Entscheidungsstichwort (Thema)
Parteiwechsel in der Berufungsinstanz - erstinstanzliche Entscheidung des Landessozialgerichts - gesetzlicher Richter
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Parteiwechsel in der Berufungsinstanz setzt eine zulässige Berufung voraus. Unzulässig ist sie, wenn ein neuer Anspruch geltend gemacht wird.
2. Es ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung, ob das Landessozialgericht befugt war, erstinstanzlich zu entscheiden.
Orientierungssatz
Die Gewährleistung des Rechts auf den gesetzlichen Richter erfordert eine im Vorhinein rechtmäßige, abstrakt-generelle und rechtsstaatlich konkrete Zuständigkeitsregelung, die hinreichend bestimmt, welche Gerichte mit welchem Spruchkörper für welche Verfahren sachlich örtlich und instanziell zuständig sind. Damit soll jeder vermeidbarer Spielraum für den Rechtsanwender ausgeschlossen werden. Unzulässig wäre es demnach, wenn im Gesetz mehrere verschiedene Zuständigkeiten für eine Sache ausgestaltet wären oder wenn die Beteiligten über § 96 SGG die erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG vereinbaren oder trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 96 SGG dies ausschließen könnten.
Normenkette
SGG §§ 99, 29, 96, 153 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rentenversicherungsträger wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2001 aufgehoben.
Die Berufung der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rentenversicherungsträger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 1998 wird verworfen.
Die Klage gegen den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rentenversicherungsträger vom 19. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1998 wird als unzulässig abgewiesen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme den Bescheid vom 11. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1996 betreffend erledigt ist; das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 1998 ist gegenstandslos geworden.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rentenversicherungsträger hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, wie der bestandsgeschützte Betrag bei der Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) zu ermitteln ist.
Der im Jahre 1928 geborene Kläger war seit dem Jahre 1955 an der H.…-Universität B.… tätig; er gehörte seit dieser Zeit dem Zusatzversorgungssystem der Intelligenz nach der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom 12. Juli 1951 (≪AVI≫, GBl S 675) an. Von 1963 bis Dezember 1982 war er ordentlicher Professor für Völkerrecht; nach seiner Abberufung war er – unter Weiterführung seines Titels – an dem Institut für Theorie des Staates und des Rechts an der Akademie der Wissenschaften der DDR beschäftigt; sein letztes monatliches Bruttogehalt in dieser Position betrug 3.505,00 Mark. Seit 1991 war er an dem Institut für Rechtswissenschaften und später als Leiter einer Projektgruppe bei der Koordinierungs- und Aufbauinitiative für die Forschung in den neuen Bundesländern tätig.
Mit Bescheid vom 22. März 1994 gewährte die BfA als Rentenversicherungsträger dem Kläger eine Regelaltersrente ab 1. März 1993. Weitere Bescheide ergingen am 23. September 1994, 2. Februar 1995, 30. Dezember 1996, 12. Februar 1997 und am 19. Juni 1997 (jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1998).
Die BfA als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme lehnte es mit Bescheid vom 11. März 1996 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1996 ab, bei der Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 AAÜG den bestandsgeschützten Betrag nach einem Bruttogehalt von 80 vH zum 1. Juli 1990 zu ermitteln. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das SG Berlin hat durch Urteil vom 28. Januar 1998 die BfA als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) verurteilt, für die Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 AAÜG 80 vH des in der Zeit vom 1. Juli 1989 bis 30. Juni 1990 erzielten Bruttoverdienstes des Klägers zu Grunde zu legen.
Die BfA als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Im Verlaufe des Verfahrens vor dem LSG hat die BfA als Rentenversicherungsträger mitgeteilt, dass der Rechtsstreit nunmehr von ihr weitergeführt werde. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 8. Februar 2001 hat sie beantragt, das Urteil des SG Berlin vom 28. Januar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, die og Rentenbescheide der Beklagten zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Altersrente unter Berücksichtigung eines besitzgeschützten Betrags gemäß § 4 Abs 4 AAÜG in Höhe von 80 vH des in der Zeit vom 1. Juli 1989 bis 30. Juni 1990 erzielten Bruttoentgelts zu zahlen.
