Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerrechtliche Anerkennung von Arbeitsverträgen zwischen einer Personengesellschaft und den Ehefrauen der Gesellschafter
Leitsatz (amtlich)
Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. Februar 1960 – I 233/59 – verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführer zu 2) aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes und wird deshalb aufgehoben.
Normenkette
AO § 215; GG Art. 6
Tatbestand
I. Der verfassungsrechtliche Streit betrifft die steuerliche Anerkennung von Arbeitsverträgen zwischen einer Personengesellschaft und den Ehefrauen der Gesellschafter bei der „einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung” (§ 215 Abs. 2 AO), die in einem selbständig anfechtbaren und für die Einkommensteuerveranlagung der Gesellschafter verbindlichen Bescheid erfolgt.
1. Die Beschwerdeführerin zu 1) betreibt ein Einzelhandelsgeschäft. Gesellschafter sind die Brüder D., die beiden Beschwerdeführer zu 2). Sie sind je etwa zur Hälfte am Gewinn beteiligt. Ihre Ehefrauen sind seit Jahren als Angestellte im Unternehmen tätig.
Die Ehefrau des einen erledigt die Finanz- und Lohnbuchhaltung und das Rechnungswesen, die des anderen die Korrespondenz und das Mahnwesen; außerdem helfen beide Ehefrauen bei Bedarf als Verkäuferinnen. Als Gehalt standen ihnen bis zum 31. März 1955 monatlich je 300 DM und vom 1. April 1955 an monatlich je 400 DM vertraglich zu. Diese Gehälter hat das Finanzamt in dem Berichtigungsbescheid vom 29. Oktober 1958 für die Jahre 1953 bis 1955 und in der gleichzeitigen einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für das Jahr 1956 jeweils dem Gewinn aus dem Unternehmen und damit dem Einkommen der Ehemänner zugerechnet. Auf die hiergegen eingelegte Sprungberufung hat das Finanzgericht die Gehälter der Ehefrauen als Betriebsausgaben anerkannt, also den betrieblichen Gewinn niedriger festgestellt. Das Urteil ist damit begründet, daß beide Ehefrauen gegen angemessene Vergütung im Rahmen ordnungsgemäß vereinbarter und durchgeführter Arbeitsverträge tätig gewesen seien, wie sie auch zwischen Fremden abgeschlossen würden. Da die Ehefrauen zwei fremde Arbeitskräfte ersetzt hätten, seien die Ausgaben für ihre Gehälter im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 EStG „durch den Betrieb veranlaßt” worden.
Auf die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 16. Februar 1960 – I 233/59 – (BFHE 70, 417) die Entscheidung des Finanzgerichts aufgehoben und die Sprungberufung zurückgewiesen. Der Bundesfinanzhof ist von der Ernsthaftigkeit der Arbeitsverträge, ihrer tatsächlichen Durchführung und der Angemessenheit des Entgelts ausgegangen, hat diesen Sachverhalt aber rechtlich anders gewürdigt als das Finanzgericht. In der Begründung verweist er weitgehend auf seine bisherige Rechtsprechung zu den aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen. Diese besagt zusammengefaßt folgendes:
Der Bundesfinanzhof hält zwar nicht mehr an der bisherigen typisierenden Betrachtung fest; grundsätzlich dürfe also auch bei der Beurteilung von Verträgen zwischen Ehegatten über die Besonderheiten des Einzelfalles nicht hinweggegangen werden. Dennoch seien solche Verträge im allgemeinen unter Berücksichtigung des Wesens der Ehe steuerlich nicht anzuerkennen (BFHE 66, 66 Leitsatz 1).
Zur Begründung dieser Regel wird ausgeführt: Arbeitsverträge zwischen Ehegatten, auch zwischen einer Personengesellschaft und dem Ehegatten eines Mitgesellschafters (Mitunternehmers) seien nur anzuerkennen, wenn sie in dieser Form auch mit jedem Fremden hätten geschlossen werden können (BFHE 66, 66 [81]). Ob dies der Fall sei, müsse nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts (BFHE 66, 66 [76]) und nach Maßgabe der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (BFHE 66, 66 [74]) entschieden werden. Von den Normen des Einkommensteuerrechts werden dabei neben § 26 a Abs. 1 Satz 2 (BFHE 66, 66 [78]; 70, 417 [420]), § 4 Abs. 4, § 12 Ziff. 1. §§ 15 und 19 EStG (BFHE 71, 460 [463]) genannt. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ergebe sich, daß Arbeitsverträge zwischen Ehegatten und ebenso zwischen einer Personengesellschaft und dem Ehegatten eines Mitunternehmers, auch wenn sie ernsthaft geschlossen sowie faktisch durchgeführt seien und das Entgelt den Leistungen im Betrieb angemessen sei, im allgemeinen einen wesentlich anderen Charakter, eine wesentlich andere Prägung hätten als Verträge zwischen einander fremden Arbeitgebern und Arbeitnehmern (BFHE 66, 66 [79, 81]; 69, 181 [182]).
