Entscheidungsstichwort (Thema)

Rettungsdienstgebühr. Notarzt. Notarzteinsatz. Notfall. ärztliche Behandlung. ärztliche Leistungen. gesetzliche Krankenversicherung. vertragsärztliche Versorgung. Sicherstellungsauftrag. Gesetzgebungskompetenz

 

Leitsatz (amtlich)

Die umfassende Regelung der vertragsärztlichen Versorgung – insbesondere des ärztlichen Behandlungsanspruchs und der Vergütung – im 5. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) schließt die Befugnis von Gemeinden aus, für die bei Notfalleinsätzen im Rahmen des Rettungsdienstes erbrachte ärztliche Behandlung von Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen aufgrund kommunaler Satzungen (Benutzungs-)Gebühren zu erheben.

 

Normenkette

KAG NW § 4 Abs. 2; SGB V § 73 Abs. 2 Nr. 1, § 76 Abs. 1 S. 2, § 133; RettG NW (1974) § 1 Abs. 1-2; GG Art. 70, 74 Nr. 12

 

Verfahrensgang

VG Aachen (Urteil vom 18.12.1992; Aktenzeichen 7 K 997/91)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 18. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2 tragen die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.

 

Tatbestand

I.

Die bei der Beigeladenen zu 1 (gesetzlich) krankenversicherte Klägerin wendet sich gegen die Auferlegung einer Notarztgebühr in Höhe von 274 DM durch den Beklagten. Sie war am 19. Juli 1989 im Stadtgebiet von Aachen in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. Obwohl sie nicht äußerlich erkennbar verletzt worden war, forderte die Polizei über die Leitstelle der Berufsfeuerwehr Aachen im Hinblick auf die im neunten Monat bestehende Schwangerschaft der Klägerin umgehend einen Rettungswagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug an; die städtische Notärztin untersuchte die Klägerin und stellte fest, daß nichts zu veranlassen war. Gemäß § 3 Ziff. 2 der Gebührenordnung für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes der Stadt Aachen vom 7. Dezember 1988 wird “für die Inanspruchnahme des Notarztes” eine Gebühr in Höhe von 274 DM erhoben; gebührenpflichtig ist gemäß § 7 Ziff. 1 derjenige, der die Leistung in Anspruch nimmt oder in dessen Interesse der Rettungsdienst tätig wird. Der Beklagte hat in Honorarvereinbarungen mit Ärzten eine Vergütung von 120 DM je Einsatz zugesagt; die Bereitschaftszeit wird den Ärzten nicht vergütet. Daneben ist die Stadt gemäß einem Vertrag mit dem Land Nordrhein-Westfalen zur Begleichung der tatsächlichen Aufwendungen verpflichtet, die dem Klinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen für die Inanspruchnahme und Bereitstellung der Notärzte entstehen.

Gegen den auf dieser städtischen Gebührenordnung beruhenden “Rettungsdienstgebühren-Bescheid” vom 8./27. September 1989 hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hinsichtlich der geforderten Notarztgebühr Klage erhoben. Sie hat – wie schon im Vorverfahren – die Kompetenz des Beklagten zur Erhebung von Gebühren für die Behandlung durch den Notarzt, die sie auch bei Rettungsdiensteinsätzen als Teil der kassenärztlichen Versorgung ansieht, bestritten und im übrigen die satzungsmäßige Voraussetzung einer willentlichen Inanspruchnahme des Rettungsdienstes verneint. Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 1990 – 9 A 26/90 – (NWVBl 1991, 200; vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 15. März 1991 – BVerwG 8 B 3.91 –) verteidigt.