Das LSG hat durch Urteil vom 8. Februar 2001 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Beklagte verurteilt, unter Abänderung der og Rentenbescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides dem Kläger eine höhere Altersrente unter Berechnung des besitzgeschützten Anspruchs nach § 4 Abs 4 AAÜG auf der Grundlage von 80 vH des maßgebenden Bruttoverdienstes zu gewähren. Es hat die Auffassung vertreten, die Rentenbescheide seien, auch wenn sie das SG im Tenor unerwähnt gelassen habe, nach dem Vorbringen des Klägers, der eine höhere Rente begehre, Gegenstand des Verfahrens geworden und damit in der Berufungsinstanz angefallen. Gemäß § 4 Abs 4 AAÜG sei dem Kläger eine Rente nach dem um 6,84 % erhöhten Monatsbetrag zu zahlen, der sich als Summe der Renten aus der Sozialversicherung und dem Zusatzversorgungssystem auf der Grundlage des am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet geltenden Rentenrechts und der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden leistungsrechtlichen Regelungen des für ihn geltenden Versorgungssystems zum 1. Juli 1990 ergebe. Nach der hier Anwendung findenden Ziffer 6.4 der Richtlinie für die Arbeit auf dem Gebiet der zusätzlichen AVI vom 14. Juli 1982 erhielten Professoren, die durch den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR ernannt worden seien, sowie Professoren, die als ordentliche Professoren an einer Universität bzw Hochschule tätig gewesen seien und danach den Titel “Professor” weitergeführt hätten, ab dem Zeitpunkt ihrer Emeritierung 80 vH des im letzten Jahr vor Eintritt des Versorgungsfalls bezogenen durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalts.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung: Ihre Berechnungen des jeweiligen monatlichen Rentenzahlbetrags vom 22. März 1994, 23. September 1994, 2. Februar 1995, 30. Dezember 1996 und 12. Februar 1997 seien nicht mehr wirksam. Soweit es sich um Verwaltungsakte gehandelt habe, nehme sie diese zurück. Ferner trägt sie vor: Entgegen der Auffassung des LSG sei der Bescheid vom 19. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig. Denn zum 1. Juli 1990 habe der Kläger eine Rentenanwartschaft aus der AVI von 60 vH des maßgeblichen Bruttogehalts gehabt. Für eine besitzgeschützte Anwartschaft aus der AVI von 80 vH des maßgeblichen Bruttogehalts finde sich im Gesetz keine Grundlage.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2001 sowie des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 1998 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2001 zurückzuweisen.
Er trägt vor: Der Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 AAÜG sei entsprechend den für Professoren der Akademie der Wissenschaften der DDR geltenden Regelungen und den Anpassungen an die generellen AVI-Vorschriften eine Versorgung von 80 vH des letzten Bruttoeinkommens zu Grunde zu legen. Da sein letzter Bruttoverdienst als Professor und Bereichsleiter an der genannten Akademie 3.505,00 DM betragen habe, belaufe sich der besitzgeschützte Betrag nach § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG auf 2.804,00 DM zuzüglich 447,00 DM Sozialversicherungsrente zuzüglich 6,84 % und somit auf 3.473,00 DM.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der beklagten BfA als Rentenversicherungsträger ist zulässig.
Die beklagte BfA als Rentenversicherungsträger ist formell beschwert. Denn das LSG hat ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und sie verurteilt, den Wert der SGB VI-Rente unter Abänderung des den Rentenwert betreffenden Bescheides vom 19. Juni 1997 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides), in dem der Wert der Rente ab Rentenbeginn neu festgestellt worden war, höher festzusetzen unter Berücksichtigung eines im Wege der Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 AAÜG ermittelten bestandsgeschützten Betrags ausgehend von 80 vH des maßgeblichen Bruttoverdienstes zum 1. Juli 1990.
Die Revision der beklagten BfA als Rentenversicherungsträger ist jedoch nur insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der beklagten BfA als Rentenversicherungsträger gegen das Urteil des SG zu verwerfen ist (1). Als Folge davon ist die Klage gegen den Rentenbescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) unzulässig (2). Ferner ist festzustellen, dass das Urteil des SG vom 28. Januar 1998 gegenstandslos geworden ist, nachdem der Kläger die Klage zurückgenommen hat (3).
Die Berufung der beklagten BfA als Rentenversicherungsträger gegen das Urteil des SG ist unzulässig. Der in der Berufungsinstanz erfolgte Beklagtenwechsel war nicht wirksam. Er wäre nur dann zulässig gewesen, wenn die beklagte BfA als Rentenversicherungsträger zulässigerweise Berufung hätte einlegen können. Dies war jedoch nicht der Fall, weil sie durch das Urteil des SG nicht – auch nicht teilweise – beschwert war. Gegenstand des Berufungsverfahrens war ein neuer, bisher noch nicht geltend gemachter Anspruch.