Der „wesentlich andere Charakter” wird aus zwei Bereichen erschlossen: einmal aus den Normen des Eherechts, die als Normen höherer Ordnung die vertraglich geschaffenen Verhältnisse überlagerten (BFHE 66, 66 [79]). Es wäre im allgemeinen ehewidrig, wollten sich etwa Ehegatten untereinander auf ihre Stellung als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer berufen (BFHE 66, 66 [79]); Arbeiten untergeordneter Art wie die Tätigkeit der Ehefrau im Ladengeschäft oder die Führung der Bücher seien – unabhängig vom Umfang der Tätigkeit und den getroffenen Abmachungen – als Auswirkung der Ehe und des ehelichen Güterrechts anzusehen (BFHE 70, 422 [425]). Solche Tätigkeiten, die üblicherweise von Angestellten ausgeübt würden, seien Mitwirkung im Rahmen der Mitunternehmerschaft des Ehemanns, die Vergütung dafür sei voll den Ehemännern als Mitunternehmern zuzurechnen (BFHE 70, 417 [Leitsatz und S. 421]). Zum anderen wird die betriebliche Situation ins Feld geführt: Der im Betrieb mithelfende Ehegatte habe im allgemeinen eine andere soziale Stellung als ein fremder Arbeitnehmer. Der steuerrechtliche Begriff des Arbeitnehmers, wie ihn § 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung bestimme, setze eine Abhängigkeit voraus, wie sie zwischen Ehegatten nicht vorliege; zwischen ihnen bestehe nach der Lebenserfahrung gewöhnlich kein Verhältnis der Über- und Unterordnung wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer; zudem sei der mitarbeitende Ehegatte in den Augen der anderen Arbeitnehmer nicht ein gleichgestellter Kollege, sondern der Chef oder die Chefin (BFHE 66, 66 [80]).
Daraus wird eine Reihe von grundsätzlichen Folgerungen gezogen:
Ein Arbeitsverhältnis könne nur ausnahmsweise anerkannt werden, nämlich nur dann, wenn der Gesellschafter-Ehegatte mit weniger als einem Viertel beteiligt (BFHE 69, 181 Leitsatz) und auch sonst ohne maßgebenden Einfluß sei und der mitarbeitende Ehegatte keine leitende, sondern nur eine untergeordnete Stellung habe (BFHE 66, 66 [81]).
In allen anderen Fällen sei die Anerkennung eines Arbeitsvertrags abzulehnen; auch wenn die Vereinbarung klar sei, der Ehegatte eine fremde Arbeitskraft voll ersetze, kein überhöhtes Gehalt beziehe und die Gesellschaft nicht Familiengesellschaft sei (BFHE 69, 181 [182 f]). Die Ehegatten seien als eine Unternehmergemeinschaft, die Gesamtheit ihrer Einkünfte aus dem Unternehmen als gewerbliche Einkünfte anzusehen (BFHE 70, 422 [424, 425]).
Doch könne den Vereinbarungen der Eheleute über die Aufteilung des gemeinsam erzielten Gewinns nicht jede Bedeutung abgesprochen werden. Sei die Tätigkeit des Ehegatten für den Betrieb „tragend” (BFHE 70, 422 [426]), so sei nämlich statt eines Arbeitsverhältnisses eine mitunternehmerähnliche Stellung (BFHE 70, 422 [425]) anzunehmen, die Bezüge der Ehegatten seien entsprechend den getroffenen Vereinbarungen aufzuschlüsseln (BFHE 70, 422 [426]) und auch beim Mitarbeitenden als Unternehmergewinn zu behandeln. Der leitend Mitarbeitende sei über seinen Ehegatten Mitunternehmer (BFHE 71, 460 [464]). Bei nichttragender Tätigkeit des Mitarbeitenden aber, wie z.B. bei Buchhalterinnen, Verkäuferinnen usw., seien die Arbeitsvergütungen stets als Teil des Unternehmergewinns des Unternehmer-Ehegatten zu behandeln.
