Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Abrechnungsprüfung. Rechtsgrundlage für sachlich-rechnerische Richtigstellung eines vertragsärztlichen Honorarbescheids nach Ablauf der Ausschlussfrist und bei Vorliegen von Vertrauensausschlusstatbeständen. keine Ermessensausübung bei Entscheidung über Rücknahme eines rechtswidrigen Honorarbescheids. Heilung eines Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren. nachfolgende Kostenentscheidung des Gerichts. Anwendung von § 63 Abs 1 S 2 SGB 10. keine notwendige Beiladung des Krankenhausträgers bei Rückforderung bereits gezahlten Honorars an ermächtigten Krankenhausarzt im Wege einer nachgehenden Richtigstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsgrundlage für die sachlich-rechnerische Richtigstellung eines vertragsärztlichen Honorarbescheids ist auch nach Ablauf der Ausschlussfrist und bei Vorliegen von Vertrauensausschlusstatbeständen die bereichsspezifische Sondervorschrift des Vertragsarztrechts in § 106d SGB V (§ 106a SGB V aF).
2. Die Kassenärztliche Vereinigung muss bei der Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Honorarbescheids kein Ermessen ausüben.
3. Wird ein Anhörungsmangel im Widerspruchsverfahren geheilt, ist auch bei einer nachfolgenden Kostenentscheidung des Gerichts die besondere Regelung zur Tragung der Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens durch die Behörde in § 63 Abs 1 S 2 SGB X anzuwenden.
Orientierungssatz
Fordert eine Kassenärztliche Vereinigung vom ermächtigten Krankenhausarzt im Wege einer nachgehenden Richtigstellung bereits gezahltes Honorar zurück, greift § 120 Abs 1 S 3 SGB 5 nicht ein, zumal insoweit im Rechtsverhältnis zwischen Krankenhausarzt und Krankenhausträger nicht zwingend eine einheitliche Entscheidung ergehen muss. Es ist dann nicht erforderlich, den Krankenhausträger zu dem Rechtsstreit notwendig beizuladen.
Normenkette
SGB V § 106a Abs. 2 S. 1 Fassung: 2003-11-14, § 106d Abs. 2 Fassung: 2015-07-16, §§ 116, 120 Abs. 1 S. 3, § 82 Abs. 1; SGB I § 37; SGB X §§ 24, 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, Abs. 3 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, § 63 Abs. 1 S. 2; SGG § 75 Abs 2; BMV-Ä § 24
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. April 2017 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens, welche die Beklagte zu tragen hat.
Tatbestand
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit einer nachträglichen sachlich-rechnerischen Richtigstellung wegen nicht ermächtigungskonform erbrachter Leistungen.
Der Kläger, Facharzt für Anästhesiologie mit Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie", war nach den Feststellungen des LSG bis zum 31.10.2007 Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des K.-Krankenhauses S. Der Zulassungsausschuss (ZA) hatte ihn zuletzt am 31.8.2005 befristet bis zum 31.10.2007 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Auf seinen Antrag vom 2.8.2007 erhielt der Kläger mit Beschluss des ZA vom 24.10.2007 "in seiner Eigenschaft als Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin" des K.-Krankenhauses eine weitere, bis zum 1.10.2008 befristete Ermächtigung. Die Ermächtigung war "von zu begründenden Ausnahmen abgesehen, begrenzt auf die Durchführung der gebietsbezogenen Schmerztherapie (Fachgebiet Anästhesiologie), auf Grund von Überweisungen der zugelassenen schmerztherapeutisch tätigen Fachärzte für Anästhesiologie sowie der Vertragsärzte, die an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilnehmen". Sie sollte ohne Widerruf "mit der Beendigung der Tätigkeit an der in diesem Beschluss angegebenen Betriebsstätte" erlöschen. Die lediglich elfmonatige Laufzeit der Ermächtigung wurde mit dem Ende der Dienstzeit des Klägers im Oktober 2008 begründet. Der ZA erachtete sich hierzu insbesondere in Anerkennung der Leistungen des Klägers für die ambulante vertragsärztliche Versorgung berechtigt und wollte damit seine "Hochschätzung" zum Ausdruck bringen.
Der Kläger hatte während seiner Chefarzttätigkeit nach eigenen Angaben hinsichtlich der ambulanten Behandlungen aufgrund der Ermächtigung eine "Gemeinschaftspraxis" mit der in den Räumen des Krankenhauses niedergelassenen Fachärztin Dr. S. geführt und von ihr die erforderlichen Überweisungen zur Schmerztherapie erhalten. Da diese Zusammenarbeit mit dem Auslaufen der Chefarzttätigkeit geendet habe, habe er sich zur Nutzung der bis zum 1.10.2008 verlängerten Ermächtigung "um eine Folgeverbindung zu einem in die Schmerztherapie überweisenden Arzt" bemühen müssen. Dr. L., der als Facharzt für Neurochirurgie in einer orthopädisch-chirurgischen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) in Räumen des K.-Krankenhauses niedergelassen war, habe sich dazu bereitgefunden, nachdem ihm die zuständige Prüfungskommission, der auch der Kläger angehört hatte, im Sommer 2007 das Führen der Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" gestattet hatte. Die Zusammenarbeit erfolgte in der Weise, dass die Krankenversichertenkarten der von ihrem Hausarzt in die Schmerzambulanz des Klägers überwiesenen sowie der ohne Überweisung dort erschienenen Patienten von einer Mitarbeiterin eingelesen und an Dr. L. übermittelt wurden, der auf dieser Grundlage Überweisungen in die schmerztherapeutische Behandlung des Klägers ausstellte.
Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) bewilligte dem Kläger mit Honorarbescheiden vom 14.7.2008, 15.10.2008 und 15.1.2009 für die im Rahmen der Ermächtigung für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechneten Leistungen in den Quartalen 1/2008 bis 3/2008 Honorare in Höhe von 18 528,53 Euro, 19 189,66 Euro bzw 17 722,24 Euro. Später unterzog sie die Abrechnungen des Klägers für diese drei Quartale einer nachträglichen Plausibilitätsprüfung, weil bei einer Kontrolle der Abrechnungen seines "Praxisnachfolgers", des Oberarztes M., aufgefallen war, dass die Überweisungen zur Schmerztherapie durch die BAG des Dr. L. stets bereits am Tag des Einlesens der Krankenversichertenkarte ausgestellt worden waren und dies fast immer auch dem ersten Behandlungstag durch Herrn M. entsprach, obwohl Behandlungen durch die BAG - wenn überhaupt - erst wesentlich später abgerechnet wurden.
Der Plausibilitätsausschuss fasste am 3.2.2014 - ohne Anhörung des Klägers - den Beschluss zur "Entnahme aller Behandlungsfälle der Quartale 1/2008 bis 3/2008, die nicht Ihrem Ermächtigungskatalog entsprechen". Der Bescheid der Beklagten vom 17.3.2014 konkretisierte dies dahingehend, dass in den genannten Quartalen abgesehen von zwei Fällen sämtliche der ca 100 Überweisungen, die der Kläger erhalten hatte, von der BAG des Dr. L. ausgestellt und die Krankenversichertenkarten dort jeweils an demselben Tag eingelesen worden waren, an dem die Behandlungen durch den Kläger begannen. Es sei von einem Missbrauch der Krankenversichertenkarten auszugehen, der zur Entnahme aller von dieser BAG überwiesenen Fälle führe. Die Überweisungen dieser BAG hätten zudem auch nicht dem Ermächtigungskatalog entsprochen. Deshalb sehe sich der Plausibilitätsausschuss veranlasst, die Honorarbescheide nach § 45 Abs 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) aufzuheben und den Honoraranspruch neu festzusetzen. Gründe, von dieser Maßnahme abzusehen, seien nicht erkennbar. Die Richtigstellung und Rückforderung könne nach § 45 Abs 2 SGB X unter den dort genannten Voraussetzungen auch noch nach Ablauf der Ausschlussfrist von vier Jahren erfolgen. Auf dieser Grundlage werde der GKV-Honoraranspruch für das Quartal 1/2008 auf 121,85 Euro, für das Quartal 2/2008 auf 134,01 Euro und für das Quartal 3/2008 auf 0 Euro neu festgesetzt und die sich daraus errechnende Rückforderung in Höhe von 55 184,57 Euro geltend gemacht. Das Honorar für die Behandlung von Patienten der sonstigen Kostenträger blieb von der Richtigstellung unberührt.
Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger, dass er von der Plausibilitätsprüfung erstmals durch den Bescheid vom 17.3.2014 erfahren habe. Ihm sei allerdings nicht zu entnehmen, weshalb er Krankenversichertenkarten missbraucht habe bzw aus welchem Grund die Überweisungen durch Dr. L. nicht seinem Ermächtigungskatalog entsprochen hätten. Er habe sämtliche abgerechneten Leistungen vollständig selbst erbracht, was anhand der Patientenakten belegbar sei; vom Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung könne keine Rede sein. Im Übrigen habe er über die bestandskräftig zuerkannten Honorarbeträge Vermögensdispositionen getroffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Später erkundigte sich der Kläger nach dem Sachstand und bat darum, ihm die nach der Verfahrensordnung zustehenden Rechte zur Aufklärung der Plausibilität seiner Abrechnung einzuräumen. Dem kam die Beklagte jedoch nicht nach; sie wies vielmehr durch Entscheidung des Widerspruchsausschusses am 25.8.2014 den Rechtsbehelf zurück.
Im Widerspruchsbescheid vom 5.9.2014 ist ausgeführt, der Verdacht eines regelwidrigen Datenaustauschs zwischen dem Kläger und der BAG des Dr. L. habe sich aufgrund von dessen Angaben gegenüber der KÄV bestätigt. Zudem habe die Zulassung des Herrn Dr. L. nicht den Forderungen des Ermächtigungskatalogs entsprochen. Nach Auffassung des Plausibilitätsausschusses seien die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 SGB X erfüllt, weshalb die Honorarbescheide aufgehoben und neu festgesetzt werden müssten. Dieser Beurteilung schließe sich der Widerspruchsausschuss an; aus den dargelegten sachlichen und rechtlichen Gründen könne er keinen anderslautenden Bescheid erlassen.
