Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung bzw Förderung der beruflichen Aus- oder Weiterbildung. Diätassistentin. behinderter Mensch. Rehabilitation. vorherige Beratung, Zustimmung bzw Anerkennung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer Förderung beruflicher Aus- und Weiterbildung.
Normenkette
SGB III § 19 Abs. 1 Fassung: 1997-03-24, § 59 Fassunf: 1997-03-24, § 60 Abs. 1 Fassung: 1997-03-24, § 77 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1997-03-24, Nr. 2 Fassung: 1997-03-24, Nr. 3 Fassung: 1997-03-24, Nr. 4 Fassung: 1997-03-24, Abs. 2 Fassung: 1997-03-24, Abs. 3 Fassung: 1997-03-24, §§ 77ff, 97 Fassung: 1997-03-24, § 98 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1997-03-24, Nr. 2 Fassung: 1997-03-24, § 100 Nr. 5 Fassung: 1997-03-24, Nr. 6 Fassung: 1997-03-24, § 103 Nr. 1 Fassung: 1997-03-24, Nr. 2 Fassung: 1997-03-24, Nr. 3 Fassung: 1997-03-24; SGB IV § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. August 2003 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Förderung einer Maßnahme zur Diätassistentin.
Die im Februar 1977 geborene Klägerin begann am 1. August 1995 eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau. Diese Ausbildung brach sie im Februar 1997 ab, weil sie erkrankte. In der Folgezeit war die Klägerin arbeitslos. Am 7. Februar 2000 beantragte sie bei der Beklagten Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Die Beklagte lehnte diese nach Einholung eines ärztlichen und eines psychologischen Gutachtens ab, weil die Klägerin nicht behindert iS der § 97 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm § 5 Nr 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sei. Sie sei auf Grund ihres Leistungsvermögens noch in der Lage, den Beruf der Groß- und Außenhandelskauffrau auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben (Bescheid vom 10. Juli 2000). Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine Stellungnahme ihres behandelnden Psychotherapeuten vor und gab an, sie wolle sich zur Physiotherapeutin oder Diätassistentin umschulen lassen. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 16. Oktober 2000 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei auf Grund ihres Leistungsvermögens nicht auf die besonderen Hilfen für Behinderte angewiesen. Vielmehr seien für eine berufliche Wiedereingliederung die allgemeinen Leistungen des SGB III ausreichend.
Im September 2000 hatte die Klägerin eine Ausbildung zur Diätassistentin bei der Schule für Berufe mit Zukunft in Oldenburg begonnen und diese Ausbildung im Juni 2003 erfolgreich beendet.
Das Sozialgericht Oldenburg hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es in seinem Urteil vom 10. Juli 2001 aus, auch nach Einholung weiterer Befundberichte und ärztlicher Stellungnahmen ergebe sich, dass die Klägerin nicht behindert iS des § 97 SGB III sei. Zwar leide sie unter Angstzuständen und gelegentlichen Panikattacken. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass sie auf Grund dieser Erkrankungen nicht mehr als Groß- und Außenhandelskauffrau tätig werden könne. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 26. August 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Klägerin Behinderte iS des § 97 SGB III iVm § 5 Nr 2 SGB IX sei, weil es bereits an der Anspruchsvoraussetzung des § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III fehle. Hiernach sei eine “institutionelle Vorprüfung” der Weiterbildungsmaßnahme erforderlich, die vor Beginn der Teilnahme an der Maßnahme durchzuführen sei. Es könne deshalb auch dahinstehen, ob bei der Beklagten ein Beratungsfehler vorliege, der zu einem Herstellungsanspruch führen könne. Denn ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitere schon daran, dass es an der institutionellen Vorprüfung gemäß § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III gefehlt habe. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass ein Förderungsanspruch nicht entstehe, wenn mit der Maßnahme vor Durchführung und Abschluss der institutionellen Vorprüfung begonnen worden sei.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision. Sie rügt eine Verletzung insbesondere der §§ 13 bis 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sowie des § 2 Abs 2 SGB I. Das LSG habe die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verkannt. Insbesondere könne der Rechtsansicht, der sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheitere bereits an der fehlenden institutionellen Vorprüfung, nicht gefolgt werden. Beantrage ein Teilnehmer individuelle Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, dann sei die Anerkennung der Maßnahme nach § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III jeweils inzident zu prüfen. Auch wenn der Teilnehmer selbst kein eigenes Anfechtungsrecht habe, werde doch bei einer entsprechenden Ablehnung der Maßnahme unter Berufung auf die fehlende Anerkennung nach § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III auch in Rechte des potenziellen Maßnahmeteilnehmers eingegriffen. Das LSG habe sich zu Unrecht auf eine Rechtsprechung des BSG berufen. In den zitierten Entscheidungen (insbesondere BSG SozR 3-4100 § 34 Nr 4) habe das BSG lediglich festgestellt, dass im Rahmen des § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz der Bundesagentur für Arbeit (BA) ein gerichtlich nicht voll nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zustehe. Dies sei auch Gegenstand der Entscheidung des BSG in SozR 3-4460 § 10 Nr 2. Die im vorliegenden Rechtsstreit im Vordergrund stehende Rechtsfrage sei jedoch von der Frage des Beurteilungsspielraums streng zu trennen. Das LSG verkenne, dass sie – die Klägerin – im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend gemacht habe, weder über die Notwendigkeit einer Antragstellung noch über das Erfordernis einer institutionellen Vorprüfung in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Die Beklagte habe über ihre Sachbearbeiterin ohne jedwede weitere Prüfung den Anspruch aus generellen Erwägungen heraus abgelehnt. Die Beklagte hätte Anlass gehabt, sie – die Klägerin – umfassend zu beraten und sie darauf hinzuweisen, dass eine Förderung von einer vorherigen Beantragung und einer institutionellen Vorprüfung der Maßnahme abhängig sei.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom 26. August 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Juli 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihre Ausbildung zur Diätassistentin zu fördern.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung der Maßnahme, weil sie – die Beklagte – nach Bekanntwerden des Maßnahmeantritts unverzüglich die Prüfung der Voraussetzungen des § 86 SGB III hätte einleiten müssen. Seit der Neuregelung der Weiterbildung im SGB III hätten sich gravierende Änderungen ergeben, die der 11. Senat des BSG bereits in einem Urteil berücksichtigt hätte (Hinweis auf BSG SozR 4-4300 § 86 Nr 1). Das Anerkennungsverfahren der Maßnahmeträger werde nunmehr schon äußerlich von den materiell-rechtlichen Regelungen über Förderungsvoraussetzungen für die Teilnehmer entkoppelt und in einem eigenen Unterabschnitt geregelt. Die so erkennbare Verselbstständigung des Anerkennungsverfahrens impliziere, dass das Verfahren durch einen Verwaltungsakt mit Wirkung gegenüber dem Träger beendet werden solle, und zwar auch dann, wenn der Antrag von einem Bildungswilligen gestellt worden sei. Die Klägerin habe auch deshalb keinen Anspruch auf Anerkennung der Maßnahme, weil sie einen dem Maßnahmeträger gegenüber ergehenden Verwaltungsakt über die Ablehnung der Anerkennung selbst nicht anfechten könne und sie damit auch keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Einleitung eines entsprechenden