Aus diesen Grundsätzen folgert der Bundesfinanzhof für den vorliegenden Fall, daß bei beiden Ehefrauen nur eine Mitwirkung im Rahmen der Mitunternehmerschaft des Ehemanns vorliege, da sie nur untergeordnete Dienste leisteten; ihr Arbeitsentgelt sei deshalb dem Anteil der Ehemänner an dem Gewinn der Personengesellschaft zuzurechnen.
2. Gegen dieses Urteil des Bundesfinanzhofs richtet sich die von der Kommanditgesellschaft und den beiden Gesellschaftern eingelegte Verfassungsbeschwerde, mit der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG gerügt wird.
Die Beschwerdeführer fühlen sich durch das angegriffene Urbeil benachteiligt, weil die steuerliche Nichtanerkennung der Arbeitsverträge mit den Ehefrauen der Gesellschafter infolge des progressiven Tarifs für die Jahre 1953 bis 1956 zu einer Erhöhung der Einkommensteuer führe.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stehe weder mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang, der jede an die Tatsache der Verheiratung anknüpfende steuerliche Benachteiligung verbiete, noch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die steuerliche Beachtlichkeit ernsthaft abgeschlossener und tatsächlich durchgeführter Ehegatten-Arbeitsverträge (BVerfGE 9, 237 [244]); sie widerspreche auch dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG). Es gehe nicht an, über die Vertragsfreiheit gerade bei Ehegatten hinwegzugehen. Den hier abgeschlossenen Arbeitsverträgen stehe das Eherecht, das im wirtschaftlichen Bereich weitgehend dispositive Normen enthalte, nicht entgegen. Der Einwand mangelnder Über- und Unterordnung, der mit der „Chef/Chefin-Theorie” gegen die Ehegatten-Arbeitsverträge vorgebracht werde, überzeuge nicht, weil auch bei vergleichbaren Arbeitsverhältnissen fremder Angestellter an der Arbeitnehmereigenschaft steuerrechtlich nicht gezweifelt werde.
Der Bundesminister der Finanzen hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Seinen schriftlichen Vortrag, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Anerkennung von Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten entspreche der bisherigen Übung und den Bedürfnissen der Praxis, hat er in der mündlichen Verhandlung durch die Ausführungen ergänzt, die er auch in dem Verfahren auf Vorlage des Finanzgerichts (1 BvL 32/57) gemacht hat. Insbesondere hat er auch hier auf die Gefahr hingewiesen, daß Ehegatten-Arbeitsverträge zu dem Zwecke geschlossen werden, die vom steuerpflichtigen Ertrag nicht abzugsfähigen Unterhaltsleistungen, die der Unternehmer-Ehegatte ohnehin aufbringen müsse, in einen abzugsfähigen Arbeitslohn umzumünzen.
Entscheidungsgründe
II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie von der Kommanditgesellschaft, zulässig, soweit sie von den Gesellschaftern erhoben worden ist.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, daß eine Kommanditgesellschaft unter ihrer Firma Verfassungsbeschwerde erheben kann, „wenn sich der staatliche Eingriff auf das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen oder das von der Gesellschaft betriebene Handelsgewerbe bezieht” (BVerfGE 4, 7 [12]). Bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 215 Abs. 2 Ziff. 2 AO wird jedoch weder in das Gesamthandsvermögen noch in das Handelsgewerbe der Gesellschaft eingegriffen.
Die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus dem von einer Personengesellschaft betriebenen gewerblichen Unternehmen betrifft nicht die Gesellschaft, sondern nur die Personen, die an den Einkünften aus dem Gewerbebetrieb beteiligt sind (§ 219 Abs. 1 AO). In dem Bescheid werden nach § 215 Abs. 2 AO nur die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte aus dem Gewerbetrieb festgestellt, und nur für die Einkommensteuerveranlagungen der Gesellschafter ist er bindend (§ 218 AO); die Steuerbehörden können sich auch nicht etwa unmittelbar an das Vermögen der Gesellschaft halten.