Das SG Stuttgart hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 11.5.2015). Auch wenn der Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden sei, seien die Rücknahmebescheide jedenfalls materiell rechtswidrig. Zwar seien auch die ursprünglichen Honorarbescheide für die Quartale 1/2008 bis 3/2008 fehlerhaft gewesen, weil der Kläger vertragsärztliche Leistungen unter Verstoß gegen die ihm erteilte Ermächtigung erbracht habe. Die Rücknahmeentscheidung im Bescheid vom 17.3.2014 sei aber wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Da § 106a SGB V als bereichsspezifische Sonderregelung nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist nicht mehr anwendbar sei, müssten für eine später erfolgende Rücknahme sämtliche Voraussetzungen des § 45 SGB X erfüllt sein. Sowohl der Ausgangs- als auch der Widerspruchsbescheid ließen jedoch nicht erkennen, dass Ermessen ausgeübt worden sei. Damit liege ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor, zumal die Beklagte bekräftigt habe, dass es sich um eine gebundene Entscheidung handele.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben, die Klage abgewiesen und den Kläger zur Tragung sämtlicher Kosten verurteilt (Urteil vom 26.4.2017). Die angefochtenen Bescheide seien nach Heilung des Anhörungsmangels formell und auch materiell rechtmäßig. Der Kläger habe die schmerztherapeutischen Leistungen ermächtigungswidrig erbracht, indem er den Überweisungsvorbehalt missachtet habe. Die vom Kläger geschilderte und als bloße Formalie betrachtete Zusammenarbeit mit Dr. L. sei nicht statthaft gewesen; er habe sich nicht wie ein Ermächtigter, sondern praktisch wie ein zugelassener Vertragsarzt verhalten. Dies rechtfertige die nachgehende Richtigstellung der Honorarbescheide, die ersichtlich nicht wegen Unrichtigkeit der Abrechnungs-Sammelerklärungen aufgehoben worden seien. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger trotz des Ablaufs der vierjährigen Ausschlussfrist nicht erfolgreich berufen, da der Vertrauensausschlusstatbestand des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X erfüllt sei. Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig verkannt, dass er seine Behandlungen ermächtigungswidrig erbracht habe und ihm deshalb hierfür Honorar nicht zustehen könne; nach Auffassung des Senats habe er aber auch gewusst, dass seine Vorgehensweise nicht zulässig sei. Die nach der Rechtsprechung des BSG in solchen Fällen anzuwendende einjährige Rücknahmefrist (§ 45 Abs 4 S 2 SGB X) habe die Beklagte gewahrt, da sie erst aufgrund eines Gesprächs mit Herrn M. am 29.4.2013 Kenntnis von den Tatsachen gehabt habe, die eine Rücknahme der an den Kläger gerichteten Honorarbescheide gerechtfertigt hätten.
Ein Rücknahmeermessen habe die Beklagte nicht ausüben müssen, sodass das Unterlassen von Ermessenserwägungen unschädlich sei. Auch nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist beruhe eine Richtigstellung von Honorarbescheiden auf § 106a - jetzt § 106d - SGB V und nicht auf § 45 SGB X; die Verdrängungswirkung des § 37 SGB I ende nicht nach vier Jahren. § 45 SGB X sei nur insoweit (teilweise) entsprechend anzuwenden, als er den Vertrauensschutz des Betroffenen zum Gegenstand habe, da § 106a SGB V in dieser Hinsicht eine Regelungslücke aufweise. Deshalb sei sowohl der materiell-rechtliche Vertrauensschutzausschlusstatbestand des § 45 Abs 2 S 3 iVm Abs 4 S 1 SGB X als auch die verfahrensrechtliche Vertrauensschutzregelung in § 45 Abs 4 S 2 SGB X (Jahresfrist) entsprechend heranzuziehen. Im Übrigen verbleibe es jedoch bei der alleinigen Maßgeblichkeit des § 106a SGB V, der die Ausübung von Verwaltungsermessen nicht vorsehe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestünden nicht.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 45 Abs 3 S 3 SGB X. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte vor Aufhebung der Honorarbescheide kein Ermessen habe ausüben müssen. Es habe verkannt, dass die Regelung in § 45 Abs 3 SGB X ebenfalls zum System des Vertrauensschutzes gehöre; S 3 dieser Vorschrift erfordere aber, dass die Behörde vor der Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte Ermessen betätige. Vor dem Hintergrund der rechtsstaatlichen Erwägungen, die zur Anwendung der Vierjahresfrist im vertragsärztlichen Bereich geführt hätten, sei nicht ersichtlich, weshalb hier auf Ermessen verzichtet werden könne. Der angefochtene Rücknahmebescheid lasse nicht erkennen, dass der Plausibilitätsausschuss Ermessen ausgeübt habe.
