Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe
Leitsatz (amtlich)
Die Ergänzungsabgabe ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
ErgAbgG § 4 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 105, 106 Abs. 1
Tatbestand
A.
I.
Das mit Zustimmung des Bundesrates beschlossene Gesetz zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I. Teil – Zweites Steueränderungsgesetz 1967 – vom 21. Dezember 1967 (BGBl I S. 1254) enthält in Art. 1 das „Gesetz über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer (Ergänzungsabgabegesetz)”. Danach wird zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer eine Ergänzungsabgabe von 3 vom Hundert dieser Steuern erhoben, bei der Einkommensteuer allerdings nur, wenn der zu versteuernde Einkommensbetrag oder Jahresarbeitslohn bei zusammenveranlagten Personen 32 040 DM und bei Einzelsteuerpflichtigen 16 020 DM oder mehr beträgt. Eine Befristung der Ergänzungsabgabe ist im Gesetz nicht vorgesehen.
II.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Eheleute. Sie hatten nach dem Bescheid des beklagten FA vom 5. Februar 1968 ab 10. März 1968 Vorauszahlungen auf die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer in Höhe von vierteljährlich 371 DM zu leisten. Die OFD hat die Beschwerde, mit der die Kläger die Verfassungswidrigkeit des Ergänzungsabgabegesetzes geltend machten, zurückgewiesen. Mit ihrer Klage haben die Kläger beantragt, den Vorauszahlungsbescheid des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben. Inzwischen ist die vorläufige Einkommensteuerveranlagung für das Kalenderjahr 1968 durchgeführt. Darin wurde unter anderem die Ergänzungsabgabe auf 1 686 DM festgesetzt.
III.
Das FG hält das Ergänzungsabgabegesetz wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. (in der Fassung des Finanzverfassungsgesetzes vom 23. Dezember 1955 – BGBl I, S. 817 –, jetzt Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 in der Fassung des Finanzreformgesetzes vom 12. Mai 1969 – BGBl I S. 359 –) für nichtig. Es hat gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das BVerfG angerufen und zur Begründung ausgeführt:
Die Gesetzgebungskompetenz in Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG a. F. (in der Fassung vor der Änderung durch das Finanzreformgesetz) über die Steuern vom Einkommen sei durch die Steuerverteilungsnorm des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. eingeschränkt.
1. Als Ergänzung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer müsse die Abgabe von Verfassungs wegen jeden Einkommen- und Körperschaftsteuerpflichtigen belasten und dürfe keine Freistellungen oder Milderungen enthalten, die im Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerrecht nicht vorgesehen seien. Dem habe der Gesetzgeber zuwidergehandelt, indem er nach § 4 Abs. 2 des Ergänzungsabgabegesetzes aus sozialpolitischen Erwägungen Einkommensteuerpflichtige mit einem zu versteuernden Einkommen unter 16 020 DM (bei Verheirateten: 32 040 DM) nicht zur Ergänzungsabgabe herangezogen habe. Sozialen Erwägungen hätte der Gesetzgeber allenfalls mit der Einführung eines – dem Einkommensteuertarif entsprechend – progressiv ansteigenden Prozentsatzes der Ergänzungsabgabe Rechnung tragen dürfen.
2. Die Ergänzungsabgabe dürfe, wie auch die Entstehungsgeschichte des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. zeige, nur befristet eingeführt werden, da sie dazu bestimmt sei, einen Spitzenbedarf des Bundes auszugleichen. Ein Spitzenbedarf könne unter Umständen für zwei Jahre angenommen werden, aber nicht auf Dauer gegeben sein. Wenn ein zunächst vorübergehender Bedarf sich zu einer Finanzlücke ausweite, so könne diese nicht mehr mit subsidiären Maßnahmen wie der Ergänzungsabgabe geschlossen werden. Das Ergänzungsabgabegesetz enthalte keine Befristung; es verstoße deshalb von Anfang an gegen Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F.
IV.
1. Der BdF hat sich namens der Bundesregierung unter Bezugnahme auf ein Gutachten von Prof. Dr. Werner Weber wie folgt geäußert:
Das Ergänzungsabgabegesetz sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers folge aus der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für die Steuern vom Einkommen. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts könne auch aus Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. nicht hergeleitet werden, daß die Ergänzungsabgabe jeden Einkommen- und Körperschaftsteuerpflichtigen belasten müsse. Aus sozialen Gesichtspunkten habe der Gesetzgeber einkommensschwächere Bevölkerungsteile von der Ergänzungsabgabe verschonen können. Die Auffassung, daß die Abgabe befristet sein müsse, finde im Grundgesetz ebenfalls keine Stütze. Mit Einführung der mittelfristigen Finanzplanung könne die Frage, ob der Bund wegen eines Spitzenbedarfs auf die Ergänzungsabgabe zurückgreifen müsse, nicht jedes Jahr neu entschieden werden; die mittelfristige Finanzplanung gebiete vielmehr auch auf der Einnahmeseite eine über mehrere Jahre hinausgehende Planung.
