Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderbetreuungskosten 1997 bis 1999: Keine Kürzung um eine zumutbare Belastung bei Alleinerziehenden
Leitsatz (amtlich)
Das Gebot horizontaler Steuergleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot der Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbieten es, die einkommensteuerliche Freistellung der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Elternteile um eine zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) zu kürzen.
Normenkette
EStG § 33c Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
§ 33c Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz des Einkommensteuergesetzes in der durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20. Dezember 1996 (Bundesgesetzblatt I Seite 2049, 2067) eingeführten und durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (Bundesgesetzblatt I Seite 2552, 2554) aufgehobenen Fassung verstößt gegen Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.
Tatbestand
A.
Das Verfahren betrifft die Frage, ob § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG in den ab 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassungen verfassungswidrig und daher nichtig ist, soweit dort bestimmt wird, dass Kinderbetreuungskosten nur insoweit berücksichtigt werden, als sie die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG übersteigen.
I.
§ 33c EStG wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz vom 14. Dezember 1984 (BGBl I S. 1493, 1496) eingeführt. Diese Fassung – wie auch zehn folgende Fassungen des § 33c EStG mit Geltung für die Veranlagungszeiträume bis zum 31. Dezember 1996 – sah vor, dass Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt eines Alleinstehenden gehörenden Kindes als “außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG (gelten)”. § 33 EStG begrenzt die Abzugsfähigkeit von außergewöhnlichen Belastungen um eine zumutbare Belastung. In der für das Jahr 1984 geltenden Fassung, die in den hier maßgeblichen Punkten unverändert auch für das Jahr 1997 anzuwenden war, lautete diese Vorschrift:
§ 33
Außergewöhnliche Belastungen
(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
…
(3) Die zumutbare Belastung beträgt
bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte |
bis 30.000 DM |
über 30.000 DM |
über 100.000 DM |
bis 100.000 DM |
1. bei Steuerpflichtigen, die keine Kinder haben und bei denen die Einkommensteuer |
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a) nach § 32a Abs. 1, |
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b) nach § 32a Abs. 5 oder 6 (Splitting-Verfahren) |
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zu berechnen ist; |
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2. bei Steuerpflichtigen mit |
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a) einem Kind oder zwei Kindern |
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b) drei oder mehr Kindern |
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vom Hundert des Gesamtbetrags der Einkünfte. |
…
Der allgemeine Verweis auf § 33 EStG und die Fiktion, nach der Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastung gelten, führten – entsprechend der ausdrücklich in der Regierungsbegründung erklärten Absicht (BTDrucks 10/1636, S. 59) – zunächst dazu, Kinderbetreuungskosten wie andere außergewöhnliche Belastungen erst nach Abzug der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) steuerlich zu berücksichtigen (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Mai 1985, BStBl I S. 189 ≪190≫).
Dagegen legte der Bundesfinanzhof den Verweis in einer Grundsatzentscheidung vom 10. April 1992 (BFHE 167, 436) verfassungskonform dahingehend aus, dass § 33 EStG ohne Anrechnung der zumutbaren Belastung anzuwenden sei. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs hätte die Anrechnung einer zumutbaren Belastung auf Kinderbetreuungskosten zur Verfassungswidrigkeit des § 33c EStG geführt. Das ergebe sich aus einem Widerspruch zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Verweis auf BVerfGE 61, 319; 68, 143), nach denen die erwerbsbedingten Betreuungskosten Alleinerziehender grundsätzlich in der tatsächlichen Höhe als Minderung des Einkommens zu berücksichtigen seien. Seinen insoweit noch bestehenden Gestaltungsspielraum habe der Gesetzgeber bereits durch die Höchstbetragsbegrenzung in § 33c Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG ausgeschöpft, und zwar in pauschalierender und typisierender Weise. Für eine weitere Begrenzung durch die Anrechnung einer “zumutbaren Belastung” sei kein Raum mehr, weil dann schon bei sog. Durchschnittsverdienern ein großer Teil der nachgewiesenen Aufwendungen nicht abziehbar wäre.
Die Finanzverwaltung folgte dem Bundesfinanzhof zunächst nicht (vgl. BMF-Schreiben vom 25. September 1992, BStBl I S. 545), sondern entschied sich erst im Oktober 1996, die Aussage des Urteils über gerichtlich entschiedene Einzelfälle hinaus allgemein anzuwenden (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Oktober 1996, BStBl I S. 1256).
