Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrags(zahn)ärztliche Versorgung. Gesamtvergütung. Anspruch einer Krankenkasse auf teilweise Erstattung nur bei Nichtigkeit der zugrunde liegenden Vergütungsregelung. Voraussetzung eines qualifizierten Rechtsverstoßes. offensichtliche Missachtung eines eindeutigen strikt-verbindlichen Verbots. kein Rechtsverstoß bei verschiedenen Auslegungen der Rechtsgrundlage der Vergütungsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch einer Krankenkasse auf teilweise Erstattung der gezahlten Gesamtvergütung kann nur bei Nichtigkeit der zugrunde liegenden Vergütungsregelung bestehen. Dies setzt einen qualifizierten Rechtsverstoß voraus, dh die offensichtliche Missachtung eines eindeutigen strikt-verbindlichen Verbots (stRspr des Senats).
2. Ein qualifizierter Rechtsverstoß ist nicht gegeben, wenn verschiedene Auslegungen der Rechtsgrundlage der Vergütungsvereinbarung in Betracht kommen.
Normenkette
SGB 5 § 71 Abs. 2-3, § 83 Abs. 1 S. 1, § 85 Abs. 2-3; ArztWohnortG Art. 2 § 1 S. 1 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 2010 geändert; die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Februar 2007 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen
Tatbestand
Die klagende Betriebskrankenkasse (BKK) mit Sitz in Baden-Württemberg begehrt von der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) Bayerns eine Erstattungszahlung wegen überzahlter Gesamtvergütung im Jahr 2003.
Die Klägerin zahlte im Jahr 2003 für zahnärztliche Honorare Gesamtvergütungsbeträge in Höhe von ca 15,6 Mio Euro an die beklagte KZÄV Bayerns, berechnet nach der Honorarvereinbarung, die diese am 21.11.2002 mit dem beigeladenen BKK-Landesverband Bayern abgeschlossen hatte. Mit Schreiben vom 28.10.2004 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, sie habe ca 2,6 Mio Euro zu viel bezahlt: Das Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (WOrtPrG vom 11.12.2001, BGBl I 3526) sei in der für sie geltenden Honorarvereinbarung hinsichtlich des Jahres 2003 nicht korrekt umgesetzt worden. In dieser Vereinbarung sei ein zu hoher Durchschnittsbeitrag zugrunde gelegt worden; er sei auf der Grundlage der Beträge, die rechnerisch je Mitglied der Bayerischen BKKn für die zahnärztliche Versorgung aufgewandt worden sind, und nicht - wie im WOrtPrG angelegt - bundesweit ermittelt worden. Sie habe danach 2,6 Mio Euro zu viel gezahlt und Anspruch auf deren Rückerstattung.
Die Beklagte lehnte den geforderten Budgetausgleich ab. Die von der Klägerin eingeschaltete Landes-Aufsichtsbehörde (Bayerisches Staatministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen) sah keinen Anlass zum Einschreiten, weil kein klarer Rechtsverstoß vorliege; die Selbstverwaltung habe mit dem Inhalt der Vereinbarung den ihr eingeräumten Bewertungsspielraum nicht erkennbar überschritten. Das Bundesversicherungsamt führte aus, dass bei der Umsetzung des WOrtPrG in Bayern zwar Rechtsverstöße erfolgt seien, es aber in Landesangelegenheiten keine Befugnis zu Maßnahmen habe, sodass die Klägerin den Rechtsweg beschreiten müsse.
Das SG hat die von der Klägerin erhobene Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 14.2.2007): Die zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen abgeschlossene Vereinbarung sei auch für die Klägerin verbindlich; Nichtigkeitsgründe seien nicht ersichtlich. Die Vereinbarung sei im Gegenteil rechtmäßig. Darin sei der Pro-Kopf-Betrag, der in früheren Jahren für die bayerischen BKKn gegolten habe, fortgeschrieben worden.
Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin unter Änderung des Urteils des SG festgestellt, dass die Vergütungsvereinbarung hinsichtlich der Regelung für das Jahr 2003 nichtig ist; es hat die (weitergehende) Zahlungsklage der Klägerin aber abgewiesen (Urteil vom 15.12.2010). Ein Zahlungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu; vielmehr müssten zunächst die Vertragspartner eine Neuregelung treffen, der vorzugreifen Treu und Glauben widerspräche. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vereinbarung ergebe sich daraus, dass die Vertragspartner bei der Anwendung des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG nicht einen Durchschnittswert, der nur auf der Grundlage der Bayerischen BKK-Mitglieder errechnet werde, hätten zugrunde legen dürfen. Darin liege ein sog qualifizierter Rechtsverstoß, der zur Teilnichtigkeit führe.
Klägerin und Beklagte haben Revision eingelegt. Die Beklagte erstrebt die Wiederherstellung des SG-Urteils; die Klägerin begehrt über den Feststellungsausspruch hinaus die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung.
Die Beklagte - deren Ausführungen sich der Beigeladene anschließt - macht geltend, das LSG hätte der Berufung der Klägerin nicht - auch nicht teilweise - stattgeben dürfen. Wegen der Bindungswirkung, die gemäß der BSG-Rechtsprechung der von ihr mit dem beigeladenen Landesverband geschlossenen Honorarvereinbarung zukomme, müsse die Klägerin eine Gesamtvergütung in der vereinbarten Höhe entrichten. Die verbindliche Wirkung der Honorarvereinbarung entfalle nur bei (Teil-)Nichtigkeit, wofür ein sog qualifizierter Rechtsverstoß vorliegen müsste. Ein derartiger Rechtsverstoß sei nur gegeben bei offensichtlicher Missachtung solcher gesetzlichen Vorschriften, die ein eindeutiges, aus sich heraus verständliches gesetzliches Verbot enthielten und für alle Vertragspartner strikt-verbindlich seien. Art 2 § 1 Abs 1 WOrtPrG sei aber eine reine Rechenvorschrift, deren etwaige Missachtung keinen qualifizierten Rechtsverstoß begründe. Zudem gelte Art 2 aaO hier nicht; die Vorschrift sei nämlich nur auf Gesamtvergütungsvereinbarungen anwendbar, denen Kopfpauschalen zugrunde lägen, hingegen nicht auf Vereinbarungen, die an Einzelleistungen ausgerichtet seien, auch wenn dabei eine Gesamtvergütungsobergrenze gelte, wie es in der vertragszahnärztlichen Versorgung verbreitet sei. Im Übrigen hätten die Vertragspartner bei Regelungen der Selbstverwaltung regelmäßig einen Gestaltungsspielraum. Hierauf gestützt habe das BSG Abweichungen von Art 2 § 1 Abs 1 WOrtPrG im Sinne eines "Aufsattelns" und eines Überschreitens der Veränderungsrate als unschädlich erachtet. Weiterhin habe es darauf hingewiesen, dass mit den Regelungen des WOrtPrG keine Absenkungen des Ausgangsbetrags beabsichtigt gewesen seien; deshalb dürfe eine Vereinbarung das Vergütungsniveau der Vorjahre fortschreiben und um dieses Ziels willen über die Vorgaben des Art 2 § 1 Abs 1 WOrtPrG hinausgehende, zusätzliche oder modifizierende Regelungen treffen. Dadurch entstehende Abweichungen vom Prinzip der Vorjahresanknüpfung und vom Grundsatz der Beitragssatzstabilität, von dem schon das Gesetz zahlreiche Ausnahmen vorsehe, ergäben keinen qualifizierten Rechtsverstoß. Ein solcher komme dementsprechend auch nicht im Zusammenhang mit Regelungen des WOrtPrG in Betracht.
Im Übrigen habe die Klägerin einen Rechtsverstoß überhaupt erst fast elf Monate nach Ablauf des Vergütungszeitraums geltend gemacht, und die Rechtswidrigkeit werde auch nur von zwei der 151 betroffenen Krankenkassen (KKn) behauptet; das stehe der Annahme eines qualifizierten Rechtsverstoßes ebenso entgegen wie die Stellungnahme der Landes-Aufsichtsbehörde. Schließlich sei das Begehren der Klägerin nicht gegen den richtigen Beklagten gerichtet. Richtigerweise hätte sie sich gegen den Beigeladenen wenden müssen, der mit Wirkung für sie die Honorarvereinbarung abgeschlossen habe.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15.12.2010 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.2.2007 insgesamt zurückzuweisen,
sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15.12.2010 insoweit, als es ihren Hauptantrag auf Leistung abgewiesen hat, und das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.2.2007 in vollem Umfang aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - 2 626 827,11 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin macht geltend, das LSG hätte nicht nur ihrem Feststellungsantrag, sondern weitergehend ihrer Zahlungsklage stattgeben müssen. Dieses Begehren sei ihr nicht durch die Bindungswirkung der Honorarvereinbarung vom 21.11.2002 verwehrt, denn diese sei entgegen der Ansicht der Beklagten teilweise nichtig. Das BSG erkenne - für den Fall der Nichtigkeit - direkte Ansprüche einzelner KKn gegen die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) bzw KZÄV an, die in Überzahlungsfällen wie hier ihre Rechtsgrundlage in § 61 SGB X iVm § 812 BGB fänden. Die Nichtigkeit der Honorarvereinbarung hinsichtlich des Jahres 2003 folge daraus, dass ein zu hoher Durchschnittsbeitrag - auf der Grundlage nur der Beträge, die rechnerisch je Mitglied der Bayerischen BKKn für die zahnärztliche Versorgung aufgewandt worden sind, und nicht, wie im WOrtPrG angelegt, bundesweit ermittelt - zugrunde gelegt worden sei. In dieser Weise die Regelungen des WOrtPrG umzusetzen, sei rechtswidrig. Ein Gestaltungsspielraum bestehe nicht; es handele sich um zwingende Regelungen. Hierfür spreche auch die Entstehungsgeschichte des WOrtPrG. Das Anliegen des Gesetzgebers sei eine Umsetzung des Wohnortprinzips ohne zusätzliche Leistungsausgaben für die KKn und mit nur regionaler Umverteilung gewesen. Dies impliziere, dass es Gewinner und Verlierer gebe, dass nämlich einer K(Z)ÄV neue Gesamtvergütungsanteile zuwüchsen und anderen K(Z)ÄVen bisherige Anteile entzogen würden. Wegen des Ziels der Vermeidung zusätzlicher Ausgaben sei eine Erhöhung der Gesamtvergütung um 20,8 % untragbar. Die Beklagte habe indessen mehrfach betont, dass eine korrekte Umsetzung der Übergangsvorschrift bei ihr zu Honorarverlusten in beträchtlicher Höhe geführt haben würde; deshalb habe sie, wie auch zahlreiche andere K(Z)ÄVen, fragwürdige Honorarvereinbarungen abgeschlossen. Die Aufdeckung solcher Fälle sei nur in wenigen Fällen gelungen. Die Aufsichtsbehörden griffen, wie sie habe erfahren müssen, nicht ein - möglicherweise auf Grund ihrer Einbindung in die Interessen der vor Ort tätigen Ärzte, Zahnärzte, KÄV und KZÄV -. Deshalb müssten die Gerichte Rechtsschutz gewähren. Vor diesem Hintergrund sei die vom LSG getroffene bloße Feststellung nicht ausreichend. Das LSG hätte weitergehend der von ihr - der Klägerin - erhobenen Zahlungsklage stattgeben müssen. Der Verweis des LSG darauf, die Vertragspartner müssten zunächst eine neue Regelung vereinbaren, und deshalb müsse sich das Gericht auf einen Feststellungsausspruch beschränken, überzeuge nicht. Für eine Neuregelung bestehe angesichts der zwingenden Vorgaben des WOrtPrG kein Spielraum.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg; diejenige der Klägerin ist zurückzuweisen. Das LSG hätte den Leistungs- und auch den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag der Klägerin abweisen und die Berufung der Klägerin gegen das SG-Urteil zurückweisen müssen. Die KKn sind grundsätzlich an die Honorarvorgaben gebunden, die die für den Ort der Leistungserbringung zuständigen KK-Verbände vereinbaren (unten 3. a); Ausnahmen können nur in Betracht kommen, soweit ein Vertrag nichtig ist (unten 3. b). Dies ist hier nicht der Fall (unten 4.).
