Leitsatz (amtlich)
1. Beim Zuzug zum Verlobten besteht für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ein wichtiger Grund iS des Ausschlusses einer Sperrzeit (§ 119 Abs 1 AFG) nur, wenn die Aufgabe zum gewählten Zeitpunkt notwendig war, um ab dem beabsichtigten Heiratstermin die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen.
2. Eine in die Zeit der Ehe hineinreichende Sperrzeit bedeutet für den Arbeitslosen eine besondere Härte iS des § 119 Abs 2 AFG.
Orientierungssatz
Zuzug zum Verlobten – Sperrzeit – wichtiger Grund:*
1. Im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG ist nur die Lebensgemeinschaft mit dem Ehegatten und nicht die Herstellung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft als wichtiger Grund anzusehen (vgl BSG vom 12.11.1981 7 RAr 21/81 = BSGE 52, 276 = SozR 4100 § 119 Nr 17), auch wenn diese einen langjährigen Bestand – hier von drei Jahren – hatte (vgl BSG vom 20.10.1988 7 RAr 37/87). Das gilt auch, wenn eine spätere Ehe beabsichtigt ist.
2. Das Grundrecht des Art 6 GG schützt zwar nicht nur die schon geschlossene Ehe, sondern gewährleistet auch den ungehinderten Zugang zur Ehe und die Freiheit zur Eheschließung. Davon werden aber nur Handlungen betroffen, die vor der Eheschließung notwendig sind, um die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ab dem Zeitpunkt der Eheschließung zu sichern.
3. Bis zum Tage der Eheschließung ist eine doppelte Haushaltsführung stets zuzumuten. Der Art 6 GG gebietet es nicht, Verlobte schon für Zeiten vor der Eheschließung wie Eheleute zu behandeln, um die wirtschaftliche Grundlage der späteren Ehe zu erleichtern.
4. Der Annahme einer besonderen Härte steht nicht entgegen, daß der Arbeitslose der Bundesanstalt für Arbeit nicht bereits bei Ausspruch der Kündigung einen Vermittlungsauftrag erteilt hat.
Normenkette
AFG § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1981-12-22, Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.05.1987; Aktenzeichen L 5 Ar 939/85) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 27.02.1985; Aktenzeichen S 1 Ar 3748/84) |
Tatbestand
Streitig ist eine von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) festgestellte Sperrzeit im Bezug des Arbeitslosengeldes (Alg).
Die 1954 geborene Klägerin ist Mutter eines 1974 geborenen Sohnes. Ab Februar 1980 war sie als Kinderpflegerin im öffentlichen Dienst in R. beschäftigt. Sie kündigte am 14. Februar 1984 ihr Arbeitsverhältnis zum 31. März 1984 und gab zum selben Zeitpunkt ihre Wohnung auf, um in den Raum S. umzuziehen. Dort meldete sie sich am 2. April 1984 arbeitslos und gab an, daß ihr zukünftiger Ehemann, mit dem sie seit drei Jahren zusammenlebe, eine Arbeitsstelle in S. habe. Auch habe ihr Sohn wegen der schlechten Infrastruktur am bisherigen Wohnort im Ostalbkreis seine Bildungschancen nicht ausreichend wahrnehmen können. Die Klägerin hat am 25. Mai 1984 geheiratet.
Die beklagte BA bewilligte Alg ab 28. Mai 1984. Sie stellte den Eintritt einer Sperrzeit vom 1. April bis zum 26. Mai 1984 fest (Bescheid vom 8. Mai 1984; Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat den Sperrzeitbescheid aufgehoben (Urteil vom 27. Februar 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 19. Mai 1987).