2. Von den für den Fragenkreis des Ergänzungsabgabegesetzes zuständigen Senaten des BFH hat sich der VI. Senat für die Verfassungsmäßigkeit der Abgabe ausgesprochen, während der IV. Senat wegen der fehlenden Befristung Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit erhoben hat. Der I. Senat hat sich zur Frage der Befristung nicht geäußert, die übrigen Bedenken hält er für unbegründet.
Entscheidungsgründe
B.
I.
nie Zuständigkeit des Ersten Senats des BVerfG ist nach einem Beschluß des gemäß § 14 Abs. 5 BVerfGG gebildeten Ausschusses gegeben.
II.
Die Vorlage ist zulässig.
Die Entscheidung des FG hängt von der Gültigkeit des Ergänzungsabgabegesetzes ab. Bei Nichtigkeit will das Gericht der Klage stattgeben und den angegriffenen vorauszahlungsbescheid und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufheben. Bei Vereinbarkeit des Ergänzungsabgabegesetzes mit dem Grundgesetz will es die Klage abweisen.
Inzwischen ist die vorläufige Einkommensteuerveranlagung für das Kalenderjahr 1968 durchgeführt und dabei auch die Ergänzungsabgabe neu festgesetzt worden. Trotzdem ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage vor dem FG und damit die Entscheidungserheblichkeit der Gültigkeit des Ergänzungsabgabegesetzes nicht entfallen (vgl. BFH, BStBl 1966 III S. 605; HFR 1965, S. 334 [336]). Bei der Beurteilung der Frage, ob es für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt, legt das BVerfG die Beurteilung des vorlegenden Gerichts zugrunde. Dieses hält die Klage weiterhin für zulässig. Offensichtlich unhaltbar ist diese Auffassung nicht (vgl. BVerfGE 10, 1 [3]; 22, 134 [147]; 23, 146 [149]).
C.
Das zur Prüfung vorgelegte Gesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Die Einführung der Ergänzungsabgabe in der vorliegenden Form ist durch die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gedeckt.
1. Bei der Ergänzungsabgabe handelt es sich um eine „Steuer vom Einkommen” im Sinne des Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG a. F. in der Fassung vor der Änderung durch das Finanzreformgesetz. Von einer Ergänzungsabgabe war (und ist) in Art. 105 GG, der lediglich die Zuständigkeit zur Gesetzgebung regelt, nicht die Rede. Sie ist als verfassungsrechtlicher Begriff nur bei der Festlegung der Ertragshoheit durch Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. in der für das vorliegende Verfahren maßgebenden Fassung des Finanzverfassungsgesetzes vom 23. Dezember 1955 (jetzt Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) eingeführt worden (vgl. dazu Fischer-Menshausen, DÖV 1956, S. 161 f.; Maunz in Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Kommentar, 7. Lieferung, März 1964, Art. 106 Rdnr. 24–26).
Während der die Verteilung des Steueraufkommens regelnde Art. 106 GG a. F. in Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 3, 4 und 5 von der „Einkommensteuer” und der „Körperschaftsteuer” sprach, gab Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG a. F. dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit allgemein für die „Steuern vom Einkommen”. Die Begriffe „Steuern vom Einkommen” und „Einkommensteuer” sind nicht identisch; der Begriff „Steuern vom Einkommen” ist vielmehr weiter als der der Einkommensteuer. Zu den Steuern vom Einkommen gehörten oder gehören auch die Abgabe „Notopfer Berlin” (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG a. F.) und die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (BVerfGE 16, 64 [75]). Die Zuständigkeit des Bundes zur Einführung einer Ergänzungsabgabe ergab sich deshalb bereits aus Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG a. F. Die Aufnahme der Ergänzungsabgabe in den Katalog der dem Bund zustehenden Steuern durch das Finanzverfassungsgesetz war nur von Bedeutung für die Ertragshoheit.
2. Der Bund wäre jedoch nicht berechtigt, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe” eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspricht, die der Verfassunggeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat.
