Beteiligte
1. Innungskrankenkasse Brandenburg-Belzig-Rathenow |
2. Maler- und Lackierer-Innung Belzig |
3. Elektro-Innung Brandenburg |
4. Tischler- und Stellmacher-Innung Brandenburg-Belzig |
5. Drechsler-Innung Land Brandenburg |
6. Innung des Bauhandwerks Belzig |
7. Bäcker- und Konditoren-Innung Brandenburg (Havel) |
8. Landesinnung des Isolierhandwerks Brandenburg |
9. Maurer-Innung Rathenow |
10. Innung des Kraftfahrzeug-Handwerks Brandenburg (Havel) |
11. Elektro-Innung Rathenow |
12. Innung des Dachdecker-Handwerks Brandenburg-Belzig |
13. Kraftfahrzeug-Innung Belzig |
14. Havelländische Zimmerer-Innung Brandenburg |
15. Maler- und Lackierer-Innung Rathenow |
16. Innung des holzverarbeitenden Handwerks Rathenow |
17. Friseur-Innung Rathenow |
18. Bäcker- und Konditoren-Innung Rathenow |
19. Maler- und Lackierer-Innung Brandenburg (Havel) |
20. Elektro-Innung Belzig |
21. Raumausstatter-Innung Rathenow |
22. Metallbau-Innung Rathenow |
23. Friseur-Innung Brandenburg (Havel) |
24. Innung des metallverarbeitenden Handwerks Brandenburg |
25. Innung der Raumausstatter Brandenburg und Belzig |
26. Kraftfahrzeug-Innung Rathenow |
27. Straßen- und Tiefbau-Innung Rathenow |
28. Schneider-Innung Brandenburg |
29. Innung des Uhrmacherhandwerks Brandenburg, Rathenow |
30. Innung des Klempner-, Gas- und Wasserinstallations-, Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks Rathenow |
31. Installateur-Innung Brandenburg-Belzig |
32. Bäcker- und Konditoren-Innung Belzig |
33. Dachdecker-Innung Rathenow |
1. Vereinigte Innungskrankenkasse Brandenburg |
2. IKK-Landesverband Brandenburg und Berlin |
3. Innungskrankenkasse Brandenburg |
Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen |
Tenor
Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 21. August 1996 werden zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben dem Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtswirksamkeit der durch Verordnung der brandenburgischen Landesregierung vom 21. Juni 1995 (GVBl II, 482) herbeigeführten Zwangsvereinigung der Innungskrankenkasse (IKK) Brandenburg-Belzig-Rathenow (Klägerin zu 1) mit der zuvor aus dem freiwilligen Zusammenschluß der übrigen IKKn des Landes hervorgegangenen Vereinigten IKK Brandenburg (Beigeladene zu 1) zur jetzigen IKK Brandenburg (Beigeladene zu 3). In Vollzug der genannten Rechtsverordnung erließ das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen als Aufsichtsbehörde im Wege der Ersatzvornahme die Satzung und bestellte die Mitglieder der Organe der neuen landesweiten Kasse. Mit Schreiben vom 25. Juli 1995 bestimmte es sodann den 1. August 1995 als Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Fusion. Gegen diese Verfügung haben die Klägerin zu 1) und die sie tragenden Handwerksinnungen, die Klägerinnen zu 2) bis 33), vergeblich einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Im Hauptsacheverfahren haben sie die Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 1995 sowie hilfsweise die Feststellung begehrt, daß dieser Bescheid nichtig bzw rechtswidrig gewesen sei.
Die Klagen sind in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat sowohl die Anfechtungsklagen als auch die Fortsetzungsfeststellungsklagen als unzulässig angesehen, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt mit dem Wirksamwerden der Zwangsfusion erledigt habe und etwaige Rechtsfehler bei der Festlegung des Vereinigungszeitpunkts keine Rückabwicklung rechtfertigten. Die auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides gerichteten Klagen seien dagegen zulässig. Ein Nichtigkeitsgrund in Gestalt eines besonders schweren und offenkundigen Fehlers liege jedoch nicht vor. Durch die Bestimmung eines zeitnahen Vereinigungstermins sei der Rechtsschutz zwar erschwert, aber nicht vereitelt worden. Die zugrundeliegende Rechtsverordnung sei formal ordnungsgemäß erlassen worden und lasse keine zur Nichtigkeit führenden Mängel erkennen (Urteil vom 21. August 1996).