Der Gesetzgeber reagierte, indem er mit dem Jahressteuergesetz 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2049, 2067) § 33c Abs. 1 Satz 1 EStG änderte. Durch einen neu eingefügten Halbsatz sollte ausdrücklich sichergestellt werden, dass die Kinderbetreuungskosten nur oberhalb der Grenze zumutbarer Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG abzugsfähig sind (vgl. BTDrucks 13/5952, S. 47):
§ 33c
Kinderbetreuungskosten
(1) Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt eines Alleinstehenden gehörenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Kindes im Sinne des § 32 Abs. 1 oder 6 Satz 6, das zu Beginn des Kalenderjahrs das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, können als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden, wenn die Aufwendungen wegen
1. Erwerbstätigkeit oder
2. körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung oder
3. Krankheit
des Steuerpflichtigen erwachsen, jedoch nur soweit sie die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 übersteigen. […] Die Aufwendungen können nur berücksichtigt werden, soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Aufwendungen für Unterricht, die Vermittlung besonderer Fähigkeiten, sportliche und andere Freizeitbetätigungen werden nicht berücksichtigt.
[…]
(3) Der nach Absatz 1 abzuziehende Betrag darf bei Alleinstehenden mit einem Kind (Absatz 1 Satz 1) 4.000 Deutsche Mark im Kalenderjahr nicht übersteigen. Dieser Betrag erhöht sich für jedes weitere Kind um 2.000 Deutsche Mark. […]
(4) Für Aufwendungen im Sinne des Absatzes 1 wird bei Alleinstehenden mit einem Kind (Absatz 1 Satz 1) mindestens ein Pauschbetrag von 480 Deutsche Mark im Kalenderjahr abgezogen. Der Pauschbetrag erhöht sich für jedes weitere Kind um 480 Deutsche Mark. Absatz 3 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. […]
– Hervorhebungen nur hier –
II.
Die Klägerin im Ausgangsverfahren ist geschieden und hat eine am 24. Oktober 1989 geborene Tochter. Im Streitjahr 1997 erzielte sie unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihre Tochter lebte in ihrem Haushalt und war unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Für deren Betreuung wandte die Klägerin im Streitjahr 1997 1.820 DM auf und machte diesen Betrag in ihrer Steuererklärung geltend. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1998 berücksichtigte das beklagte Finanzamt nur 904 DM der Kinderbetreuungskosten, da es die entstandenen Aufwendungen um eine zumutbare Belastung (§ 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz i.V.m. § 33 Abs. 3 EStG 1997) in Höhe von 916 DM kürzte. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
1. Im Klageverfahren erstrebt die Klägerin die steuerliche Berücksichtigung der gesamten Kinderbetreuungskosten ohne Minderung um die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG. Sie ist der Auffassung, die Minderung der Kinderbetreuungskosten um die zumutbare Belastung im Sinne des § 33 Abs. 3 EStG verstoße gegen das Grundgesetz. Das beklagte Finanzamt verweist dagegen auf den seit dem 1. Januar 1997 eindeutigen Wortlaut des § 33c Abs. 1 Satz 1 EStG, der eine Kürzung um die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG gebiete.
2. Das Finanzgericht Berlin setzte mit Beschluss vom 14. September 2000 – 4 K 4142/99 – (EFG 2001, S. 72) das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG verfassungswidrig und daher nichtig sei, soweit es darin heißt: “jedoch nur soweit sie die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG übersteigen”.
a) Die Frage sei entscheidungserheblich, da die Entscheidung des Senats von der Gültigkeit des § 33 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG abhänge. Sei die Norm insoweit verfassungswidrig, so sei der Klage stattzugeben, sei sie gültig, bleibe der Klage der Erfolg versagt. Sowohl die eine als auch die andere Entscheidung des Senats könne nicht bereits aus anderen Gründen getroffen werden.
b) Der Senat sei der Überzeugung, dass der Halbsatz, der die Abziehbarkeit um eine zumutbare Belastung reduziere, gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verstoße und daher nichtig sei. Kinderbetreuungskosten seien von Verfassungs wegen in der tatsächlichen Höhe, also ohne Kürzung um eine zumutbare Belastung, wie dies bei anderen außergewöhnlichen Belastungen der Fall sei, steuermindernd zu berücksichtigen. Allein die Höchstbetragsregelung in § 33c Abs. 3 EStG stelle eine verfassungsrechtlich zulässige Begrenzung dar.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 3. November 1982 zum Ausdruck gebracht, dass der besondere Betreuungsaufwand Alleinerziehender zu einer Steuerminderung führen müsse (Verweis auf BVerfGE 61, 319 ≪349-351≫; 68, 143 ≪152 u. 154≫). Im Beschluss vom 10. November 1998 habe das Gericht diese Rechtsprechung bestätigt (mit Verweis auf BVerfGE 99, 216).
Zwar habe der Gesetzgeber bei der steuerlichen Berücksichtigung der durch die Kinderbetreuungskosten verminderten Leistungsfähigkeit einen Gestaltungsspielraum (mit Verweis auf BVerfGE 61, 319 ≪354 f.≫). Dieser werde aber durch die Begrenzung um die zumutbare Belastung überschritten, da “keine realitätsfremden Grenzen” gezogen werden dürften (mit Verweis auf BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 68, 143 ≪153≫). “Realitätsfremd” sei aber eine doppelte Kürzung der Kinderbetreuungskosten durch die niedrig bemessenen Höchstbeträge nach § 33c Abs. 3 EStG und zusätzlich durch den Abzug der zumutbaren Belastung. Die Steuerminderung würde teilweise gar nicht greifen, in den übrigen Fällen auch nicht annähernd dem Maß der Minderung der Leistungsfähigkeit entsprechen. Dies widerspreche dem Gebot der horizontalen Steuergerechtigkeit.
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 33c EStG sei nicht möglich, weil der Gesetzeswortlaut in der streitgegenständlichen Fassung eindeutig und insoweit keiner anderen Auslegung zugänglich sei. Für eine Interpretation im Sinne der verfassungsrechtlichen Vorgabe sei kein Raum.
c) Über die Vorlagefrage habe das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216 ≪237≫) noch nicht entschieden. Zwar könne der Beschluss in seinem Kontext dahin zu verstehen sein, dass eine Anrechnung der zumutbaren Belastung auf Kinderbetreuungskosten generell unzulässig sei, also auch in der ab 1997 geltenden Gesetzesfassung. § 33c Abs. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 sei aber formell nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen, so dass es einer gesonderten Entscheidung über diesen Verfahrensgegenstand bedürfe. In solchen Zweifelsfällen erlege Art. 100 Abs. 1 GG den Fachgerichten wegen der alleinigen Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts Zurückhaltung auf.
III.
Die Präsidentin des Bundesfinanzhofs hat zum Vorlageverfahren mitgeteilt, der III., IV., IX. und XI. Senat teilten die verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts.
In seiner Stellungnahme für die Bundesregierung hält das Bundesministerium für Finanzen die Vorlage für unzulässig und in der Sache für erfolglos:
Die Vorlage sei unzulässig, weil das Bundesverfassungsgericht über die Frage der Vereinbarkeit der vorgelegten Norm mit höherrangigem Recht bereits entschieden habe und der von dem Finanzgericht dargelegte Sachverhalt keine neuen verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfe. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts habe bereits mit Beschluss vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) die Notwendigkeit einer Neuregelung u. a. des Betreuungsbedarfs von Kindern – nur – für die Zukunft festgestellt. Dort habe das Bundesverfassungsgericht erkannt, dass § 33c Abs. 1 bis 4 EStG seit seiner Einführung durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 einschließlich aller nachfolgenden Fassungen mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar sei, soweit die Norm die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit ausschließe. Das Bundesverfassungsgericht habe deshalb entschieden, dass der Gesetzgeber den Familienleistungsausgleich für die Zukunft neu zu gestalten habe. Es habe die als verfassungswidrig erkannte Regelung des § 33c EStG ausdrücklich bis zu einer Neuregelung, längstens aber bis zum 31. Dezember 1999 für weiter anwendbar erklärt. Insofern betreffe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch eine Neuregelung der hier streitigen Norm. Durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 habe der Gesetzgeber eine Neuregelung vorgenommen und gleichzeitig § 33c EStG mit Wirkung zum 1. Januar 2000 aufgehoben.
Der Kern des Beschlusses (BVerfGE 99, 216) bestehe darin, dass alle Eltern hinsichtlich des Familienleistungsausgleichs gleich zu behandeln seien. Vor allem dürften eheliche gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften nicht benachteiligt werden. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts würde jedoch dazu führen, dass die vom Bundesverfassungsgericht bereits festgestellte Unvereinbarkeit des § 33c Abs. 1 EStG mit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG zum Nachteil von in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern hinsichtlich des Abzugs von Kinderbetreuungskosten für die Vergangenheit noch verstärkt werde.
Die Vorlage könne auch in der Sache keinen Erfolg haben. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, dass die durch das Jahressteuergesetz 1997 neu geschaffene Regelung verfassungskonform gewesen sei. Nach damaligem gesetzgeberischen Verständnis habe die einschlägige Regelung die Berücksichtigung einer verminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit eines begrenzten Kreises von Steuerpflichtigen betroffen, die sich insoweit von den in § 33 EStG geregelten sonstigen außergewöhnlichen Belastungen nicht unterschieden habe, so dass folgerichtig auch im Bereich des § 33c EStG – wie gemäß § 33 Abs. 3 EStG allgemein bei den außergewöhnlichen Belastungen – eine zumutbare Belastung zu berücksichtigen gewesen sei.
Es trete auch regelmäßig keine “realitätsfremde” doppelte Kürzung der Kinderbetreuungskosten durch die Höchstbeträge des § 33c Abs. 3 EStG 1997 in Verbindung mit der Anrechnung der zumutbaren Eigenbelastung (§ 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz i. V. m. § 33 Abs. 3 EStG) ein. Zu der gerügten Kumulation der Kürzungen sei es nicht gekommen: Überstiegen die Kinderbetreuungskosten den Pauschbetrag des § 33c Abs. 4 EStG von 480 DM je Kind nicht, so sei eine Minderung um die zumutbare Belastung in keinem Fall vorzunehmen. Dies betreffe nach einer Erhebung für das Jahr 1992 die Mehrzahl der Fälle (etwa 65 vom Hundert). Überstiegen die geltend gemachten Kinderbetreuungskosten nach Abzug der zumutbaren Belastung die Höchstbeträge des § 33c Abs. 3 EStG mindestens um den Betrag der zumutbaren Belastung, so bleibe die Minderung der Aufwendungen um die zumutbare Belastung im Ergebnis ohne jede Auswirkung. Selbst in den Fällen, in denen die geltend gemachten Kinderbetreuungskosten nach Abzug der zumutbaren Belastung die Höchstbeträge des § 33c Abs. 3 EStG nicht mindestens um den Betrag der zumutbaren Belastung überstiegen, komme es zu keiner Kumulation. Die Kinderbetreuungskosten würden in diesen Fällen ausschließlich um den Betrag der zumutbaren Belastung gemindert; die Abzugshöchstbeträge des § 33c Abs. 3 EStG blieben in diesen Fällen ohne jede Auswirkung.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist zulässig.
Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. Das vorlegende Gericht hat nachvollziehbar und deshalb für das Bundesverfassungsgericht bindend dargelegt, dass es bei Gültigkeit oder Ungültigkeit der Norm zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen kommen müsse. Das Gericht hat auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG ausreichend dargelegt.
Der Zulässigkeit der Vorlage steht die Rechtskraft der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) nicht entgegen. Der genannten Entscheidung kommt zwar Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG und auch Rechtskraftwirkung zu (vgl. BVerfGE 33, 199 ≪203≫ m.w.N.). Die darauf beruhende Bindung (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) erfasst jedoch nur den Tenor der Entscheidung (vgl. BVerfGE 33, 199 ≪203≫) und die diesen Tenor tragenden Gründe, soweit diese Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten (BVerfGE 40, 88 ≪93 f.≫ m.w.N.). Auch die Übergangsregelungen und Rechtsfolgenanordnungen, die ergehen, um der Sachentscheidung Geltung zu verschaffen und das vom Bundesverfassungsgericht gefundene Recht zu verwirklichen (BVerfGE 6, 300 ≪303 f.≫; vgl. auch BVerfGE 39, 1 ≪2 f., 68≫; 82, 322 ≪352≫; 93, 362 ≪372≫), wirken nur in den Grenzen des Tenors und der ihn tragenden Entscheidungsgründe (vgl. BVerfGE 61, 319 ≪356≫).