Die Beklagte rügt mit der Revision Verletzung des § 119 Abs 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497), hilfsweise des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG vom 19. Mai 1987 und das Urteil des SG vom 27. Februar 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der beklagten BA waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, soweit diese den Sperrzeitbescheid auch hinsichtlich der vierwöchigen Sperrzeit vom 1. bis zum 28. April 1984 aufgehoben haben. Insoweit war die Klage abzuweisen. Hinsichtlich der weitergehenden Sperrzeit bis zum 26. Mai 1984 war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beide Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht die Klage als zulässig angesehen. Jedoch ist ihre Annahme unzutreffend, die Klägerin habe allein die Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG erhoben. Eine derart beschränkte Klage wäre unzulässig. Die Beklagte hat für die streitige Sperrzeit eine Alg-Bewilligung noch nicht ausgesprochen, sondern von vornherein Alg nur für die an die Sperrzeit anschließende Zeit bewilligt (vgl BSGE 61, 158, 160 mwN =SozR 4100 § 119 Nr 30). Wird im Sperrzeitbescheid eine für den Zeitraum der Sperrzeit bereits erfolgte Alg-Bewilligung aufgehoben, so ist richtige Klageart die reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG, da mit Aufhebung des Sperrzeitbescheides die Alg-Bewilligung wieder wirksam wird und an einer Verurteilung zur Leistung deswegen kein schutzwürdiges Interesse besteht. Wird, wie hier, im Sperrzeitbescheid Alg für die Dauer der Sperrzeit abgelehnt, ohne daß zuvor für diesen Zeitraum eine Bewilligung ausgesprochen war, so ist allein die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG zulässig. Diese hat die Klägerin auch erhoben, wie ihr Klagevorbringen, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und ihr stehe für die streitige Zeit Alg in gesetzlicher Höhe zu, erkennen läßt.
Der Senat legt die Urteile der Vorinstanzen dahin aus, daß dem Klageanspruch in vollem Umfang entsprochen werden sollte, obgleich sich das SG nach der Urteilsformel mit der Aufhebung des Sperrzeitbescheides und das LSG mit der Zurückweisung der Berufung der Beklagten begnügt hat. Der 7. Senat hat allerdings in einem derartigen Fall angenommen (BSGE 61, 158, 160), daß die Vorinstanzen über den Leistungsantrag nicht entschieden hätten, und daß diese Entscheidung mangels eines Rechtsmittels des allein belasteten Klägers in der Rechtsmittelinstanz nicht nachgeholt werden könne, so daß aufgrund der Revision der Beklagten nur über die unter diesen Umständen zulässige isolierte Anfechtungsklage zu entscheiden sei. Damit gelangt auch der 7. Senat zu dem Ergebnis, daß die Revision der Beklagten nicht schon deshalb Erfolg haben muß, weil sich die Vorinstanzen nach der Fassung der Urteilsformel mit der Aufhebung des Sperrzeitbescheides begnügt haben. Schon das schließt eine Abweichung im Sinne des § 42 SGG aus. Im übrigen ist auch nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls dann, wenn das SG in einem solchen Fall irrig die reine Anfechtungsklage als die richtige Klageart angesehen und die Leistungsklage dementsprechend als unzulässig abgewiesen hat, beim Fehlen eines Rechtsmittels des Klägers nur noch die isolierte Anfechtungsklage anhängig und dann auch zulässig (so BSG Urteil vom 15. Juni 1988 - 7 RAr 3/87 -), da die Unzulässigkeit der kombinierten Anfechtungsklage rechtskräftig feststeht, so daß der Kläger auf diese nicht verwiesen werden darf.
Der Sperrzeitbescheid ist hinsichtlich einer vierwöchigen Sperrzeit bis zum 28. April 1984 rechtmäßig. Insoweit war die Klage abzuweisen. Maßgebend ist § 119 Abs 1 AFG idF des AFKG. Der mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des AFG und der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. Dezember 1984 (BGBl I 1713) eingefügte § 119a AFG, der die Dauer der Sperrzeit für Sperrzeiten, die in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Dezember 1989 eintreten, anderweitig regelt, ist auf die hier streitige Sperrzeit ab 1. April 1984 nicht anzuwenden.
Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG tritt eine Sperrzeit von acht Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Insoweit ist zumindest grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Lösung keine Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz hatte und er auch aufgrund der allgemeinen Verhältnisse auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt vernünftigerweise mit einem Anschlußarbeitsplatz nicht rechnen konnte (BSGE 61, 158, 161 mwN). Hierzu hat das LSG festgestellt, die Klägerin habe ihr Arbeitsverhältnis gelöst, ohne über einen Anschlußarbeitsplatz zu verfügen, und sie habe deshalb gewußt, daß sie damit arbeitslos werden würde. Damit ist festgestellt, daß bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß die Klägerin einen Anschlußarbeitsplatz würde finden können.
Das LSG hat einen wichtigen Grund für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses angenommen, da der Zuzug in die neue Wohnung mit dem Verlobten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Eheschließung erfolgt sei und der bisherige Arbeitsplatz vom neuen Wohnort aus nicht in zumutbarer Zeit zu erreichen gewesen sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Zwar sind die Eheschließung und der Zuzug zum Ehegatten im Sinne des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG ein wichtiger Grund für die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, wenn ein Arbeitsloser seine bisherige Arbeitsstelle nicht von der gemeinsamen ehelichen Wohnung aus zumutbar erreichen kann (BSGE 43, 269 = SozR 4100 § 119 Nr 2). Bei der Prüfung des wichtigen Grundes darf Eheleuten im Hinblick auf Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) nicht angesonnen werden, die eheliche Lebensgemeinschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt herzustellen, um so für die Suche eines neuen Arbeitsplatzes eine größere Zeitvorgabe zu erhalten (BSGE 43, 269 unter Aufgabe von BSGE 21, 205).
Das gilt auch, wenn der Arbeitslose die eheliche Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt der Eheschließung begründen will. Eine hierzu erforderliche Kündigung muß wegen der Dauer der Kündigungsfrist notwendigerweise vor der Eheschließung ausgesprochen werden. Auch eine solche vor der Heirat ausgesprochene Kündigung unterfällt dem Schutz des Art 6 Abs 1 GG. Dieser enthält sowohl ein klassisches Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates wie eine Institutsgarantie wie auch eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte Ehe- und Familienrecht (BVerfGE 31, 58, 67). Aus Art 6 Abs 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm ergibt sich für den Staat positiv die Aufgabe, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, negativ das Verbot, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen (BVerfGE 28, 324, 347; 55, 114, 126). Der Schutz ist nicht auf bestehende Ehen beschränkt. Wesentlicher Bestandteil ist die Eheschließungsfreiheit (BVerfGE 29, 166, 175; 31, 58, 67). Daher greift das Verbot, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen, unabhängig davon ein, ob dies durch Maßnahmen gegen bestehende Ehen geschieht oder ob die Bereitschaft zur Eheschließung gefährdet wird (BVerfGE 55, 114, 127; 28, 324, 347).