Mit Urteil vom 18. Dezember 1992 hat das Verwaltungsgericht Aachen den Heranziehungsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Allerdings habe die Klägerin die Voraussetzungen der Gebührenordnung in Verbindung mit deren kommunalabgabenrechtlicher Grundlage erfüllt. Denn sie habe die notärztliche Behandlung als Leistung des Rettungsdienstes in Anspruch genommen, weil das Tatbestandsmerkmal der “Inanspruchnahme” auch ohne einen darauf gerichteten Antrag des Betroffenen bereits dann zu bejahen sei, wenn tatsächlich Leistungen des Rettungsdienstes gegenüber dem Hilfebedürftigen erbracht würden. Die – formell rechtmäßige – Satzung der Stadt Aachen verstoße jedoch insoweit gegen die kompetenzrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes sowie gegen § 76 Abs. 1 Satz 2, § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB V und damit gegen höherrangiges einfaches Bundesrecht, als Gebühren für die Inanspruchnahme des Notarztes von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung erhoben würden; die daraus resultierende (Teil-)Nichtigkeit der Gebührenordnung lasse die Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides entfallen. Die Gebührenerhebung für die Notfallbehandlung von Mitgliedern gesetzlicher Krankenversicherungen verletze deren durch § 76 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB V begründeten umfassenden Anspruch auf – notwendige (§ 27 Abs. 1 SGB V) – ärztliche Behandlung auch in Notfällen. § 133 SGB V stehe dem nicht entgegen und gestatte eine kommunale Gebührenerhebung für die notärztliche Behandlung ebenfalls nicht. Denn diese Vorschrift regele nur Transportkosten einschließlich etwaiger nichtärztlicher Dienstleistungen, nicht jedoch ärztliche Behandlungskosten. Die eine Gebührenerhebung für Rettungsdiensteinsätze billigende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 1990 – 9 A 26/90 – betreffe eine anderslautende Satzungsregelung und stelle maßgeblich auf die zur Sicherstellung der sofortigen Verfügbarkeit ärztlicher Leistungen erforderlichen organisatorischen Maßnahmen und nicht auf die ärztliche Behandlungsleistung als solche ab. Demgegenüber verdeutliche die von dem Beklagten im vorliegenden Fall abgeschlossene Honorarvereinbarung in Höhe von 120 DM pro Einsatz in Verbindung mit dem vertraglichen Ausschluß der Bezahlung der Bereitschaftszeit die Vergütung der ärztlichen Leistung als solcher. Überdies sei dem Oberverwaltungsgericht aber auch im Grundsatz nicht zu folgen. Die Gebührenerhebung sei im vorliegenden Fall auch nicht deshalb Rechtens, weil die Klägerin tatsächlich unverletzt geblieben sei und ein – den Kompetenzkonflikt mit dem SGB V auslösender – Notfall im objektiven Sinne deshalb möglicherweise nicht vorgelegen habe. Zwar habe das Bundessozialgericht bisher den Begriff des Notfalls rein objektiv aus der Sicht eines optimalen, alle Umstände berücksichtigenden Beobachters bestimmt. Ob dieser mit Blick auf die mißlichen Konsequenzen zweifelhaften Ansicht zu folgen sei, könne dahinstehen. Denn auch auf ihrer Grundlage ergebe sich aus § 91 Abs. 1, § 97 SGB X die Abrechnungsfähigkeit bzw. Erstattungspflicht für die ärztliche Behandlung nur scheinbarer, vermeintlicher “Notfälle”, wenn der tätiggewordene Nichtkassenarzt aufgrund der objektiven Umstände einen Notfall nicht ausschließen könne. Schließlich könne trotz des zugleich bestehenden Sachbezugs zum landesrechtlichen Rettungsdienstwesen auch nicht zweifelhaft sein, daß die Zuordnung des Notarzteinsatzes im Rettungsdienst zum Bereich der Sozialversicherung gehöre, für den der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 12 GG) habe. Denn die ärztliche Notfallbehandlung sei seit jeher Teil der ärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. Würde in Fällen der vorliegenden Art einer kommunalen Gebietskörperschaft die Möglichkeit eröffnet, allein nach gebührenspezifischen Erwägungen ohne Rücksicht auf soziale Belange das Entgelt für die ärztliche Leistung zu bestimmen, wäre das aus historischer Sicht für die soziale Krankenversicherung wesensprägende Sachleistungsprinzip, das auch die Möglichkeit der Preiskontrolle durch die Krankenkassen vorsehe, insoweit außer Kraft gesetzt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung-)Revision des Beklagten, mit der unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen geltend gemacht wird, daß entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung bzw. des 5. Buchs des Sozialgesetzbuchs schon deshalb ausscheide, weil diese Vorschriften nur die ärztliche Behandlung als solche und die Versorgung mit vom Arzt verschriebenen Heilmitteln sowie deren Vergütung, nicht aber organisatorische Maßnahmen und die insoweit anfallenden Kosten des Rettungsdienstes beträfen; die beanstandete Kollision mit vorrangigem Bundesrecht bestehe deshalb nicht.