Mit der Revision rügen die Klägerinnen Verstöße gegen die §§ 145, 146, 160 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und begehren hilfsweise die Feststellung, daß die Zwangsvereinigung infolge Nichtigkeit der zugrundeliegenden Organisationsverordnung unwirksam sei. Ein effektiver Rechtsschutz gegen die Maßnahmen der Landesregierung dürfe nicht durch eine restriktive Handhabung prozessualer Vorschriften verhindert werden. Die Verordnung vom 21. Juni 1995 sei nichtig, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihren Erlaß hätten nicht vorgelegen. Unabhängig davon erweise sich der Ausführungsbescheid vom 25. Juli 1995 auch deshalb als rechtswidrig, weil die Aufsichtsbehörde bei der Umsetzung die Beteiligungsrechte der Klägerinnen verletzt und die Zeitspanne zwischen dem Erlaß des Bescheides und dem Wirksamwerden der Fusion ohne ersichtlichen Grund zu kurz bemessen habe.
Die Klägerinnen beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 21. August 1996 und des Sozialgerichts Potsdam vom 24. August 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 1995 aufzuheben,
hilfsweise,
die Nichtigkeit des Bescheides vom 25. Juli 1995 festzustellen,
hilfsweise,
die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 25. Juli 1995 festzustellen,
hilfsweise,
- festzustellen, daß die Klägerin zu 1) durch die Rechtsverordnung vom 21. Juni 1995 nicht wirksam mit der Beigeladenen zu 1) vereinigt worden ist.
Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 3) beantragen,
die Revisionen zurückzuweisen.
II
Die Revisionen der Klägerinnen sind nicht begründet.
Ihr Rechtsschutzbegehren scheitert allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon aus prozessualen Gründen. Die Klagen sind vielmehr mit den auf Feststellung der Nichtigkeit der Organisationsverordnung vom 21. Juni 1995 gerichteten Anträgen zulässig.
Die Rechtsgrundlage für die Zwangsvereinigung von Krankenkassen findet sich in den §§ 145, 146 SGB V. Diese Bestimmungen betreffen zwar unmittelbar nur das Organisationsrecht der Ortskrankenkassen; sie gelten jedoch gemäß § 160 Abs 3 SGB V für IKKn entsprechend (vgl ferner für Betriebskankenkassen: § 150 Abs 2 Satz 3 SGB V; für Ersatzkassen: § 168a Abs 2 SGB V). Nach § 145 Abs 1 SGB V kann die Landesregierung auf Antrag einer Krankenkasse oder des Landesverbandes durch Rechtsverordnung einzelne oder alle Kassen eines Landes vereinigen, wenn entweder durch die Vereinigung die Leistungsfähigkeit der betroffenen Kassen verbessert werden kann oder der Bedarfssatz einer Kasse den durchschnittlichen Bedarfssatz aller Kassen der betreffenden Kassenart auf Bundes- oder Landesebene um mehr als 5 vH übersteigt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und ist innerhalb von zwölf Monaten nach Antragstellung ein freiwilliger Zusammenschluß nicht zustande gekommen, muß die Landesregierung nach § 145 Abs 2 SGB V tätig werden und die Fusion herbeiführen. Für den Fall, daß eine Vereinigung nach § 145 SGB V erfolgt, regelt § 146 SGB V die organisatorische Abwicklung, die der jeweiligen Aufsichtsbehörde übertragen ist. Diese setzt bei mangelnder Mitwirkung der beteiligten Krankenkassen im Wege der Ersatzvornahme die Satzung der neuen Kasse fest, bestellt die Mitglieder der Organe, regelt die Neuordnung der Rechtsbeziehungen zu Dritten und bestimmt den Zeitpunkt, an dem die Vereinigung wirksam wird (§ 146 Abs 4 SGB V). Mit diesem Zeitpunkt sind die bisherigen Kassen geschlossen und die neue Krankenkasse tritt in die Rechte und Pflichten der bisherigen Kassen ein (§ 146 Abs 3 SGB V).