Verfahrens habe. Nach neuer Rechtslage werde daher durch ein entsprechendes Begehren einer Teilnehmerin auf Anerkennung der Maßnahme nur ein Rechtsverhältnis zwischen Maßnahmeträger und BA geschaffen. Auch das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn hierdurch dürfe nur der Zustand hergestellt werden, der bei ordnungsgemäßem Handeln entstanden wäre. Auch wenn sie – die Beklagte – nach Bekanntwerden des Maßnahmeantritts durch die Klägerin unverzüglich in eine Prüfung der Maßnahme gemäß § 86 SGB III eingetreten wäre, so hätte die Klägerin doch gerade die vollendeten Tatsachen geschaffen, die durch § 86 SGB III vermieden werden sollten. Durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch dürften rein tatsächliche Umstände wie zB eine fehlende Arbeitslosmeldung, nicht erzieltes Arbeitsentgelt oder eine nicht erfüllte Anwartschaftszeit nicht fingiert werden. Dies müsse auch für den als nicht geschehen fingierten Antritt einer Maßnahme gelten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Förderung der Teilnahme an der Maßnahme zur Diätassistentin von September 2000 bis Juni 2003 zustand. Der Klägerin geht es ersichtlich um die Gewährung von Geldleistungen, etwa zur Bestreitung ihres Bedarfs für den Lebensunterhalt und die Kosten der von ihr absolvierten Maßnahme. Entsprechende Leistungen können nach dem SGB III durch unterschiedliche Arten der Förderung erreicht werden. Das LSG hat sich zu Unrecht allein auf die Prüfung der Voraussetzungen einer beruflichen Weiterbildung nach den §§ 77 ff SGB III beschränkt und in diesem Zusammenhang ebenfalls zu Unrecht angenommen, eine ohne vorherige Anerkennung durch das Arbeitsamt durchgeführte Maßnahme der beruflichen Weiterbildung sei von vornherein nicht förderungsfähig, weil die fehlende Anerkennung auch bei Fehlverhalten des Arbeitsamtes unter keinen Umständen nachträglich ersetzt werden könne. Diese Rechtsauffassung trifft aber auch schon dann nicht zu, wenn für die Maßnahme eine andere Förderungsmöglichkeit in Betracht kam, die keiner vorherigen Anerkennung bedurfte.
Die von der Klägerin angestrebten Geldleistungen können – unter Berücksichtigung der bei ihr möglicherweise vorliegenden Besonderheiten, insbesondere einer Behinderung iS von § 2 Abs 1 SGB IX iVm § 19 SGB III – durch folgende Förderungsmöglichkeiten erreicht werden:
In Betracht käme zunächst eine bedürftigkeitsabhängige (§§ 59 ff SGB III) Berufsausbildungsbeihilfe (BAB), auf die ein Rechtsanspruch bestünde oder ein Anspruch auf Unterhaltsgeld (Uhg) iVm den Weiterbildungskosten gemäß §§ 77, 153 und § 81 SGB III, wenn es sich bei der Maßnahme um eine solche der beruflichen Weiterbildung gehandelt hat, deren Gewährung im Ermessen der Beklagten steht. Die Zuordnung ist unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen. War die Klägerin Behinderte (bzw behinderter Mensch) iS des § 97 SGB III, so könnte BAB oder Uhg jeweils als allgemeine Leistung zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben gemäß § 98 Abs 1 Nr 1 iVm § 100 Nr 5 oder § 100 Nr 6 SGB III zu gewähren sein. Schließlich kommt zu Gunsten der Klägerin auch die Gewährung von besonderen Leistungen für Behinderte gemäß § 98 Abs 1 Nr 2 SGB III iVm §§ 102 ff SGB III in Betracht. In diesem Fall könnte der Klägerin gemäß § 103 Nr 1 iVm §§ 160 ff SGB III Übergangsgeld (Übg) zustehen. Ggf käme auch die Zahlung eines Ausbildungsgeldes gemäß § 103 Nr 2 iVm §§ 104 ff SGB III in Betracht, sowie die Gewährung von Teilnahmekosten gemäß § 103 Nr 3 iVm §§ 109 ff SGB III und §§ 33, 44, 53 und 54 SGB IX. Das Klagebegehren ist dabei je nach dem Rechtscharakter der für die Klägerin letztlich zutreffenden Leistung als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1, Abs 4 SGG bzw als Aufhebungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG zu behandeln, wenn die Leistung im Ermessen der Beklagten steht.