Die Beigeladene zu 2 wendet sich ebenfalls gegen das angefochtene Urteil und trägt vor: Das Verwaltungsgericht habe die streitigen Leistungen unzutreffend der kassenärztlichen Versorgung zugeordnet. Nach traditionellem Verständnis könne der Rettungsdienst mit mindestens derselben Berechtigung dem Bereich der Gefahrenabwehr zugerechnet werden. § 133 SGB V regele entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht lediglich Transportleistungen, sondern konsequenterweise auch die der Transportleistung vorausgehende Herstellung der Transportfähigkeit des Patienten und die ärztliche Überwachung des Transports.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 1 treten der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die (Sprung-)Revision des Beklagten ist – wie der Senat durch Zwischenurteil vom 20. August 1993 (Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 62 S. 12) festgestellt hat – zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, weil der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Zwar liegen die einfachgesetzlichen Voraussetzungen für die Gebührenerhebung vor.

Das Verwaltungsgericht hat in Auslegung der städtischen Gebührenordnung vom 7. Dezember 1988 sowie des § 4 Abs. 2 KAG NW festgestellt, die Klägerin habe den Notarzt im Sinne des § 3 Ziff. 2 der Gebührenordnung “in Anspruch genommen” und damit die dort geregelten Voraussetzungen der Gebührenerhebung erfüllt, auch wenn die Inanspruchnahme des Notarztes ohne Antrag, d.h. ohne ihre willentliche Veranlassung erfolgt sei. Das Verwaltungsgericht ist der Sache nach zu Recht auch davon ausgegangen, daß die zur Gebühr herangezogene Klägerin Notfallpatientin im Sinne der Gebührensatzung in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des Gesetzes über den Rettungsdienst (RettG) vom 26. November 1974 (GV NW S. 1481), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. November 1982 (GV NW S. 699) war. Dagegen ist aus der Sicht des Bundesrechts nichts einzuwenden.

2. § 3 Ziff. 2 der Gebührenordnung vom 7. Dezember 1988 verstößt jedoch in der – den Senat bindenden – Auslegung durch das Verwaltungsgericht gegen Bundesrecht, soweit die Gebührenerhebung Mitglieder gesetzlicher Krankenversicherungen betrifft. Da die Klägerin zu diesem Personenkreis zählt, kann ihre Heranziehung zu Gebühren “für die Inanspruchnahme des Notarztes” in der genannten satzungsrechtlichen Vorschrift keine gültige Rechtsgrundlage finden.

a) “Inanspruchnahme des Notarztes” im Sinne von § 3 Ziff. 2 der Gebührenordnung bedeutet in der Auslegung durch das Verwaltungsgericht, “daß gerade der ärztliche Einsatz als solcher honoriert wird” und die Norm sich nicht “auf die organisatorischen Maßnahmen bezieht, die zur Sicherstellung der sofortigen Verfügbarkeit ärztlicher Leistungen am Notfallort und auf dem Transport zum Krankenhaus erforderlich” sind. Das Verwaltungsgericht hat dies aus dem Wortlaut des § 3 Ziff. 2 der Gebührenordnung, den Honorarvereinbarungen des Beklagten mit den eingesetzten Ärzten und dem dortigen ausdrücklichen Ausschluß einer Vergütung der bloßen Bereitschaftszeit sowie einer entsprechenden vertraglichen Regelung des Beklagten mit dem Land Nordrhein-Westfalen über die Bereitstellung von Anästhesisten des Klinikums Aachen gefolgert. Damit hat sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich von der Auslegung einer ähnlichen, wenn auch nicht wortgleichen Vorschrift durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26. Oktober 1990 – 9 A 26/90 – NWVBl 1991, 200) in einem Parallelfall abgesetzt. Seine eindeutige Auslegung der streitigen Satzung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie bindet daher das Bundesverwaltungsgericht.