Die BfA als Rentenversicherungsträger ist nicht durch einen – grundsätzlich zulässigen – gewillkürten Parteiwechsel in den Rechtsstreit einbezogen worden, mit der Folge, dass das Prozessrechtsverhältnis in geänderter Form fortgesetzt worden wäre, die Änderung keinen Einfluss auf die Rechtshängigkeit gehabt hätte und die Rechtsbehauptung des Klägers, er werde durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt, inhaltlich unverändert auch gegenüber dem neuen Beklagten, dem Rentenversicherungsträger, bestehen geblieben wäre, sodass das Prozessrechtsverhältnis auf ihn übergegangen wäre (vgl hierzu BVerwG DVBL 1993, 562 f; vgl zum Parteiwechsel im Übrigen: BVerwGE 65, 45, 49 ff; BGH NJW 1974, 750 f; BGHZ 65, 264, 267 ff; BGH NJW 1981, 989 mwN; BGH NJW 1994, 3358 f; BAG NJW 1971, 723 f; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl, § 264 RdNr 100; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 99 RdNr 12; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl, § 91 RdNr 9; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl, § 91 RdNr 2).
Zwar handelte es sich hier um einen Parteiwechsel und nicht um die bloße Berichtigung einer Parteibezeichnung. Denn die BfA als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme hat in ihrer Eigenschaft als Funktionsnachfolger für die Zusatzversorgungssysteme den in der ersten Instanz angegriffenen Verwaltungsakt erlassen, in der (vermeintlichen) Annahme, sie sei nach § 8 Abs 1 AAÜG hierfür zuständig. Sie ist ein von der BfA als Rentenversicherungsträger verschiedenes Rechtssubjekt. Beiden Rechtssubjekten sind jeweils verschiedene, nicht ineinander greifende Aufgabenbereiche zugewiesen. Die BfA als Rentenversicherungsträger wird allein in ihrem originären Aufgabenbereich nach Maßgabe der Vorschriften des SGB VI bei Erlass der Rentenbescheide und der Festsetzung des Wertes der Rente tätig (§ 8 Abs 5 AAÜG). Demgegenüber ist die BfA als Versorgungsträger der Zusatzversorgungssysteme für die ihr gemäß § 8 Abs 1 AAÜG zugewiesenen Aufgaben zuständig. Die von ihr zu erlassenden Bescheide betreffen lediglich Feststellungen oder unselbstständige Vorfragen, die für die spätere Überführung und Rentenwertfestsetzung durch den Rentenversicherungsträger rechtserheblich werden können. Die jeweiligen Aufgaben sind somit von verschiedenen Verwaltungsträgern in verschiedenen Verwaltungsverfahren organisatorisch getrennt wahrzunehmen. Dass die BfA sowohl als zuständiger Versorgungsträger als auch als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung tätig wird, darf nicht zu einer Vermischung beider Aufgabenbereiche führen. Aus diesem Grunde hat der Senat auch entschieden, dass der Bescheid des Rentenversicherungsträgers keinen Bescheid des Versorgungsträgers oder umgekehrt ein Bescheid des Versorgungsträgers keinen solchen des Rentenversicherungsträgers abändern oder ersetzen kann und demgemäß § 96 SGG in diesem Verhältnis keine Anwendung findet (vgl hierzu Vorlagebeschluss und Teilurteil vom 14. Juni 1995 – 4 RA 28/94 –; BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 2 und 3).
Mithin lag in der Berufungsinstanz ein Beklagtenwechsel vor und nicht nur eine Änderung der Bezeichnung der Beklagten. Wie sich aus den Anträgen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ergibt, war der (beklagte) Versorgungsträger auch aus dem Verfahren “ausgeschieden”.
Der – nunmehr – beklagte Rentenversicherungsträger konnte nicht dessen Position als neuer (einziger) Beklagter in dem Rechtsstreit einnehmen. Ein wirksamer Beklagtenwechsel setzt eine zulässige Berufung voraus (vgl hierzu BGHZ 85, 140, 143; BGH NJW 1988, 2540 f; BGH NJW 1993, 597 f; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 99 RdNr 12). Hieran fehlt es. Der beklagte Rentenversicherungsträger war durch das Urteil des SG nicht beschwert. Die Beschwer ist jedoch Voraussetzung für eine zulässige Berufung.