Ob und gegebenenfalls mit welchen prozessualen Mitteln eine von der Zwangsvereinigung betroffene Krankenkasse Rechtsschutz gegen ihre Auflösung erlangen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zu der Regelung des früheren § 226 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO), die eine Anpassung der Bezirke der Ortskrankenkassen an die Grenzen der Gebietskörperschaften durch Rechtsverordnung der Landesregierung ermöglichte (vgl heute: § 143 Abs 2 SGB V), ist überwiegend die Auffassung vertreten worden, entsprechende Neugliederungsmaßnahmen könnten von den Kassen vor Gericht nicht angegriffen werden. Da sie im Verordnungswege erfolgten, komme nur eine Normenkontrollklage in Betracht, die das Sozialgerichtsgesetz (SGG) jedoch im Unterschied zur Verwaltungsgerichtsordnung nicht vorsehe. Die Gültigkeit einer Rechtsnorm könne auch nicht Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG sein, zumal eine solche Klage sachlich der gerade nicht eröffneten Normenkontrolle gleichkomme und deshalb ebenfalls unzulässig sei (Schnapp, VSSR 1974, 191, 195 ff). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Anfechtung einer auf der Grundlage des § 226 Abs 4 RVO erlassenen Organisationsverordnung im Sozialrechtsweg mit der Begründung ausgeschlossen, es handele sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet sei (BSGE 48, 42 = SozR 1500 § 51 Nr 17). Die Verfassungsbeschwerden der betroffenen Kassen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verworfen, weil die Krankenkassen als lediglich organisatorisch verselbständigte Organe mittelbarer Staatsverwaltung nicht Träger von Grundrechten seien (BVerfGE 39, 302, 312 ff). Die Auffassung, daß gegen die Rechtsverordnung über die Zusammenlegung von Krankenkassen keine Klagemöglichkeit gegeben sei, ist auch unter der Geltung des SGB V vorherrschend. Jedoch soll in Fällen einer auf § 145 SGB V gestützten Zwangsfusion die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle über die Anfechtung der zur Umsetzung der Organisationsverordnung nach § 146 SGB V ergangenen Verwaltungsakte gegeben sein (Papier/Möller, SGb 1994, 601, 602; Dürschke, SGb 1996, 631 ff; Peters in: Kasseler Komm, Stand: Juni 1998, § 145 SGB V RdNr 12; Hauck, SGB V, Stand: September 1998, K § 145 RdNr 13 aE; Bloch in: GemeinschaftsKomm-SGB V, Stand: Oktober 1998, § 145 RdNr 20).
Dieser Beurteilung, an der auch die Klägerinnen ihr prozessuales Vorgehen ausgerichtet haben, kann nicht gefolgt werden. Die Klagen zielen ungeachtet der Fassung der Anträge in der Sache auf die gerichtliche Feststellung, daß die vom Beklagten angeordnete Fusion der Klägerin zu 1) mit der Beigeladenen zu 1) wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht wirksam zustande gekommen ist. Auf dem Umweg über die Anfechtung der Verfügung, mit der die Aufsichtsbehörde den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zwangsvereinigung festgelegt hat, kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Denn die Zeitbestimmung dient ebenso wie die übrigen in § 146 SGB V vorgesehenen Umsetzungsakte lediglich dem Vollzug der von der Landesregierung auf der Grundlage des § 145 SGB V erlassenen Organisationsverordnung und ist neben dieser nicht gesondert anfechtbar. Die Vereinigung der betroffenen Kassen wird allein durch die Rechtsverordnung als konstitutivem Rechtsakt herbeigeführt. Daß sie zu ihrem Wirksamwerden noch einer organisatorischen Umsetzung durch die zuständige Aufsichtsbehörde bedarf, ändert daran nichts. Die Aufsichtsbehörde hat keine Handhabe, den Vollzug der Vereinigung zu verhindern oder über die für die Umsetzung benötigte Zeit hinaus zu verzögern. Da die Entscheidung über die Fusion mit dem Inkrafttreten der Verordnung endgültig gefallen ist, werden die betroffenen Kassen durch die Bestimmung des Vereinigungszeitpunkts auch nicht mehr zusätzlich beschwert. Der Gesetzgeber wollte mit den