Das Funktionieren des bundesstaatlichen Systems erfordert eine Finanzordnung, die sicherstellt, daß der Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der nationalen Leistungen sachgerecht beteiligt werden; Bund und Länder müssen im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, daß sie die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben (vgl. Art. 104 a Abs. 1 GG) leisten können. Gegen die diesem Ziel dienende Finanzordnung des Grundgesetzes könnte verstoßen werden, wenn der Gesetzgeber bei der Einführung einer dem Bund zukommenden Steuer von den Vorstellungen des Grundgesetzes über eine derartige Steuer abweichen und damit das finanzielle Ausgleichssystem zu Lasten der Länder ändern würde. So dürfte der Bund z.B. keine Ergänzungsabgabe einführen, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer oder die den Ländern zustehende Vermögensteuer aushöhlen würde. Insoweit ist die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG a. F. zur Einführung einer Ergänzungsabgabe als einer besonderen Steuer vom Einkommen im Lichte des verfassungsrechtlichen Begriffs der Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. zu interpretieren.
3. Die Ergänzungsabgabe in der Ausgestaltung, die sie durch das zur Prüfung gestellte Gesetz erhalten hat, entspricht diesen Anforderungen.
a) Die Abgabe stellt eine Ergänzung der Einkommen- und Körperschaftsteuer dar; sie ähnelt in der Struktur diesen Steuern und baut auf ihrer Systematik auf. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig und geboten. Deshalb konnte der Gesetzgeber auch bei der Ergänzungsabgabe, die im Ergebnis eine Verschärfung der Einkommensteuer darstellt, solchen Erwägungen Rechnung tragen. Die Ergänzungsabgabe sollte mit der stärkeren Besteuerung der höheren Einkommen der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung tragen und ein Gegengewicht zur gleichzeitigen Erhöhung der Umsatzsteuer schaffen (Begründung zum Entwurf des Zweiten Steueränderungsgesetzes, BTDrucks. V/2087 S. 8). Im Verhältnis zum Steuerzahler wäre es ohne weiteres zulässig gewesen, die Einkommensteuer zu erhöhen und dabei die unteren Einkommensstufen von der Erhöhung auszunehmen. Dann ist aber auch kein Grund dafür ersichtlich, die Ergänzungsabgabe als eine selbständige Steuer strenger an die Struktur der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu binden als eine Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer selbst. Schon bei den in den Jahren 1930 bis 1933 erhobenen Zuschlägen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung der Ergänzungsabgabe vergleichbar sind, wurde bei Verheirateten der Zuschlag erst bei Einkommen von mehr als 8 000 RM erhoben.
b) Aus dem Wesen der Ergänzungsabgabe ergeben sich auch Beschränkungen in der Höhe. Während der Beratungen des Finanzverfassungsgesetzes hatte der Bundesrat zwar wiederholt vergeblich versucht, eine ausdrückliche Begrenzung auf 5 vom Hundert der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erreichen (BTDrucks. II/480, Anlage B, S. 197; Protokoll der 150. Bundesratssitzung vom 2. Dezember 1955 S. 348, 351; Protokolle der 112. und 120. Sitzung des Bundestages vom 11. November 1955 und 15. Dezember 1955 S. 6047 C f., 6376 A). Aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung muß sich die Ergänzungsabgabe in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommen- und Körperschaftsteuer halten, um deren Aushöhlung zu vermeiden. Diese Grenze ist bei der derzeitigen Ergänzungsabgabe mit 3 vom Hundert offensichtlich nicht überschritten.
c) Es ist von der Verfassung her nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen. Der Begriff Ergänzungsabgabe besagt lediglich, daß diese Abgabe die Einkommen- und Körperschaftsteuer, also auf Dauer angelegte Steuern, ergänzen, d.h. in einer gewissen Akzessorietät zu ihnen stehen soll.
Gegen eine Befristung spricht insbesondere die Funktion, die die Ergänzungsabgabe im gesamten Steuersystem erfüllen soll. Bei der Schaffung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. ging man davon aus, daß ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes gedeckt, eine Erhöhung der Verbrauchsteuern aber vermieden werden sollte.
Erwiderung der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zum Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes – BTDrucks. II/480, Anl. C II 7, S. 229 –;
Bundesminister der Finanzen Schäffer in der 121. Sitzung des Bundesrates vom 9. April 1954 – Protokoll S. 85 D –;
Abg. Dr. Gülich (SPD) in der 55. Sitzung des Bundestages vom 16. November 1954 und in der 112. Sitzung des Bundestages vom 11. November 1955, 2. Wp. – Protokoll S. 2666 und 6050.