Nachfolgend ist zunächst zu erörtern, ob es sich bei der Maßnahme zur Diätassistentin um eine Aus- oder Weiterbildung gehandelt hat (unter 1.). Ggf hängt ein Anspruch auf Leistungen bei Aus- oder Weiterbildung davon ab, ob die Klägerin behindert war; auch zur Behinderteneigenschaft der Klägerin hat das LSG keine Feststellungen getroffen (unter 2.). Soweit es um die Förderung der Maßnahme als berufliche Weiterbildung gemäß § 77 SGB III geht, war die fehlende vorherige Anerkennung nach § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzbar, wenn die Voraussetzungen im übrigen vorlagen (im Einzelnen unter 3.).
1. Zunächst kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG bereits nicht beurteilt werden, welchen Charakter die Maßnahme hatte, die die Klägerin besucht hat. Nach den insoweit vorliegenden Feststellungen des LSG hat die Klägerin eine “Schule für Berufe mit Zukunft” besucht und dort den Abschluss einer Diätassistentin abgelegt. Gemäß §§ 59 ff SGB III (idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997, BGBl I 594) könnte der Klägerin hierfür ein Anspruch auf BAB zustehen. Nach § 59 haben Auszubildende Anspruch auf BAB während einer beruflichen Ausbildung oder einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, wenn 1. die berufliche Ausbildung oder die berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme förderungsfähig ist, 2. sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind und 3. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrtkosten, die sonstigen Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Nach § 60 Abs 1 SGB III ist eine berufliche Ausbildung förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG), der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs 1 und 2 SGB III im Falle der Klägerin vorliegen, begegnet erheblichen Zweifeln (zur Abgrenzung zur rein schulischen Ausbildung vgl BSG SozR 4100 § 40 Nr 13; BSG SozR 3-4100 § 40 Nr 2). Nach dem Gesetz über den Beruf der Diätassistentin und des Diätassistenten (Diätassistentengesetz ≪DiätAssG≫ vom 8. März 1994, BGBl I 446) dauert die Ausbildung zum Diätassistenten drei Jahre und besteht aus theoretischem und praktischem Unterricht und einer praktischen Ausbildung (§ 4 DiätAssG). Die Ausbildung wird durch staatlich anerkannte Schulen vermittelt und schließt mit der staatlichen Prüfung ab. Schulen, die nicht in einem Krankenhaus eingerichtet sind, haben die praktische Ausbildung im Rahmen einer Regelung mit einem Krankenhaus oder anderen geeigneten medizinischen Einrichtungen sicherzustellen. Insofern könnte eine Leistungszuständigkeit der Beklagten hier gänzlich ausscheiden (allerdings nicht, wenn es sich bei der Klägerin um eine Behinderte gehandelt hätte und die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III vorgelegen hätten – vgl hierzu auch noch unter 2.).
Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann aber auch nicht entschieden werden, ob es sich bei der Maßnahme um eine Ausbildung iS der §§ 59 ff SGB III oder um eine Weiterbildung gemäß §§ 77 ff SGB III gehandelt hat. Grundsätzlich hat der Senat hierzu klargestellt, dass die Abgrenzung einer Ausbildung iS der §§ 59 ff SGB III von einer Weiterbildung iS des § 77 SGB III nach dem jeweils objektiven Charakter der Maßnahme zu treffen ist (grundlegend BSG Urteil vom 4. Februar 1999 – B 7 AL 12/98 R = SozR 3-4100 § 42 Nr 4 sowie BSG SozR 4100 § 40 Nr 12; vgl auch Gagel, AFG, RdNr 2 zu § 41 AFG, EL 8). Der erste Besuch einer Bildungsmaßnahme ist arbeitsförderungsrechtlich nicht in jedem Fall eine Ausbildung; ebenso wenig stellt jeder zweite Besuch einer Bildungsmaßnahme eine Weiterbildung dar. Vielmehr stellen § 77 Abs 2 und Abs 3 SGB III erkennbar alternativ auf eine angemessene Berufserfahrung als Grundlage einer Fortbildung ab (vgl hierzu BSGE 40, 234 = SozR 4100 § 47 Nr 14 sowie BSGE 44, 173 = SozR 4100 § 44 Nr 14). Nach § 77 Abs 2 SGB III wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses anerkannt, wenn sie
1. nicht über einen Berufsabschluss verfügen, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist, oder
2. über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch auf Grund einer mehr als sechs Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können.