Für die Gewerbesteuer, die von der Personengesellschaft selbst als Unternehmerin geschuldet wird, hat der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung keine bindende Wirkung. Zwar entspricht es im allgemeinen der Absicht des Gesetzes und dient der Vereinfachung, den für die Einkommensteuer festgestellten Gewinn für die Zwecke der Gewerbesteuer zu übernehmen; eine rechtliche Bindung aber besteht nicht, denn nach § 7 GewStG ist der Gewinn, der der Ermittlung des Gewerbeertrags zugrunde gelegt wird, zwar „nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes”, aber selbständig zu ermitteln und in dem selbständig anfechtbaren Gewerbesteuermeßbescheid festzustellen (so das Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs vom 22. November 1955, BFHE 62, 9). Die Beschwerdeführerin zu 1) ist deshalb von der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung rechtlich nicht betroffen.
2. Umgekehrt ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß die beschwerdeführenden Gesellschafter von dem Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung infolge seiner bindenden Wirkung für ihre Einzelveranlagung zur Einkommensteuer unmittelbar betroffen sind. Sie sind dadurch, daß ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb die Gehälter ihrer Ehefrauen zugeschlagen worden sind, auch materiell beschwert: Nach § 26 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 848) werden für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 Ehegatten, die keine Zusammenveranlagung beantragen, unter gewissen Voraussetzungen getrennt veranlagt; so ist getrennt zu veranlagen, wenn die Veranlagung nach dem 30. Juni 1957 erstmals durchgeführt wird (§ 26 Abs. 2 Ziff. 1 EStG), und bei Berichtigungsveranlagungen nach § 218 Abs. 4 und § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 der Reichsabgabeordnung, die nach dem 30. Juni 1957 durchgeführt werden. Diese Voraussetzungen treffen hier zu, da der angegriffene Bescheid, der die Berichtigung der Gewinnfeststellung für die Jahre 1953 bis 1955 und die erstmalige Gewinnfeststellung für 1956 enthält, am 29. Oktober 1958 ergangen ist. Die Einkommensteuerschuld der beiden Ehemänner ist also infolge der Hinzurechnung der Ehefrauengehälter höher als bei deren Anerkennung als Betriebsausgaben. Diese Mehrbelastung der Ehemänner wird zudem nicht etwa innerhalb der Ehe durch eine entsprechend geringere Belastung der Ehefrauen ausgeglichen; denn infolge der progressiven Staffelung der Einkommensteuertarife übersteigt die Mehrbelastung der Ehemänner durchgehend die eigene Steuer, die die Ehefrauen bei Anerkennung ihrer Arbeitsverträge zu zahlen hätten.
III. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2) ist begründet.
1. Das angegriffene Urteil unterliegt der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung in den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgesteckten Grenzen. Danach ist die Interpretation einfacher Gesetze, die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Sachverhalts grundsätzlich allein Sache der Gerichte der einzelnen Gerichtszweige; das Bundesverfassungsgericht prüft ihre Entscheidungen nicht in vollem Umfang auf Rechtsfehler, es untersucht nicht, ob sie vom einfachen Recht her gesehen „richtig” sind. Doch hat jeder Richter bei Auslegung und Anwendung einfachen Rechts den Einfluß der Grundrechte auf alle Bereiche des einfachen Rechts zu beachten. Jede richterliche Entscheidung ist demgemäß auf Verfassungsbeschwerde der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht insoweit unterworfen, als zu prüfen ist, ob sie dieser Forderung genügt (vgl. z.B. BVerfGE 1, 418 [420]; 2, 336 [339]; 4, 52 [58]; 6, 7 [10]; 7, 198 [Leitsatz 3] und 12, 113 [124]). Gerade für die Finanzgerichtsbarkeit ist dies von besonderer Bedeutung, da sie nicht über Rechtsstreitigkeiten der Bürger untereinander oder über Maßnahmen der gewährenden Verwaltung, sondern über Akte einer der wichtigsten staatlichen Eingriffsverwaltungen entscheidet, also zur Wahrung der Grundrechte, die in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, in besonderem Maße berufen ist.