Das LSG habe zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) verletzt, indem es angenommen habe, dass die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB X gewahrt habe. Die Ausführungen hierzu belegten, dass das LSG seinen - des Klägers - Vortrag im Schriftsatz vom 7.8.2015 nicht hinreichend berücksichtigt habe. Dort habe er dargelegt, dass die Beklagte aufgrund einer Anhörung seines Nachfolgers in der Ermächtigung, Herrn M., bereits vor dem 4.3.2013 Kenntnis auch von seinem Überweisungsverhalten gehabt habe und dass ihm "der Bescheid vom 17.04.2014 erst am 20.04.2014 bekannt gemacht wurde". Auf diesen Vortrag sei das LSG nicht eingegangen, obwohl es auf der Grundlage seiner Rechtsansicht dem mit weiteren Ermittlungen hätte nachgehen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. April 2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. Mai 2015 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des Senats für zutreffend. Die Rüge einer Verletzung des § 45 Abs 3 S 3 SGB X gehe fehl, da diese Vorschrift nur Verwaltungsakte mit Dauerwirkung erfasse, wozu Honorarbescheide nicht gehörten. Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel lägen nicht vor. Das LSG habe dem Amtsermittlungsgrundsatz Genüge getan, indem es bei der Beklagten nachgefragt habe, wann die Plausibilitätsprüfung in Bezug auf den Kläger aufgenommen worden sei. Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, dass es für den Beginn der einjährigen Rücknahmefrist auf die behördliche Kenntnis der Tatsachen ankomme, welche die Rücknahme der an den Kläger gerichteten Honorarbescheide rechtfertigten, habe sich das LSG nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Honorarbescheide vorlagen und Ermessen durch die Beklagte nicht ausgeübt werden musste. Der Richtigstellungsbescheid der Beklagten wahrte auch die Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB X; die insoweit erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Beklagte muss allerdings als Folge der Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Anhörung vor Erlass des ihn belastenden Richtigstellungsbescheids, die erst im Widerspruchsverfahren geheilt wurde, die in diesem Verfahrensabschnitt für den Kläger angefallenen Kosten tragen.
A) Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war es nicht erforderlich, den Träger des Krankenhauses zu dem Rechtsstreit beizuladen. Zwar ist im Hinblick auf die Sonderregelung zum Zahlungsweg und zur Einziehungsbefugnis für die Honorare der ermächtigten Krankenhausärzte (§ 120 Abs 1 S 3 SGB V) der Krankenhausträger zu einem Rechtsstreit über die den Krankenhausärzten für ihre vertragsärztliche Tätigkeit zustehende Vergütung im Grundsatz notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG - s hierzu BSG Urteil vom 10.12.2008 - B 6 KA 66/07 R - Juris RdNr 13). Eine notwendige Beiladung ist aber nur erforderlich, wenn der ermächtigte Krankenhausarzt gegen eine quartalsgleiche sachlich-rechnerische Richtigstellung vorgeht und auf Zahlung höheren Honorars klagt. Fordert die KÄV hingegen vom ermächtigten Krankenhausarzt im Wege einer nachgehenden Richtigstellung bereits gezahltes Honorar zurück, greift § 120 Abs 1 S 3 SGB V nicht ein, zumal insoweit im Rechtsverhältnis zwischen Krankenhausarzt und Krankenhausträger nicht zwingend eine einheitliche Entscheidung ergehen muss.
Ungeachtet dessen hat das LSG hier festgestellt, dass der Kläger nur bis zum 31.10.2007 als Chefarzt des Krankenhauses angestellt war. Da auch der Kläger selbst nicht geltend macht, nach diesem Zeitpunkt noch in einem Anstellungsverhältnis zum Krankenhaus gestanden zu haben - die Ermächtigung sei ihm vielmehr "in Person und weder über den Krankenhausträger noch in einer Aufgabenstellung für den Krankenhausträger erteilt worden" (Schriftsatz vom 22.8.2014) -, ist schon aus diesem Grund die Regelung in § 120 Abs 1 SGB V für die hier streitbefangenen Honorare der Quartale 1/2008 bis 3/2008 nicht anwendbar und mithin für eine notwendige Beiladung des Krankenhausträgers kein Raum.
B) Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht seine Klage gegen den Richtigstellungs- und Rückforderungsbescheid vom 17.3.2014 abgewiesen. In der Gestalt, die der Widerspruchsbescheid vom 5.9.2014 dem Bescheid vom 17.3.2014 gegeben hat und die für die sozialgerichtliche Überprüfung maßgeblich ist (§ 95 SGG), ist dieser rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§ 54 Abs 2 SGG).
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Zwar hat die Beklagte den Kläger vor Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 17.3.2014, der ihn zur Rückzahlung von knapp 55 185 Euro verpflichtete, nicht - wie erforderlich (§ 24 Abs 1 SGB X) - angehört. Dieser Verfahrensmangel führt an sich zur Aufhebung des Bescheids (§ 42 S 2 SGB X), ist hier aber unbeachtlich, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X; zu den Kostenfolgen s unten RdNr 37). Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG Urteil vom 29.11.2017 - B 6 KA 33/16 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 17 RdNr 16 mwN). Das war hier der Fall. Die Beklagte hatte in dem Bescheid vom 17.3.2014 jedenfalls hinsichtlich des die Richtigstellung allein bereits tragenden Gesichtspunkts des Fehlens wirksamer Überweisungen iS von § 24 BMV-Ä alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt. Der Kläger hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt, vor einer abschließenden Verwaltungsentscheidung hierzu sachgerecht Stellung zu nehmen.