§ 77 Abs 3 SGB III bestimmt, dass Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss, die noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen sind, nur gefördert werden können, wenn eine berufliche Ausbildung oder eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend darüber befunden werden, inwieweit bei der Klägerin, die offensichtlich über keinen Berufsabschluss verfügt, eine dreijährige berufliche Tätigkeit iS des § 77 Abs 3 SGB III vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so kann sie nach den §§ 77 ff SGB III nur gefördert werden, wenn eine berufliche Ausbildung aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Allerdings könnten insofern Besonderheiten gelten, wenn die Klägerin – was das LSG ebenfalls bislang offen gelassen hat – Behinderte (bzw behinderter Mensch) iS des § 97 SGB III gewesen wäre.
2. Nach § 97 SGB III in der hier im Jahre 2000 maßgebenden Fassung des AFRG (aaO) können Behinderten Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre berufliche Eingliederung zu sichern. Nach § 19 Abs 1 SGB III (ebenfalls idF des AFRG) war der Begriff des Behinderten definiert als körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigte Personen, deren Aussichten, beruflich eingegliedert zu werden oder bleiben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert waren und die deshalb Hilfen zur beruflichen Eingliederung benötigten (vgl hierzu Oppermann in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 5 RdNr 31 ff).
Die Beteiligten stritten im Verwaltungsverfahren und auch im Gerichtsverfahren vorrangig darum, ob die Klägerin Behinderte iS des § 97 SGB III war. Dies war möglicherweise deshalb rechtserheblich, weil der Klägerin ggf nur dann die Leistungen zur beruflichen Eingliederung iS des § 98 SGB III (aF) zustanden. Hinsichtlich der sog allgemeinen Leistungen, zu denen gemäß § 100 Nr 6 SGB III auch die Förderung der beruflichen Weiterbildung zählte, regelte § 101 SGB III Besonderheiten gegenüber den allgemeinen Leistungen. Hiernach konnte gemäß § 101 Abs 3 SGB III eine berufliche Weiterbildung auch dann gefördert werden, wenn der Behinderte 1. nicht arbeitslos ist, 2. als Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen ist oder 3. einer längeren Förderung als Nichtbehinderte oder der erneuten Förderung bedarf, um beruflich eingegliedert zu werden oder zu bleiben. Die Voraussetzungen des § 101 Abs 3 Nr 2 SGB III könnten im vorliegenden Fall deshalb streitentscheidend sein, weil die Klägerin über keinen Berufsabschluss verfügte. § 77 Abs 3 SGB III schränkt insofern die Förderungsmöglichkeit der beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss ein. Diese Einschränkung wird durch § 101 Abs 3 Nr 2 SGB III für Behinderte wieder aufgehoben. Ob hierdurch im Bereich der Förderung Behinderter die objektive Einordnung einer Maßnahme als Ausbildung oder Weiterbildung gänzlich aufgehoben oder verwischt werden soll (so wohl Keller in PK-SGB III, § 101 RdNr 8 ff; differenzierend Lauterbach in Gagel, SGB III, § 101 RdNr 18, Stand März 2002), braucht hier noch nicht entschieden zu werden. Von daher wird das LSG zunächst zu ermitteln und sodann auch zu entscheiden haben, ob die Klägerin Behinderte iS des § 97 SGB III war. Ist dies nicht der Fall, könnte der Anspruch auf Förderung schon wegen § 77 Abs 3 SGB III scheitern. Ist die Klägerin Behinderte und handelte es sich um eine rein schulische Ausbildung, so könnte ggf auch noch § 102 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III (ebenfalls idF des AFRG, aaO) zu prüfen sein.