Der Tenor der Entscheidung vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216 ≪218≫) lässt die hier zur Prüfung vorgelegte Frage unbeantwortet. Sie ist daher noch nicht rechtskräftig entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hat in Nr. 1 des Tenors lediglich festgestellt, dass § 33c Abs. 1 bis 4 EStG seit seiner Einführung einschließlich aller nachfolgenden Fassungen mit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG unvereinbar sei, soweit Ehepaare vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen würden (BVerfGE 99, 216 ≪218≫). Eine neuerliche Entscheidung zu dieser Verfassungsfrage strebt das vorlegende Finanzgericht nicht an. Es begehrt vielmehr die Beantwortung der anderen Frage, ob es verfassungsgemäß sei, dass Alleinstehende bzw. Alleinerziehende ihre erwerbsbedingten Betreuungskosten nur absetzen könnten, soweit diese die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) überstiegen.
Hinsichtlich des eindeutigen Tenors bestehen keine Zweifelsfragen, so dass zu seiner Auslegung die Entscheidungsgründe nicht herangezogen werden müssen. Aber selbst wenn man die Gründe dennoch ergänzend heranzöge, ergäbe sich kein anderes Bild. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet zwar, dass Kinderbetreuungskosten erst nach Kürzung der zumutbaren Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG steuerlich berücksichtigt werden (BVerfGE 99, 216 ≪237≫), stellt aber ausdrücklich auch fest, dass die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Grundgesetz insoweit nicht Gegenstand seines Verfahrens sei (BVerfGE 99, 216 ≪238≫).
Auch die Rechtsfolgenanordnung des Beschlusses lässt keine gegenteilige Deutung zu. Als Rechtsfolge wird eine Unvereinbarerklärung mit zeitlich begrenzter Weitergeltung statt einer Nichtigerklärung damit begründet, dass der generelle Wegfall der Abzugsmöglichkeiten für Kinderbetreuungskosten (also auch für Alleinstehende) eine Rechtslage schaffen würde, die mit Art. 6 Abs. 1 GG noch weniger vereinbar wäre als allein der durch die Vorschrift bewirkte Ausschluss ehelicher Erziehungsgemeinschaften (BVerfGE 99, 216 ≪243 f.≫). Das zeigt, dass es bei der Rechtsfolgenanordnung allein darum ging, die Einbeziehung von Eheleuten erst für die Zeit ab dem 1. Januar 2000 zwingend anzuordnen. Eine (befristete) verfassungsrechtliche Billigung der Abzugsbeschränkung der Kinderbetreuungskosten durch die Anrechnung einer zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG ist der Rechtsfolgenanordnung dagegen nicht zu entnehmen.
C.
§ 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung verstößt gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleitete Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie gegen das spezielle Verbot der Benachteiligung von Eltern und alleinerziehenden Elternteilen gegenüber Kinderlosen aus Art. 6 Abs. 1 GG, soweit danach Kinderbetreuungskosten nur nach Abzug einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG berücksichtigt werden.
I.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 98, 365 ≪385≫; stRspr). Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der untersagt, Eltern oder alleinerziehende Elternteile gegenüber Kinderlosen schlechter zu stellen (vgl. BVerfGE 99, 216 ≪232≫). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 88, 87 ≪96≫; 101, 54 ≪101≫; 107, 27 ≪45≫). Nähere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall der allgemeine Gleichheitssatz verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche präzisieren (vgl. BVerfGE 75, 108 ≪157≫; 93, 319 ≪348 f.≫; 110, 412 ≪432≫).
2. Im Bereich des Steuerrechts, insbesondere des Einkommensteuerrechts, wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers durch das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit begrenzt. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (“horizontale” Steuergerechtigkeit), während (in “vertikaler” Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪89≫; 99, 246 ≪260≫; 105, 73 ≪125 f.≫). Der Gleichheitssatz gebietet es daher auch, Bezieher höherer Einkommen im Vergleich zu Beziehern gleich hoher Einkommen gleich zu besteuern; eine verminderte Leistungsfähigkeit durch eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muss auch in diesem Vergleich sachgerecht berücksichtigt werden (BVerfGE 99, 246 ≪260≫).
a) Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits (BVerfGE 107, 27 ≪49≫). Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands – auch jenseits der Grenze des zu verschonenden Existenzminimums – steht nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers (BVerfGE 107, 27 ≪49≫). Dieser hat die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen sind (BVerfGE 107, 27 ≪49≫). Der Staat darf folglich auf die Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann (BVerfGE 107, 27 ≪49≫; vgl. BVerfGE 82, 60 ≪86 f.≫; 89, 346 ≪353≫, 99, 216 ≪233≫ m.w.N.).