Ein wichtiger Grund für eine Kündigung zu einem vor der Eheschließung liegenden Zeitpunkt kann aber nur anerkannt werden, wenn der Arbeitgeber zu einer einverständlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere zum Zeitpunkt der beabsichtigten Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, nicht bereit ist. Der wichtige Grund muß auch den Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses decken (BSG SozR 4100 § 119 Nr 28 auf Bl 126 mwN). Es ist deshalb stets zu prüfen, ob dem Arbeitslosen die Aufgabe seiner Beschäftigung zu einem späteren Zeitpunkt zumutbar war (BSG SozR 4100 § 119 Nr 29). Dabei ist der Grundsatz zu beachten, daß ein wichtiger Grund zur Kündigung nur vorliegt, wenn der Arbeitslose erfolglos einen zumutbaren Versuch vorgenommen hat, diese durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum geplanten Eheschließungstermin zu vermeiden. Schon nach § 80 Abs 1 Satz 2 des vor dem AFG geltenden Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) stand es der unberechtigten Aufgabe einer Arbeit gleich, wenn der Arbeitslose seine Arbeitsstelle aus einem berechtigten Grunde aufgegeben hat, ohne zuvor zu dessen Beseitigung einen zumutbaren Versuch unternommen zu haben. Auch zu § 119 AFG können Umstände, bei denen ein zumutbarer Versuch ihrer Beseitigung durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber möglich ist, als wichtiger Grund nur anerkannt werden, wenn dieser Versuch unternommen wurde (Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, § 119 Anm 13 auf S 206; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Arbeitsförderungsgesetz, § 119 Anm 59; wohl auch Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, § 119 RdNr 165). Der Überlegung, ob der Versuch zu einer solchen Vereinbarung im Falle der Ablehnung eines Arbeitsangebots Aufgabe des Vermittlers ist, bzw ob dieser den Arbeitslosen auf eine solche Möglichkeit hinzuweisen hat (BSGE 51, 70, 72 ff = SozR 4100 § 119 Nr 13), liegt diese Rechtsauffassung zugrunde. Der Klägerin war ein solcher Versuch zumutbar, nicht zuletzt im Hinblick auf den erheblichen Zwischenraum zwischen der Arbeitsaufgabe zum 31. März 1984 und der beabsichtigten Eheschließung am 25. Mai 1984.
Die Klägerin wendet zu Unrecht ein, man habe ihr nicht zumuten können, die Gemeinde um die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bitten, denn bei Verweigerung der Einwilligung hätte sie vertragsbrüchig werden müssen. Hätte die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung zum 31. März 1984 um eine einvernehmliche Auflösung zum 23. Mai 1984 gebeten, so hätte sie bei deren Verweigerung immer noch die Kündigung aussprechen können. Nach den Feststellungen des LSG hat das Bürgermeisteramt auf Anfrage mitgeteilt, es hätte einem Aufhebungsvertrag zum 25. Mai 1984 zugestimmt. Die Auffassung des LSG, auf diese Möglichkeit müßte sich die Klägerin allenfalls dann verweisen lassen, wenn ihr diese bekannt gewesen wäre, verkennt, daß ein Spontanangebot des Arbeitgebers schwerlich erwartet werden kann, insbesondere wenn ihm der Zeitpunkt der beabsichtigten Eheschließung nicht bekannt ist, oder wenn der Arbeitnehmer schon vor der Eheschließung zu seinem Verlobten ziehen möchte. Es ist vorrangig Aufgabe des Versicherten, den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden.
Der Umstand, daß die Klägerin schon vor der Heirat (25. Mai 1984) am 2. April 1984 zu ihrem Verlobten ziehen wollte, ist für die Kündigung kein wichtiger Grund. Im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG ist nur die Lebensgemeinschaft mit dem Ehegatten und nicht die Herstellung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft als wichtiger Grund anzusehen (BSGE 43, 269; 52, 276), auch wenn diese einen langjährigen Bestand – hier von drei Jahren – hatte (BSG Urteil vom 20. Oktober 1988 - 7 RAr 37/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Das gilt auch, wenn eine spätere Ehe beabsichtigt ist. Das Grundrecht des Art 6 GG schützt zwar nicht nur die schon geschlossene Ehe, sondern gewährleistet auch den ungehinderten Zugang zur Ehe und die Freiheit zur Eheschließung. Davon werden aber nur Handlungen betroffen, die vor der Eheschließung notwendig sind, um die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ab dem Zeitpunkt der Eheschließung zu sichern. Für ein früheres Zusammenleben kann ebensowenig wie für ein der rechtskräftigen Scheidung folgendes weiteres Zusammenleben der besondere Schutz des Art 6 GG in Anspruch genommen werden. So wird zB dadurch, daß rechtskräftig geschiedene, aber weiterhin in Lebensgemeinschaft zusammenlebende Eheleute im Steuerrecht vom Ehegattensplitting ausgeschlossen sind, Art 6 Abs 1 GG nicht berührt (BVerfG vom 29. August 1975 - 1 BvR 243/75 - StRK EStG -ab 1958- § 26 R 31). Es steht den Verlobten in den Grenzen des Eherechts frei, den Heiratstermin vorzuverlegen. Ist eine frühere Heirat eherechtlich unzulässig, etwa wegen anderweitiger Ehebindung, so schließt gerade das es aus, für ein früheres Zusammenleben den Schutz des Art 6 GG in Anspruch zu nehmen. In einem solchen Fall ist vielmehr das „Verlöbnis” wegen der noch bestehenden Ehe des Verlobten unwirksam, wodurch Verfassungsrecht nicht verletzt wird (BVerfG vom 21. Juli 1987 NJW 1987 2807).