2. Die verfassungsrechtliche Frage in dem vorliegenden Verfahren ist dieselbe wie in dem gleichzeitig verkündeten Urteil über die Vorlage des Finanzgerichts (1 BvL 32/57). Sie geht dahin, ob ernsthaften Verträgen zwischen Ehegatten oder zwischen einer Personengesellschaft und dem Ehegatten eines Gesellschafters über die Mitarbeit des nichtbeteiligten Ehegatten im Gewerbebetrieb mit steuererhöhender Wirkung die steuerrechtliche Anerkennung versagt werden darf. Die beanstandete steuerliche Sonderbehandlung solcher Arbeitsverträge ergibt sich jedoch hier nicht aus einer Gesetzesnorm (wie dort aus § 8 Ziff. 5 GewStG), sondern aus einem ständiger Rechtsprechung folgenden Urteil des Bundesfinanzhofs; auch handelt es sich hier nicht um die Gewerbesteuer als eine Objektsteuer, sondern um die Einkommensteuer der an dem Gewerbebetrieb Beteiligten, also eine Subjektsteuer.
Der Bundesfinanzhof erwähnt zwar in diesem Zusammenhang einzelne Bestimmungen des Einkommensteuerrechts (vgl. etwa BFHE 66, 66 [78]; 70, 417 [420] und 71, 460 [463]), nämlich § 4 (Begriff von „Gewinn” und „Betriebsausgaben”), § 12 Ziff. 1 (Nichtabzugsfähigkeit privaten Aufwands), § 15 (Begriff der Einkünfte aus Gewerbebetrieb), § 19 (Begriff der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit) und § 26 a Abs. 1 Satz 2 (Zurechnungsregel bei getrennter Veranlagung). Diese Vorschriften zwingen aber weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinne nach zu der steuerlichen Nichtanerkennung der umstrittenen Arbeitsverträge. Das verkennt auch der Bundesfinanzhof nicht, wie z.B. die Entscheidung vom 5. Juli 1960 (BFHE 71, 460 [463, 464]) zeigt, wo es unter anderem heißt:
„In Wirklichkeit geht es darum, die Sachverhalte von Ehe und Mitarbeit im Betrieb, die in dieser Form nur bei Ehegatten zusammentreffen können und mit Rechtsverhältnissen zwischen Fremden darum nicht ohne weiteres und in jeder Hinsicht verglichen werden können, unter Berücksichtigung ihrer Eigenart und des steuerrechtlichen Auslegungsgrundsatzes der wirtschaftlichen Betrachtungsweise so gut es geht in das System des Einkommensteuerrechts einzupassen.”
und später:
„Es liegt auf der Hand, daß es unter diesen Umständen der Rechtsprechung mit den Behelfen der Rechtsauslegung kaum gelingen wird, in dieser Frage, die man unter mancherlei Gesichtspunkten betrachten kann, unbestreitbare und unbestrittene Ergebnisse zu gewinnen.”
Insbesondere schließt § 26 a Abs. 1 EStG (erstmalig in der Fassung des Einkommensteuergesetzes vom 13. November 1957, BGBl I S. 1793) die Anerkennung ernsthafter Arbeitsverträge nicht aus, sondern setzt sie voraus, wenn er bestimmt, daß „Einkünfte eines Ehegatten nicht allein deshalb zum Teil dem anderen Ehegatten zuzurechnen (sind), weil dieser bei der Erzielung der Einkünfte mitgewirkt hat”; denn das kann nur bedeuten, daß zu der faktischen Mitwirkung noch vertragliche Vereinbarungen hinzukommen müssen, weil eine Mitwirkung auch ohne vertragliche Bindung nur im Rahmen des ehelichen Verhältnisses geleistet werden könnte. Daß § 26 a Abs. 1 Satz 2 EStG in diesem Sinne gemeint ist, ergibt sich auch aus dem Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses an den Bundestag: „Der Abschluß von Arbeitsverträgen oder Partnerschaftsverhältnissen, insbesondere in den Fällen, in denen die Ehefrau mithelfend tätig ist, wie beispielsweise in der Landwirtschaft, im Handel, im Handwerk, bei den freien Berufen u. ä., ist einkommensteuerlich wirksam möglich. Auch solche Verträge müssen jedoch ernst gemeint sein, und die Höhe des Gehaltes bzw. des Gewinnanteils muß angemessen sein” (BT II/1953 zu Drucks. 3509 S 7).