Vorschriften über die Umsetzung der Organisationsverordnung einen geordneten Übergang der bestehenden Rechtsverhältnisse auf die neue Kasse gewährleisten und dem Umstand Rechnung tragen, daß die für den Vollzug der Vereinigung erforderliche Zeitdauer bei Erlaß der Rechtsverordnung in der Regel noch nicht absehbar ist. Wegen der erheblichen Auswirkungen auf die gesamte Kassenstruktur sollte aber der Rechtsakt der Kassenvereinigung selbst der Rechtsverordnung der Landesregierung vorbehalten bleiben (vgl die amtliche Begründung im Fraktionsentwurf zum Gesundheits-Reformgesetz, BT-Drucks 11/2237, S 209 zu § 154). Die Regelung des § 146 SGB V bewirkt damit nur einen zeitlichen Aufschub der Fusion; die notwendigen Umsetzungsakte sind bloße ergänzende Maßnahmen zur Rechtsverordnung und sachlich dem Verfahren der Verordnungsgebung zuzuordnen (wie hier: Wigge, NZS 1996, 504, 507; vgl auch Schnapp, Zum Rechtsschutz von Innungskrankenkassen gegen die Vereinigung mit anderen Innungskrankenkassen durch Rechtsverordnung, unveröffentlichtes Rechtsgutachten 1995, S 42 ff).
Einer Qualifizierung der Umsetzungsakte als selbständig anfechtbare Verwaltungsakte bedarf es nicht deshalb, weil die Krankenkassen nur auf diesem Wege Rechtsschutz gegen ihre Zusammenlegung erlangen könnten. Denn die Unwirksamkeit der Zwangsvereinigung wegen Nichtigkeit der zugrundeliegenden Rechtsverordnung kann unmittelbar mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden, was hier – hilfsweise – geschehen ist. Die auf Aufhebung der Verfügung vom 25. Juli 1995 bzw auf Feststellung ihrer Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit gerichteten Anträge sind dagegen unzulässig.
Soweit der frühere 8b-Senat des BSG in seinem Urteil vom 22. Februar 1979 (BSGE 48, 42 = SozR 1500 § 51 Nr 17) eine gegen die Vereinigung von Krankenkassen gerichtete Feststellungsklage mit der Begründung für unzulässig gehalten hat, bei dem Streit über die Wirksamkeit der von der Landesregierung erlassenen Rechtsverordnung handele es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die die Sozialgerichte nicht zuständig seien, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit läge nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen den eigentlichen Kern des Prozesses bilden würde, wenn also das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt wäre (BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 50, 124, 130; BVerwGE 80, 355, 357 ff = NJW 1989, 1495). Das ist jedoch nicht der Fall, denn die Bestimmung des § 145 SGB V, um die sich der Streit dreht, ist eine Vorschrift des einfachen Rechts und nicht des Verfassungsrechts. Ein verfassungsrechtlicher Bezug ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klage gegen einen Akt der Rechtsetzung gerichtet ist. Betroffen ist kein Gesetz im formellen Sinne, sondern eine von einem Exekutivorgan erlassene untergesetzliche Rechtsnorm. Über deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht einschließlich des Verfassungsrechts zu befinden, ist Aufgabe der Sozialgerichte, denen insoweit auch die Verwerfungskompetenz zukommt. Der Prozeß betrifft schließlich keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Verfassungsorganen oder anderen unmittelbar am Verfassungsleben beteiligten Rechtsträgern, so daß auch von daher keine verfassungsrechtliche Prägung erkennbar ist. Der Senat hält deshalb an der erwähnten Rechtsprechung nicht mehr fest. Einer Anrufung des Großen Senats des BSG gemäß § 41 Abs 2 SGG bedarf es dazu nicht. Die Gefahr zukünftiger divergierender Entscheidungen ist entfallen, nachdem der 8b-Senat, von dessen Entscheidung abgewichen wird, nicht mehr besteht und der erkennende Senat infolge Änderung der Geschäftsverteilung für Klagen von Krankenkassen gegen organisatorische Maßnahmen nach § 143 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 sowie § 145 Abs 1 und 2 SGB V allein zuständig ist.