Eine Berufung, die einen neuen, bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist (mangels Beschwer) unzulässig. Ohne Weiterverfolgung wenigstens eines Teils des in erster Instanz erhobenen Anspruchs – bzw (hier) des diesen Anspruch verneinenden Begehrens – kommt auch eine Klageänderung oder Klageerweiterung in der Berufungsinstanz nicht in Betracht; denn auch sie setzt eine zulässige Berufung voraus (vgl hierzu BGH NJW 1993, 597 f; NJW 1988, 2540 f; BGHZ 85, 140, 143). Andernfalls würde unter Umgehung der Vorschriften über das Berufungsverfahren eine Klage anhängig gemacht, für die erstinstanzlich das SG zuständig wäre (s unten).
Der beklagte Rentenversicherungsträger tritt hier dem erstinstanzlichen Begehren auch nicht teilweise entgegen. Vielmehr wird in der Berufungsinstanz ein neuer prozessualer Anspruch zur Entscheidung gestellt und ein anderes, neues Prozessrechtsverhältnis begründet, sowohl durch den Wechsel der Beklagten als auch des prozessualen Anspruchs. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war das mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) und der Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 SGG) verfolgte Begehren des Klägers, unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsträgers der Zusatzversorgungssysteme festzustellen, dass dieser für die Vergleichsberechnung nach § 4 Abs 4 AAÜG ein Bruttoverdienst von 80 vH festzusetzen habe. Demgegenüber war Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG das mit der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) verfolgte Begehren, unter Abänderung der Bescheide des beklagten Rentenversicherungsträgers einen höheren Wert der SGB VI-Rente festzustellen und den Rentenversicherungsträger zur Zahlung einer entsprechend höheren Rente zu verurteilen. Der prozessuale Anspruch wurde somit im Wege der objektiven und subjektiven Klageänderung vor dem LSG ausgetauscht und ein neuer Streitgegenstand eingeführt, dh ein neuer prozessualer Anspruch bestimmt, der sich ergibt durch das vom Kläger auf Grund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck gekommene Begehren sowie aus dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9 und Urteil des Senats vom 25. März 1997 – 4 RA 23/95 – BSGE 80, 149 = SozR 3-8760 § 2 Nr 1 – insoweit nicht veröffentlicht).
Durch das Urteil des SG war die BfA als Rentenversicherungsträger mithin auch nicht teilweise beschwert. Demgemäß hatte das SG den beklagten Rentenversicherungsträger weder zu einer Leistung verurteilt noch eine ihn verpflichtende Feststellung getroffen und auch nicht die zwischenzeitlich ergangenen Rentenbescheide aufgehoben oder abgeändert. Infolgedessen ist die Berufung des beklagten Rentenversicherungsträgers unzulässig.
Die vor dem LSG erhobene, gegen den Rentenversicherungsträger gerichtete Klage auf Abänderung des Bescheides und auf Festsetzung eines höheren Wertes des Rechts auf Rente ist mangels Zuständigkeit des LSG als erstinstanzlichem Gericht unzulässig. Das LSG ist grundsätzlich nur zuständig für Entscheidungen in Berufungsverfahren (§ 29 SGG).
Die vorliegende Klageänderung in der Berufungsinstanz ist auch nicht – ausnahmsweise – nach § 96 iVm § 153 Abs 1 SGG zulässig mit der Folge, dass der Verwaltungsakt kraft Gesetzes Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG geworden wäre und das LSG über die Rechtmäßigkeit des Bescheides als erstinstanzliches Gericht hätte in der Sache entscheiden dürfen. Denn – worauf bereits hingewiesen – der Rentenbescheid hat den Bescheid des Zusatzversorgungsträgers ua schon im Hinblick darauf, dass er nicht von dem verbandszuständigen Rechtssubjekt erlassen worden ist, nicht abgeändert oder ersetzt (vgl hierzu Meyer-Ladewig, aaO, § 96 RdNr 6).
