Leitsatz (amtlich)
Die in den §§ 35 und 36 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) enthaltene Ermächtigung der Krankenkassenverbände, für Arznei- und Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Verfahrensgang
Tenor
Die in § 35 und in § 36 in Verbindung mit § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – vom 20. Dezember 1988 (Bundesgesetzblatt I Seite 2477) den dort genannten Verbänden eingeräumte Ermächtigung, Festbeträge festzusetzen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
Die Verfahren betreffen die so genannten Festbeträge für Arzneimittel (1 BvL 28/95), für Hörhilfen (1 BvL 29/95) und für Sehhilfen (1 BvL 30/95). Mit Festbeträgen wird in der gesetzlichen Krankenversicherung der erstattungsfähige Höchstbetrag für ein Arznei-, ein Heil- oder ein Hilfsmittel festgesetzt. Kostet ein zu Lasten der gesetzlichen Krankversicherung ärztlich verordnetes Mittel mehr, so sind die den Festbetrag übersteigenden Kosten vom Versicherten selbst zu tragen.
Das Bundessozialgericht hat in drei Vorlagen seine Auffassung niedergelegt, dass die einschlägigen Vorschriften nicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehen.
I.
Gegenstand der Verfahren sind Normen aus der Ursprungsfassung des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung –, das als Art. 1 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) erlassen wurde und zum 1. Januar 1989 in Kraft trat. Die Festbeträge für Arznei- und Verbandmittel sind in § 35 SGB V geregelt, die Festbeträge für Hilfsmittel finden ihre Grundlage in § 36 SGB V, teilweise unter Bezugnahme auf § 35 SGB V. Die Regelungen sehen ein neuartiges Instrumentarium zur Bestimmung von Preisgrenzen bei Inanspruchnahme verordneter Dienstleistungen und Sachmittel vor. Mit dem Mittel der Festbeträge soll den steigenden Kosten im Bereich der Arznei-, Heil- und Hilfsmittel entgegengewirkt werden; daneben trifft das Gesetz weitere Vorkehrungen mit Einspareffekten in Form des Ausschlusses einzelner Mittel vom Leistungskatalog (§ 31 Abs. 1 i.V.m. § 34 SGB V) und der Zuzahlung oder Selbstbeteiligung (§ 31 Abs. 2 SGB V). In späteren Reformgesetzen ist das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Arznei-, Verband- und Heilmittelbudgets sowie durch die Möglichkeit zum Regress gegenüber den Vertragsärzten bei Überschreitung dieser Budgets ergänzt worden (§ 84 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1998 ≪BGBl I S. 3853≫).
1. Diese gesetzlichen Bemühungen wollen einem Strukturdefizit der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenwirken: Nach dem Sachleistungsprinzip müssen die Krankenkassen Aufwendungen tragen, die von je unterschiedlichen Dritten beansprucht, verordnet, hergestellt und angepasst werden. Weder für Versicherte noch für Ärzte besteht ein Anreiz für eine kostengünstige Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Solange für die nachfragenden Patienten die Preise ohne Belang sind, besteht auch für die Hersteller kein Anlass zum Preiswettbewerb (vgl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Jahresgutachten 1987, S. 89 Rn. 220). Mit den Festbeträgen soll den Versicherten ein Anreiz für die Wahl kostengünstiger Arznei- und Hilfsmittel gegeben werden; bei den Leistungserbringern, vor allem bei den Pharmaunternehmen, sollen Anreize zu einem wirksamen Preiswettbewerb gesetzt werden. Die Versicherten erhalten nicht mehr jedes verordnete Arzneimittel kostenfrei, sondern nur noch jene Mittel, deren Preis den Festbetrag nicht überschreitet. Teurere Mittel können weiterhin verordnet werden, die Versicherten müssen die Differenz zum Festbetrag jedoch selbst tragen.
Das Instrument der Festbeträge setzt bei den bestehenden Markt- und Preisverhältnissen vor In-Kraft-Treten des SGB V an. Die Festbetragsfestsetzung beruht nach den §§ 35, 36 SGB V auf einer Gruppenbildung. Bei den Arzneimitteln werden durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Arzneimittel mit denselben und solche mit vergleichbaren Wirkstoffen sowie solche mit vergleichbarer Wirkung, bei den Hilfsmitteln durch die Spitzenverbände der Krankenkassen die in ihren Funktionen gleichartigen Mittel zusammengefasst. Für die jeweiligen Gruppen werden dann aus den vorgefundenen Preisspannen die Geldbeträge festgesetzt, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber Preiswettbewerb unter den Herstellern möglich werden soll. Dies geschieht für die Arzneimittel durch die Spitzenverbände der Krankenkassen, für die Hilfsmittel durch die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam.
Die Normen lauten:
§ 35 SGB V
Festbeträge für Arznei- und Verbandmittel
(1) Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. In den Gruppen sollen Arzneimittel mit
- denselben Wirkstoffen,
- pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen,
- pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen,
zusammengefaßt werden; unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel sind zu berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam sind. Die nach Satz 2 Nr. 2 und 3 gebildeten Gruppen müssen gewährleisten, daß Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen; ausgenommen von diesen Gruppen sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten. Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ermittelt auch die nach Absatz 3 notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen.
(2) Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie der Arzneimittelhersteller und der Berufsvertretungen der Apotheker ist vor der Entscheidung des Bundesausschusses Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen sind auch Stellungnahmen von Sachverständigen dieser Therapierichtungen einzuholen. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.
(3) Die Spitzenverbände der Krankenkassen setzen gemeinsam und einheitlich den jeweiligen Festbetrag auf der Grundlage von rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen fest. Die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam können einheitliche Festbeträge für Verbandmittel festsetzen. Für die Stellungnahmen der Sachverständigen gilt Absatz 2 entsprechend.
(4) Ein Festbetrag für Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (Absatz 1 Satz 2 Nr. 1) kann erst drei Jahre nach der ersten Zulassung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels festgesetzt werden.
(5) Die Festbeträge sind so festzusetzen, daß sie im allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Bei der Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel ist grundsätzlich von den preisgünstigen Apothekenabgabenpreisen in der Vergleichsgruppe auszugehen; dabei ist sicherzustellen, daß eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl möglich ist. Die Festbeträge sind mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen.
(6) Für das Verfahren zur Festsetzung der Festbeträge gilt § 213 Abs. 2 und 3.
(7) Die Festbeträge sind im Bundesarbeitsblatt bekanntzumachen. Klagen gegen die Festsetzung der Festbeträge haben keine aufschiebende Wirkung. Ein Vorverfahren findet nicht statt. Eine gesonderte Klage gegen die Gruppeneinteilung nach Absatz 1 Satz 1 bis 3, gegen die rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen nach Absatz 1 Satz 4 oder gegen sonstige Bestandteile der Festsetzung der Festbeträge ist unzulässig.
§ 36 SGB V
Festbeträge für Hilfsmittel
(1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestimmen gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Dabei sollen in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Mittel in Gruppen zusammengefaßt werden. Den Verbänden der betroffenen Leistungserbringer und den Verbänden der Behinderten ist vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.
(2) Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam setzen für die nach Absatz 1 bestimmten Hilfsmittel für den Bereich eines Landes einheitliche Festbeträge fest. Für Brillengestelle und Brillengläser sind getrennte Festbeträge festzusetzen. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) § 35 Abs. 5 Satz 1, 2 und Satz 4 zweiter Halbsatz sowie Abs. 7 gilt.
(4) Für das Verfahren nach Absatz 1 und 2 gilt § 213 Abs. 2 entsprechend.
Bei der Festbetragsfestsetzung für Hilfsmittel besteht keine Ersatzkompetenz des zuständigen Bundesministeriums, das bei Arzneimitteln die Festbetragsfestsetzung übernimmt, wenn sich die Spitzenverbände der Krankenkassen nicht einigen können (§ 35 Abs. 6 SGB V) und auch kein Mehrheitsbeschluss zustande kommt. Das Verfahren zur Festsetzung der Festbeträge für Arznei- und Verbandmittel richtet sich nach § 213 Abs. 2 und 3 SGB V, dasjenige zur Festsetzung der Festbeträge für Hilfsmittel nach § 213 Abs. 2 SGB V.
§ 213 SGB V
Spitzenverbände
(1) …
(2) Die Spitzenverbände sollen sich über die von ihnen nach diesem Gesetz gemeinsam und einheitlich zu treffenden Entscheidungen einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, erfolgt die Beschlußfassung durch drei Vertreter der Ortskrankenkassen einschließlich der See-Krankenkasse, zwei Vertreter der Ersatzkassen und je einen Vertreter der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen, der landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Bundesknappschaft. Beschlüsse bedürfen der Mehrheit der in Satz 2 genannten Vertreter der Spitzenverbände. Das Verfahren zur Beschlußfassung regeln die Spitzenverbände in einer Geschäftsordnung.
(3) Kommen die erforderlichen Beschlüsse nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gesetzten Frist zustande, entscheidet der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und dem Bundesminister für Wirtschaft; einer Fristsetzung bedarf es nicht, soweit die Spitzenverbände die Festbeträge für die in § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 genannten Arzneimittel nicht bis zum 30. Juni 1989 festgelegt haben. Die Entscheidung ist im Bundesarbeitsblatt bekanntzumachen.