1. Die Klägerin hat ihr Begehren auf Zahlung von ca 2,6 Mio Euro zu Recht gegen die Beklagte gerichtet. Eine Zahlungsklage ist richtigerweise stets gegen denjenigen zu richten, der die Zahlung leisten soll. Die Klägerin will Teile der Gesamtvergütung, die sie an die Beklagte entrichtete, zurückerstattet erhalten. Für diesen Anspruch ist die Beklagte als Zahlungsempfängerin passiv legitimiert.
Ob die Klägerin die von ihr angenommene (Teil-)Nichtigkeit des Gesamtvertrags für 2003 auch zum Gegenstand einer Feststellungsklage gegen den vertragschließenden beigeladenen Landesverband machen könnte, bedarf keiner Entscheidung. Eine Verpflichtung zu einer vorrangigen Inanspruchnahme des Verbandes besteht jedenfalls nicht, und als Beigeladener ist er an die Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Entscheidung gebunden (§ 141 Abs 1 Nr 1 iVm § 69 Nr 3 SGG).
2. Für das Begehren der Klägerin kommt als Anspruchsgrundlage der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht: Ist eine Leistung gewährt worden, stellt sich aber die ihr zugrunde liegende Rechtsvorschrift (hier: der Gesamtvertrag) als nichtig heraus, so kann das, was auf ihrer Grundlage geleistet worden ist, aus dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung des Empfängers von diesem zurückgefordert oder Wertersatz beansprucht werden (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch - in Anlehnung an § 812 Abs 1, § 818 Abs 2 BGB - vgl im vorliegenden Zusammenhang BSGE 95, 141 RdNr 22 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 30).
Ein solcher Fall des Wegfalls des Rechtsgrundes für eine Leistung mit der Folge eines Erstattungsanspruchs liegt hier indessen nicht vor.
3. Gesamtverträge, die von einem KKn-Landesverband abgeschlossen werden, binden grundsätzlich die beteiligten KKn (unten a). Ausnahmen kommen nur insoweit in Betracht, als ein Vertrag ganz oder teilweise nichtig ist (unten b).
a) Vereinbarungen über die vertrags(zahn)ärztlichen Gesamtvergütungen zwischen Landesverbänden der KKn und K(Z)ÄVen binden grundsätzlich alle KKn, für die ihr Verband handelt. Das waren unter Geltung des sog Kassensitzprinzips die Mitgliedskassen (vgl BSG vom 28.9.2005 - BSGE 95, 141 RdNr 10 ff = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 18 ff) und sind nach der Umstellung des Vergütungssystems alle KKn einer Kassenart, deren Versicherte von Mitgliedern der vertragschließenden K(Z)ÄV behandelt werden (BSG vom 17.10.2007 - SozR 4-2500 § 83 Nr 4 RdNr 2, 18, 29; BSG vom 5.11.2008 - SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 12 f).
Die Klägerin stellt auf dieser rechtlichen Grundlage ihre prinzipielle Bindung an den zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen für 2003 geschlossenen Gesamtvergütungsvertrag nicht in Frage. Sie ist aber der Auffassung, diese Vereinbarung sei nichtig und deshalb entfalle die Bindung. Dies trifft indessen nicht zu.
b) Wie der Senat weiter ausgeführt hat, können mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Gesamtvergütungssystems Ausnahmen von der Bindung der einzelnen KKn an die Vertragsabschlüsse der KK-Verbände nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Der erkennende Senat hat dies dementsprechend nur für den Fall der Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit von Gesamtverträgen erwogen (zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 13 mwN). Er hat dies weiterhin dahin eingegrenzt, dass ein qualifizierter Gesetzesverstoß in dem Sinne gegeben sein muss, dass eine offensichtliche Missachtung eines eindeutigen, aus sich heraus verständlichen gesetzlichen und für alle Vertragspartner strikt-verbindlichen Verbots vorliegt (so besonders deutlich BSG 14.12.2011 - B 6 KA 56/11 B - RdNr 6 f iS einer Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung: BSGE 95, 141 RdNr 16 f = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 24 f; BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 4 RdNr 19; BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 14 f).