Das Revisionsgericht hat die Frage, ob die Merkmale des § 96 SGG erfüllt sind und das LSG als gesetzlicher Richter zur Sachentscheidung befugt war, auch ohne Rüge von Amts wegen zu prüfen. Denn insoweit handelt es sich um eine von Amts wegen zu beurteilende Sachentscheidungsvoraussetzung der vorinstanzlichen Entscheidung (vgl zur Prüfung von Amts wegen: BSG SozR 1500 § 73 Nr 5 S 12; BGHR ZPO § 295 Rechtsmittelzuständigkeit 1; NJW-RR 1991, 1346; BGH NJW 1989, 588 und 1987, 325), also nicht um einen Fall des § 163 SGG. § 96 SGG (iVm § 153 Abs 1 SGG) enthält auch eine Regelung über die Zuständigkeit des LSG als erstinstanzlichem Gericht. Unter den dort genannten Voraussetzungen hat das LSG ausnahmsweise entgegen § 29 SGG erstinstanzlich über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zu entscheiden. Im Hinblick auf Art 101 Abs 1 Satz 2 GG besteht insoweit keine Dispositionsbefugnis der Beteiligten. Denn die Gewährleistung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden – erfordert eine im Vorhinein rechtmäßige, abstrakt-generelle und rechtsstaatlich konkrete Zuständigkeitsregelung, die hinreichend bestimmt, welche Gerichte mit welchem Spruchkörper für welche Verfahren sachlich, örtlich und instanziell zuständig sind. Damit soll jeder vermeidbare Spielraum für den Rechtsanwender ausgeschlossen werden (vgl zum Vorstehenden BVerfGE 95, 322, 328 ff; 82, 286, 298; 48, 246, 253 ff = SozR 1500 § 160a Nr 30; BVerfGE 17, 294, 298 ff). Unzulässig wäre es demnach, wenn im Gesetz mehrere verschiedene Zuständigkeiten für eine Sache ausgestaltet wären (vgl hierzu Schulze-Fielitz in Dreier, Komm zum GG, Art 101 RdNr 44) oder wenn die Beteiligten über § 96 SGG die erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG vereinbaren oder trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 96 SGG diese (von vornherein) ausschließen könnten. Infolgedessen wird ein im Verlaufe des Verfahrens vor dem LSG ergangener Verwaltungsakt, nur wenn die Voraussetzungen des § 96 SGG vorliegen, kraft Gesetzes Gegenstand des Verfahrens. Dies schränkt im Übrigen das Recht des durch § 96 SGG in seiner grundrechtlich geschützten Dispositionsbefugnis beeinträchtigten Klägers nicht ein, die – kraft Gesetzes geänderte – Klage insoweit zurückzunehmen.
Im Hinblick darauf, dass sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG auf die Klageänderung eingelassen haben, war die gewillkürte Klageänderung zwar prozessual nach § 99 Abs 1 und 2 SGG zulässig. Dies hatte jedoch nicht zur Folge, dass das LSG befugt war, entgegen § 29 SGG in der Sache zu entscheiden. Denn unabhängig davon, dass eine derartige Klageänderung in der Berufungsinstanz – wie ausgeführt – eine zulässige Berufung voraussetzt, entbindet auch eine an sich zulässige Klageänderung das Gericht nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen. Infolgedessen müssen für die geänderte Klage sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (vgl BFHE 106, 8, 12; BVerwGE 65, 45, 49 f; Meyer-Ladewig, aaO, § 99 RdNr 13a; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl, § 91 RdNr 31 f), mithin auch die Zuständigkeit des LSG gegeben sein.
Nach alledem liegt ein Ausnahmetatbestand für eine erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG nicht vor, sodass die Klage unzulässig ist.
Das Urteil des SG Berlin vom 28. Januar 1998 ist gegenstandslos geworden, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2001 die Klage gegen die BfA als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme zurückgenommen hat. Der Rechtsstreit hat sich damit insoweit erledigt (§ 102 SGG). Der Senat durfte die prozessuale Erklärung des Klägers auslegen (vgl hierzu BGH NJW 1988, 128; 1988, 2540 f mwN). Der Kläger hat vor dem LSG sein Begehren allein gegen die Beklagte als Rentenversicherungsträger gerichtet und dementsprechend beantragt, die Berufung des beklagten Rentenversicherungsträgers zurückzuweisen und diesen unter Abänderung der Rentenbescheide zu verurteilen, ihm eine laufende monatliche Rente nach einem höheren Wert des Rechts auf Rente zu gewähren. Damit hat er die Rechtsverfolgung gegen die BfA als Versorgungsträger aufgegeben. Sein Begehren auf eine höhere monatliche Rente richtete sich ausschließlich gegen die BfA als Rentenversicherungsträger. Der im Klageantrag zum Ausdruck gekommene Parteiwechsel hatte somit in Bezug auf die BfA als Versorgungsträger die Wirkung einer Klagerücknahme (vgl BVerwGE 65, 45, 52). Infolgedessen erlosch die Rechtshängigkeit des Anspruchs gegen den Versorgungsträger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie berücksichtigt das prozessuale Verhalten der BfA als Rentenversicherungsträger.
Fundstellen
Haufe-Index 846910 |
NJ 2003, 275 |
NZS 2003, 278 |
NZS 2003, 498 |
SozR 3-1500 § 29, Nr. 1 |