreibung der Rechtswidrigkeit in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10 zurückgegriffen werden. Danach kann die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes darauf beruhen, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Im vorliegenden Fall kommt nur die 1. Alternative in Betracht. Insoweit ergibt sich jedoch entgegen der Auffassung des LSG eine unrichtige Rechtsanwendung bei Erlaß des Kürzungsbescheides nicht ohne weiteres bereits aus den Urteilen des 7. Senates des BSG vom 20. Oktober und 7. Dezember 1983.
Eine Rechtsprechung kann in keinem Falle und also auch dann nicht, wenn es sich um eine ständige Rechtsprechung und eine solche höchster Gerichte handelt, schon in sich (eo ipso) die richtige Rechtsanwendung verkörpern. Wenn sie ihr gleichkommen oder doch in diesem Sinne wirken soll, muß der Gesetzgeber Bindungen an die Rechtsprechung anordnen (vgl §§ 141, 170 Abs 5 SGG; 31 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht). Es gibt jedoch keine Vorschrift, die hinsichtlich der Rechtsanwendung in anderen Verfahren der angeführten Rechtsprechung des 7. Senats des BSG eine bindende Wirkung zuschreibt. Eine solche Vorschrift ist insbesondere nicht § 48 Abs 2 SGB 10, der der Verwaltungsbehörde die Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft dann gebietet, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung das Recht nachträglich anders als die Behörde bei Erlaß des Verwaltungsaktes auslegt. Der Gesetzgeber hat dort einer ständigen Rechtsprechung - deren Vorliegen hier dahingestellt bleiben kann - den Charakter eines eigenständigen Tatbestandsmerkmals beigemessen und daran die Rechtsfolge der Verpflichtung zur Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte für die Zukunft geknüpft. Mehr kann aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden. Es können insbesondere keine Folgerungen auf die Auslegung des § 44 SGB 10 aus ihr gezogen werden, zumal § 48 Abs 2 SGB 10 selbst im letzten Halbsatz ausdrücklich bestimmt, daß § 44 SGB 10 u n b e r ü h r t bleibt. Soweit im Rahmen des § 44 SGB 10 beurteilt werden muß, ob bei Erlaß eines Verwaltungsaktes "das Recht unrichtig angewandt" worden ist, gilt daher nichts anderes als bei der dem Revisionsgericht nach § 162 SGG iVm § 550 ZPO obliegenden Prüfung, ob in der Entscheidung des Vordergerichts "eine Rechtsnorm .... nicht richtig angewandt worden" ist. Weder das eine noch das andere darf ohne eigene Überzeugungsbildung durch bloßen Hinweis auf eine vorhandene Rechtsprechung bejaht werden.
Der Senat muß daher prüfen, ob er der Rechtsprechung des 7. Senats folgen will, der Kürzungsbescheide nach Vorbehalten der hier dem Bewilligungsbescheid beigefügten Art für rechtswidrig erachtet hat. Er hat keine Bedenken, das zu tun, weil er dem 7. Senat darin zustimmt, daß der Vorbehalt der "Anpassung" an das ab 1. Januar 1982 geltende Recht nach dem Wortlaut und insbesondere dem Zweck der Übergangsvorschrift des Art 1 § 2 Nr 3 Buchst a AFKG nicht den Anforderungen an den Hinweis "auf die Änderungen in diesem Gesetz" (AFKG) genügte. Der Hinweis sollte bewirken, daß die Leistungsempfänger nicht auf eine Weiterzahlung in bisheriger Höhe vertrauten, sich vielmehr auf eine Herabsetzung einstellten; diese Funktion erfüllte der von der Beklagten erklärte Vorbehalt nicht, auch wenn einzelne Leistungsempfänger daraufhin mit einer Kürzung gerechnet haben mögen.
Da der Senat einer höchstrichterlichen Rechtsprechung (des 7. Senats) folgt, braucht er nicht näher darauf einzugehen, ob seiner Meinung zur Bedeutung einer Rechtsprechung für die auf unrichtiger Rechtsanwendung beruhende Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes die Ausführungen des 1. Senats des BSG im Urteil vom 30. Januar 1985 (BSGE 58, 27, 32 f = SozR 1300 § 44 Nr 16) widersprechen. Dort hat der 1. Senat der Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung die Wirkung beigemessen, daß der Verwaltungsakt dadurch "rechtswidrig ... geworden" ist und daß die Änderung der Rechtsprechung "auch zur ursprünglichen Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führen kann", was in beiderlei Hinsicht nicht mit der Meinung des erkennenden Senats in Einklang stehen dürfte. Ein Fall der Abweichung iS des § 42 SGG ist jedenfalls nicht gegeben.
Die Beklagte mußte daher, weil die Voraussetzungen des hier anwendbaren § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 erfüllt waren, über die beantragte Rücknahme des Kürzungsbescheides nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Sie hat jedoch weder im angefochtenen Bescheid vom 29. März 1984 noch im Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1984 eine Ermessensentscheidung getroffen. Nach dem Abschluß des Vorverfahrens hat sie diese nicht mehr nachholen können. Das SGB 10 schreibt in § 35 Abs 1 - wenn wie hier kein Fall des Abs 2 gegeben ist - die Begründung von Ermessensentscheidungen vor; eine Heilung durch Nachholen der Begründung läßt § 41 SGB 10 (Abs 1 Nr 2, Abs 2) nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens bzw bis zur Erhebung der Klage zu. Wenn aber nach diesen Zeitpunkten eine Begründung nicht mehr nachgeholt werden kann, dann kann erst recht nicht die Ermessensausübung als solche nachgeholt werden, weil jede Begründung für sie zwangsläufig nur nach den genannten Zeitpunkten erfolgen könnte. Soweit vor dem SGB 10 ein Nachholen der Ermessensausübung zugelassen wurde, kann diese Rechtsprechung nach dem SGB 10 nicht mehr fortgeführt werden. Ob die Beklagte den angefochtenen Verwaltungsakt bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht durch einen neuen unter Ermessensausübung erteilten Verwaltungsakt hätte ersetzen dürfen, der nach § 96 SGG Gegenstand der Klage geworden wäre, war hier nicht zu entscheiden.
Die unterbliebene Ermessensentscheidung macht die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Die Vorinstanzen haben sie daher zu Recht aufgehoben. Sie haben ferner mit Recht die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides verurteilt.
Die Revision der Beklagten war hiernach zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518074 |
BSGE, 184 |