4. Eine derartige Konstellation, in der eine (Teil-)Nichtigkeit in Betracht kommen könnte, ist vorliegend nicht gegeben, sodass weiterhin dahinstehen kann, ob insoweit eine Ausnahme von der grundsätzlichen Bindung der Einzel-KKn an die von ihren Landesverbänden abgeschlossenen Verträge begründet wäre. Der hier zu beurteilende Vertrag ist nicht nichtig; nicht einmal kann eindeutig - entgegen der Auffassung des LSG - seine Rechtswidrigkeit festgestellt werden:
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Ob der Gesamtvertrag, den der beigeladene BKK-Landesverband und die beklagte KZÄV für 2003 miteinander vereinbarten, mit Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG übereinstimmt, hängt davon ab, worauf der in dieser Bestimmung enthaltene Passus "Zahl der Mitglieder der Krankenkasse" zu beziehen ist. In Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 WOrtPrG ist bestimmt: |
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Der Ausgangsbetrag für die für das Jahr 2002 erstmalig nach dem Wohnortprinzip gemäß § 83 Abs 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zu vereinbarenden Gesamtvergütungen ergibt sich jeweils durch Multiplikation folgender Faktoren: |
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des Betrags, der sich bei einer Teilung der für das Jahr 2001 geltenden Gesamtvergütung durch die Zahl der Mitglieder der Krankenkasse ergibt, |
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2. |
der Zahl der Mitglieder der Krankenkasse mit Wohnort im Bezirk der vertragschließenden Kassenärztlichen Vereinigung. |
a) Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG ist für den Gesamtvertrag zwischen der Beklagten und dem beigeladenen KKn-Landesverband maßgebend. Die hiergegen von der Beklagten vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.
Daraus, dass die von der Beklagten vereinbarten Gesamtvergütungen - wie sie geltend macht - nicht nach Kopfpauschalen berechnet werden, sondern an Einzelleistungshonoraren orientiert sind und nur ergänzend auch eine Gesamtvergütungsobergrenze enthalten, folgt nicht die Unanwendbarkeit des Art 2 § 1 WOrtPrG. Mit einer derartigen Ausnahme von der Übergangsbestimmung zum WOrtPrG würden weite Bereiche der vertragszahnärztlichen Versorgung von dem WOrtPrG ausgenommen; denn solche Gesamtvergütungsvereinbarungen waren und sind im vertragszahnärztlichen Bereich verbreitet. Indessen lautet die Überschrift des Gesetzes "Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte". Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber den zahnärztlichen Bereich gleichermaßen erfassen wollte.
Für eine Herausnahme der Bereiche mit Gesamtvergütungen in Orientierung an Einzelleistungsvergütungen kann auch nicht § 85 Abs 2 SGB V angeführt werden, nach dem die Gesamtvergütungen wahlweise nach Einzelleistungen, nach Kopfpauschalen oder nach Fallpauschalen oder nach einer anderen Berechnungsart oder nach einem Mischsystem berechnet werden (vgl § 85 Abs 2 Satz 2 SGB V). Mit dieser Gestaltungsfreiheit ist den Vertragspartnern nicht das Recht eingeräumt worden, die Anwendbarkeit der Regelung des Art 2 § 1 Abs 1 WOrtPrG auszuschließen. Darin läge dann zugleich eine Disposition über die Reichweite der befreienden Wirkung der Zahlung der von den KKn-Verbänden vereinbarten Gesamtvergütungen. Damit stünde die durchgängige Geltung der Regelung des § 85 Abs 1 SGB V über die befreiende Wirkung der Zahlung der Gesamtvergütungen in Frage. Eine so weitreichende Einräumung von Dispositionsfreiheit kann dem Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG nicht entnommen werden; mit dem WOrtPrG sollte lediglich die Umsetzung des Wohnortprinzips in den Übergangsjahren 2002/2003 konkretisiert werden.