2. Der Richtigstellungsbescheid der Beklagten ist auch materiell rechtmäßig. Diese hob auf der Grundlage von § 106a Abs 2 SGB V aF (dazu unter a) zu Recht die ursprünglich erteilten Honorarbescheide für die Quartale 1/2008 bis 3/2008 ganz überwiegend auf, weil der Kläger die von ihm abgerechneten schmerztherapeutischen Leistungen nicht im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erbracht hatte (b). Trotz des Ablaufs der vierjährigen Ausschlussfrist war die Beklagte zu einer nachträglichen sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigt, da der Vertrauensausschlusstatbestand des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X erfüllt ist (c). Ermessen musste die Beklagte bei der Rücknahmeentscheidung nicht ausüben (d). Auch die einjährige Rücknahmefrist gemäß § 45 Abs 4 S 2 SGB X ist gewahrt; die von der Revision insoweit erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch (e). Die Rückforderung des danach überzahlten Honorars ist ebenfalls nicht zu beanstanden (f).
a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist hier noch § 106a Abs 2 SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes ≪GMG≫ vom 14.11.2003, BGBl I 2190 ≪aF≫; ab 1.1.2017 inhaltsgleich § 106d Abs 2 SGB V idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Diese Vorschrift verdrängte als bereichsspezifische Sondervorschrift des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels des SGB V (Vertragsarztrecht) gemäß § 37 S 1 SGB I die allgemeine Regelung in § 45 SGB X zur nachträglichen Korrektur rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte (BSG Urteil vom 28.8.2013 - B 6 KA 43/12 R - BSGE 114, 170 = SozR 4-2500 § 106a Nr 11, RdNr 13). § 106a Abs 2 SGB V aF (bzw § 106d Abs 2 SGB V) bleibt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, auch dann die maßgebliche Rechtsgrundlage für eine gegebenenfalls noch mögliche Richtigstellung vertragsärztlicher Honorarbescheide, wenn - wie hier - die für Richtigstellungen anzuwendende vierjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen ist (dazu näher unter c).
In der bisherigen Rechtsprechung des Senats konnten einzelne Formulierungen allerdings so verstanden werden, dass nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist schon der Anwendungsbereich der bereichsspezifischen Sondervorschriften zur Korrektur vertragsärztlicher Honorarbescheide nicht mehr eröffnet ist und die nachträgliche Aufhebung eines Honorarbescheids in solchen Fällen nur noch auf eine originäre Anwendung der allgemeinen Regelung über die Rücknahme rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte in § 45 SGB X gestützt werden kann (insbesondere BSG Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 11, 14, 16 f, 19; BSG Urteil vom 6.9.2006 - B 6 KA 40/05 R - BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 12; s auch BSG Urteil vom 28.3.2007 - B 6 KA 22/06 R - BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 12, 16; BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 23, 60 ff; BSG Urteil vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 10 RdNr 12, 22; zuletzt BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - ZMGR 2018, 307 RdNr 18, 31, 35, 39; zur Veröffentlichung auch in SozR 4-2500 § 106a Nr 18 vorgesehen).
Der Senat stellt nunmehr klar, dass als Rechtsgrundlage für eine Korrektur rechtswidriger vertragsärztlicher Honorarbescheide ausschließlich die bereichsspezifische Sonderregelung in § 106a Abs 2 SGB V aF (bzw nunmehr § 106d Abs 2 SGB V) maßgeblich ist. Sie verdrängt unabhängig von der Wahrung oder Nichtwahrung der Ausschlussfrist die allgemeine Befugnisnorm für eine Rücknahme rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte in § 45 SGB X. Nach § 37 S 1 SGB I beruht die Verdrängungswirkung nicht darauf, dass im konkreten Einzelfall alle Voraussetzungen der Sonderregelung tatsächlich erfüllt sind, sondern vielmehr auf der Spezialität des Anwendungsbereichs einer abstrakt-generellen Regelung, die in den übrigen Büchern des Sozialgesetzbuchs enthalten ist (vgl Seewald in Kasseler Kommentar, § 37 SGB I RdNr 4, Stand der Einzelkommentierung Juni 2014: Verdrängung insoweit, wie der Regelungsbereich der abweichenden Norm reicht; ähnlich Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 16; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 45 SGB X RdNr 6, Stand der Einzelkommentierung Mai 2018; anders wohl Clemens in juris-PK SGB V, 3. Aufl 2016, Stand 10.10.2018, § 106d RdNr 95: Anwendung von § 45 SGB X "in vollem Umfang", wenn das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach Ablauf der Ausschlussfrist nicht mehr anwendbar ist). Nach der im GMG erfolgten Kodifizierung der zuvor nur in den Bundesmantelverträgen auf der Grundlage des § 82 Abs 1 SGB V vereinbarten Berichtigungsvorschriften (dazu BSG Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 94 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 7) enthält § 106a Abs 2 S 1 SGB V aF (bzw jetzt § 106d Abs 2 S 1 SGB V) keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für die Korrektur eines Honorarbescheids als eben dessen sachliche oder rechnerische Unrichtigkeit bzw Rechtswidrigkeit (stRspr, zB BSG Urteil vom 29.11.2017 - B 6 KA 33/16 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 17 RdNr 20 mwN). In dieser vom Gesetzgeber geschaffenen Gestalt geht § 106a SGB V aF bzw § 106d SGB V als Sonderregelung den allgemeinen Korrekturvorschriften des SGB X vor. Auch in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift lediglich für solche Berichtigungen einschlägig sein soll, die innerhalb der vierjährigen Ausschlussfrist vorgenommen werden (vgl Gesetzentwurf zum GMG, BT-Drucks 15/1525 S 117 f - zu Nr 83 ≪§ 106a≫).