Im vorliegenden Fall aber handelt es sich nicht darum, ob an den Nachweis der Arbeitsverträge besondere Anforderungen gestellt worden sind (was das Bundesverfassungsgericht bereits in BVerfGE 6, 55 [84] und 9, 237 [245 f] als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet hat) und ob die Beweiswürdigung richtig ist. Klarheit und Eindeutigkeit der Vereinbarungen, ihre tatsächliche Durchführung sowie die Angemessenheit der vereinbarten Vergütungen sind nicht in Zweifel gezogen worden, und die Arbeitsleistungen der beiden Ehefrauen werden als Tätigkeiten bezeichnet, wie sie sonst Angestellte ausüben (BFHE 70, 417 [421]). Die Nichtanerkennung der Arbeitsverträge in dem hier entschiedenen Einzelfall beruht vielmehr auf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der Bundesfinanzhof im Hinblick auf den besonderen Charakter, die besondere Prägung von Arbeitsverhältnissen zwischen Ehegatten entwickelt und durch die er die Möglichkeit steuerlicher Berücksichtigung solcher Verträge so sehr eingeschränkt hat, daß sie „kaum jemals” (BFHE 71, 307 [310]) praktisch werden kann. In der Tat findet sich unter den amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs nur eine (BFHE 66, 66), in der nach diesen Regeln ein „Ehegatten-Arbeitsvertrag” anerkannt worden ist. Die Bedeutung derartiger im Wege schöpferischer Interpretation entwickelter Rechtsgrundsätze, unter die der Einzelfall wie unter eine Norm subsumiert wird, geht weit über den einzelnen Rechtsstreit hinaus. Ihren normähnlichen Charakter zeigt gerade auch der Gedankengang des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteils.
3. Die Entwicklung von Rechtsgrundsätzen gehört zwar auch im Steuerrecht zu den herkömmlichen Aufgaben des Richters, zumal wenn es darum geht, den Steuertatbestand und damit die Steuerpflicht zu begrenzen (vgl. dazu auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1961 –2 BvL 1/59–). Doch kann es unter dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaats bereits bedenklich sein, wenn der Steuertatbestand vom Richter neu geschaffen oder ausgeweitet wird; denn das Steuerrecht wird von der Idee der „primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte” getragen und lebt dementsprechend „aus dem Diktum des Gesetzgebers” (Bühler-Strickrodt, Steuerrecht, 3. Aufl., S. 658).
Diese rechtsstaatlichen Bedenken können nicht ohne weiteres durch den Hinweis auf die für Steuerverwaltung und Steuerrechtsprechung an sich legitime wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 1 StAnpG) ausgeräumt werden. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise hat ihren Platz dort, wo „ein Steuergesetz zwar bestimmte rechtliche Sachverhalte nennt, dabei aber nicht deren spezielle rechtstechnische Einkleidung, sondern ihre rechtliche Wirkung meint”; an „diese rechtlichen Wirkungen und die dadurch herbeigeführten wirtschaftlichen Ergebnisse im Bereich der Steuerpflichtigen” hat dann die Besteuerung anzuknüpfen. Doch darf die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht „dazu verleiten, die rechtliche Methode durch außerrechtliche Gesichtspunkte und Begriffe aufzulösen” (Bühler-Strickrodt a.a.O. S. 158/159).
Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß im Rahmen der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise” nicht eigentlich wirtschaftliche, sondern mit der „Chef/Chefin-Theorie” psychisch-soziale Momente ausschlaggebend berücksichtigt werden.
4. Die Frage der Rechtsstaatlichkeit braucht jedoch nicht entschieden zu werden, weil die genannten Rechtsgrundsätze des Bundesfinanzhofs, auf denen die angegriffene Entscheidung beruht, das Grundgesetz jedenfalls aus den gleichen Gründen verletzen wie § 8 Ziff. 5 GewStG.
a) Es wird nicht nur hier wie dort schließlich die gleiche Verfassungsfrage aufgeworfen; in beiden Fällen entsprechen einander auch die Ausgangslage, das steuerrechtliche Ergebnis und die Gründe, die hier die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs tragen, dort die gesetzliche Regelung rechtfertigen sollen.