Da die Einführung oder Erhöhung indirekter Steuern erfahrungsgemäß für längere Dauer erfolgt, weist diese gedankliche Verknüpfung darauf hin, daß auch die Ergänzungsabgabe nicht nur für einen ganz kurzen Zeitraum erhoben werden darf, und insbesondere darauf, daß eine Befristung der Ergänzungsabgabe sich nicht von vornherein aus dem Begriff der Ergänzungsabgabe in Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a. F. ergibt.
In die gleiche Richtung weisen die Erwägungen, durch Einführung der Ergänzungsabgabe die allzu häufige Revision der Beteiligungsquote nach Art. 106 Abs. 4 GG a. F. zu vermeiden (Begründung des Entwurfs zum Finanzverfassungsgesetz – BTDrucks. II/480 S. 72, Rdnr. 105 –). Ferner wurde bei den Beratungen zum Finanzverfassungsgesetz bedacht, daß sich aus der Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern auch für längere Zeit ein Mehrbedarf des Bundes ergeben könne. Wenn dieser Mehrbedarf auf dem naheliegenden Weg der Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer gedeckt würde, könnte – wegen der Beteiligung der Länder – eine Erhöhung der steuerlichen Gesamtbelastung eintreten, die vom Standpunkt der Länder nicht erforderlich wäre, die Steuerpflichtigen unnötig belastete und auch konjunkturpolitisch in diesem Umfang unerwünscht sein könnte.
Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zum Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes – BTDrucks. II/480, Anl. C, II 7, S. 229 –;
Bundesfinanzminister Schärfer in der 121. Sitzung des Bundesrates vom 9. April 1954 – Protokoll S. 85 D – und
in der 150. Sitzung des Bundesrates vom 2. Dezember 1955 – Protokoll S. 352 A f. – und
in der 29. Sitzung des Bundestages vom 20. Mai 1954, 2. Wp. – Protokoll S. 1316 C –.
Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Finanzverfassungsgesetz wurden keine ernsthaften Versuche angestellt, eine Befristung in das Gesetz einzuführen, obwohl der Bundesrat, um die erwähnte Begrenzung der Ergänzungsabgabe der Höhe nach zu erreichen, den Vermittlungsausschuß angerufen hatte (150. Sitzung des Bundesrates vom 2. Dezember 1955, Protokoll S. 348 f., 351; BRDrucks. Nr. 373/55).
Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren, die Ergänzungsabgabe müsse zur Befriedigung „anderweitig nicht auszugleichender Bedarfsspitzen im Haushalt”, „für den Fall einer unumgänglichen und nicht anderweitig zu deckenden Steigerung seines (des Bundes) Finanzbedarfs” und „in Notfällen” erhoben werden, sind zu unbestimmt, als daß daraus hergeleitet werden könnte, eine Ergänzungsabgabe dürfe nur befristet eingeführt werden.
Begründung zum Finanzverfassungsgesetz – BTDrucks. II/480 S. 72, Rdnr. 105 –;
Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes – BTDrucks. II/480, Anl. B II c, S. 197 –;
Finanz- und Justizminister Dr. Schaefer, Schleswig-Holstein, in der 121. Sitzung des Bundesrates vom 9. April 1954 – Protokoll S. 87 B –;
Finanzminister Schäffer in der 150. Sitzung des Bundesrates vom 2. Dezember 1955 – Protokoll S. 352 D ff. –.
Eine auf vorübergehende Bedarfsspitzen oder Notfälle abgestellte Befristung oder gar eine Befristung von zwei Jahren, wie sie dem FG vorschwebt, wäre auch mit den Grundsätzen einer modernen Finanzplanung sowie Haushalts- und Konjunkturpolitik nicht vereinbar. Sie entspräche einem statischen Haushaltsdenken, das von der Vorstellung eines im wesentlichen gleichbleibenden Blocks feststehender Ausgaben ausgeht, über welchen hinaus lediglich von Zeit zu Zeit gewisse „Bedarfsspitzen” auftreten könnten. Mit dem raschen Wachstum der kollektiv zu befriedigenden Bedürfnisse und den sich daraus ergebenden Ansprüchen an die öffentlichen Haushalte stände eine solche Haushaltspolitik nicht in Einklang. Die Finanzplanung muß vielmehr den Zielen der Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik fortlaufend angepaßt werden. Wie die Ausgaben, so werden auch die Einnahmen des Staates durch langfristige Zielvorstellungen bestimmt. Umfangreiche Projekte und Reformvorhaben wie z.B. der Aufbau der Bundeswehr und z. Z. der Ausbau des Bildungswesens erstrecken sich über viele Jahre. Auch ihre Finanzierung muß daher für mehrere Haushaltsperioden geplant werden, wie es neuerdings in den für fünf Jahre aufgestellten und laufend fortgeschriebenen Finanzplänen geschieht (Art. 109 Abs. 3 GG in der Fassung des 20. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969 – BGBl I S. 357 § 9 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 – BGBl I S. 582 –). Während des Laufes der Ergänzungsabgabe können sich zudem für den Bund neue Aufgaben ergeben, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichen, so daß die erneute Einführung der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben, insbesondere welche Reformmaßnahmen in Angriff genommen werden, und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der Nachprüfung des BVerfG entzieht. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein verfassungsrechtlicher Zwang dahingestellt der Ergänzungsabgabe sich ergeben würde, zur die Voraussetzungen für die Erhebung dieser Abgabe evident entfielen, etwa weil die dem Bund im vertikalen Finanzausgleich zufallenden Steuern möglicherweise nach einer grundsätzlichen Steuer- und Finanzverfassungsreform, zur Erfüllung seiner Aufgaben für die Dauer offensichtlich ausreichen. Eine solche Situation ist, wie die ab 1967 aufgestellten und fortgeschriebenen Finanzpläne des Bundes zeigen, derzeit nicht gegeben (BTDrucks. V/2065; V/3299; VI/301; VI/1101; VI/2651).