Die Feststellungsklage ist nicht deshalb unzulässig, weil sie auf die Überprüfung einer Rechtsnorm gerichtet ist. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Durch den Erlaß einer Rechtsnorm wird allerdings mangels einer unmittelbaren Betroffenheit des Normadressaten regelmäßig noch kein Rechtsverhältnis in dem vorgenannten Sinne begründet. Der bloß theoretische Streit über die Rechtmäßigkeit der Norm kann deshalb nicht im Wege der Feststellungsklage ausgetragen werden, zumal dies im Ergebnis auf eine dem sozialgerichtlichen Verfahren fremde abstrakte Normenkontrolle hinauslaufen würde (BSGE 24, 266, 268 = SozR Nr 1 zu § 324 RVO Bl Aa 2; BSGE 28, 224, 225 f = SozR Nr 45 zu § 55 SGG; BSGE 29, 254, 255 = SozR Nr 6 zu § 368g RVO Bl Aa 3; BSGE 72, 15, 19 = SozR 3-500 § 88 Nr 2 S 12). Anders verhält es sich jedoch, wenn aus konkretem Anlaß über Rechte und Pflichten des Klägers gestritten wird, deren Bestehen oder Nichtbestehen unmittelbar von der Gültigkeit der umstrittenen Rechtsvorschrift abhängt. Gegenstand der Überprüfung ist dann ein konkretes Rechtsverhältnis, nämlich die Anwendung bzw die Anwendbarkeit der Norm auf einen bestimmten, schon eingetretenen und überschaubaren Lebenssachverhalt (vgl zum Begriff des Rechtsverhältnisses: BSGE 43, 148, 150 = SozR 2200 § 1385 Nr 3 S 3 mwN). Eine derartige konkrete Normenkontrolle im Wege der Feststellungsklage hat im System des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes ihren Platz, wie das BSG bereits entschieden hat (BSGE 71, 42, 51 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 4 S 19 f; BSGE 72, 15, 19 ff = SozR 3-2500 § 88 Nr 2 S 12 ff; BSGE 78, 91 f = SozR 3-5540 § 25 Nr 2 S 3 f; für das verwaltungsgerichtliche Verfahren: BVerwGE 25, 151, 156; 26, 251, 253; BVerwG NJW 1983, 2208; BVerwG NJW 1984, 677 Nr 16; BVerwGE 80, 355, 363 = NJW 1989, 1495, 1496 f). Mit ihrer Hilfe ist es möglich, gesetzesnachrangige Rechtsvorschriften auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen zu lassen, wenn nur auf diese Weise wirksamer Rechtsschutz erlangt werden kann und deshalb ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung besteht. Namentlich, wenn es wie hier um die Rechtswirksamkeit einer sich selbst vollziehenden Vorschrift geht, die zwar formal als Rechtsverordnung erlassen wird, ihrem Inhalt nach aber einen konkreten Einzelfall regelt, kann dagegen mit der Feststellungsklage vorgegangen werden (ebenso: Axer, NZS 1997, 10, 13; Schnapp in: Schulin, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 1, 1994, § 49 RdNrn 95 f; Wigge, VSSR 1994, 131, 173; ders, NZS 1996, 504, 508).
Rechtsschutz gegen ihre Vereinigung kann den betroffenen Krankenkassen auch nicht mit der Begründung versagt werden, sie hätten als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung organisatorische Veränderungen wie die Auflösung oder die Zusammenlegung von Kassen hinzunehmen. Richtig ist freilich, daß Krankenkassen sich gegenüber derartigen organisatorischen Maßnahmen nicht auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufen können. Anders als bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden, deren Selbstverwaltung verfassungsrechtlich garantiert ist, ist die in § 29 Viertes Buch Sozialgesetzbuch angesprochene Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger an den Bestand des jeweiligen Trägers geknüpft und besteht nur in dem von der Rechtsordnung vorgegebenen organisatorischen Rahmen. Die Zusammenlegung von Kassen ist folglich eine Maßnahme, welche die Grundlage der Selbstverwaltung und nicht das Selbstverwaltungsrecht selbst betrifft. Sie ist Ausfluß der Organisationsgewalt des Staates, der über Aufbau und Gliederung des Sozialversicherungssystems grundsätzlich ohne Bindung an bestehende Strukturen frei entscheidet (BVerfGE 39, 302, 315; BSGE 48, 42, 46 = SozR 1500 § 51 Nr 17 S 27; vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen, NZS 1996, 528; Wigge, NZS 1996, 504, 506). Daraus, daß das BVerfG den Krankenkassen in dem zuvor angesprochenen Beschluß vom 9. April 1975 (BVerfGE 39, 302) die Berufung auf das Grundrecht aus Art 19 Abs 4 Grundgesetz verwehrt hat, folgt indessen nicht, daß sie sich gegen Maßnahmen des Staates, die ihre Existenz betreffen, überhaupt nicht zur Wehr setzen könnten. Die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes ist ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, das auch Körperschaften des öffentlichen Rechts zugute kommt, soweit ihnen im jeweiligen Zusammenhang durch das einfache Recht eigene Rechte zugestanden werden. Letzteres ist für die hier interessierenden organisatorischen Eingriffe zu bejahen. Denn das Gesetz macht die Zwangsvereinigung von Krankenkassen in § 145 Abs 1 und 2 SGB V von detaillierten Voraussetzungen abhängig, was nur einen Sinn ergibt, wenn sich die Betroffenen darauf berufen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben überprüfen lassen können. Daß vergleichbare Organisationsakte, wenn sie, wie etwa die Schließung einer Kasse (§§ 146a, 153, 163, 170 SGB V) oder die Genehmigung der Errichtung einer konkurrierenden Kasse (§§ 148 Abs 1, 158 Abs 1 SGB V), durch Verwaltungsakt vorgenommen werden, von der betroffenen Krankenkasse angefochten werden können, steht außer Zweifel.
Die Umstellung der bisherigen Klageanträge und der Übergang auf die unmittelbar gegen die Organisationsverordnung gerichtete Feststellungsklage beinhalten keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung. Als eine solche ist es gemäß § 99 Abs 3 SGG nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird (Nr 2) oder wenn statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung begehrt wird (Nr 3). Das Begehren der Klägerinnen war während des gesamten Prozesses im Ergebnis darauf gerichtet, die Unwirksamkeit der Vereinigung der Klägerin zu 1) mit der Beigeladenen zu 1) gerichtlich feststellen zu lassen. Ob dieses Ziel mit einer Klage gegen die Verfügungen der Aufsichtsbehörde zwecks Ermöglichung einer Inzidentkontrolle der Organisationsverordnung oder mit einer unmittelbar gegen die Verordnung selbst gerichteten Klage zu erreichen war, ließ sich wegen der divergierenden Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur nicht von vornherein abschätzen und erforderte eine Anpassung der Klageanträge an die Beurteilung der prozessualen Rechtslage durch das jeweils mit der Sache befaßte Gericht. Bei dieser Sachlage ist die im Revisionsverfahren vorgenommene Antragserweiterung den in § 99 Abs 3 Nrn 2 und 3 SGG geregelten Fällen gleich zu behandeln.