b) Die Erhebung von Gebühren durch kommunale Satzungen für die notärztliche Behandlung von Mitgliedern gesetzlicher Krankenversicherungen im Rahmen des Rettungsdienstes verstößt gegen höherrangiges Recht. Das Entgelt für ärztliche Leistungen einschließlich notärztlicher Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist insoweit abschließend im 5. Buch des Sozialgesetzbuchs normiert. Diese auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis aus Art. 74 Nr. 12 GG ergangenen bundesrechtlichen Vorschriften (vgl. zur Bundeskompetenz für den Notfall- und Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung: BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1982 – BVerwG 3 C 21.81 – BVerwGE 65, 362 ≪365≫) schließen kommunale satzungsrechtliche Gebührenregelungen aus (Art. 72 Abs. 1 GG), zumal wenn sie – wie hier nach den Angaben der Beigeladenen zu 2 – erheblich höhere Honorare ausweisen als nach den Bestimmungen des SGB V und den Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnungsfähig wären.

aa) Nach § 73 Abs. 1 Satz 1, § 27 Satz 2 Nr. 1 SGB V haben Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf vertragsärztliche (früher: kassenärztliche) Behandlung, die sich in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung gliedert. Sie umfaßt gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB V diejenigen Tätigkeiten, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Kassenärztliche Vereinigung und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben die vertragsärztliche Versorgung – einschließlich eines ausreichenden Notdienstes – sicherzustellen (§ 75 Abs. 1 SGB V). Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die gesetzlich Versicherten freie Arztwahl unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen (“Kassen-”)Ärzten, können aber “in Notfällen” auch andere Ärzte in Anspruch nehmen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Einzelheiten der Versorgung, insbesondere die Vergütung der einzelnen ärztlichen Leistungen, regeln die Krankenkassen mit der Kassenärztlichen Vereinigung vertraglich (vgl. u.a. § 72 Abs. 2, § 73 Abs. 1c und Abs. 3, §§ 82 ff. SGB V). Für die gesamte vertragsärztliche Versorgung entrichten die Krankenkassen mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die Kassenärztliche Vereinigung, die diese unter den Vertragsärzten zu verteilen hat (§ 85 SGB V).

Gesetzlich Versicherte haben danach einen umfassenden, auch Notfälle einschließenden Anspruch auf ärztliche Behandlung, dessen nähere Einzelheiten – insbesondere die Vergütung – kraft bundesgesetzlicher Regelung die die gesetzliche Krankenversicherung tragenden Vertragsparteien vertraglich festzulegen haben. Raum für kommunale Gebührenregelungen mit Bezug auf die Vergütung ärztlicher Leistungen bliebe danach nur, wenn Leistungen des Notarztes im Rahmen des Rettungsdiensteinsatzes keinen “Notfall” im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V darstellten, sondern der Regelung des Rettungswesens und damit landesrechtlicher Kompetenz unterfielen, und deshalb von der abschließenden, vorrangigen Regelung des SGB V nicht erfaßt würden. Das ist jedoch – wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat – nicht der Fall.

