Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung oder einstweilige Anordnung bei negativen Feststellungsbescheiden. steuerliche Vorwegwürdigung von Investitionen
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist verfassungskonform, daß bei Ablehnung eines in § 180 AO 1977 geregelten gesonderten Gewinnfeststellungsverfahrens einstweiliger Rechtsschutz nur durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erreicht werden kann und es dazu eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes bedarf.
2. Die Abgabenordnung sieht keine Auskunftspflicht der Finanzverwaltung zum materiellen Recht vor; zu einer Zusage ist die Finanzbehörde nur in bestimmten Fällen verpflichtet, die Verweigerung einer steuerlichen Würdigung beabsichtigter Investitionen ist rechtens.
Normenkette
FGO §§ 69, 114; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; AO 1977 § 180
Verfahrensgang
Gründe
Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß sowohl die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts (§ 69 FGO) als auch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) vorsehen und die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes in diesen beiden Formen von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig machen (vgl. im übrigen § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO). Dabei steht die Anwendung dieser Rechtsinstitute nicht im Belieben des Gerichts. § 114 FGO ergänzt vielmehr den durch § 69 FGO im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährten einstweiligen Rechtsschutz für die Fälle, in denen ein vollziehbarer Verwaltungsakt nicht vorliegt (vgl. dazu im einzelnen Tipke-Kruse, Komm. zur AO 1977 und FGO, 11. Auflage, § 114 FGO Tz. 1). Es ist daher folgerichtig, wenn bei der Ablehnung eines in § 180 AO geregelten gesonderten Gewinnfeststellungsverfahrens einstweiliger Rechtsschutz nur durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erreicht werden kann.
Da der Gesetzgeber ohne Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG die Aussetzung der Vollziehung von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig machen und für eine einstweilige Anordnung die Erfüllung schärferer Voraussetzungen verlangen kann, stellt es auch keinen Verfassungsverstoß dar, daß der Bundesfinanzhof den Inhalt des § 69 FGO nicht in den des § 114 FGO hineininterpretiert. Daß der Einzelunternehmer aus der Sicht des Beschwerdeführers im vorläufigen Rechtsschutzverfahren besser gestellt ist, als Mitunternehmer es sind, beruht auf der Wahl der Unternehmensform, die auch in Bereichen anderer Rechtsgebiete (wie etwa im Handelsrecht) Bedeutung hat.
Soweit die Beschwerdeführerinnen vortragen und rügen, die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die strikte Anwendung des § 114 FGO mache die freie Entfaltung ihrer unternehmerischen Tätigkeit unmöglich und stelle daher eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG dar, kann ihnen nicht gefolgt werden. Wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgesprochen hat, gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG zwar die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet. Allerdings ist auch diese nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes des Art. 2 Abs. 1 GG garantiert, vor allem denen der „verfassungsmäßigen Ordnung”. Da sich § 114 FGO als deren Bestandteil erweist, hat die Regelung vor dem Grundrecht Bestand (vgl. BVerfGE 50, 290 ≪366≫).
Es kann dahinstehen, ob das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sein kann, wenn die endgültige Entscheidung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren erst nach 1 1/2 Jahren ergeht; denn jedenfalls ist daraus nicht das verfassungsrechtliche Gebot herzuleiten, daß dem Antrag stattgegeben werden muß. Nur darauf kommt es nach dem Inhalt der Verfassungsbeschwerde hier aber an.
Die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer können sich schon nach einfachem Recht nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dieser ist im Steuerrecht im Zusammenhang mit Sachverhalten gesehen und gewürdigt worden, bei denen sich ein Anspruch auf eine bestimmte Sachbehandlung ergeben konnte, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde entsprechende Dispositionen getroffen hatte (vgl. Tipke-Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 59). Mit der Verfassungsbeschwerde wird aber gerade gerügt, daß die Finanzverwaltung es abgelehnt habe, vorab in eine steuerliche Würdigung der beabsichtigten Investitionen einzutreten. Im übrigen sieht die Abgabenordnung keine Auskunftspflicht der Finanzverwaltung zum materiellen Recht vor; zu einer Zusage ist die Finanzbehörde nur in bestimmten Fällen verpflichtet (vgl. Tipke-Kruse, a.a.O., § 89 AO Tz. 4). Eine Durchsicht der in diesem Zusammenhang zitierten Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BStBl. 1975 I S. 515; 1976 I S. 320; 1978 I S. 194) hat schlechthin nichts ergeben, was verfassungsrechtlich relevant sein könnte.
Schließlich fehlt es an einem erkennbaren verfassungsrechtlichen Bezug, wenn in der Verfassungsbeschwerde gerügt wird, der Bundesfinanzhof habe zu Unrecht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes mit der Begründung abgelehnt, es sei Sache der Beschwerdeführerin zu 1), sich die noch ausstehenden Einlagen notfalls im Klagewege zu beschaffen. Zudem ist die Würdigung des Tatbestands allein Sache des dafür zuständigen allgemeinen Gerichts und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫). Darüber hinaus kann selbst dann, wenn man den Zusammenhang zwischen den fehlenden Verlustzuweisungen, den verweigerten Kommanditeinlagen und der Leistungsschwäche der Beschwerdeführerin zu 1) herstellt, kaum davon ausgegangen werden, daß bei einer nur vorläufigen Verlustzuweisung die Kommanditisten spontan und ohne Prozeß ihre ausstehenden Einlagen leisten würden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen