Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 01.06.2004; Aktenzeichen 111 Qs 59/04) |
AG Leverkusen (Beschluss vom 30.12.2003; Aktenzeichen 50 Gs 852/03) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Köln vom 1. Juni 2004 – 111 Qs 59/04 – und des Amtsgerichts Leverkusen vom 30. Dezember 2003 – 50 Gs 852/03 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Leverkusen zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anordnung eines dinglichen Arrests in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
I.
1. Die Beschwerdeführerin war Geschäftsführerin der T.… GmbH. An dieser Gesellschaft hielt ihr vormaliger Ehemann T.… von 1992 bis 1994 einen Anteil von 26.000 DM des Stammkapitals von 50.000 DM, den er dann seiner damaligen Ehefrau T.… übertrug. Diese übertrug den Anteil 1997 an die Beschwerdeführerin, die dadurch nun sämtliche Anteile hielt, diese jedoch T.… zur Übernahme anbot. T.… bezog monatlich 2.500 DM auf Grund eines Beratervertrages von der GmbH, die ihm außerdem für den Fall eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens 30.000 DM schuldete.
Als die T.… GmbH in drei 1999 anhängig gewordenen Verfahren Maklerlohn forderte bzw. auf die Rückzahlung von Maklercourtage in Anspruch genommen wurde, trug sie, vertreten durch die Beschwerdeführerin, vor, zwischen ihr und T.… bzw. von jenem geführten Unternehmen gebe es wirtschaftliche Verknüpfungen nicht. Die Gerichte, bei denen die Verfahren anhängig waren, hielten diesen Gesichtspunkt für erheblich, und die T.… GmbH obsiegte.
2. Gegen die Beschwerdeführerin wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betruges eingeleitet. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts enthält folgende Entscheidungsformel:
“In der Ermittlungssache
gegen T.…, …,
wegen Betruges, zu Gunsten des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln, gemäß den §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a Abs. 1 StGB, 111b II, 111d, 111e Abs. 1, 162 StPO i.V.m. § 263 StGB zur Sicherung der den Verletzen aus der Straftat erwachsenen, zivilrechtlichen Ansprüchen, den dinglichen Arrest in Höhe von 7.758,69 € in das Vermögen der Beschuldigten T.… zu beantragen.”
Es folgt die Festsetzung einer Lösungssumme. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Beschwerdeführerin sei verdächtig, durch Falschangaben für die T.… GmbH günstige Urteile erreicht und “sich bzw. der Firma dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft zu haben”. Es sei davon auszugehen, dass die so erlangten Gelder nicht mehr individuell “im Vermögen der begünstigten Firma und der Beschuldigten vorhanden sind, weshalb die Beschuldigte als Gesamtschuldnerin nach § 73a StGB Wertersatz zu leisten hat”. Es seien dringende Gründe für die Annahme gegeben, dass Ansprüche der Verletzten bestünden und dass gegen die Beschwerdeführerin “Verfall von Wertersatz zur Rückgewinnungshilfe” ausgesprochen würde. Um Vermögensverschiebungen zuvorzukommen, sei der dingliche Arrest anzuordnen. Der Arrest wurde durch Forderungspfändungen vollzogen.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin verwarf das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss. Der Tatverdacht bestehe, weil die Beschwerdeführerin nach den Ermittlungen verschwiegen habe, dass T.… einerseits Geschäftsführer und beherrschender Gesellschafter der als Vermieter auftretenden Gesellschaften gewesen sei und andererseits vom wirtschaftlichen Ergebnis der als Maklerin auftretenden, von der Beschwerdeführerin vertretenen Gesellschaft profitiert habe. Es bestehe auch der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin, obwohl sie fremdnützig zu Gunsten der von ihr vertretenen GmbH gehandelt habe, etwas aus den Taten erlangt habe. Sie sei Mitgesellschafterin der GmbH gewesen. Es sei deshalb anzunehmen, “dass der Geldvorteil an die Beschuldigte als wirtschaftliche Mitinhaberin weitergegeben worden ist, so dass diese im Ergebnis die Begünstigte war”. Auf § 73 Abs. 3 StGB könne sich die Beschwerdeführerin deshalb nicht berufen.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 GG, weil ein konkreter Tatverdacht nicht vorliege und sie selbst nie Schuldnerin der fraglichen Forderungen werden könne.
II.
Dem Land Nordrhein-Westfalen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Es hat eine Stellungnahme nicht abgegeben.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 81 Js 576/03 der Staatsanwaltschaft Köln vorgelegen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Der dingliche Arrest und die auf seiner Grundlage ergehende Pfändung (§§ 111d, 111 f StPO) sind als staatlicher Zugriff auf das Vermögen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Sie erlauben zwar nicht die endgültige Entziehung des Eigentums, beschränken aber die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten in einschneidender Weise. An ihre Zumutbarkeit und an das Verfahren ihrer Anordnung sind besondere Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise strafbar erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des Betroffenen. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt eine Wechselbeziehung zwischen dem Gewicht des Eingriffs und den Anforderungen an seine Anordnung. Je intensiver der Staat mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Wird durch die Sicherungsmaßnahme nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, so fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besonders sorgfältige Prüfung und eine eingehende Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Anordnung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 –, WM 2004, S. 1378 ≪1379 f.≫). Andererseits kann ein weniger umfassender Zugriff auf das Vermögen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitern, wenn die Eingriffsvoraussetzungen in besonders drastischer Weise missachtet wurden. Dies trifft auf die angefochtenen Beschlüsse zu. Amts- und Landgericht haben die Anforderungen an die Anordnung eines dinglichen Arrestes in zweifacher Hinsicht grob verkannt.
2. a) Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG wird bei der Arrestanordnung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens gesichert. Zur Gewährleistung des Eigentumsrechts sieht das einfache Recht einen Richtervorbehalt vor (§ 111e Abs. 1 Satz 1 StPO). Nicht nur die entsprechenden Normen des Prozessrechts, sondern auch der Schutz des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verlangen vom Ermittlungsrichter und dem Rechtsmittelgericht, dass sie die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Eine Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen wird dadurch ausgeschlossen. Vielmehr müssen die eigene richterliche Prüfung der Voraussetzungen des Eingriffs und die umfassende Abwägung zur Feststellung seiner Angemessenheit mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen dargelegt werden. Schematisch vorgenommene Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht (vgl. BVerfGE 15, 275 ≪282≫; 84, 34 ≪49≫; 101, 106 ≪123≫; 107, 299 ≪325≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 –, WM 2004, S. 1378 ≪1380≫). Sie lassen vielmehr den Schluss zu, dass der Richter die ihm obliegende Leistung eigenständiger Ermittlung, Prüfung und Bewertung nicht erbracht hat.
b) Diesen Schluss auf eine grob unzureichende, der verfahrensmäßigen Gewährleistung des Eigentumsgrundrechts nicht gerecht werdende richterliche Leistung lässt hier die Entscheidungsformel des Amtsgerichts zu, die das Landgericht unbeanstandet gelassen und sich zu eigen gemacht hat, indem es die Beschwerde verwarf. Die Entscheidungsformel des Beschlusses des Amtsgerichts bildet nicht nur keinen im Aufbau stimmigen Satz; sie enthält zudem nach ihrem Wortlaut gar keine Entscheidung, sondern einen Antrag, wobei offen bleibt, an wen er gestellt sein könnte. Ein so schwerer Mangel kann nicht mit einem Versehen begründet werden, das selbstverständlich auch richterliche Entscheidungen treffen und sie in ihrer Wirksamkeit nicht berühren kann. Vielmehr liegt die Befürchtung auf der Hand, dass die befassten Richter die ihnen abverlangte eigenständige gründliche Prüfung nicht vorgenommen, sondern sich den Formulierungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei angeschlossen und sie einfach übernommen haben.
3. Die angegriffenen Beschlüsse weisen auch inhaltlich einen schweren Mangel auf, der sie als unverhältnismäßig zur Beschränkung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) erscheinen lässt.