II.
Auch andere Vorschriften des Grundgesetzes sind nicht verletzt.
1. Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß infolge der Einführung der Freigrenze in § 4 Abs. 2 des Ergänzungsabgabegesetzes ein Teil der Einkommensteuerpflichtigen nicht erfaßt wird. Wie bereits ausgeführt (C I 3 a) rechtfertigt sich diese Unterscheidung aus sozialstaatlichen Erwägungen. Der „Progressionsknick” bei Erreichen der Einkommensgrenze des § 4 Abs. 2 des Ergänzungsabgabegesetzes wird durch die Übergangsregelung in § 4 Abs. 3 des Ergänzungsabgabegesetzes so abgemildert, daß die Erhebung der Ergänzungsabgabe nicht zu einer unerträglichen Verzerrung der Besteuerung führt (vgl. Schaubild BTDrucks. V/2087, Anl. 2).
2. Nach Art. 106 Abs. 4 GG in der für das vorliegende Verfahren maßgebenden Fassung soll durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz das Beteiligungsverhältnis an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer geändert werden, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben beim Bund anders entwickelt als bei den Ländern und in der Haushaltswirtschaft des Bundes oder der Länder ein so erheblicher Fehlbedarf entsteht, daß eine entsprechende Berichtigung des Beteiligungsverhältnisses zugunsten des Bundes oder zugunsten der Länder geboten ist. Eine solche Änderung des Beteiligungsverhältnisses belastet die Steuerpflichtigen im Gegensatz zu einer zusätzlichen Erhebung einer Ergänzungsabgabe nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob daraus die Pflicht des Bundes folgt, zunächst eine Revision des Beteiligungsverhältnisses zu versuchen (vgl. Fischer-Menshausen, a.a.O., S. 169; Begründung zum Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes – BTDrucks. II/480, S. 72, Rdnr. 105 –); denn der Bundesgesetzgeber hat diesen Versuch unternommen. Die Bundesregierung hatte im Jahre 1966 den Entwurf eines Gesetzes nach Art. 106 Abs. 4 GG a. F. eingebracht, der die Beibehaltung der bisherigen Beteiligung des Bundes von 39 vom Hundert an der Einkommen- und Körperschaftsteuer über den 31. Dezember 1966 hinaus zum Ziele hatte (BTDrucks. V/1066). Sie hielt an ihrem Gesetzentwurf für die folgenden Jahre trotz einer Stellungnahme des Bundesrates fest, der sich für eine Bundesbeteiligung von nur 35 vom Hundert aussprach (BTDrucks. V/1066, Anl. 2 und 3). Es kam dann auf Grund des Zweiten Gesetzes über das Beteiligungsverhältnis an der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vom 9. März 1967 (BGBl I S. 265) für die Haushaltsjahre 1967 und 1968 zu einer Bundesbeteiligung von 37 vom Hundert.
3. Die Einführung der Ergänzungsabgabe verstößt, wie auch das vorlegende Gericht annimmt, nicht gegen Art. 109 Abs. 2 GG (in der Fassung des 15. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 – BGBl. I S. 581 –), wonach Bund und Länder bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1074943 |
BStBl II 1972, 408 |
BVerfGE 32, 333 |
BVerfGE, 333 |
DB 1972, 658 |
NJW 1972, 757 |