Das LSG bezieht in den Schutz des Art 6 GG sämtliche Maßnahmen der Partner ein, die der Verwirklichung der Ziele „Eheschließung” und „Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft” dienen. Hierzu rechnet es die Wahl des ehelichen Wohnsitzes, die Beschaffung und Einrichtung einer gemeinsamen Wohnung sowie das Recht, diese zur Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft zu beziehen. Das soll wohl auch besagen, daß den Verlobten, wenn sie eine größere gemeinsame Wohnung finden, die Fortführung einer zweiten Wohnung aus Kostengründen nicht zumutbar sei. Dem vermag der Senat jedoch nicht zuzustimmen. Bis zum Tage der Eheschließung ist eine doppelte Haushaltsführung stets zuzumuten. Der Art 6 GG gebietet es nicht, Verlobte schon für Zeiten vor der Eheschließung wie Eheleute zu behandeln, um die wirtschaftliche Grundlage der späteren Ehe zu erleichtern. Demgemäß beginnt auch im Steuerrecht im Grundsatz der Schutz der Ehe erst mit der Eheschließung. Das Grundgesetz gebietet es nicht, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bei der Höhe des Steuersatzes Ehegatten gleichzustellen (zum Erbschaftssteuerrecht BVerfG vom 1. Juni 1983 - 1 BvR 107/83 NJW 1984, 114).
Der Senat ist an seiner Entscheidung, daß die Klägerin im Hinblick auf die bevorstehende Heirat keinen wichtigen Grund zur Kündigung hatte, weil sie den zumutbaren Versuch einer einverständlichen Regelung unterließ, durch das Urteil des 7. Senats vom 20. April 1977 (BSGE 43, 269) nicht gehindert. Dort wird der Zuzug zum Verlobten als wichtiger Grund anerkannt, wenn, die Arbeitslose zur Zeit der Kündigung berechtigterweise davon ausgehen konnte, daß die Heirat bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattfinden würde (aaO S 273). Dabei kann offenbleiben, inwieweit das Erfordernis der Eheschließung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dadurch relativiert wird, daß im folgenden Satz ein Eheschließungstermin „bis etwa Anfang Mai 1974” als rechtserheblich bezeichnet wird, obgleich das Arbeitsverhältnis am 30. April 1974 endete. Auch bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte der Senat im vorliegenden Fall wegen des erheblichen zeitlichen Abstandes von Ende März bis zum 25. Mai 1984 einen wichtigen Grund verneint. Schon das schließt eine Abweichung aus. Im übrigen hat sich der 7. Senat mit der Rechtsauffassung, daß im Falle einer bevorstehenden Heirat zwischen dem vorehelichen Zusammenleben und dem ehelichen Zusammenleben zu unterscheiden und auf die Dauer der Kündigungsfrist unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer einverständlichen Aufhebung abzustellen ist, nicht erkennbar befaßt. Das gilt entsprechend, soweit im Schrifttum zum Tatbestand der bevorstehenden Heirat zwischen der rechtzeitigen Vorbereitung der ehelichen Lebensgemeinschaft und der Ermöglichung eines vorehelichen Zusammenlebens nicht unterschieden wird (vgl Gagel, AFG, § 119, RdNr 177; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl, § 119 Anm 51; GK-AFG, § 119 RdNr 77; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 119 Anm 13).