(4) …
Die Normen über die Festsetzung der Festbeträge werden durch ein modifiziertes Recht des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse flankiert; als Alternative zur Sachleistung kann er Teil-Kostenerstattung verlangen. Außerdem ist der Vertragsarzt bei der Verordnung hochpreisiger Arznei- und Hilfsmittel zu einem Hinweis verpflichtet:
§ 31 SGB V
Arznei- und Verbandmittel
(1) …
(2) Ist für ein Arznei- oder Verbandmittel ein Festbetrag nach § 35 festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags. Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung.
(3) …
§ 33 SGB V
Hilfsmittel
(1) …
(2) Ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags. Für andere Hilfsmittel übernimmt sie die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.
(3) bis (5) …
§ 73 SGB V
Kassenärztliche Versorgung
(1) bis (4) …
(5) … Verordnet der Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag nach § 35 überschreitet, hat der Arzt den Versicherten über die sich aus seiner Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen.
(6) …
2. Seit der Ursprungsfassung wurden die §§ 35 und 36 SGB V mehrfach geändert. Die Neuregelungen bewirkten teilweise eine gesetzliche Konkretisierung der Vorgaben für die Festbetragsermittlung. Wegen der verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Problematik hat der Gesetzgeber mit dem Festbetrags-Anpassungsgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1948), bezogen auf den Teilbereich der Arzneimittel, die Festbetragsfestsetzung und -anpassung einer – inzwischen erlassenen – Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vorbehalten; die Regelung ist bis zum 31. Dezember 2003 befristet.
II.
In den Ausgangsverfahren sind Festbetragsfestsetzungen aus dem Bereich von Arzneimitteln, Hörhilfen und Brillen streitig, die von den Sozialgerichten erster und – soweit darüber entschieden wurde – auch zweiter Instanz nicht beanstandet worden sind. Das vorlegende Bundessozialgericht sieht die Klagen in den Ausgangsverfahren als zulässig an, hält aber die §§ 35, 36 SGB V als Rechtsgrundlage der Festbetragsfestsetzung für verfassungswidrig.
Arzneimittelfestbeträge (1 BvL 28/95)
a) Die erste nach Einführung der Festbetragsregelung getroffene Festsetzung vom 19. Juni 1989 (BArbBlatt 1989, Heft 7-8, S. 50 ff.) betraf unter anderem den Wirkstoff Nifedipin, ein Therapeutikum zur Behandlung koronarer Herzkrankheiten, das bis 1985 unter Patentschutz stand. Es war zu dieser Zeit der umsatzstärkste Arzneimittelwirkstoff im Markt der gesetzlichen Krankenversicherung. An dem Umsatzvolumen von etwa 511 Mio. DM waren Generika-Anbieter mit zwei Dritteln beteiligt. Der Preis für das Originalpräparat lag bei 120 bis 187 % des preisgünstigsten Generikums (vgl. Litsch/Reichelt/Selke, Auswirkungen der Arzneimittelfestbeträge, hrsg. von dem Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen ≪WIdO≫, 1990, S. 117 f.). Der Wirkstoff wurde als Tablette, in einer Lösung und als Kapsel angeboten; er war schnell freisetzend oder retardiert freisetzend oder gleichzeitig schnell und langsam freisetzend (SL-Tabletten). Ob es sich dabei um jeweils unterschiedliche Gruppen handelt, ist eine aus therapeutisch-pharmakologischer Sicht zu beantwortende Frage. Besonders umstritten ist sie im Hinblick auf die gleichzeitig schnell und langsam freisetzenden Tabletten mit dem Namen “Adalat”. Sie werden von der Bayer-AG hergestellt, die ursprünglich auch das Patent auf Nifedipin hatte. Sie ist Klägerin des Ausgangsverfahrens. Die Nifedipin-Präparate werden zudem in unterschiedlichen Wirkstärken angeboten.
Die Vielfalt der Anbieter ist groß, die Zahl der Angebote jedoch je Darreichungsform und Wirkstärke unterschiedlich hoch. Die Vergleichbarkeit der Arzneimittel untereinander wird weiter dadurch erschwert, dass die Medikamente von den einzelnen Herstellern in unterschiedlichen Packungsgrößen angeboten werden. Die Marktsituation ist unübersichtlich und verursacht erhebliche Probleme bei der Gruppenbildung und der Festbetragsfestsetzung (vgl. Reher/Reichelt, Arzneimittelfestbeträge: Lösungen für die Praxis, WIdO-Materialien, Bd. 32, 1989, S. 18). Das Ergebnis des Festsetzungsverfahrens für Nifedipin war vor allem hinsichtlich der SL-Tabletten umstritten. Sie wurden den langsam freisetzenden Darreichungsformen zugeordnet. Allein in diesem Bereich wurden mehr als zehn Beträge festgelegt (vgl. BArbBlatt 1989, Heft 7-8, S. 51).
b) Die Bayer-AG klagte vor den Sozialgerichten gegen die gemeinsame und einheitliche Festbetragsfestsetzung für den Wirkstoff Nifedipin in der Gruppe 2 (retardiert, inklusive SL). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die angegriffene Festbetragsfestsetzung verstoße gegen Art. 3 und Art. 12 GG, da eine im verfassungsrechtlichen Sinn wesentliche Regelung den Verbänden der Selbstverwaltung überantwortet worden sei. Darüber hinaus verstoße die Festsetzung gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, weil ein Nachfragekartell von öffentlichen Unternehmen die Festsetzung vornehme. Auch die Berechnung im Einzelnen sei offenkundig fehlerhaft. Es seien zum einen subventionierte Auslandsimporte und zum anderen solche Präparate einbezogen worden, die nur einen verschwindend geringen Marktanteil hätten. Die Besonderheiten hinsichtlich der Bioverfügbarkeit von Adalat seien nicht berücksichtigt.
Das Sozialgericht wies die Klage ab. Es hielt das Instrument der Festbetragsfestsetzung nicht für rechtswidrig und die Umsetzung im Einzelnen für zutreffend. Rechte der Herstellerin würden nicht verletzt. Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück. Es hielt die Klage für unzulässig, da rechtlich geschützte Positionen der Arzneimittelhersteller nicht berührt würden und ihnen die Klagebefugnis fehle. Die Festbetragsfestsetzung stelle keine Preisregelung, sondern eine Kostenerstattungsregelung dar, von der die Hersteller nicht unmittelbar betroffen seien.
c) Auf die Revision der Klägerin hat das Bundessozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die in § 35 SGB V den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingeräumte Befugnis, für Arzneimittel Festbeträge festzusetzen, mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm legt das Gericht wie folgt dar: Die Festsetzung sei nicht als Rechtsnorm durch dazu legitimierte Rechtsetzungsorgane, sondern durch Verwaltungsbehörden erfolgt. Deshalb lägen ein Verstoß gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aus Art. 20 GG sowie ein Verstoß gegen Art. 80 in Verbindung mit Art. 12 GG vor. Die auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung gerichtete Klage sei als Anfechtungsklage zulässig. Die Festsetzung geschehe nach den Gesetzgebungsmaterialien und nach der übereinstimmenden Auffassung aller Beteiligten durch Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung, die im Klageweg von den Unternehmen angefochten werden könnten. Zwar sehe § 35 Abs. 7 Satz 2 und 3 SGB V kein ausdrückliches Klagerecht der Leistungserbringer vor; der Hinweis auf die fehlende aufschiebende Wirkung von Klagen setze jedoch ein solches Recht voraus.
Anders als vom Landessozialgericht angenommen, werde die Klägerin als Arzneimittelherstellerin durch die Festbetragsfestsetzung in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG betroffen, das nicht nur gegen direkte Eingriffe des Gesetzgebers schütze, sondern auch gegen indirekte rechtliche Regelungen, wenn sie die Wettbewerbsbedingungen mit objektiv berufsregelnder Tendenz veränderten. Zwar berühre die Festbetragsregelung nicht das Recht der Hersteller, für ihre Arzneimittel die Preise frei festzusetzen. Das Instrument der Festbeträge habe dennoch den Charakter einer Preisregulierung im Sinne eines dirigistischen Eingriffs in den Wettbewerb. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers solle es das Verhalten der Pharmaindustrie beeinflussen, was seine objektiv berufsregelnde Tendenz belege. Es liege damit mehr als ein bloßer Rechtsreflex vor, der den Schutzbereich des Art. 12 GG nicht berühre. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass ein Medikament bei vollständigem Ausschluss der Verordnungsfähigkeit auch nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts (BSGE 67, 251) nicht die Berufsfreiheit der Hersteller berühre. Durch den Ausschluss eines Arzneimittels werde der Wettbewerb wiederhergestellt, der durch die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung aufgehoben gewesen sei. Eine Festbetragsregelung greife hingegen in das Marktgeschehen ein und könne es mit der Gefahr ungleicher Subventionierung verändern oder steuern.