Die Regelung des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG kann ferner nicht als bloße Ordnungsvorschrift qualifiziert werden, deren Nichtbeachtung deshalb unerheblich sei. Die Regelung steht im Kontext mit der Grundregel des § 85 Abs 1 SGB V. Schon dies schließt die Annahme ihrer Unverbindlichkeit aus.
b) Der Wortlaut des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG spricht weder eindeutig für die Zulässigkeit noch eindeutig gegen die Zulässigkeit einer gesamtvertraglichen Regelung, wie die Beklagte und der beigeladene KKn-Landesverband sie für 2003 vereinbart haben, die das Honorarniveau der bayerischen BKKn auf alle BKKn - auch auf diejenigen mit Sitz außerhalb Bayerns - erstreckt. Der Wortlaut des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG stellt nur auf "die Zahl der Mitglieder der Krankenkasse" ab. Mit der Regelung in Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG könnten möglicherweise die Mitglieder dieser KK im Basisjahr 2001 mit Wohnsitz im Bezirk der vertragschließenden K(Z)ÄV - wie in Nr 2 der Vorschrift - gemeint sein, oder der Passus könnte auf diejenigen Mitglieder der KK ausgerichtet sein, die am Sitz der KK versichert sind - so scheint die Klägerin die 2,6 Mio Euro errechnet zu haben -, oder es ist ein bundesweiter Durchschnittsbeitrag zu ermitteln. Welche dieser Auslegungen zutreffend ist, ist aus dem Wortlaut allein nicht zu beantworten, sodass weitere Gesichtspunkte wie die Entstehungsgeschichte, die Systematik des Gesetzes, die Zielsetzung des Gesetzgebers und die Praktikabilität der Umsetzung des WOrtPrG einzubeziehen sind.
Eine systematische Auslegung kann an dem Unterschied zwischen der Nr 1 des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 WOrtPrG im Vergleich zu dessen Nr 2 ansetzen. In dieser Nr 2 wird ausdrücklich auf die KK-Mitglieder "mit Wohnort im Bezirk der vertragschließenden Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung" abgestellt. Dies kann möglicherweise einen Rückschluss auf Nr 1 in dem Sinne nahelegen, dass es in Nr 1 nicht auf diesen Bezirk ankommen soll, sondern auf den bundesweiten Mitgliederbestand.
Hierfür kann auch die Entstehungsgeschichte der Regelung angeführt werden. Nach der Begründung zum Entwurf des WOrtPrG sollte als "Basis für die Höhe der zu vereinbarenden Gesamtvergütungen … für jede … Krankenkasse … ein bundesweiter Durchschnittsbetrag je Versicherten ermittelt" werden, "der mit der Zahl der Versicherten der Krankenkasse mit Wohnsitz in der jeweiligen Vertragsregion multipliziert wird" (BT-Drucks 14/5960 S 6).
Sinn und Zweck der Regelung sind ebenso wenig eindeutig wie der Wortlaut. Die Verlautbarungen zum Sinn und Zweck des Gesetzes gehen zum einen dahin, K(Z)ÄV-übergreifend solle ein Ausgleich herbeigeführt werden. Diesem Ziel entspräche es nicht, das höhere Niveau in einigen, insbesondere west- bzw süddeutschen K(Z)ÄV-Bereichen fortzuschreiben - indem bei Anwendung des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG ein höherer, nur landesweit errechneter Durchschnittswert zugrunde gelegt wird - und nur das geringere Niveau in anderen K(Z)ÄVen anzuheben. Damit würden der gesetzlichen Krankenversicherung zusätzliche Ausgaben erwachsen, während nach der Begründung zum Gesetzentwurf "zusätzliche Leistungsausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung nicht entstehen" sollten (BT-Drucks 14/5960 S 2, 7 = BT-Drucks 14/6410 S 2), vielmehr "nur eine andere regionale Verteilung der Gesamtvergütungen" vorgesehen war (BT-Drucks 14/5960 S 2, 7 = BT-Drucks 14/6410 S 2; ebenso Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks 14/6566 S 4, und BT, Stenographischer Bericht, 14. Wahlperiode, 167. Sitzung vom 10.5.2001, S 16393 ≪B≫ ≪Abg Fuchs≫). Die Regelung sollte "keinen Einfluss auf die Höhe des Beitragsniveaus" haben (BT-Drucks 14/5960 S 2, 7 = BT-Drucks 14/6410 S 2).