Die Ausgangslage ist in beiden Fällen die auf einem Arbeitsvertrag beruhende Mitarbeit eines Ehegatten in einem Gewerbebetrieb, dessen Unternehmer oder Mitunternehmer der andere Ehegatte ist. In beiden Fällen geht es um die steuerrechtliche Einordnung der dem mitarbeitenden Ehegatten zufließenden Arbeitsvergütung. Im allgemeinen werden Arbeitsvergütungen im Einkommen– wie auch im Gewerbesteuerrecht (hier kraft Verweisung in § 7 GewStG) gemäß § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben von den Einkünften aus Gewerbebetrieb abgesetzt. Die Rechtsgrundsätze des Bundesfinanzhofs wie die Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Ziff. 5 GewStG bringen hierzu für Ehegatten eine Sonderregelung mit steuererhöhender Wirkung. Sie führen praktisch für das Einkommensteuerrecht fast zu demselben Ergebnis wie § 8 Ziff. 5 GewStG für die Gewerbesteuer, da sie kaum jemals die Anerkennung des Arbeitsvertrags eines mitarbeitenden Ehegatten zulassen:
Bei dieser Parallelität in Ausgangslage und Ergebnis findet sich naturgemäß auch in der Argumentation eine weitgehende Übereinstimmung. Allerdings können die aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer zur Rechtfertigung des § 8 Ziff. 5 GewStG hergeleiteten Erwägungen im Bereich der Einkommensteuer von vornherein keine Rolle spielen. Auch die Gefahr der Steuerumgehung hat der Bundesfinanzhof in der seit dem Urteil vom 3. Dezember 1957 (BFHE 66, 66) entwickelten grundsätzlichen Rechtsprechung nicht mehr als selbständiges Argument behandelt, doch hat das der Bundesminister der Finanzen in dem vorliegenden Verfahren ergänzend getan. Im übrigen stimmen die Erwägungen, mit denen der Bundesfinanzhof die Nichtanerkennung der umstrittenen Gruppe von Arbeitsverträgen im Einkommensteuerrecht begründet, der Natur der Sache nach mit den Argumenten zur Rechtfertigung von § 8 Ziff. 5 GewStG aus dem „besonderen Charakter” von Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten (oder zwischen einem Ehegatten und einer Personengesellschaft, an der der andere beteiligt ist) überein. In beiden Fällen wird der von Arbeitsverträgen zwischen fremden Arbeitgebern und Arbeitnehmern wesentlich abweichende Charakter solcher Arbeitsverträge einmal aus den Normen des Eherechts, die als Normen höherer Ordnung die vertraglich geschaffenen Verhältnisse überlagerten, und zum andern daraus geschlossen, daß der im Betrieb mitarbeitende Ehegatte im allgemeinen eine andere soziale Stellung habe als ein fremder Arbeitnehmer.
b) Diese Erwägungen wie auch der Gedanke der Verhinderung von Steuerumgehungen reichen nicht aus, um eine steuerliche Benachteiligung von Ehegatten zu rechtfertigen; dies ist in dem gleichzeitig verkündeten Urteil 1 BvL 32/57 dargelegt; hierauf wird verwiesen. Was für die gesetzliche Bestimmung des § 8 Ziff. 5 GewStG gilt, gilt nicht minder für die Rechtsgrundsätze, die der Bundesfinanzhof zur Behandlung der Ehegatten-Arbeitsverträge im Einkommensteuerrecht entwickelt hat; denn der Richter ist seiner Funktion nach enger gebunden als der Gesetzgeber.
5. Die vom Bundesfinanzhof zur steuerrechtlichen Behandlung von Ehegatten-Arbeitsverträgen entwickelten Rechtsgrundsätze sind somit aus denselben Gründen mit der Verfassung unvereinbar, die in dem Urteil 1 BvL 32/57 zur Nichtigerklärung des § 8 Ziff. 5 GewStG geführt haben. Hier wie dort sind die Schutzgedanken des Art. 3 Abs. 1 wie des Art. 6 Abs. 1 GG im Spiel. Anders als bei § 8 Ziff. 5 GewStG – doch ebenso wie bei § 26 EStG aF – handelt es sich hier nicht um eine Objektsteuer, von deren verfassungswidriger Erhöhung auch Dritte betroffen werden können, sondern um die personale Einkommensteuer, durch deren Erhöhung allein die Eheleute selbst benachteiligt sind. Daraus folgt, daß in diesem Fall Art. 6 Abs. 1 GG die stärkere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt hat und sich dadurch als adäquater verfassungsrechtlicher Maßstab erweist. Das angegriffene Urteil, das auf jenen vom Bundesfinanzhof entwickelten Rechtsgrundsätzen beruht, verletzt daher die Grundrechte der Beschwerdeführer zu 2) aus Art. 6 Abs. 1 GG.
Fundstellen
Haufe-Index 1029624 |
BStBl I 1962, 506 |
BVerfGE, 318 |
NJW 1962, 442 |