b) Die Voraussetzungen des § 106a Abs 2 S 1 SGB V aF sind hier erfüllt. Die durch die KÄV vorzunehmende Feststellung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen zielt umfassend auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind. Einzige tatbestandliche Voraussetzung für eine Richtigstellung ist damit, wie bereits erwähnt, die Rechtswidrigkeit der Honorarabrechnung bzw - bei nachgehender Richtigstellung - des Honorarbescheids. Rechtswidrig ist auch die Honorarabrechnung bzw die Bewilligung von Honorar an einen ermächtigten Arzt für Leistungen, zu deren Erbringung der Arzt aufgrund der ihm genehmigten Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht berechtigt war (BSG Urteil vom 17.7.2013 - B 6 KA 14/12 R - SozR 4-2500 § 116 Nr 9 RdNr 12). Das war bei den vom Kläger abgerechneten Leistungen der ambulanten Schmerztherapie der Fall, die im hier angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 17.3.2014 richtiggestellt wurden.
Nicht näher vertieft werden muss in diesem Zusammenhang die Frage, ob die dem Kläger zuletzt erteilte Ermächtigung schon deshalb keine Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (vgl § 95 Abs 4 S 1 SGB V) mehr bewirken konnte, weil mit dem Ausscheiden des Klägers als Krankenhausarzt am 31.10.2007 eine auflösende Bedingung eingetreten war, die zum gänzlichen Wegfall der Ermächtigung im hier streitbefangenen Zeitraum führte. Wie das LSG im Einzelnen näher und zutreffend ausgeführt hat, entsprachen die vom Kläger in den Quartalen 1/2008 bis 3/2008 abgerechneten schmerztherapeutischen Leistungen jedenfalls auch nicht dem Überweisungsvorbehalt, mit dem die ihm erteilte Ermächtigung zur Wahrung des Vorrangs der niedergelassenen Vertragsärzte verbunden war (vgl § 116 S 2 SGB V iVm § 31a Abs 3, § 31 Abs 7 S 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte). Zum einen enthielten die vom Kläger "pro forma" bei Dr. L. organisierten Überweisungsscheine, die dieser regelmäßig ausstellte, ohne zu diesem Zeitpunkt den betreffenden Patienten jemals gesehen zu haben, keine sachlich-inhaltlich begründeten Aufträge zur Mitbehandlung oder Weiterbehandlung des Patienten. Aufgrund der mit dem Kläger vereinbarten Abläufe war Dr. L. überhaupt nicht in der Lage, die Erforderlichkeit bzw Notwendigkeit der Überweisung bei ihrer Ausstellung verantwortlich zu beurteilen (vgl § 24 Abs 1 S 1, Abs 7 S 1 BMV-Ä). Zum anderen entsprach auch die formale Qualifikation des Dr. L. nicht der im Ermächtigungsbescheid definierten Voraussetzung, dass nur zugelassene schmerztherapeutisch tätige Fachärzte für Anästhesiologie oder aber Vertragsärzte, die an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilnehmen, zur Überweisung an den Kläger berechtigt waren. Dr. L. war zwar als Neurochirurg zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, er nahm aber nicht an der Schmerztherapie-Vereinbarung teil, sondern hatte lediglich die Berechtigung zum Führen der Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" erworben. Somit konnte der Kläger aufgrund sämtlicher Überweisungen, mit denen Dr. L. ihm Patienten "zuführte", keine rechtmäßigen Leistungen im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung erbringen.
c) Der damit nach § 106a Abs 2 S 1 SGB V aF eröffneten Befugnis zur nachträglichen Korrektur der Honorarbescheide stehen materielle Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht entgegen.
Zwar ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich nicht mehr möglich, wenn die Ausschlussfrist von vier Jahren seit Bekanntgabe des Honorarbescheids bereits abgelaufen ist (stRspr, s BSG Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 14 mwN; zuletzt BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - ZMGR 2018, 307 RdNr 31 mwN, zur Veröffentlichung auch in SozR 4-2500 § 106a Nr 18 vorgesehen). Das war hier der Fall; der dem Kläger zuletzt bekanntgegebene Honorarbescheid für das Quartal 3/2008 datierte vom 15.1.2009, während der Richtigstellungsbescheid erst im März 2014 und damit mehr als fünf Jahre später wirksam wurde (§ 39 Abs 1 iVm § 37 SGB X). Rechtshandlungen, die eine Hemmung der Ausschlussfrist bewirkt haben könnten, sind nicht ersichtlich (vgl dazu BSG Urteil vom 20.3.2013 - B 6 KA 17/12 R - SozR 4-5540 § 48 Nr 2 RdNr 34 f; BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - aaO RdNr 32 ff).