b) Auch bei der steuerlichen Behandlung von Unterhaltskosten ist die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten. Bei der Ordnung solcher Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (BVerfGE 78, 214 ≪226 f.≫ m.w.N.; 82, 126 ≪151 f.≫; 99, 280 ≪290≫; 105, 73 ≪127≫; vgl. auch BVerfGE 96, 1 ≪6≫). Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfGE 84, 348 ≪359≫ m.w.N.; 99, 280 ≪290≫; 105, 73 ≪127≫). Allerdings darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE 27, 142 ≪150≫). Das gilt insbesondere bei der steuerlichen Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 68, 143 ≪153≫).
3. Das Grundgesetz gebietet, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie steuerlich zu verschonen (BVerfGE 82, 60 ≪85 f.≫; 82, 198 ≪206 f.≫; 87, 153 ≪169 f.≫; 99, 216 ≪232 ff.≫; 99, 246 ≪259 ff.≫). Der existenznotwendige Bedarf bildet so die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer und ist in angemessener und realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 68, 143 ≪153≫; 82, 60 ≪88≫; 99, 246 ≪259 f.≫; stRspr).
II.
Nach diesen Maßstäben verstößt § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997 gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleitete Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie gegen das spezielle Verbot der Benachteiligung alleinstehender Elternteile gegenüber Kinderlosen (Art. 6 Abs. 1 GG).
1. Kinderbetreuungskosten, die wegen der Erwerbstätigkeit eines alleinstehenden Elternteils zwangsläufig erwachsen, mindern dessen finanzielle Leistungsfähigkeit. Kinderlose mit gleichem Einkommen haben eine solche Einbuße an finanzieller Leistungsfähigkeit nicht. Das Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG gebieten daher zumindest, die durch erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.
Bei der Umsetzung dieser Mindestanforderung steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er solche Aufwendungen wegen ihrer Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Werbungskosten und Betriebsausgaben zuordnet oder durch eine spezielle Norm wie § 33c EStG 1997 als “außergewöhnliche Belastungen” fingiert und damit die private (Mit-)Veranlassung – die elterliche Entscheidung für Kinder, die eine Betreuung erst erforderlich macht – systematisch in den Vordergrund stellt. Wählt der Gesetzgeber den letzteren Weg, entbindet die einfachgesetzliche Systematik freilich nicht von einer folgerichtigen Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Der Gesetzgeber hat in jedem Fall zu beachten, dass Art. 6 Abs. 1 GG die elterliche Entscheidung für Kinder unter besonderen Schutz stellt und verbietet, erwerbstätigen Eltern bei der Einkommensbesteuerung die “Vermeidbarkeit” ihrer Kinder entgegenzuhalten. Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten müssen daher zumindest als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein.
2. Die Abzugsbeschränkung bei Kinderbetreuungskosten durch Anrechnung einer zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) lässt sich nicht unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis rechtfertigen. Mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG wäre allein eine typisierende Beschränkung vereinbar, die das Ziel verfolgt, zwar tatsächlich entstandene, aber über das notwendig zu berücksichtigende Maß hinaus gehende Kinderbetreuungskosten vom Abzug auszuschließen. Insoweit ist der Gesetzgeber berechtigt, mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festzulegen und damit zu bestimmen, wieweit die dem Grunde nach zwangsläufigen Kinderbetreuungskosten im typischen Fall auch der Höhe nach zwangsläufig sind.
Dem wird die Anrechnung einer zumutbaren Belastung gemäß § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997 nicht gerecht. Diese Anrechnung führt zwar, wie die Bundesregierung im Einzelnen dargelegt hat, im Zusammenwirken mit der Höchstbetragsregelung des § 33c Abs. 3 EStG 1997 nicht zu einer “Verdoppelung” von Beschränkungen. Sie wirkt sich jedoch in allen Fällen als Kürzung der Höchstbeträge aus, in denen der Aufwand für die Kinderbetreuung die Höhe des jährlich ohne weiteres abziehbaren Pauschbetrags von 480 DM (§ 33c Abs. 4 EStG 1997) übersteigt, aber auf Grund der zumutbaren Belastung unterhalb des Abzugs des Höchstbetrags liegt. Wenn eine Mehrheit der Regelungsadressaten, wie die Bundesregierung andeutet, von dieser Kürzung nicht betroffen ist, weil diese entweder nur den Pauschbetrag in Anspruch nehmen oder so hohe Aufwendungen haben, dass sich im Ergebnis nur die Höchstbetragsgrenze auswirkt, so hat dieser Befund mit einer realitätsgerechten Typisierung nichts zu tun. Auch wenn auf Grund des begrenzten Anwendungsbereichs der vorgelegten Norm nur vergleichsweise wenige Steuerpflichtige von der Kürzung betroffen sein sollten, so bedarf diese Kürzung doch einer hinreichenden Begründung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten gerecht wird.