bb) Notfälle im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V beschränken sich nicht etwa auf die Inanspruchnahme des von der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V zu unterhaltenden Notdienstes; denn die zum Notdienst eingeteilten Ärzte sind an der Versorgung teilnahmeberechtigte Vertragsärzte (KassKomm-Hess, § 76 SGB V Rn. 11), Notdienstbehandlung ist danach gerade keine Behandlung durch “andere Ärzte” im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Ein Notfall im Sinne dieser Vorschrift liegt vielmehr vor, wenn eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein an sich “berechtigter” Arzt nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, also insbesondere wenn – wie z.B. im Rahmen der “Ersten Hilfe” – ohne eine sofortige Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt Gefahren für Leib und Leben entstehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (KassKomm-Hess, a.a.O., Rn. 12; BSG, Urteile vom 24. Mai 1972 – 3 RK 25/69 – BSGE 34, 172 ≪174≫ und vom 31. Juli 1963 – 3 RK 92/59 – BSGE 19, 270 ≪272 f.≫; LSG Berlin, Urteil vom 24. Juni 1992 – L 7 Ka 12/92 –). Der Notfallbegriff des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfaßt damit jedenfalls die Situationen, deren Bewältigung § 1 Abs. 1 RettG 1974 dem Rettungsdienst aufgibt.

cc) Dementsprechend hat das Bundessozialgericht (Urteile vom 27. Oktober 1987 – 6 RKa 60/86 – SozR 2200 § 368 d RVO Nr. 6 und vom 5. Mai 1988 – 6 RKa 30/87 – USK 88182; vgl. auch Urteil vom 16. April 1986 – 6 RKa 34/84 – SozR 2200 § 368 d RVO Nr. 5; zustimmend Maaß, NJW 1989, 2926 ≪2929≫) noch zur Rechtslage nach der Reichsversicherungsordnung die ärztliche Behandlung von Versicherten beim Rettungsdiensteinsatz der kassenärztlichen Versorgung zugeordnet und den hierfür geltenden Vergütungsregelungen unterworfen; es hat den Trägern des Rettungsdienstes die Kompetenz abgesprochen, diese ärztliche Versorgung unabhängig vom Recht der sozialen Krankenversicherung zu regeln. Die Ausgrenzung notärztlicher Rettungsdienstleistungen aus der vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung hätte zur Folge, daß die Honorierung der ärztlichen Behandlung den in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Vergütungsregelungen entzogen wäre und deshalb von den Krankenkassen ohne die ihnen im SGB V eingeräumte Einflußmöglichkeit hinzunehmen wäre. Dieses mit dem Recht der sozialen Krankenversicherung unvereinbare Ergebnis (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987, a.a.O.) läßt sich auch nicht mit dem Hinweis entkräften, in den landesrechtlichen Rettungsdienstgesetzen sei – in unterschiedlicher Weise – die Mitwirkung der Krankenkassen bei der Festsetzung der Rettungsdienstgebühren vorgesehen; denn die Landesgesetzgeber haben diese Mitwirkung nicht als rechtliche Verpflichtung ausgestaltet und den Krankenkassen auch nicht durchweg ein echtes Preiskontrollrecht zugestanden (vgl. zu den unterschiedlichen landesgesetzlichen Regelungen im einzelnen Kranig in Hauck/Haines, SGB V, § 133 Rn. 10). Die in § 1 RettG 1974 umschriebene Aufgabe des Rettungsdienstes, deren organisatorische Ausgestaltung gemäß Art. 30 und 70 GG der Regelungskompetenz der Länder untersteht, läßt sich ohne weiteres mit der Bundeskompetenz für die Vergütung aller notärztlichen Leistungen vereinbaren, die den Zuständigkeiten der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen für die ärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten Rechnung trägt. Die Aufgabe des Rettungsdienstes kann nämlich von den Trägern des Rettungsdienstes ohne erkennbare Schwierigkeit in Zusammenarbeit mit den Krankenversicherungsträgern und ihren Leistungserbringern unter Einbeziehung des den Versicherten zustehenden Versicherungsschutzes und des dafür vorgesehenen Leistungssystems erfüllt werden (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987, a.a.O.; Lippert, NJW 1982, 2089 ≪2090≫).