Selbst wenn es die Regelung für verfassungsmäßig hielte, könne das vorlegende Gericht in der Sache noch nicht abschließend entscheiden. Es fehle an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen dazu, ob die Vorgaben des § 35 Abs. 1, 3 und 5 SGB V beachtet worden seien. Dazu habe das Berufungsgericht infolge seiner abweichenden Rechtsauffassung noch keine Feststellungen getroffen. Auch sei – bei unterstellter Verfassungsmäßigkeit der Regelung – ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof durchzuführen; denn es bestünden vernünftige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festbetragsregelung im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht. Eine bestimmte Reihenfolge der Vorlagen (an das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof) sei aber gesetzlich nicht vorgeschrieben und ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Klärung der innerstaatlichen Rechtslage werde für vorrangig gehalten.
Der Verstoß gegen die nach dem Grundgesetz für die Normsetzung geltenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie liege darin, dass die getroffenen Regelungen Grundrechte Dritter berührten und das Gesetz deshalb den Erlass einer Rechtsverordnung hätte vorsehen müssen. Es sei zu beanstanden, dass es den Eingriff in Form eines Verwaltungsaktes zulasse. Die Festbetragsregelung sei auch nach ihrem Inhalt eine allgemeine Regelung im Sinne einer Rechtsnorm und keine Allgemeinverfügung. Durch die Ermächtigung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Normsetzung werde überdies den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genügt. Der Gesetzgeber dürfe nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung den Erlass einer allgemeinen Regelung nicht als Verwaltungsakt vorsehen und sich so der verfassungsrechtlichen Bindung an Art. 20 und Art. 80 GG entziehen.
Hörhilfenfestbeträge (1 BvL 29/95)
a) Festbeträge für Hörhilfen wurden in Schleswig-Holstein am 2. Oktober 1989 festgesetzt (BArbBlatt 1989, Heft 11, S. 27 f.). Schon zuvor bestand in Bezug auf Hörhilfen ein Markt mit vereinheitlichten Preisen, weil die Krankenkassen oder von ihnen ermächtigte Verbände gehalten waren, mit den Leistungserbringern von Heil- und Hilfsmitteln Preisvereinbarungen zu treffen. Man orientierte sich damals an den Preisempfehlungen der so genannten Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, SozR 1500 § 51 Nr. 39). Die Landesverbände der Krankenkassen haben auf Grund der vom Bundessozialgericht zur Prüfung gestellten Norm in Schleswig-Holstein die Preise im Durchschnitt so festgesetzt, dass sie 27 % unter den vordem bundesweit vereinbarten Preisen lagen. Sie haben sich an den Preisverhandlungen in anderen Bundesländern und an den Preisen im internationalen Vergleich orientiert.
b) Die beiden Kläger des Ausgangsverfahrens sind ein in Schleswig-Holstein selbständig tätiger Hörgeräteakustiker sowie eine in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte, die zwei Hörgeräte trägt. Sie beantragten die Feststellung, dass die Festbetragsfestsetzung nichtig sei. Zur Begründung führten sie aus, das Festsetzungsverfahren sei fehlerhaft durchgeführt worden und entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Insbesondere seien die Stellungnahmen der betroffenen Verbände nicht in die Entscheidung eingeflossen und die gehörten Verbände willkürlich ausgewählt worden. Die Leistung des Hörgeräteakustikers selbst werde nicht angemessen gewürdigt; seine Dienstleistung sei einer Festbetragsfestlegung nicht zugänglich. Es sei auch auf Erkenntnisse von Hals-, Nasen- und Ohrenärzten verzichtet worden. Die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten sei nicht mehr sichergestellt.
Das Sozialgericht wies die Klagen ab. Dem Hörgeräteakustiker fehle das Rechtsschutzbedürfnis; er sei lediglich wirtschaftlich mittelbar betroffen. Die Versicherte selbst sei klagebefugt, die streitbefangene Festsetzung sei allerdings nicht nichtig.
c) Auf die Sprungrevision der Kläger hat das Bundessozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die in § 36 in Verbindung mit § 35 SGB V den dort genannten Körperschaften eingeräumte Berechtigung, für Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, mit Art. 12, Art. 20 und Art. 80 GG vereinbar sei.
Für die Revisionsentscheidung komme es auf die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung an. Sei die Regelung verfassungswidrig, müssten die Festbetragsfestsetzungen mangels Rechtsgrundlage aufgehoben werden. Beide Kläger seien klagebefugt. Der klagende Hörgeräteakustiker sei es, weil er als zugelassener Hilfsmittelerbringer durch die Festbetragsfestsetzung in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG betroffen sei. Die Festbetragsfestsetzung verändere seine Rechtsposition insoweit, als er die Befugnis verliere, selbst Preise mit den Krankenkassen oder deren Verbänden zu vereinbaren; bereits vereinbarte höhere Preise würden mit den Festsetzungen wirkungslos. Die klagende Versicherte sei klagebefugt, weil die Festbetragsfestsetzung vorab verbindlich über die im späteren Leistungsfall zu berücksichtigenden Festbeträge entscheide. Als Grundlagenbescheid werde der Betrag einer späteren Leistungsbewilligung ungeprüft zugrunde gelegt.
Das Bundessozialgericht könne auch nicht die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsnorm offen lassen und den Klagen aus anderen Gründen entsprechen. Bei einem Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht sei noch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. In der Revision könne auch nicht entschieden werden, ob der festgesetzte Betrag die gesetzlichen Grenzen unterschreite. Hinsichtlich der Gefährdung einer ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgung reichten die vom Sozialgericht getroffenen Feststellungen nicht aus. Deshalb sei dem Interesse der Kläger dadurch Rechnung zu tragen, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung geklärt werde, bevor über etwaige Fehler im Verwaltungsverfahren entschieden werde. Die Verfassungsfragen wirkten sich zudem bis in die Einzelheiten der Festbetragsfestsetzung aus.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung bezog sich das Bundessozialgericht auf seine Ausführungen in dem dem Verfahren 1 BvL 28/95 zugrunde liegenden Vorlagebeschluss. Für Hilfsmittel gelte nichts Abweichendes.
Festbeträge für Sehhilfen (1 BvL 30/95)
a) Für Rheinland-Pfalz sind durch Verfügung vom 11. April 1990 Festbeträge für Sehhilfen festgesetzt worden (BArbBlatt 1990, Heft 7-8, S. 35 f.). Wie bei den Hörhilfen gab es schon zuvor einheitliche Preisvereinbarungen über die Vergütung der Optiker. Für die Festsetzung der Festbeträge konnte daher nicht auf Marktbeobachtungen zurückgegriffen werden; mögliche Spielräume wurden geschätzt, um das Einsparvolumen voll auszuschöpfen.
b) Im Ausgangsverfahren klagten vor den Sozialgerichten ein Landesinnungsverband und zwei Optikerinnungen aus Rheinland-Pfalz sowie elf selbständige Optiker aus diesem Land. Sie beantragten, die Festsetzung der Festbeträge für Sehhilfen aufzuheben. Die bei der Anfertigung der Brillengläser erbrachten Dienstleistungen seien nicht festbetragsfähig. Es müssten weiterhin die im Gesetz vorgesehenen Verträge abgeschlossen werden, deren mögliche Vertragspartner einzelne Optiker, deren Innungen oder deren Verbände seien.
Das Sozialgericht wies die Klagen als unzulässig ab. Die Innungen und der Landesverband seien nicht befugt, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder geltend zu machen. Sie seien nach dem Gesetzeswortlaut bei der Festsetzung der Festbeträge auch nicht zu beteiligen gewesen, so dass sie nicht in eigenen Rechten verletzt sein könnten. Die selbstständigen Optiker hätten die Klagefrist versäumt. Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück.
c) Das Bundessozialgericht, das die Klagen als Anfechtungsklagen insgesamt für zulässig hält, hat das von allen Klägern angestrengte Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die in § 36 in Verbindung mit § 35 SGB V den dort genannten Körperschaften eingeräumte Berechtigung, für Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, mit Art. 12 und Art. 20 GG vereinbar sei.
Die Frist für die Anfechtungsklage sei gewahrt. Die klagenden Optiker seien als Leistungserbringer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG betroffen und damit klagebefugt. Die Verbände und Innungen könnten ihre Klagebefugnis aus ihrer Vertragskompetenz ableiten, die in § 127 SGB V ihren Niederschlag gefunden habe.
Im Übrigen stimmt die Begründung mit derjenigen in dem dem Verfahren 1 BvL 29/95 zugrunde liegenden Vorlagebeschluss überein.
III.
Zu den Verfahren haben Stellungnahmen abgegeben das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, die Verbände der Pharmazeutischen Industrie, Berufsverbände und Innungen der Hörgeräteakustiker und Augenoptiker, die Kläger der Ausgangsverfahren, der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Innungskrankenkasse Rheinland-Pfalz.
1. Das Bundesministerium für Gesundheit hält die §§ 35 und 36 SGB V für verfassungsmäßig. Im Arzneimittelbereich sei bereits die Grundrechtsbetroffenheit der Hersteller zweifelhaft. Es habe an einem Wettbewerb mit Preiskomponente gefehlt, so dass die Regelung nicht in einen Markt mit Wettbewerb eingegriffen habe. Die Hersteller hätten keinen Anspruch auf Beibehaltung des Systems oder auf die uneingeschränkte Erstattung der von ihnen festgelegten Arzneimittelpreise durch die gesetzliche Krankenversicherung. Unmittelbare Rechtswirkungen entfalteten die Festbeträge allein im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Versicherten. Sie stellten eine konkrete Ausprägung des für die gesetzliche Krankenversicherung maßgeblichen allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebots dar. Auch wenn die Regelung den Herstellern Anlass zu Preissenkungen gebe, sei dies nicht das gesetzgeberische Ziel gewesen. Der Leistungsanspruch der Versicherten habe begrenzt werden sollen.