D.
Aus der Verfassungswidrigkeit der Begrenzung der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten von Alleinstehenden (§ 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997) folgt – mit Wirkung ex tunc – dessen Nichtigkeit. Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Norm fest, führt das nicht in jedem Fall zur Feststellung deren Nichtigkeit; unter bestimmten Voraussetzungen kommt auch eine Unvereinbarerklärung in Betracht. Die Voraussetzungen dafür sind aber – anders als bei dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) – nicht erfüllt.
Die Verfassungswidrigkeit der Norm ergibt sich nicht daraus, dass eine Personengruppe gleichheitswidrig in eine Begünstigung nicht einbezogen ist und der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Es geht nicht um den persönlichen Anwendungsbereich des § 33c Abs. 1 Satz 1 EStG, sondern um die dem Umfang nach nicht hinreichende Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten durch die Beschränkung der Abzugsfähigkeit im letzten Halbsatz der Vorschrift.
Die Erklärung der Nichtigkeit führt auch nicht zu einer Rechtslage, die dem Grundgesetz – insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG – noch ferner stünde, so dass mit der Unvereinbarerklärung ein schonender Übergang gewährleistet werden müsste (vgl. BVerfGE 61, 319 ≪356≫; 99, 216 ≪244≫). Zwar ist es verfassungswidrig, wenn in den Jahren 1997 bis 1999 erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten bei Ehepaaren nicht ebenso wie bei Alleinstehenden berücksichtigt werden; es entspricht der Verfassung jedoch noch weniger, wenn auch bei Alleinstehenden die Kinderbetreuungskosten nicht – in dem verfassungsrechtlich gebotenen Maß – steuerlich berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 99, 216 ≪244≫).
Eine Unvereinbarerklärung ist auch nicht erforderlich, weil der verfassungswidrige Teil der Norm klar abgrenzbar und kein Teil eines undurchsichtigen Normengeflechts ist. Die Anrechnung der zumutbaren Belastung ist als Einzelfrage leicht abgrenzbar. Da der Betreuungsaufwand von dem ersten Euro an steuerlich zu berücksichtigen ist, bedarf es keiner detailreichen Nachbesserung.
Letztlich sind auch keine neuen verfassungsrechtlichen Anforderungen formuliert worden, die für den Gesetzgeber nicht zu erwarten waren und auf die er sich erst einstellen muss, so dass allein eine Unvereinbarkeitserklärung sachgerecht wäre. Der Gesetzgeber hat sich auf Grund der vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 1988 – 1 BvR 1189/87 –, HFR 1995, S. 748 f.) grundsätzlich gebilligten verfassungskonformen Auslegung des Bundesfinanzhofs (BFHE 167, 436) darauf einstellen können, dass bei Alleinstehenden die durch ihre Erwerbstätigkeit zwangsläufig entstehenden Kinderbetreuungskosten ohne Anrechnung der zumutbaren Belastung zum Abzug zugelassen werden müssen.
Unterschriften
Hassemer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1366349 |
BFH/NV Beilage 2005, 356 |
BVerfGE 2005, 268 |
DStR 2005, 958 |
DStRE 2005, 735 |
FR 2005, 759 |
NJW 2005, 2448 |
NWB 2005, 1907 |
FamRZ 2005, 1058 |
NVwZ 2005, 784 |
ZAP 2005, 548 |
FPR 2006, 360 |
KÖSDI 2005, 14694 |
Streit 2005, 152 |
FamRB 2005, 218 |
NJW-Spezial 2005, 346 |
NWB direkt 2005, 4 |
BAnz 2006, 19 |
BFH/NV-Beilage 2005, 356 |
BGBl. I 2005, 1622 |
Nds.MBl 2005, 430 |
SJ 2005, 4 |
WISO-SteuerBrief 2005, 1 |