dd) Auch der Bundesgerichtshof (Beschluß vom 26. Oktober 1989 – III ZR 99/88 –) geht davon aus, daß Notarztdienst und Rettungsdienst begrifflich und rechtlich zu unterscheiden seien, und die Versorgung der Notfallpatienten aufgrund der bundesrechtlichen Regelung durch die RVO bzw. das Gesundheitsreformgesetz (= SGB V) der Regelungsbefugnis durch die Länder entzogen ist (ebenso Lippert a.a.O. und MedR 1983, 167 ≪168≫). Er hat die Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung, Notärzte für den Rettungsdienst zur Verfügung zu stellen, zu Recht aus dem früher in § 368 Abs. 2 RVO und jetzt in §§ 72 ff. SGB V normierten Sicherstellungsauftrag abgeleitet und unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. Oktober 1987 (a.a.O.) die notärztliche Behandlung im Rahmen des Rettungsdienstes als Bestandteil der kassenärztlichen Versorgung angesehen (vgl. auch Urteil vom 12. November 1992 – III ZR 178/91 – NJW 1993, 1526 ≪1527≫ mit zustimmender Anmerkung Gitter JZ 1993, 906). Denn der Notarztdienst stellt sich nicht als vorweggenommene stationäre Behandlung dar, die dem auf ambulante ärztliche Versorgung beschränkten Sicherstellungsauftrag entzogen wäre (vgl. Schirmer in Hauck/Haines, SGB V, § 75 Rn. 1; a.A. Narr, MedR 1986, 160 f. und Nellessen, NJW 1979, 1919 f.), sondern beschränkt sich auf die – ambulante – erste ärztliche Behandlung am Unfallort (Gitter, a.a.O., S. 907), zumal nicht jeder Notfallpatient tatsächlich anschließend in einem Krankenhaus stationär aufgenommen wird (SG Karlsruhe, Urteil vom 27. März 1985 – 8 Ka 286/83 – MedR 1986, 158 ≪160≫, bestätigt durch BSG, Urteil vom 5. Mai 1988, a.a.O.; Lippert, MedR 1983, 167 ≪169≫).

ee) An dieser zutreffenden Auffassung des Bundessozialgerichts und des Bundesgerichtshofs hat sich durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) nichts geändert. Auch nach den Bestimmungen des SGB V sind ärztliche Leistungen bei Notfällen aller Art Bestandteil des dargelegten umfassenden Anspruchs auf ärztliche Behandlung. § 133 SGB V führt entgegen der Ansicht der Beigeladenen zu 2 zu keiner anderen Beurteilung. Diese Vorschrift eröffnet den Kommunen nicht – gleichsam unter Teilaufgabe des bisher bundesrechtlich umfassend geregelten Anspruchs auf ärztliche Versorgung – die Möglichkeit, durch Satzungen Gebühren für ärztliche Behandlungsleistungen bei Notfällen im Rahmen des Rettungsdiensteinsatzes zu erheben. Wortlaut, Sinnzusammenhang und Entstehungsgeschichte verdeutlichen, daß sich § 133 SGB V nur auf Krankentransportleistungen und deren Vergütung, nicht jedoch auf notärztliche Behandlungsleistungen bezieht.

Der an sich umfassende Begriff des “Rettungsdienstes” wird nämlich sowohl durch die amtliche Überschrift (“Versorgung mit Krankentransportleistungen”) als auch durch die anschließende Formulierung (“und andere Krankentransporte”) in Absatz 1 auf die Beförderungsleistung im Rahmen des Rettungsdienstes eingeschränkt.

Aus gesetzessystematischer Sicht spricht einmal der Bezug zwischen § 60 und § 133 SGB V dafür, daß § 133 nur Transportleistungen behandelt; denn § 60 SGB V regelt “Fahrkosten” und verweist für einen Teil von ihnen auf § 133 SGB V. Zum andern passen die in § 133 Abs. 2 formulierten Voraussetzungen für die Beschränkung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen auf Festbeträge für ärztliche Leistungen nur bedingt.