Auch nach Ablauf der Ausschlussfrist kommt aber eine Richtigstellung von Honorarbescheiden auf der Grundlage von § 106a Abs 2 SGB V aF bzw § 106d Abs 2 SGB V weiterhin in Betracht, wenn einer der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs 2 S 3 iVm Abs 4 S 1 SGB X erfüllt ist. Die Spezialität von § 106a Abs 2 SGB V aF (§ 106d Abs 2 SGB V) als maßgebliche Rechtsgrundlage für eine Korrektur rechtswidriger Honorarbescheide im Vertragsarztrecht hat keine Auswirkungen darauf, dass nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist, in der jeder Vertragsarzt mit einer Korrektur der ihm erteilten Honorarbescheide rechnen muss (vgl BSG Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 94 f, 103 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 7 f, 16; BSG Urteil vom 28.8.2013 - B 6 KA 43/12 R - BSGE 114, 170 = SozR 4-2500 § 106a Nr 11, RdNr 25), eine Rücknahme rechtswidriger Honorarbescheide nicht absolut und generell ausgeschlossen ist. Vielmehr normiert § 45 Abs 2 S 3 SGB X in verallgemeinerungsfähiger Weise diejenigen Sachverhalte, bei denen nach der Wertung des Gesetzgebers ein schutzwürdiges Vertrauen, das die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts hindert, nicht anerkannt werden kann (sog Vertrauensausschlusstatbestände). Liegen sie vor, sind Richtigstellungen nach § 106a Abs 2 SGB V aF bzw § 106d Abs 2 SGB V auch nach Ablauf der Ausschlussfrist weiterhin möglich.
So verhält es sich hier. Der Kläger hat den Tatbestand des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X verwirklicht. Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG, gegen die keine Verfahrensrügen vorgebracht wurden (§ 163 SGG), hat der Kläger zumindest grob fahrlässig verkannt, dass er die streitbefangenen Behandlungsleistungen ermächtigungswidrig erbracht hat und ihm deshalb Honorar hierfür nicht zustehen kann (zur Bewertung eines Handelns als grob fahrlässig als von den Tatsacheninstanzen zu entscheidende Tatfrage s BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - aaO RdNr 36).
d) Ermessen musste die Beklagte bei Erlass des Richtigstellungsbescheids nicht ausüben (zum Maßstab für die gerichtliche Kontrolle von behördlichen Ermessensfehlern vgl § 54 Abs 2 S 2 SGG). Die bereichsspezifische Sonderregelung zur Korrektur vertragsärztlicher Honorarbescheide in § 106a Abs 2 S 1 SGB V aF bzw § 106d Abs 2 S 1 SGB V sieht - anders als § 45 SGB X, den sie verdrängt (s oben unter a) - keine Verpflichtung zur Ermessensausübung vor, sondern enthält eine gebundene Entscheidung (so zu den bundesmantelvertraglichen Vorgängervorschriften bereits BSG Urteil vom 13.3.1991 - 6 RKa 35/89 - SozR 3-2500 § 85 Nr 2 S 9; BSG Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 22).
Entgegen dem Vorbringen der Revision kann eine Pflicht zur Ermessensausübung bei der Entscheidung über eine nachträgliche Korrektur rechtswidriger Honorarbescheide nicht aus der Regelung in § 45 Abs 3 S 3 SGB X hergeleitet werden. Diese Vorschrift, die nur die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung betrifft, hat für Quartalshonorarbescheide ohne Dauerwirkung keine Bedeutung. Im Übrigen folgt die Verpflichtung zur Ausübung von Ermessen bei Rücknahmeentscheidungen nach § 45 SGB X nicht aus der Verwendung des Wortes "kann" in § 45 Abs 3 S 1, 3 und 4 SGB X, das lediglich zeitliche Einschränkungen einer bestehenden Rücknahmemöglichkeit normiert, sondern aus dem Wort "darf" in der Grundnorm des § 45 Abs 1 SGB X (BSG Urteil vom 15.2.1990 - 7 RAr 28/88 - BSGE 66, 204, 206 = SozR 3-1300 § 45 Nr 1 S 3). § 45 SGB X enthält auch keinen allgemein anzuwendenden Rechtsgrundsatz, dass Rücknahmeentscheidungen, die wegen des Vorliegens eines Vertrauensausschlusstatbestands (hier: Bösgläubigkeit) möglich sind, stets nur unter Ausübung von Ermessen getroffen werden dürfen. Das folgt schon daraus, dass § 330 Abs 2 SGB III und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II bei Bösgläubigkeit zwingend die Rücknahme einer Leistungsbewilligung für die Vergangenheit anordnen (BSG Urteil vom 25.4.2018 - B 14 AS 15/17 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 14 RdNr 24, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Pflicht zur Ermessensausübung bei einer Rücknahmeentscheidung besteht mithin nur, soweit sich gemäß § 37 S 1 SGB I aus den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt (BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12 mwN). Das ist - wie bereits erwähnt - auch bei Rücknahmeentscheidungen auf der Grundlage von § 106a SGB V aF (§ 106d SGB V) der Fall (s auch Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X , 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 88).