Halte man die Regelung für einen Eingriff, der an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sei, sei er verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Die Vorgaben genügten den Anforderungen des Grundgesetzes. Die Regelungen seien zwar flexibel, aber hinreichend bestimmt. Die Zusammenschau der gesetzlichen Kriterien verenge den Entscheidungskorridor für die Spitzenverbände der Krankenkassen stark; die dann noch bestehende Flexibilität trage der Sachmaterie Rechnung. Die Festsetzung selbst sei nicht Rechtsetzung, sondern Vollzug gesetzlicher Vorgaben. Adressatenkreis und Regelungsgegenstand seien in der für Allgemeinverfügungen erforderlichen Weise hinreichend bestimmt oder bestimmbar. Die Festbetragsfestsetzung liege im Allgemeinwohlinteresse, weil die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere für Arzneimittel, stark angestiegen seien. Sie sei geeignet, Defizite im System abzubauen. Die Versicherten hätten ein Interesse an preisgünstiger Arzneimittelversorgung. Wenn das Bundessozialgericht demgegenüber Modelle einer prozentualen Selbstbeteiligung bevorzuge, handele es sich dabei um ein gänzlich anderes Regulierungskonzept, das der Gesetzgeber politisch nicht gewollt habe.
Diese Argumente träfen auch für die Festbetragsregelung bei Hilfsmitteln zu. Die Festbetragsfestsetzung sei Normenvollzug und erfolge auf Grund von Marktanalysen und nach Einholung unterschiedlicher Angebote von Leistungserbringern. Die betroffenen Verbände hätten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Damit sei den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügt.
2. Die Verbände der Pharmazeutischen Industrie teilen die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundessozialgerichts.
Der Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller weist darauf hin, dass die gesetzliche Krankenversicherung im Verordnungsmarkt für Arzneimittel eine marktbeherrschende Stellung auf der Nachfrageseite habe. Der Eingriff in den Wettbewerb sei tief, wenn bei einem Umsatzvolumen von 18,3 Milliarden DM ein Einsparvolumen von 2,4 Milliarden DM im Jahr angepeilt werde. Den Krankenkassen bleibe nach den gesetzlichen Regelungen ein zu großer Interpretationsspielraum. Die Entscheidungen seien weder hinsichtlich der Voraussetzungen noch rechnerisch überprüfbar. Ergänzend bezieht sich der Verband auf ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Ossenbühl.
Nach Auffassung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller wird die freie Preisgestaltung der Unternehmen nur formalrechtlich nicht angetastet. Angesichts der Marktverhältnisse seien die Unternehmen jedoch wirtschaftlich zu einer Absenkung ihrer Preise auf das Erstattungsniveau gezwungen. Deshalb habe die Festbetragsfestsetzung wirtschaftslenkende und preissteuernde Funktionen, die parastaatlichen Verbänden überantwortet werde. Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen hätten ihre marktbeherrschende Stellung auch missbräuchlich ausgenutzt.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie stimmt dem zu. Von den Festbeträgen gingen faktische Preisdiktate aus. Bis auf marginale Ausnahmen hätten die Hersteller nach Festsetzung von Festbeträgen ihre Preise regelmäßig auf dieses Niveau geändert. Dennoch hätten sie kein Mitspracherecht bei der Bestimmung der Gruppen und bei der Festsetzung der DM-Beträge. Die Beteiligung von Sachverständigen ermögliche noch keinen angemessenen Einfluss.
Die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und der Zentralverband der Augenoptiker schließen sich ebenfalls der Auffassung des Bundessozialgerichts an. Vor allem seien den Verbänden Beteiligungsrechte nur theoretisch eingeräumt. Es fehle jede Regelung darüber, in welcher Art und Weise mit den vorgetragenen Argumenten zu verfahren sei.
Auch der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands folgt der Argumentation des Bundessozialgerichts. Er verweist auf die besonderen Nachteile, die auch die Augenärzte im Zusammenhang mit der Versorgung der Patienten mit Kontaktlinsen träfen. Letztlich sei zu diesen Bedingungen eine Leistungserbringung nicht mehr möglich.
3. Diese Stellungnahmen werden von den Klägern der Ausgangsverfahren bekräftigt.
Die Regelungen griffen in die Grundrechtssphäre von Außenseitern ein und bedürften daher vollständiger gesetzlicher Ausformung. Da die Gremien der gesetzlichen Krankenversicherungen nur ihren Mitgliedern, nicht aber den betroffenen pharmazeutischen Unternehmen gegenüber demokratisch legitimiert seien, könnten ihre Entscheidungen lediglich den Charakter einer Empfehlung an die zuständige, in parlamentarischer Verantwortung stehende Stelle, hier das Bundesministerium für Gesundheit, haben. Dieses müsse die Empfehlungen in einem strengen staatlichen Prüfverfahren unter Beteiligung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen auf ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Bestimmungen überprüfen.
Auch die Hörgeräteakustiker und die auf Hörhilfen angewiesene Versicherte teilen die Auffassung des Bundessozialgerichts. Die Spitzenverbände hätten bei der Festsetzung der Festbeträge ausschließlich Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Nur in den seltensten Fällen ermöglichten diese Beträge eine wirklich ausreichende Korrektur des Hörschadens. Im Regelfall erfordere die Versorgung Zuzahlungen.
4. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hält die Festbetragsfestsetzung verfahrensrechtlich für eine normsetzende Vereinbarung, die verfassungsrechtlich zulässig sei. Ihre Grundlage ergebe sich aus der im System der gesetzlichen Krankenversicherung historisch gewachsenen und verfassungsrechtlich nicht verbotenen Zuweisung der Lösung nachrangiger Probleme an die Selbstverwaltung oder an Formen gemeinschaftlicher Selbstverwaltung. Der Sache nach gehe es um eine krankenversicherungsrechtliche Regelung im Leistungsrecht, die die Rechtsbeziehungen zwischen den Kassen und den Versicherten betreffe. Soweit die Ärzte sich bei der Verordnung auf die Medikamente beschränkten, die eine Sachleistung ermöglichten, gebe es für Hersteller teurerer Medikamente Nachteile am Markt. Es handele sich jedoch nicht um einen Eingriff; denn die Hersteller hätten keinen grundrechtlich geschützten Anspruch, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung Arzneimittel zu einem von ihnen bestimmten Preis abgeben zu können.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen halten die Regelungen ebenfalls für verfassungsgemäß. Sie beziehen sich auf ein Gutachten von Professor Dr. Goerlich. Danach werde in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit für Unternehmen mit den Garantien der Freiheit der Disposition, der Produktion, der Preisbildung, der Wettbewerbsteilnahme und der Vertragsbindung nicht eingegriffen. Die Unternehmer seien an der Preisbildung nicht gehindert, nur weil die Preise über die Festbeträge erstmals ein Auswahlkriterium auf Seiten der Verbraucher darstellten. Der Markt sei transparenter geworden, der wettbewerbsferne Zustand sei aufgehoben worden. Sofern Sparmaßnahmen zu Umsatzrückgängen führten, folge hieraus noch nicht ein Eingriff in eine von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Position. Es gehe lediglich um eine Veränderung der Erwerbschancen. Ansprüche auf den Erhalt des bisherigen Geschäftsumfangs bestünden in der freien Wettbewerbswirtschaft nicht. Auch wenn Schutzpositionen von Herstellern berührt sein sollten, fehle es an einem faktischen Grundrechtseingriff, weil die Beeinträchtigungen nicht durch die gesetzliche Regelung oder die Festbetragsfestsetzung hervorgerufen, sondern erst durch ein verändertes Verbraucherverhalten bewirkt würden. Die Entscheidung über die Kosten sei im Sinne eines typischen Marktgeschehens bei den Versicherten reindividualisiert worden. Jedenfalls wäre ein Eingriff, sofern er denn bejaht würde, auch gerechtfertigt.
Insbesondere habe der Gesetzgeber die Grundentscheidung der Leistungsbegrenzung selbst getroffen. Sie sei als Grundlage für Verwaltungsentscheidungen hinreichend bestimmt. Für gesetzeskonkretisierende Entscheidungen habe der Gesetzgeber auch die Form von Richtlinien nach § 92 SGB V als normkonkretisierende Zwischenebene vorsehen dürfen. Die Zuständigkeit des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen könne nicht beanstandet werden; ihre Rechtfertigung ergebe sich aus der Fach- und Sachkompetenz dieses Gremiums. Die Gruppeneinteilung setze medizinische Kenntnisse voraus, die die Beteiligung der Ärzte erfordere. Im Hilfsmittelbereich sei hingegen eine Mitwirkung des Bundesausschusses nicht vorgesehen, da die konkretisierende Auswahlentscheidung nicht von den Ärzten, sondern von den Leistungserbringern (Optiker, Hörgeräteakustiker) im Zusammenwirken mit den Versicherten getroffen werde.
Die Innungskrankenkasse Rheinland-Pfalz hat die Besonderheiten bei der Hilfsmittelfestbetragsfestsetzung hervorgehoben. Zu den Arzneimitteln gebe es strukturelle Unterschiede. Vereinbarungen über die Abgabe von Hilfsmitteln zu bestimmten Festbeträgen hätten die Wirkung einer Gebührenordnung. Verträge könnten jetzt nur noch innerhalb der Festbetragsgrenzen abgeschlossen werden, die ihrerseits schon die ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel festlegten. Es bestehe die Gefahr, dass sich nicht genügend Leistungserbringer zur Vertragsschließung innerhalb der Festbetragsgrenzen verpflichteten, so dass die Versorgung zu diesen Konditionen nicht sichergestellt sei.
IV.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten der Ausgangsverfahren, die Bundesregierung, der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, die Bundesapothekerkammer, der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, der Bundesverband der Arzneimittelhersteller, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, der Deutsche Generikaverband, die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, die Union der Hörgeräteakustiker und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands ihre Auffassung zu Gehör gebracht.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlagen sind zulässig.
I.
Das Bundessozialgericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Verfahrens zur Festbetragsfestsetzung für Arznei- und Hilfsmittel hinlänglich begründet (vgl. BVerfGE 89, 329 ≪337≫; 94, 315 ≪325≫). Einfachrechtlich nachvollziehbar bejaht das Gericht, eine Befugnis der Kläger in den Ausgangsverfahren gegen die Festbetragsfestsetzung vor den Sozialgerichten zu klagen. Die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts ist insoweit maßgeblicher Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung (vgl. BVerfGE 2, 181 ≪190 f.≫; 11, 89 ≪92≫). Das Bundessozialgericht hat auch ausreichend dargelegt, dass es auf die zur Prüfung gestellten Normen für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt (vgl. BVerfGE 79, 240 ≪243≫). Weder einer möglichen Klärung gemeinschaftsrechtlicher Fragen durch den Europäischen Gerichtshof noch einer in den Tatsacheninstanzen gegebenenfalls nachzuholenden Beweisaufnahme kommt im vorliegenden Fall Vorrang zu.
1. Die Fragen des europäischen Gemeinschaftsrechts, die inzwischen unter anderem zu einer Vorlage des Bundesgerichtshofs an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 EGV geführt haben (vgl. BGH, VersR 2001, S. 1361), stehen im vorliegenden Fall einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG nicht entgegen.
a) Wenn feststeht, dass ein Gesetz auf Grund entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts nicht mehr angewendet werden darf, ist das Gesetz wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht mehr entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 85, 191 ≪203 ff.≫). Welche Maßstäbe bei strittiger gemeinschaftsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Rechtslage für eine Rangfolge unter den vom Revisionsgericht gegebenenfalls einzuleitenden Zwischenverfahren (Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV und Vorlage nach Art. 100 GG) gelten, ist hier nicht abschließend zu entscheiden, da die zu beantwortenden Fragen im vorliegenden Fall die Vorlagen beim Bundesverfassungsgericht unabhängig von der Klärung der gemeinschaftsrechtlichen Fragen erforderlich machen.
b) Die allein national bestimmten Regelungen zur Normsetzung und zum Gesetzesvorbehalt, die vorliegend für die Überzeugung des Bundessozialgerichts von der Verfassungswidrigkeit der Festbetragsfestsetzung maßgeblich sind, beanspruchen Geltung bei jeder Art von deutscher Rechtsetzung, auch bei derjenigen, die von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angeleitet ist. Die verfassungsrechtliche Prüfung, ob zur Festbetragsfestsetzung eine Rechtsverordnung hätte erlassen werden müssen, wie das vorlegende Gericht annimmt, hängt nicht von der Auslegung des europäischen Wettbewerbsrechts ab. Es kann hingegen für das europäische Wettbewerbsrecht von Bedeutung sein, ob die das Marktgeschehen berührende Verhaltenssteuerung Folge eines dem Allgemeininteresse verpflichteten gesetzgeberischen Aktes auf dem Gebiet der Sozialversicherung ist oder ob gesetzliche Krankenkassen und deren Verbände eigenständige unternehmerische Möglichkeiten der Gestaltung und Einflussnahme im Hinblick auf die Preisentwicklung haben. Fragen des insoweit verfassungsrechtlich Erlaubten haben damit möglicherweise Einfluss auf eine Bewertung der Vorgänge auf der Grundlage des europäischen Rechts.
Ohne Klärung dieser Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bliebe im Verfahren der Vorabentscheidung für den Europäischen Gerichtshof offen, ob die ihm unterbreitete Frage durch eine innerstaatlich kompetenzgemäß erlassene Regelung aufgeworfen wird und ob dem Staatsrecht des jeweiligen Mitgliedstaates auch im Übrigen formell genügt ist, so dass sich auch der Europäische Gerichtshof im Ungewissen darüber befände, ob die Vorabentscheidung eine nach innerstaatlichen Maßstäben im Übrigen gültige und deshalb entscheidungserhebliche Norm betrifft.
2. Auch wenn im Falle der Verfassungswidrigkeit der Norm die Revision Erfolg hat, im Falle ihrer Verfassungsmäßigkeit aber eine Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanz in Betracht kommt, hängt das Ergebnis der Entscheidungen des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ab (vgl. BVerfGE 104, 74 ≪82≫). Die noch offenen Fragen zu den Einzelheiten der Festbetragsfestsetzungen haben keinen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Klärung, ob das Verfahren als solches rechtsstaatlichen Anforderungen genügt oder ob hierdurch Grundrechte der Leistungserbringer verletzt werden.
3. Die vorgelegten Normen unterliegen jedoch nur einer eingeschränkten Prüfung. Hiervon ist auch das vorlegende Gericht ausgegangen. Das Bundessozialgericht hat die in den §§ 35, 36 SGB V getroffene Regelung nur im Hinblick auf das dort eingeschlagene Verfahren zur Prüfung gestellt. Von Verfassungs wegen hält es statt der Allgemeinverfügung eine Normsetzung durch hierzu entsprechend den Vorgaben des Grundgesetzes ermächtigte Organe für geboten. Zu den Auswirkungen der Festbetragsfestsetzung auf die Versicherten, die Optiker und Hörgeräteakustiker, zur Versorgungslage bei den Hilfsmitteln und zur Gruppen- und Festbetragsbildung bei den Arzneimitteln hat sich das Gericht noch nicht rechtlich geäußert. Die hiermit verbundenen materiellen verfassungsrechtlichen Fragen sind daher vom Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen.
II.
Die Vorlagen sind auch nicht infolge einer Gesetzesänderung nachträglich unzulässig geworden. Das Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung (Festbetrags-Anpassungsgesetz – FBAG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1948) hat – in Bezug auf den Teilbereich der Arzneimittel und befristet bis zum 31. Dezember 2003 – die Festbetragsfestsetzung und -anpassung einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit anhand teilweise neuer materieller Kriterien vorbehalten.
Die mit den Vorlagebeschlüssen aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen bleiben indessen entscheidungserheblich, weil die Kläger der Ausgangsverfahren für die Vergangenheit zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergehen können, worauf das Bundessozialgericht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Dezember 2001 hingewiesen hat. Mit dem vorlegenden Gericht ist auch davon auszugehen, dass mit dem Gesetz vom 27. Juli 2001 keine rückwirkende Änderung der gesetzlichen Grundlage beabsichtigt war. Denn das Gesetzgebungsverfahren beruhte auf der Absicht, nur befristet und zur Vermeidung weiterer Prozesse sowie zur Herstellung von Rechtsklarheit und Planungssicherheit den Weg der Rechtsverordnung zu gehen (vgl. BTDrucks 14/6041, S. 1, 5, 6). Die Bundesregierung erhoffte sich für die Zwischenzeit, dass die verfassungsrechtlichen Fragen in ihrem Sinne geklärt würden, so dass die hier zur Prüfung gestellten Normen wiederum zur Grundlage des Festbetragsverfahrens werden könnten. Die gesetzliche Neuregelung zielt damit lediglich auf einen vorübergehenden Zeitraum ab. Sie ist am 3. August 2001 in Kraft getreten (Art. 3 des Gesetzes) und belässt es hinsichtlich der schon festgesetzten Festbeträge im Rahmen des neu eingefügten § 35a Abs. 6 SGB V bei der Fortgeltung des bisherigen Rechts. Erst mit Erlass der Verordnung zur Anpassung von Arzneimittel-Festbeträgen (Festbetrags-Anpassungsverordnung – FAVO) vom 1. November 2001 (BGBl I S. 2897), der nach ihrem § 3 Rückwirkung nicht zukommt, wurden die zur Prüfung gestellten Normen abgelöst. Für die hier streitigen Zeiträume waren Änderungen danach weder beabsichtigt noch sind sie erfolgt.
C.
Die Vorschriften über das Verfahren der Festbetragsfestsetzung stehen mit dem Grundgesetz in Einklang. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts verstößt die den Spitzenverbänden der Krankenkassen in § 35 SGB V eingeräumte Befugnis, für Arzneimittel Festbeträge festzusetzen, nicht gegen Art. 12, Art. 20 und Art. 80 GG. Das Gleiche gilt für die in § 36 in Verbindung mit § 35 SGB V den dort genannten Verbänden eingeräumte Berechtigung, für Hilfsmittel Festbeträge zu bestimmen. Verfassungsrecht gebietet nicht, die Festbeträge durch Rechtsverordnung festzusetzen.
Die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen sowie der Hörgeräteakustiker und der Optiker wird nicht berührt. Soweit auf die Berufsausübung der Ärzte eingewirkt wird und soweit Leistungsansprüche der Versicherten verändert werden, sind zwar Grundrechte betroffen, aber nicht dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber für die Festbetragsfestsetzung die Form der Allgemeinverfügung vorgesehen hat (vgl. BTDrucks 11/3480, S. 54).
I.
1. Die Festbetragsfestsetzung ist nicht am Grundrecht der Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen, der Optiker und der Hörgeräteakustiker zu messen.
a) Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. Das Grundrecht ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offen steht. Dabei umfasst das Grundrecht auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 50, 290 ≪363 f.≫; 101, 331 ≪347≫; 102, 197 ≪212 f.≫).
In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG auch das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs. Die Reichweite des Freiheitsschutzes wird dabei durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Insoweit sichert Art. 12 Abs. 1 GG die Teilhabe am Wettbewerb.
Die Wettbewerber haben aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 24, 236 ≪251≫; 34, 252 ≪256≫). Vielmehr unterliegen die Wettbewerbspositionen und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen.
b) Die Berufsfreiheit umfasst das Recht der am Markt Tätigen, die Bedingungen ihrer Marktteilhabe selbst festzusetzen. Insbesondere kann der Anbieter Art und Qualität sowie den Preis der angebotenen Güter und Leistungen selbst festlegen. In gleicher Weise ist aber auch das Recht der Nachfrager geschützt, zu entscheiden, ob sie zu diesen Bedingungen Güter erwerben oder Leistungen abnehmen. Soweit Marktteilnehmer in ihrem Marktverhalten durch gesetzliche Regeln beschränkt werden, ist dies an ihren Grundrechten zu messen, nicht an denen der anderen Marktteilnehmer.
Regeln über die (Höchst-)Preise, zu denen die Träger der Krankenversicherung die Kosten von Arzneimitteln oder Hilfsmitteln für die Versicherten übernehmen, fallen in den Schutzbereich von Grundrechten der Versicherten, aber auch der Ärzte, soweit ihr Verhalten und die Therapiefreiheit betroffen sind (vgl. unten C. I. 2.). Demgegenüber wird der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG bei den Herstellern oder Anbietern von Arznei- und Hilfsmitteln nicht berührt, wenn die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt wird. Dass Marktchancen betroffen werden, ändert hieran nichts.
c) Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht deshalb berührt, weil den zur Prüfung gestellten Gesetzesnormen (§§ 35, 36 SGB V) über die faktisch mittelbaren Folgen für Hersteller und Leistungserbringer hinaus eine berufsregelnde Tendenz zukäme. Die Auswirkungen auf deren Berufsausübung sind bloßer Reflex der auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung. Eine berufsregelnde Tendenz ist der gesetzlichen Ermächtigung auch nicht etwa deshalb zu entnehmen, weil die Verbände zu wirtschaftslenkenden Maßnahmen ermächtigt wären, denen ihrerseits eine berufsregelnde Tendenz zukäme. Eine solche Regelungsmacht haben die Verbände nicht.
aa) Allerdings ordnet § 35 Abs. 5 Satz 2 SGB V an, dass die Festbeträge Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen haben, dass sie einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen sollen und sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten haben. Nach dem Wortlaut dieses Satzes soll der Preiswettbewerb wirksam sein. Die Arzneimittelhersteller von hochpreisigen Medikamenten sollen sich veranlasst sehen, ihre Preise zu senken (vgl. Blüm, Sten. Bericht über die 2. und 3. Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen im Deutschen Bundestag am 25. November 1988, BT-Plenarprotokoll 11/111, S. 7873). Es wird erwartet, dass sich über solche Preissenkungen das gesamte Preisgefüge verändert.
Die Orientierung an Bedingungen des Preiswettbewerbs ist der vom Gesetzgeber vorgesehene Weg, um den Gesetzesadressaten die Beachtung des ihnen rechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Dies dient dazu, das Leistungssystem der Krankenversicherung funktionsfähig zu halten. Durch die regelmäßige Überprüfung der Festbeträge soll gesichert werden, dass insoweit auch flexibel auf Veränderungen reagiert werden kann.
bb) Den Verbänden ist keine über die Konkretisierung der wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten hinausgehende neue Aufgabe übertragen worden. Insbesondere gehört es nicht zu ihren Befugnissen, die Funktionsfähigkeit des Arznei- oder Hilfsmittelmarktes als solche zu sichern.
(1) Die Aufgabenzuweisung in den §§ 35, 36 SGB V hält sich insgesamt in dem Rahmen des Verwaltungshandelns, der den Krankenkassen und ihren Verbänden im System der Krankenversicherung zugewiesen ist.
§ 35 SGB V legt in seinen Absätzen 1 und 2 fest, an welchen Tatsachen sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bei der Gruppenbildung auszurichten hat und welchen Drittbetroffenen vor der verantwortlichen Entscheidung Gehör zu gewähren ist. Die Aufgaben der Spitzenverbände der Krankenkassen und die damit verbundenen Befugnisse sind in den Absätzen 3 bis 6 umschrieben.
Die Festbetragsfestsetzung nach § 35 Abs. 5 Satz 1 SGB V greift die Grundentscheidung der gesetzlichen Krankenversicherung zum Leistungsumfang auf und verleiht ihr durch das einzuschlagende Verfahren Wirkkraft. Im Hinblick auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung korrespondiert die Norm mit § 12 Abs. 1 SGB V; soweit bei der Festbetragsfestsetzung Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen sind, entspricht dies § 4 Abs. 4 SGB V. Eindeutig ist der Gesetzesbefehl in § 35 Abs. 5 Satz 2 SGB V, dass sich die Festbetragsfestsetzung an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausrichten muss. Wie dies zu geschehen hat, ist wiederum vorgegeben, indem von den preisgünstigen – nicht von den niedrigsten – Apothekenabgabepreisen in der Vergleichsgruppe auszugehen und zugleich eine für die Therapie hinreichende Auswahl an Arzneimitteln sicherzustellen ist.
Diesem eng gezogenen Rahmen ist keine eigenständige – von den Primärzwecken losgelöste – Möglichkeit der Spitzenverbände zur Gestaltung des Preiswettbewerbs zu entnehmen. Der Gesetzgeber verdeutlicht lediglich mit Absatz 5 Satz 2 der Norm, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot mit Hilfe von Preiswettbewerb verwirklicht werden kann und soll.
(2) Allerdings hat jede Umgestaltung im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, dass sich der Anspruch der Versicherten und damit auch der Umfang dessen verändert, woran die Leistungserbringer teilhaben. Das ist notwendiger und unvermeidbarer Reflex geänderter Leistungsansprüche. In diesem Punkt gelten für die Festbeträge keine Besonderheiten.
Indem aber im Versicherungssystem Preise offen gelegt und Preisgrenzen für die Kostenübernahme festgesetzt werden, haben die Anbieter am Markt die Möglichkeit, sich darauf einzustellen und zu entscheiden, ob sie sich in der Folge auf den eingeschränkten Markt außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung konzentrieren wollen oder ob sie bei einer insgesamt unveränderten Abnahmemenge durch ihre Preisgestaltung weiterhin konkurrenzfähig bleiben und so versuchen wollen, ihre Marktanteile zu behalten und auszubauen. Solche Entscheidungen sind typisch für unternehmerisches Verhalten im Wettbewerb.
Die Erstreckung des Preiswettbewerbs auf den Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine vom gesetzgeberischen Willen umschlossene Folgewirkung der Festbeträge, nicht aber ein eigenständiges Ziel des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat lediglich verdeutlicht, dass der von ihm erwartete Preiswettbewerb ein Mittel der Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots ist.
(3) Die Verbände der Krankenkassen sind nicht zu gestaltenden Eingriffen in den Markt ermächtigt, wohl aber zur Festlegung von Maßstäben für das Verhalten der Krankenkassen bei der Kostenübernahme, an denen sich auch die Anbieter von Arzneimitteln bei ihrem Marktverhalten orientieren können. Wirtschaftslenkende Handlungsspielräume sind den Spitzenverbänden nicht eröffnet. Dafür spricht auch, dass es gelingen konnte, anhand von mathematischen Modellen Ergebnisse im Festsetzungsverfahren zu erzielen (vgl. Reher/Reichelt, Arzneimittelfestbeträge: Lösungen für die Praxis, WIdO-Materialien, Bd. 32, 1989; Bundesverband der Betriebskrankenkassen, Arzneimittel-Festbeträge – Ein Überblick, Juli 1997; ders., Arzneimittel-Festbeträge – Anpassung, Mai 1997). Auch die Landesverbände haben einen solchen Spielraum bei der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel nach § 36 Abs. 2 SGB V nicht.
d) Das Grundrecht der Berufsfreiheit der Anbieter wird auch nicht dadurch berührt, dass die Festbeträge veröffentlicht und auf diese Weise allen Marktteilnehmern Orientierungen ermöglicht werden. Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs setzt als Grundbedingung für Entscheidungsfreiheit bei den Teilnehmern am Markt ein hohes Maß an Informationen über marktrelevante Faktoren voraus. Solche Informationen beeinträchtigen den Schutzbereich der Berufsfreiheit von Marktteilnehmern selbst dann nicht, wenn diese zuvor einen wirtschaftlichen Vorteil aus fehlender Transparenz im Hinblick auf marktrelevante Faktoren ziehen konnten.
aa) Soweit Wettbewerb über den Preis stattfindet, ermöglicht erst die Informiertheit der Marktteilnehmer über die vorhandenen Produkte und die für sie geforderten Preise eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidung über das Angebot von oder die Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Die durch Information bewirkte Transparenz dient damit zugleich der Qualität und Vielfalt der Produkte und einer am Nachfrageverhalten orientierten Preisbildung von Seiten der Anbieter.
Ist der Markt unübersichtlich und fallen – wie im System der gesetzlichen Krankenversicherung – Nachfrage, Anspruchsberechtigung und Kostentragung auseinander, kann ein – an den Regeln des Marktes gemessen – rationales Verhalten der beteiligten Personen auch dadurch bewirkt werden, dass die Angebotsvielfalt strukturiert wird, indem die Klassifizierung in identische, teilidentische oder vom Nutzen her ähnliche Produkte erkennbar wird. Dann ermöglicht ein Preisvergleich, der auf eine Standardmenge bezogen wird, eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Kosten/Nutzen-Relation. Bei einem Sachleistungssystem, bei dem das Entgelt für einzelne Produkte oder Leistungen nicht dem in Rechnung gestellt wird, dem diese zugute kommen, wird die Transparenz für die Nachfrager verbessert, wenn durch Kenntnis der Höchstpreislinie wirtschaftliches Verhalten von unwirtschaftlichem geschieden werden kann. Auch wenn wegen der Kostenübernahme durch die Krankenkasse sich wirtschaftliches Verhalten nicht für alle Teilnehmer am Gesundheitsmarkt gleichermaßen lohnt, beeinflussen solche Entscheidungshilfen den Markt, solange die Nachfrager gleichwohl als Patient ein Interesse oder als Arzt die Verpflichtung haben, sich wirtschaftlich zu verhalten.
bb) Für Leistungserbringer – wie vorliegend die Optiker und Hörgeräteakustiker –, aber auch für Ärzte und Patienten, die am Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung partizipieren und in das Regelwerk des SGB V eingebunden sind, stellen demnach Informationen über Eigenschaften und Preise von Sachleistungen die vom Gesetz auf Seiten der Akteure vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten her. So können Versicherte nachvollziehen, ob sich die Leistungserbringer mit ihren Verschreibungen oder mit ihren Angeboten in dem Rahmen halten, der den die Kosten tragenden Krankenkassen vom Gesetzgeber vorgegeben ist. In gleicher Weise wird für Leistungserbringer leichter erkennbar, ob sie gegen das auch an sie gerichtete Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V verstoßen. Danach dürfen Leistungen, die unwirtschaftlich sind, von den Leistungserbringern nicht bewirkt, aber auch von den Krankenkassen nicht bewilligt werden.
cc) Das bisherige System hatte auf Grund der mangelnden Transparenz Nachteile für die Nachfrager, aber auch für die Träger der Krankenversicherung, die durch die Pflicht zur Kostenübernahme mittelbar am Marktgeschehen interessiert sind. Werden derartige Nachteile durch Informationen abgebaut, kann dies zwar mittelbar zu faktischen Nachteilen für die Anbieter der Leistungen, insbesondere die Arzneimittelhersteller, führen, die es in der Folge schwerer haben, sich gegen preisgünstigere Anbieter durchzusetzen. Grundrechtlich geschützte Positionen werden dadurch aber nicht beeinträchtigt. Es gibt keinen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Beibehaltung von Rahmenbedingungen, die infolge fehlender Transparenz Verkaufserfolge im Wettbewerb ermöglichen. Angesichts der Aufgaben und Ziele des gesetzlichen Krankenversicherungssystems, die stets mit der Garantie einer ausreichenden, zweckmäßigen, aber eben auch wirtschaftlichen Versorgung umschrieben waren, besteht nicht einmal ein schutzwürdiges Vertrauen der von der Änderung nachteilig Betroffenen. Denn es wäre darauf gerichtet, dass die gesetzlichen Ziele mangels ausreichender Markttranparenz letztlich nicht erreicht werden.
2. Die Festbetragsfestsetzung berührt allerdings die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte aus Art. 12 Abs. 1 GG und die Handlungsfreiheit der Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte wird in doppelter Hinsicht betroffen. Zum einen konkretisieren die Festbeträge nach § 35 SGB V die Verpflichtung der Ärzte zu wirtschaftlicher Verordnung und wirken sich auf die Ausübung der Therapiefreiheit aus. Zum anderen müssen die Ärzte ihre Patienten auf die sich aus der Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinweisen, wenn ein Arzneimittel verordnet wird, dessen Preis den Festbetrag überschreitet (§ 73 Abs. 5 SGB V). Die Festbetragsfestsetzung berührt auch die Handlungsfreiheit der Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfGE 97, 271 ≪286≫), weil ihre Freiheit zur Auswahl unter Arznei- und Hilfsmitteln, die ihnen als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden, eingeengt wird. Zu den insoweit mit der Festbetragsfestsetzung verbundenen Beschränkungen hat der Gesetzgeber durch formelles Gesetz ermächtigt.
II.
1. In den hier zur Prüfung vorgelegten Normen sind die gesetzlichen Grundlagen für die Festbetragsfestsetzung enthalten und inhaltliche und verfahrensmäßige Anforderungen festgelegt. Die Rechtsgrundlagen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigung zur Festsetzung der Festbeträge in Form einer Allgemeinverfügung. Ob sie auch im Übrigen den Anforderungen der Grundrechte entsprechen, ist nicht Gegenstand der Vorlagen und daher nicht zu entscheiden.
a) Die Festbetragsfestsetzung ist eine Maßnahme des Verwaltungsvollzugs.
aa) Der Gesetzgeber hat im Arzneimittelbereich die Spitzenverbände der Krankenkassen nach Vorentscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sowie im Bereich der Hilfsmittel die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam nach Vorentscheidung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Festbetragsfestsetzung ermächtigt. Die Landes- und Bundesverbände der Krankenkassen erfüllen dabei als Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 207 Abs. 1, § 212 Abs. 4 SGB V) im Rahmen von Selbstverwaltung ihnen zukommende originäre Verwaltungsaufgaben. Die Verbände der Ersatzkassen, die an den abgestimmten Entscheidungen der Spitzenverbände der Krankenkassen mitwirken, handeln als beliehene juristische Personen des Privatrechts, denen das Gesetz ausdrücklich einzelne hoheitliche Kompetenzen zur Wahrnehmung im eigenen Namen überträgt. Bei der Vielzahl der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, die das für sie einheitlich geltende SGB V für ihre jeweiligen Versicherten umzusetzen haben, bedarf es solcher gemeinsamen Entscheidungsträger, damit die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung über die Kassen- und Landesgrenzen hinweg gewahrt werden kann. Soweit der ärztliche Sachverstand für derartige Entscheidungen von besonderer Bedeutung ist, sind Aufgaben der Rechtsanwendungsvereinheitlichung auch den Bundesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen (§§ 91 ff. SGB V) übertragen worden. Zu diesen Aufgaben zählt auch die verbindliche Festlegung der Arzneimittelgruppen gemäß § 35 Abs. 1 SGB V.
Der Gesetzgeber hat das dabei einzuhaltende Verwaltungsverfahren in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise in seinen Grundzügen festgelegt. Die für das Verhalten der Versicherten und der Ärzte bedeutsamen Regelungen hat er selbst getroffen. Bei der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel hat er angesichts der Schwierigkeiten, die im Zuge dieser neuartigen Aufgabe nicht zuletzt infolge des Widerstands der betroffenen Anhörungsberechtigten zu erwarten waren, mit dem Eintrittsrecht des zuständigen Bundesministers nach § 35 Abs. 6 in Verbindung mit § 213 Abs. 3 Satz 1 SGB V auch sichergestellt, dass die Normkonkretisierung ersatzweise durch die Exekutive in Gestalt des die Aufsicht führenden Ministers (§ 214 i.V.m. §§ 212, 213 SGB V) durchgesetzt werden kann. Die Aufgabenzuweisung an die Landes- oder Spitzenverbände führt zu einer Verlagerung und Bündelung von Entscheidungen, die bislang von der einzelnen Krankenkasse anhand der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zu treffen waren, bei denen jedoch im Allgemeininteresse und zugunsten einer einheitlichen Gesundheitsversorgung der Versicherten auch eine einheitliche Verwaltungspraxis anzustreben war. Dieses Ziel lässt sich nunmehr bei den Leistungen, für die Festbeträge festgesetzt werden, erreichen.