Indessen kann aus dem Sinn und Zweck der Regelung des WOrtPrG auch Anderes abgeleitet werden. Diese Regelung wird auch als Ausfluss des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität gesehen. Sie konkretisiert, wie der Senat ausgeführt hat, das Prinzip der Vorjahresanknüpfung in Bezug auf die Umstellung des Vergütungssystems vom sog Kassensitzprinzip auf das Wohnortprinzip (vgl BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 18 am Ende), und das Prinzip der Vorjahresanknüpfung ist seinerseits eine Ausprägung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (vgl hierzu BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, RdNr 14). Ist mithin Art 2 § 1 Abs 1 WOrtPrG Ausfluss des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität, so spricht das dafür, Gesamtverträge zu akzeptieren, die darauf ausgerichtet sind, das bisherige Vergütungsniveau fortzuführen und gravierende Abweichungen zu verhindern (in diesem Sinne auch BT-Drucks 14/5694 S 2: "… darf nicht zur Folge haben, dass die Mittel für die ambulante ärztliche Vergütung einer Region verringert werden").
Schließlich kann die Praktikabilität der Umsetzung des WOrtPrG dafür sprechen, die Orientierung der Nachfolgevereinbarungen an den früheren Gesamtverträgen zu akzeptieren, weil so die Schwierigkeiten bei der Umsetzung am geringsten sind. Insbesondere kann dafür auch angeführt werden, dass so innerhalb des K(Z)ÄV-Bezirks ein zumindest nach Kassenarten einheitliches Vergütungsniveau gewährleistet ist, unabhängig davon, wo die KK des behandelten Versicherten ihren Sitz hat.
Die Möglichkeiten der Konkretisierung des Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 WortPrG hat der Senat in seiner Rechtsprechung schon bisher großzügig gesehen. Er hat sowohl ein "Aufsatteln" auf den Ausgangsbetrag nach Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WOrtPrG als auch ein Überschreiten der Veränderungsrate nach § 71 Abs 2 und 3 SGB V hingenommen (BSG vom 14.12.2011 - B 6 KA 56/11 B - RdNr 6 im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 20, 24). Dies entspricht auch der Rechtsprechung zum Grundsatz der Beitragssatzstabilität, der - wie ausgeführt - durch das WOrtPrG konkretisiert wird, und zu dem der Senat bereits darauf hingewiesen hat, dass im Gesetz zahlreiche Ausnahmen normiert sind, dem die Rechtsprechung weitere hinzugefügt hat (vgl dazu BSG vom 14.12.2011 aaO RdNr 7 im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 24). Dies setzt die Rechtsprechung fort, die den Vertragspartnern bei Regelungen der Selbstverwaltung regelmäßig einen Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben zubilligt (vgl für Gesamtvergütungsvereinbarungen zB BSGE 95, 141 RdNr 17 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 25 und für Gesamtverträge auch BSG vom 27.6.2012 - B 6 KA 28/11 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Diese Vielfalt der Gesichtspunkte zeigt, dass es gewichtige Argumente sowohl für als auch gegen die Rechtmäßigkeit der vorliegend streitigen Gesamtvertragsregelung gibt. Bei diesem Befund kann jedenfalls eine offensichtliche Missachtung eines eindeutigen, aus sich heraus verständlichen gesetzlichen und für alle Vertragspartner strikt-verbindlichen Verbots (zu dieser Formel vgl oben 3. b mit BSG-Angaben) nicht festgestellt werden.
5. Liegt mithin kein qualifizierter Gesetzesverstoß vor, so kann weder die vom LSG getroffene Feststellung der Nichtigkeit der Gesamtvergütungsvereinbarung aufrechterhalten werden noch kann der Klägerin ein Zahlungsanspruch zuerkannt werden. Damit entfällt auch die Grundlage für das Begehren der Klägerin auf Zinszahlungen (zum Anspruch auf Prozesszinsen im Gesamtvergütungsstreit vgl zuletzt BSG vom 27.6.2012 - B 6 KA 65/11 B - RdNr 8 am Ende und 13, jeweils mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs 1, 2 VwGO), einschließlich der Kosten des Beigeladenen, weil dieser sich am Verfahren beteiligt und auch einen Sachantrag gestellt hat (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Fundstellen
Haufe-Index 3291433 |
FA 2013, 128 |
WzS 2012, 317 |
MedR 2013, 455 |
SGb 2012, 463 |