Kam eine Förderung der beruflichen Weiterbildung entweder direkt über §§ 77 ff SGB III oder gemäß § 100 Nr 6 iVm §§ 77 ff SGB III in Betracht, so sind des Weiteren die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 77 Abs 1 SGB III (iVm § 422 SGB III) zu überprüfen. Arbeitnehmer können hiernach bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durch Leistung von Uhg und Übernahme von Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,
2. die Vorbeschäftigungszeit erfüllt ist,
3. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch das Arbeitsamt erfolgt ist und das Arbeitsamt der Teilnahme zugestimmt hat und
4. die Maßnahme für die Weiterbildungsförderung durch das Arbeitsamt anerkannt ist
(zur Prüfung dieser Voraussetzungen im Einzelnen vgl das Urteil des Senats BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 1; nach § 80 SGB III können auch Arbeitnehmer, die die Vorbeschäftigungszeit gemäß § 77 Abs 1 Nr 2 SGB III nicht erfüllen, jedenfalls durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden).
Das LSG hat zu den Voraussetzungen nach § 77 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB III keine Aussagen getroffen. Es wird daher im Einzelnen noch prüfen müssen, ob die Voraussetzungen gemäß § 77 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB III vorgelegen haben.
3. Das LSG hat hingegen festgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 77 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB III nicht vorlagen. Die Beklagte hat vor Beginn der Teilnahme der Maßnahme nicht zugestimmt und sie hat die Maßnahme für die Weiterbildungsförderung auch nicht anerkannt. Dem LSG kann allerdings nicht gefolgt werden, soweit es davon ausgeht, dass diese beiden Tatbestandsmerkmale nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden können. Der Senat hat zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zuletzt in seinen Urteilen zum Lohnsteuerklassenwechsel vom 1. April 2004 (B 7 AL 52/03 R, BSGE 92, 267, 279 ff, RdNr 30 ff) im Einzelnen dargestellt, wann ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch im Arbeitsförderungsrecht entstehen kann. Dieser Anspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht (a), insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 SGB I), verletzt hat (b). Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang (c) besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (d). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf (e) dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (BSGE 92, 267, 279 ff, RdNr 30 ff; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 37 mwN).
Das LSG hat, ohne die Voraussetzungen (a) bis (c) im Einzelnen zu prüfen, lediglich entschieden, dass eine Korrektur der fehlenden “institutionellen Vorprüfung” der Maßnahme iS des § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht möglich sei. Die vom LSG zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen früheren Entscheidungen des BSG (BSG SozR 3-4460 § 10 Nr 2 und BSG SozR 3-4100 § 34 Nr 4) rechtfertigen eine so weit gehende rechtliche Schlussfolgerung jedoch nicht. In den beiden genannten Entscheidungen stand – was auch die Revision zutreffend gerügt hat – der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht im Raum. Vielmehr behandeln diese Entscheidungen Fragen der gerichtlichen Kontrolldichte (Beurteilungsspielraum; vgl BSG SozR 3-4460 § 10 Nr 2) bzw der Bindungswirkung einer Ablehnung gegenüber dem Maßnahmeträger auch gegenüber dem Förderungswilligen (BSG SozR 3-4100 § 34 Nr 4). Demgegenüber hat der Senat in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2003 (SozR 4-4300 § 77 Nr 1 RdNr 38) bereits ausdrücklich die Möglichkeit bejaht, dass die Tatbestandsmerkmale einer fehlenden vorherigen Zustimmung des Arbeitsamts und der Beratung durch das Arbeitsamt im Rahmen des § 77 Abs 1 SGB III im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden können. Dies gilt – jedenfalls für die hier maßgebliche Rechtslage – auch für § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III. Die dort geforderte Anerkennung der Maßnahme durch das Arbeitsamt hat wie die Zustimmung (§ 77 Abs 1 Nr 3 SGB III) vor deren Beginn zu erfolgen. Ob daneben auch die Möglichkeit einer Inzidentprüfung der Anerkennungsfähigkeit auf den Antrag des Förderungswilligen hin in Betracht kommt, die bei Fehlerhaftigkeit auch ohne Rückgriff auf den Herstellungsanspruch ersetzbar wäre, kann hier offen bleiben. Nach der bis zum Jahre 2002 geltenden Rechtslage oblag jedenfalls die Prüfung, ob die Maßnahme und der Träger für die Förderung zugelassen sind, ausschließlich der Beklagten selbst. Zumindest über den Antrag des Trägers auf Anerkennung einer Maßnahme hatte das Arbeitsamt nach seinerzeitiger Rechtslage durch Verwaltungsakt zu entscheiden (vgl BSG SozR 4-4300 § 86 Nr 1). Bei der Korrektur eines Verwaltungsfehlers wäre es also nicht darum gegangen, in die Zuständigkeit einer fremden Stelle einzugreifen oder die Beklagte zu einem Handeln außerhalb ihrer Zuständigkeit zu verurteilen. Dies mag nach der neuen, ab 1. Januar 2003 geltenden Rechtslage unter Umständen anders sein, da insofern gemäß § 85 SGB III die Maßnahmeträger von einer fachkundigen Stelle zugelassen (zertifiziert) werden (vgl hierzu die Verordnung über das Verfahren zur Anerkennung von fachkundigen Stellen sowie zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach dem SGB III ≪Anerkennungs- und Zulassungsverordnung – Weiterbildung – AZWV≫ vom 16. Juni 2004 ≪BGBl I, 1100≫).
Darüber hinaus hat der Senat zuletzt (BSGE 92, 267, 280 f, RdNr 36 ff) betont, dass für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht primär entscheidend ist, ob es sich bei der herzustellenden Handlung um eine “Tathandlung” handele. Entscheidend abzustellen ist vielmehr darauf, welche Funktion der zu ersetzenden Handlung im Rahmen des Gesetzeszwecks zukommt (vgl hierzu für die Arbeitslosmeldung Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, § 122 RdNr 53 ff mwN, Stand August 2004). Insofern räumt selbst die Beklagte ein, dass die Funktion der Überprüfung der Voraussetzungen beim Träger der Maßnahme und deren Zweckmäßigkeit bzw Geeignetheit für die individuelle Förderung des Teilnehmers in engem Maße miteinander verknüpft sind. Insofern kann es auch nicht Sinn und Zweck des § 77 Abs 1 SGB III widersprechen, wenn dessen Tatbestandsmerkmale, deren Verwirklichung die Beklagte rechtlich selbst in der Hand hat, im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Prinzip ersetzbar sind.
Allerdings wird das LSG hierbei noch die weiteren Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Einzelnen zu prüfen und zu ermitteln haben. Ein solcher könnte hier dann gegeben sein, wenn die Beklagte gegenüber der Klägerin die Leistung gemäß § 77 SGB III zu Unrecht abgelehnt hätte. Die vorherige Anerkennung der Maßnahme im Einzelfall iS des § 77 Abs 1 Nr 4 SGB III ist jedenfalls ersetzbar, wenn die Voraussetzungen für eine solche Anerkennung vorlagen. Das LSG wird deshalb ggf zu prüfen haben, ob die Beklagte die Maßnahme hätte anerkennen müssen.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1366955 |
SozR 4-4300 § 77, Nr. 2 |
Weiterbildung 2006, 52 |
info-also 2006, 24 |