bb) Die Festbeträge dienen dazu, Krankenkassen, Ärzten und Versicherten das zu ermöglichen, was im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung von Beginn an als wirtschaftlich verantwortliches Verhalten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung umschrieben wurde (vgl. für die Zeit vor In-Kraft-Treten des SGB V § 182 Abs. 2 RVO), auch wenn dieses Ziel angesichts der Unübersichtlichkeit des Marktes nur unvollkommen realisierbar war und ist. Die Versicherten haben Anspruch auf eine in der Qualität gesicherte Vollversorgung durch Sachleistungen aus einer Pflichtversicherung, die durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge solidarisch finanziert wird (vgl. § 3 SGB V). Den Ärzten wird im Rahmen ihrer – wenn auch begrenzten – Therapiefreiheit für den Arzneimittelsektor die Grenze vorgegeben, bis zu der eine zweckmäßige, ausreichende und wirtschaftliche Versorgung der Patienten reicht. Über ihre Verbände legen die Krankenkassen im Sinne eines sparsamen Umgangs mit den Beitragsmitteln fest, zu welchen Bedingungen sie Kosten für Arznei- oder Hilfsmittel tragen. Dies geschieht zur Sicherung einer einheitlichen Gesundheitsversorgung. Damit werden den Ärzten, den Versicherten und den Leistungserbringern im Rahmen von originären Aufgaben gemäß § 2 Abs. 4 und § 4 Abs. 4 SGB V die Grenzen der Kostenübernahme verdeutlicht.
b) Die gesetzlichen Vorgaben zielen auf den Erlass von Allgemeinverfügungen; sie sind dafür ausreichend bestimmt. Sie sind zwar auslegungsfähig, begegnen aber gleichwohl keinen rechtsstaatlichen Bedenken.
aa) Die vom Gesetzgeber vorgenommene Einordnung der Festbetragsfestsetzung als Allgemeinverfügung wird auch von der in den Vorlagebeschlüssen angeführten Literatur für zulässig gehalten (vgl. BSG, NZS 1995, S. 502 ≪508≫) und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Dem Gesetzgeber ist es durch das Grundgesetz nicht verwehrt, für den Vollzug hinreichend bestimmter gesetzlicher Vorschriften die Form einer Allgemeinverfügung auch dann vorzusehen, wenn deren Regelungen an einen unbestimmten, aber im Anwendungszeitpunkt bestimmbaren Personenkreis gerichtet sind. Rechtsstaatlichen Erfordernissen ist im vorliegenden Fall ausreichend Rechnung getragen. Die Festbeträge werden im Bundesarbeitsblatt bekannt gemacht (§ 35 Abs. 7 Satz 1, § 36 Abs. 3 i.V.m. § 35 Abs. 7 Satz 1 SGB V) und sind damit in ihrem räumlichen Geltungsbereich öffentlich zugänglich. Mit der Wahl dieser Handlungsform wird unmittelbarer Rechtsschutz gegen die Festbetragsfestsetzung eröffnet. Erginge die Festsetzung als Rechtsverordnung, wäre deren direkte richterliche Kontrolle nach geltendem Verfahrensrecht nicht möglich (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Aufl., 2002, § 55 Rn. 10a).
bb) Dem Gesetzgeber ging es bei der Schaffung der Ermächtigung zur Festbetragsfestsetzung in einem wichtigen Teilbereich der gesetzlichen Krankenversicherung um eine Verbesserung des Gesetzesvollzugs. Dazu hat er die Maßstäbe und das Verfahren der Entscheidungsfindung in den §§ 35, 36 SGB V mit der dem Sachbereich angemessenen Genauigkeit geregelt. Die entsprechenden Ermächtigungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen für den Gesetzesvollzug.
Der Gesetzgeber hat das Versorgungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung immer mit unbestimmten Rechtsbegriffen definiert, weil ihre Ausfüllung von den wirtschaftlichen Gegebenheiten, von Fortschritten in der Medizin und in anderen Wissenschaften, aber auch von internationalen Wirtschaftsbeziehungen und der Lebensführung der Versicherten abhängig ist. Die Normen genügen im Hinblick auf diese Eigenart des zu ordnenden Sachbereichs dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot (vgl. BVerfGE 59, 104 ≪114≫).
In den Verfahren kommen Sachverständige der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft, Arzneimittelhersteller und Apotheker, aber auch Therapieeinrichtungen, Behindertenverbände und die Verbände der Leistungserbringer zu Wort. Die Kriterien, die bei den zu treffenden Entscheidungen zu berücksichtigen sind, gibt § 35 Abs. 1 und 5 SGB V für die Arzneimittel vor. In Bezug auf die Hilfsmittel ist der Entscheidungsspielraum größer, aber durch die Bezugnahme in § 36 Abs. 3 SGB V hinreichend bestimmt.
Die Auslegung der in § 2 Abs. 4, § 4 Abs. 4, § 12 Abs. 1 SGB V verwendeten Begriffe ist ständig im Fluss. Im Bereich der Arzneimittel beruht dies auf der Entwicklung der Medizin und der Pharmakologie, aber auch auf den Produktveränderungen, die der Markt Jahr für Jahr mit verbesserten oder nur neuen Arzneien und Hilfsmitteln anbietet. Was noch vor einiger Zeit als wirkungsvoll und zweckmäßig erschien, kann durch neue Erkenntnisse als schädlich eingestuft werden. Ein Verhalten, das vormals wirtschaftlich war, wird unwirtschaftlich, sobald andere Anbieter therapeutisch gleich wirksame Mittel zu günstigeren Preisen offerieren. Soweit man die Ansprüche in der Krankenversicherung individuell begreift, sind die unbestimmten Rechtsbegriffe deshalb nur für einen konkreten Zeitpunkt und einen konkreten Versicherten verlässlich und exakt ausfüllbar. Ein Versicherungssystem muss jedoch für die Versicherten im Wesentlichen Gleichbehandlung garantieren und kann dies nur, wenn die typischen Fälle in Gruppen zusammengefasst werden. Dies erleichtert auch die Erfüllung der Aufgabe, die Versicherten nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnis oder dem Stand der Technik angemessen zu versorgen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch das Verfahren nach §§ 35, 36 SGB V macht das Verwaltungshandeln der Krankenkassen für die Teilnehmer am Gesundheitsmarkt effektiver und vorhersehbarer.
2. Ob die Festbetragsfestsetzung im Ergebnis dem gesetzlichen Leistungsauftrag der Krankenversicherungsträger genügt, ist vorliegend nicht zu prüfen. Nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung zur Versorgung mit Hilfsmitteln besteht allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben hat.
Soweit in den Gesetzesmaterialien erwähnt wird, es könne sich vorübergehend – insbesondere in der Anfangsphase – ergeben, dass für den Festbetrag kein Mittel auf dem Markt zur Verfügung stehe, so dass Versicherte sogar notwendige Mittel nur mit Zuzahlung erhalten könnten (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 176), findet dies im Gesetzestext keine Stütze. Die Versicherten müssen sich nicht mit Teilkostenerstattung zufrieden geben. Im Arzneimittelsektor muss eine für die Therapie ausreichende Vielfalt erhalten bleiben; im Hilfsmittelsektor muss die Versorgung mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität gesicherten Hilfsmitteln als Sachleistung gewährleistet sein. Welche Bedeutung insoweit dem Zusatz “im Allgemeinen” in § 35 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 3 SGB V zukommt, werden die Gerichte zu klären haben. Die Landesverbände haben jedenfalls bei der Festsetzung der Festbeträge darauf zu achten, dass sie den gesetzlichen Rahmen nicht verletzen.
Eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip wäre von so erheblicher Tragweite für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, dass nur der Gesetzgeber selbst sie verantworten könnte. Er hat diese Entscheidung ersichtlich nicht getroffen und sie auch – ungeachtet der Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit – nicht in das Gestaltungsermessen der Verbände gegeben. Feste Zuzahlungen oder prozentuale Beteiligungen, die nur den allgemeinen Sparzwang kennzeichnen, nicht aber als Merkmale für die Auswahl wirtschaftlicher Mittel im Rahmen der gesamten Angebotspalette taugen, waren nicht gewollt. Insoweit weist die Bundesregierung darauf hin, dass Vorschläge dieser Art einen Systemwechsel zur Folge hätten, der vom Gesetzgeber nicht gewollt war. Das Sachleistungsprinzip sollte den Versicherten im unteren Preissegment erhalten bleiben. Sollte sich ergeben, dass Versicherte, die Hilfsmittel benötigen, diese – abgesehen von äußersten und eher zufälligen Ausnahmen – nicht mehr als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung beziehen können, weil zu diesen Konditionen die Leistungserbringer mit den Krankenkassen nicht mehr die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB V vorgesehenen Verträge abschließen, wären die Verbände ihren Aufgaben nach den §§ 35, 36 SGB V nicht gesetzeskonform nachgekommen.
Unter diesem Aspekt gewinnt die gerichtliche Kontrolle der Festbetragsfestsetzung besondere Bedeutung. Sie ist geeignet, die Rechte der Versicherten zu wahren. Sie verhindert, dass der Festbetrag so niedrig festgesetzt wird, dass eine ausreichende Versorgung der Versicherten durch vertragsgebundene Leistungserbringer nicht mehr gewährleistet ist.
Unterschriften
Papier, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 905968 |
ZfSH/SGB 2003, 38 |
BGBl. I 2003, 126 |