e) Die Beklagte hat mit dem Erlass des Richtigstellungsbescheids auch die einjährige Frist zur Rücknahme gewahrt. Nach § 45 Abs 4 S 2 SGB X, der auch bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen im Vertragsarztrecht nach Ablauf der Ausschlussfrist entsprechend anwendbar ist (BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - ZMGR 2018, 307 RdNr 39 mwN, zur Veröffentlichung auch in SozR 4-2500 § 106a Nr 18 vorgesehen), muss die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme rechtfertigen. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist anzunehmen, wenn die Behörde mangels vernünftiger objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen hat (BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 6 KA 47/16 R - aaO); hierzu gehören auch alle Tatsachen, die die besonderen Rücknahmevoraussetzungen (zB fehlender Vertrauensschutz) beschreiben (BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1 RdNr 35). Das LSG hat insoweit festgestellt, dass die Beklagte erst aufgrund einer Prüfung der Abrechnungen des Klägers, die durch ein Gespräch ihrer Mitarbeiter mit Herrn M. am 29.4.2013 angestoßen wurde, mithin frühestens an jenem Tag über die entsprechende Tatsachenkenntnis verfügte und deshalb der Richtigstellungsbescheid vom 17.3.2014 noch vor Ablauf der Rücknahmefrist ergangen ist. Unter diesen Umständen ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die Jahresfrist eingehalten wurde.
Die von der Revision gegen diese Tatsachenfeststellung vorgebrachte Verfahrensrüge einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) zwingt zu keiner anderen Beurteilung. Ein solcher Verfahrensmangel liegt nicht vor. Der Kläger beanstandet, das LSG habe seinen Vortrag im Schriftsatz vom 7.8.2015 nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Beklagte aufgrund einer Anhörung des Herrn M. als Nachfolger in der Ermächtigung schon "vor dem 04.03.2013" Kenntnis davon gehabt habe, wie auch er selbst die Überweisungen in Kooperation mit Dr. L. praktiziert habe. Auf der Nichtberücksichtigung dieses Vortrags könne die Entscheidung des LSG beruhen. Aus dem Tatbestand des Berufungsurteils (S 10/11 des Umdrucks) ergibt sich jedoch, dass das LSG den Vortrag des Klägers so, wie er im Schriftsatz vom 7.8.2015 tatsächlich enthalten war, wiedergegeben und damit zur Kenntnis genommen hat. Wenn das LSG der Einschätzung des Klägers nicht gefolgt ist, zur Ingangsetzung der Jahresfrist genüge bereits die Kenntnis der Beklagten vom Vortrag des Herrn M. in seinem eigenen Richtigstellungsverfahren, er habe nur seine - des Klägers - Verfahrensweise übernommen (Schriftsatz vom 19.3.2013), begründet das keine Gehörsverletzung. Das Prozessgrundrecht bietet keinen Schutz davor, dass das Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfG Beschluss vom 12.4.1983 - 2 BvR 678/81 ua - BVerfGE 64, 1, 12; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14).
f) Die somit rechtmäßige nachträgliche Richtigstellung der Honorarbescheide für die Quartale 1/2008 bis 3/2008 hinsichtlich aller Leistungen, die der Kläger auf der Grundlage der von Dr. L. erwirkten Überweisungsscheine bei GKV-Patienten erbracht hat, berechtigte die Beklagte gemäß § 50 Abs 1 S 1 SGB X auch zur Rückforderung des von ihr zu viel gezahlten Honorarbetrags.
C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 1 und 2 VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Die Kostenentscheidung des LSG für das vorangegangene Verfahren bedarf jedoch einer Ergänzung. Gemäß § 63 Abs 1 S 2 SGB X sind der Beklagten die dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen (zur Befugnis des Rechtsmittelgerichts, bei einem erfolglosen Rechtsmittel die Kostenentscheidung der Vorinstanz zu ergänzen, s B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 197a RdNr 12 mwN). Nach der genannten Vorschrift hat der Rechtsträger der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstandenen Kosten auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg gehabt hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Das war hier aufgrund der Heilung des der Beklagten unterlaufenen Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren der Fall (s oben RdNr 20). Die Kostentragungsregel des § 63 Abs 1 S 2 SGB X ist zwingendes Recht (Mutschler in Kasseler Kommentar, § 63 SGB X RdNr 10, Stand der Einzelkommentierung Juni 2015) und auch von den Gerichten bei ihrer Kostenentscheidung zu beachten (vgl BSG Urteil vom 16.3.2017 - B 10 LW 1/15 R - BSGE 122, 302 = SozR 4-1300 § 41 Nr 3, RdNr 24 am Ende). Das soll dazu beitragen, dass die Behörden aufgrund der ihnen eingeräumten Möglichkeit, Fehler im Verwaltungsverfahren nachträglich zu heilen, nicht dazu verleitet werden, mit gewissem Aufwand verbundene Verfahrensvorschriften wie zB die Anhörung des Betroffenen nicht mehr ernst zu nehmen (s dazu auch BSG, aaO, RdNr 23).
Fundstellen
Haufe-Index 12975676 |
BSGE 2020, 33 |
ArztR 2019, 159 |
MedR 2019, 685 |
NZS 2019, 551 |
SGb 2019, 92 |
GesR 2019, 299 |