Auch unter dem Gesichtspunkt der Erziehungsgemeinschaft kann ein wichtiger Grund dafür, die gemeinsame Lebensführung auch in der streitigen Zeit vom 1. April bis zur Eheschließung fortzusetzen, nicht anerkannt werden. Es war der Klägerin schon im Hinblick auf das Alter des Kindes (10 Jahre) nicht unzumutbar, ihr Arbeitsverhältnis bis zum bevorstehenden Ehetermin fortzusetzen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob eine solche Erziehungsgemeinschaft nur für gemeinsame Kinder anzuerkennen ist.
Nach § 119 Abs 2 Satz 2 AFG idF des 7. AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) umfaßt die Sperrzeit zwei Wochen in einem Falle des Abs 1 Satz 1 Nr 1, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von vier Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte. Diese Regelung gilt nach § 242f Abs 6 AFG idF des 7. Änderungsgesetzes auch für Sperrzeiten, die vor dem 1. Januar 1986 eingetreten sind, aber erst nach dem 31. Dezember 1985 enden. Somit gilt die Vorschrift nicht für die hier streitige Sperrzeit ab 1.April 1984. Im übrigen wäre auch ihr Tatbestand nicht erfüllt, da die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis um mehr als vier Wochen verfrüht beendet hat.
Nach § 119 Abs 2 AFG umfaßt die Sperrzeit vier Wochen, wenn eine Sperrzeit von acht Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Der BA ist hier – anders als nach dem AVAVG – hinsichtlich der Dauer einer Sperrzeit kein Ermessen mehr eingeräumt; auch eine Ermächtigung der BA, selbst verbindlich über das Vorliegen eines Härtefalles zu entscheiden (Beurteilungsspielraum), kann dem § 119 Abs 2 AFG nicht entnommen werden, vielmehr hat das Gericht beim Streit über den Eintritt einer ungekürzten Sperrzeit – hier von acht Wochen – auch über die Frage der Herabsetzung – nach dem hier anzuwendenden Recht auf vier Wochen – selbständig zu entscheiden (vgl BSGE 44, 71, 81 f). Das gilt auch für das Revisionsgericht, wenn nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt eine besondere Härte gegeben ist. Das ist hier der Fall, so daß die weitergehende Revision der Beklagten zurückzuweisen war.
Nach § 119 Abs 2 Satz 1 AFG können nur die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen zu der Annahme einer besonderen Härte führen, so daß außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende Umstände grundsätzlich keine Berücksichtigung finden (BSG Urteil vom 10. Mai 1979 - 7 RAr 111/78 - SozSich 1979, 213; Urteil vom 20. März 1980 - 7 RAr 4/79 - DBl BA 2530 § 119 AFG). Hier würde die Sperrzeit von acht Wochen bei einer Gesamtwürdigung eine besondere Härte bedeuten. Einmal würde eine Sperrzeit von acht Wochen (vom 1.April bis zum 26. Mai 1984) in die Zeit nach der Eheschließung (am 25. Mai 1984) hineinragen, obgleich die Klägerin zu diesem Termin ihr Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund hätte einvernehmlich beenden dürfen. Auch war zu berücksichtigen, daß die voreheliche Lebensgemeinschaft schon langjährig bestand (vgl hierzu auch Urteil des 7. Senats vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 37/87 -) und daß der Klägerin letztlich nicht der Ausspruch der Kündigung, sondern nur das Unterlassen eines Versuchs zur einverständlichen Auflösung vorzuwerfen ist. Die Zwischenzeit bis zur Heirat zeigt, daß die Klägerin schon beim Ausspruch der Kündigung die ernsthafte Heiratsabsicht hatte und daß diese Absicht nach außen erkennbar hervorgetreten war, was in der Regel erst nach Bestellung des Aufgebots anzuerkennen ist. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde nach den Feststellungen des LSG zum 31. März 1984 fristgemäß gekündigt. Der zuvor erfolgte Hinweis des LSG auf § 53 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ist im Sinne der Feststellung zu verstehen, daß diese Vorschrift auch für das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Bürgermeisteramt maßgebend war. Dann war der nächste Termin, zu dem hätte gekündigt werden können, der 30. Juni 1984, so daß eine Kündigung zu diesem Termin für die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft am 25. Mai 1984 (dem Tag der Eheschließung) nicht ausgereicht hätte. Bei fehlender Bereitschaft des Arbeitgebers zu einem Aufhebungsvertrag hätte die Klägerin daher für ihre Kündigung einen wichtigen Grund gehabt.
Der Annahme einer besonderen Härte steht nicht entgegen, daß die Klägerin der Beklagten nicht bereits bei Ausspruch der Kündigung einen Vermittlungsauftrag erteilt hat. Insoweit wird in der Entscheidung vom 17. Juli 1964 (BSGE 21, 205, 208) zwar erörtert, es könne möglicherweise von einem Arbeitnehmer fallweise erwartet werden, daß er rechtzeitig, also bereits vor oder bei der Kündigung des alten Beschäftigungsverhältnisses, an dem gewählten neuen Aufenthaltsort sich um einen Anschlußarbeitsplatz bemüht und damit auch seine künftig bestehende Arbeitsbereitschaft beweist. Dem stimmt der Senat mit der Einschränkung zu, daß Bemühungen am neuen Aufenthaltsort, der vom bisherigen Wohnort nicht täglich zumutbar erreichbar ist, nur nach Maßgabe der besonderen Umstände des Einzelfalles zumutbar sind. In jedem Fall zumutbar ist aber die Benachrichtigung des örtlichen Arbeitsamtes oder des für den neuen Wohnort zuständigen Arbeitsamtes schon in dem Zeitpunkt, in dem der Umzugstermin feststeht, also spätestens mit dem Ausspruch der Kündigung. Der Gesetzgeber hat indes die rechtzeitige Einschaltung der Arbeitsvermittlung für den Fall zweifelsfrei nicht als Sperrzeittatbestand ausgestaltet, daß der Arbeitgeber ohne vertragswidriges Verhalten des Arbeitslosen kündigt. Das schließt es aus, bei einer Auflösung aus wichtigem Grund in der Rechtsprechung den wichtigen Grund nur dann anzuerkennen, wenn der Arbeitslose die Arbeitsvermittlung alsbald eingeschaltet hat. Dem Arbeitslosen wird nur die Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Aufgabe seiner Tätigkeit zugemutet; das Fehlen von Bemühungen um einen Anschlußarbeitsplatz während des Laufs der Kündigungsfrist allein führt nicht zu einer Sperrzeit (BSG SozR 4100 § 119 Nr 29 auf S 135). Es muß deshalb auch bei Bewertung der besonderen Härte außer Ansatz bleiben.
Die im übrigen erfolgreiche Revision der Beklagten war daher hinsichtlich der Zeit vom 29. April bis zum 26. Mai 1984 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60333 |
BSGE 64, 202-209 (LT1-2) |
BSGE, 202 |
NJW 1989, 1628 |
NJW 1989, 1628-1630 (LT) |
RegNr, 18239 (BSG-Intern) |
NZA 1989, 616-616 (L1) |
Quelle 1989, 236 (T) |
DBlR, 3493 AFG/§ 119 (LT1-2) |
SGb 1989, 478-482 (LT1-2) |
SozR 4100 § 119, Nr 34 |
SozSich 1989, RsprNr 4182 (LT1-2) |