a) Gegenstand der Sicherungsmaßnahme ist auch im Falle der so genannten Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO) nur der Vermögensvorteil, der dem Verfall unterliegen könnte, den also der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus ihr erlangt hat (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der Erlös aus einer Straftat unterliegt danach nur dann dem Verfall und kann deshalb auch nur dann zur Rückgewinnungshilfe gesichert werden, wenn der Täter zumindest zeitweise eine faktische (Mit-)Verfügungsgewalt innegehabt hat. Der Vermögenszuwachs muss dem Täter auf irgendeine Weise wirtschaftlich zu Gute kommen. Das kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, wenn der Täter als Beauftragter, Vertreter oder Organ einer juristischen Person gehandelt hat und der Vorteil aus der Straftat in deren Vermögen fließt. Regelmäßig ist vielmehr davon auszugehen, dass die juristische Person über eine eigene Vermögensmasse verfügt, die von dem Privatvermögen des Beauftragten, Vertreters oder Organs zu trennen ist. Der Zufluss in das Gesellschaftsvermögen einer Kapitalgesellschaft stellt daher trotz abstrakter Zugriffsmöglichkeit nicht ohne weiteres auch zugleich einen privaten Vermögensvorteil der zur Geschäftsführung berufenen Personen dar. In solchen Fällen ist vorrangig die Anwendung des § 73 Abs. 3 StGB zu erwägen. Die Gesellschaft ist als Verfallsbeteiligte am Verfahren zu beteiligen, oder es ist ein selbständiges Verfallsverfahren gegen sie zu führen (§§ 442 Abs. 2 Satz 1, 431, 440 StPO).
Die pauschale Annahme eines Vermögensvorteils auch beim Organ der durch die Tat begünstigten Gesellschaft oder einer gesamtschuldnerischen Haftung in Bezug auf eine Verfallsanordnung findet in den Vorschriften des § 73 Abs. 1 und 3 StGB keine Stütze, und eine so begründete Arrestanordnung kann am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG keinen Bestand haben (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 –, WM 2004, S. 1378 ≪1381≫). Zur Begründung einer Verfallsanordnung oder einer Sicherungsmaßnahme zur Rückgewinnungshilfe gegen den als Organ handelnden Täter bedarf es einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat. Eine tatsächliche oder rechtliche Vermutung spricht dafür nicht. Vielmehr bedarf es einer Darlegung der besonderen, den Zugriff auf das Vermögen des Täters rechtfertigenden Umstände. Sie können etwa darin liegen, dass der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzt, eine Trennung zwischen der eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft aber nicht vornimmt, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird. Wird der Vermögensvorteil hingegen von der Gesellschaft vereinnahmt, so kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäftsanteile im Privatvermögen des Täters mit jeder Zahlung oder jeder zurückgewiesenen Forderung steigt oder dass sich der Zufluss auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen jedenfalls auswirkt. In solchen Fällen sind die Verfallsanordnung und die sie sichernden Maßnahmen gegen die Gesellschaft zu richten.
b) Das Amtsgericht übergeht die Frage einer Trennung der Vermögenssphären der Beschwerdeführerin und der von ihr vertretenen und durch die vermeintliche Tat begünstigten GmbH, die für die korrekte Zuordnung des erlangten Etwas und damit für die Anwendung des § 73 Abs. 3 StGB von herausragender Bedeutung ist. Auch das Landgericht wird diesem zentralen Gesichtspunkt mit seinen oberflächlich bleibenden Wendungen nicht gerecht. Es stellt maßgeblich auf die Stellung der Beschwerdeführerin als Gesellschafterin ab. Aber weder dieser Umstand noch die faktische Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen der Gesellschaft erlauben ohne weiteres eine Zuordnung der an die GmbH gezahlten Geldbeträge zum Vermögen der Beschwerdeführerin. Das Landgericht teilt nur mit, es bestehe der Verdacht, “dass der Geldvorteil an die Beschuldigte als wirtschaftliche Mitinhaberin weitergegeben worden ist, so dass diese im Ergebnis die Begünstigte war”. Das ist für einen Zugriff auf das Vermögen der Beschwerdeführerin, nicht der Gesellschaft, unzureichend, denn es bleibt offen, was für eine “Weitergabe” des “Geldvorteils” an die Beschwerdeführerin sprechen könnte und wie sie durchgeführt worden sein könnte. Das ist gerade für den Vorteil von Belang, den die GmbH durch die vermeintlich betrügerisch erwirkte Abweisung einer Klage erlangt haben könnte. Hier kann noch weniger als bei einer Zahlung an die Gesellschaft mit pauschalen Wendungen begründet werden, dass die Vermögensmehrung der Gesellschaft zugleich eine Vermögensmehrung der Gesellschafter bedeutet. Das Landgericht hätte eingehend darlegen müssen, weshalb es von dem nahe liegenden Verweis auf eine Sicherungsmaßnahme, die gegen das Vermögen der Gesellschaft zu richten wäre, abgesehen hat.
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1367314 |
NJW 2005, 3630 |
Inf 2005, 529 |
WM 2005, 1191 |
wistra 2005, 335 |
PStR 2005, 226 |
NPA 2006, -- |
BAnz 2006, 25 |