Zutreffend hat das LSG eine Klagebefugnis nicht nur der von der Zwangsfusion unmittelbar in ihrem Bestand betroffenen Klägerin zu 1), sondern auch der sie tragenden Handwerksinnungen ≪Klägerinnen zu 2) bis 32)≫ bejaht. Die Klage auf Feststellung der Ungültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm setzt, nicht anders als die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG), voraus, daß der Kläger behauptet, durch die angegriffene Vorschrift in seinen Rechten verletzt zu sein. Zwar ist der Begriff des Feststellungsinteresses an sich weiter als derjenige der Klagebefugnis, so daß als „berechtigtes Interesse” iS des § 55 Abs 1 SGG auch ein bloß wirtschaftliches oder ideelles Interesse ausreichen kann. Übernimmt die Feststellungsklage indessen, wie in den Fällen der Normenkontrolle, dieselbe Funktion, die der Anfechtungsklage für die Überprüfung von Verwaltungsakten zukommt, so müssen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen für ihre Zulässigkeit dieselben prozessualen Anforderungen gelten. Die somit zur Erhebung der Klage erforderliche rechtliche Beschwer kann auch in der Person eines Drittbetroffenen gegeben sein, wenn durch die auf einen anderen zielende normative Regelung zugleich in die Rechtssphäre des Dritten eingegriffen wird. Die Klagebefugnis fehlt allerdings, wenn die Gesetzesvorschrift, die zum Erlaß der untergesetzlichen Norm ermächtigt, keinen drittschützenden Charakter in dem Sinne hat, daß sie zumindest auch der Verwirklichung individueller Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist (vgl insoweit zur Situation bei der Anfechtungsklage: BSGE 70, 99, 101 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 S 38; BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 2 S 15).
Nach diesen Grundsätzen kann eine Beschwer der Handwerksinnungen durch die Auflösung der von ihnen getragenen IKK nicht verneint werden. Allerdings ist einzuräumen, daß das Gesetz den Trägerinnungen im Zusammenhang mit der Schließung oder der Zusammenlegung von IKKn keine Mitwirkungsrechte zugesteht. Insbesondere setzt die (freiwillige oder erzwungene) Vereinigung nach § 160 SGB V weder die Zustimmung noch eine andere Form der Beteiligung der Innungen und/oder der Gesellenausschüsse voraus (vgl auch Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: April 1998, § 160 SGB V RdNr 6). Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, daß die Innungen ihre Interessen über die Repräsentanz ihrer Mitglieder im Verwaltungsrat der betroffenen Kasse ausreichend zur Geltung bringen können. Daß keine Beteiligung der Trägerinnungen an dem der Vereinigung oder Schließung vorangehenden Entscheidungsprozeß vorgesehen ist, bedeutet aber nicht, daß die Innungen sich gegenüber entsprechenden Bestrebungen nicht auf eigene Rechte bzw rechtlich geschützte Interessen berufen können. Die IKKn sind im 19. Jahrhundert als Nebeneinrichtungen der Handwerksinnungen entstanden. Nach dem Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 (RGBl S 73) wurden sie durch die Innung errichtet und waren zur Versicherung der im Gewerbebetrieb der Innungsmitglieder beschäftigten versicherungspflichtigen Personen bestimmt. Auch das geltende Recht der IKKn ist weiterhin eng mit dem Handwerksrecht verbunden. Zwar bedarf die Errichtung einer neuen Kasse der Genehmigung durch die staatliche Aufsichtsbehörde; die Innungen haben aber nach wie vor das Initiativrecht bei der Errichtung, so daß sie bei Vorliegen der gesetzlichen Errichtungsvoraussetzungen letztlich bestimmen, ob und mit welchem Zuschnitt eine neue IKK entstehen soll. Zwar wird diese Kasse mit ihrer Gründung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verselbständigt und in die staatliche Krankenkassenorganisation eingebunden. Das gilt verstärkt, wenn sie von der durch § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V gegebenen Möglichkeit der Öffnung für Außenstehende Gebrauch gemacht hat und damit den Einwirkungsmöglichkeiten der Trägerinnungen weitgehend entzogen ist (vgl § 161 Satz 4, § 162 Satz 4, § 163 Satz 3 SGB V). Trotzdem bleibt die rechtliche Verbindung zu den Innungen bestehen, was sich nicht zuletzt daran zeigt, daß diese im Fall der Auflösung oder Schließung der Krankenkasse nach § 164 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V für deren Verbindlichkeiten haften. Weder mit der Errichtungskompetenz noch mit der Haftung der Innungen ließe es sich vereinbaren, wenn ihnen bei weitreichenden staatlichen Eingriffen in die Kassenstruktur, wie sie die Zusammenlegung oder Schließung der von ihnen gegründeten Kasse beinhalten, jede rechtliche Betroffenheit abgesprochen würde.
Die demnach zulässigen Klagen sind jedoch in der Sache nicht begründet. Die formellen und materiellen Voraussetzungen, die das Gesetz in § 145 Abs 1 SGB V für die Vereinigung von Krankenkassen durch Rechtsverordnung der Landesregierung aufstellt, haben vorgelegen. Ausgangspunkt des Vereinigungsverfahrens war der Antrag der IKK Neuruppin vom 19. September 1994. Dieser Antrag hatte sich entgegen der Ansicht der Klägerinnen durch den zum 1. Januar 1995 erfolgten freiwilligen Zusammenschluß von vier der ursprünglich fünf brandenburgischen IKKn nicht erledigt, da das Ziel der Schaffung einer einzigen landesweiten IKK damit noch nicht erreicht war. Die betroffenen Kassen und ihr Landesverband sind nach den Feststellungen des LSG vom Beklagten ordnungsgemäß angehört worden; eine Anhörung auch der Innungen, wie von der Revision gefordert, schreibt das Gesetz nicht vor. In der Sache selbst hat die Beklagte ihr Vorgehen damit gerechtfertigt, daß durch die Vereinigung die Leistungsfähigkeit der IKKn verbessert werden solle. Nach der Gesetzesbegründung ist eine Stärkung der Leistungsfähigkeit zu erwarten, wenn die Aufgaben der beteiligten Krankenkassen durch die Vereinigung (zB durch Rationalisierungen in der Verwaltung) wirtschaftlicher wahrgenommen werden können oder wenn die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Krankenkassen im Verhältnis zu einer in der Region konkurrierenden Kasse verbessert werden kann (Begründung zum Entwurf des Gesundheitsstrukturgesetzes; BT-Drucks 12/3608, S 108 zu § 145). Schon aus dem Wortlaut des § 145 Abs 1 Nr 1 SGB V ergibt sich, daß diese Verbesserung nur möglich und nicht sicher sein muß. Ob sie sich einstellen wird, kann nur aufgrund einer Prognose beantwortet werden, deren Richtigkeit nicht im nachhinein vom Gericht überprüft werden kann. Aber auch bei einer ex-ante-Betrachtung ist nur eine eingeschränkte Kontrolle möglich. Prognosen des Verordnungsgebers kann das Gericht nur beanstanden, wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam sind. Allein die Erwartung, daß durch die Bildung größerer Verwaltungseinheiten und die damit verbundene Zentralisierung Kosten verringert werden, muß in der Regel als hinreichende Rechtfertigung für einen Zusammenschluß akzeptiert werden, sofern sie sich nicht aufgrund der besonderen Umstände des Falles als offenkundig unbegründet erweist. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ist dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen und auch sonst für den Senat nicht erkennbar. Die vom Beklagten angestellte Prognose muß deshalb als vertretbar akzeptiert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Prozeß betrifft ein Verfahren gemäß § 116 Abs 2 Nr 4 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, nämlich eine Klage gegen eine Entscheidung einer obersten Landesbehörde in einer Angelegenheit nach dem SGB V. Er gehört damit zu den Streitigkeiten, in denen nach dem Wortlaut des § 193 Abs 4 Satz 2 SGG auch die Aufwendungen der Körperschaften des öffentlichen Rechts, hier des beklagten Landes, erstattungsfähig sind. Ob damit Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art erfaßt werden sollten, erscheint freilich zweifelhaft, denn es ist nicht erkennbar, warum bei organisatorischen Entscheidungen oder Aufsichtsmaßnahmen einer obersten Landes- oder Bundesbehörde im Bereich der Krankenversicherung eine Kostenerstattung stattfinden soll, bei vergleichbaren Maßnahmen in anderen Bereichen der Sozialversicherung aber nicht. Der Senat sieht sich jedoch aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts an einer anderen Entscheidung gehindert.
Fundstellen
Haufe-Index 542800 |
BSGE, 118 |
SGb 1999, 126 |
SozSi 1999, 341 |