Die Entstehungsgeschichte schließlich belegt die dargelegte eingeschränkte Bedeutung des Begriffs des Rettungsdienstes in § 133 SGB V. Dieser Begriff wurde erst im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund der Beratungen im Bundesrat ergänzend in das Gesetz eingefügt, nachdem ursprünglich (vgl. § 142 des Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen, BTDrucks 11/2237) nur von der Vergütung von Kranken- und Rettungstransporten (§ 142 Abs. 1 des Entwurfs) bzw. von der Festlegung der Entgelte für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen bei Kranken- und Rettungstransporten durch landes- oder kommunalrechtliche Bestimmungen (§ 142 Abs. 2 des Entwurfs) die Rede gewesen war. Die vom Bundesrat (vgl. BTDrucks 11/2493, S. 19) nach § 68 des Entwurfs (= § 60 SGB V) gewünschte Einfügung eines § 68 a, durch den der Krankenkasse “die Kosten für die … notwendige Versorgung und Beförderung 1. von Notfallpatienten (Notfallrettung), 2. von sonstigen kranken, verletzten oder hilfsbedürftigen Personen, die während der Fahrt einer fachlichen Betreuung … bedürfen … (Krankentransport)”, auferlegt werden sollten, ist nicht Gesetz geworden. Der Gesetzgeber hat damit die Kritik des Bundesrats (vgl. a.a.O. S. 20) nicht aufgegriffen, § 68 in der Fassung des Gesetzesentwurfs betrachte die Leistungen des Rettungsdienstes “als bloße Fahrleistung” und verkenne völlig, daß es sich bei den Leistungen des Rettungsdienstes in erster Linie um die präklinische Versorgung und die sachgerechte medizinische Betreuung von Patienten handele (vgl. Beschlüsse und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucks 11/3320 und 11/3480, S. 36 und 40). Lediglich bei § 142 des Entwurfs (= § 133 SGB V) wurde dem Vorschlag des Bundesrats mit der Einfügung des Vorrangs landesrechtlicher Regelungen und der Aufnahme des Begriffs der Leistungen des Rettungsdienstes neben den “anderen Krankentransporten” Rechnung getragen. Ansonsten ist durchweg nur von “Fahrkosten” und “Fahrten von Rettungsdiensten” die Rede (vgl. Bericht des Ausschusses, a.a.O. S. 56). Dies läßt nur den – angesichts der bekannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Umfang des durch die Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung bundesrechtlich geregelten Anspruchs auf ärztliche Behandlung überdies naheliegenden – Schluß zu, daß sich weder § 60 SGB V noch § 133 SGB V mit ärztlichen Leistungen befassen, sondern lediglich Krankentransporte im Rahmen des Rettungsdienstes und hierfür anfallende Entgelte landes- und kommunalrechtlicher Regelung zuführen (vgl. Kranig in Hauck/Haines, SGB V, § 133 Rn. 1, 13, 15; von Maydell, GK-SGB V, § 133 Rn. 10, 18; BGH, Urteil vom 21. Februar 1989 – KZR 7/88 – BGHZ 107, 40 ≪44≫; a.A. wohl KassKomm-Hess, § 76 SGB V, Rn. 18 und § 133 Rn. 2: “Ausgelagerter Teil der Krankenhausbehandlung”).

c) § 3 Ziffer 2 der Gebührenordnung verstößt somit in der bindenden Auslegung durch das Verwaltungsgericht gegen bundesrechtliche Vorschriften des Sozialgesetzbuchs V, soweit auch von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung notärztliche Behandlungsgebühren verlangt werden. Die von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörterte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen allgemeine Organisations- und Vorhaltekosten des Rettungsdienstes einer kommunalen Gebührenerhebung zugänglich wären, ist – wie auch die satzungsrechtliche Regelung von Transportkosten – nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Kleinvogel, Prof. Dr. Driehaus, Dr. Silberkuhl, Dr. Honnacker, Sailer

 

Fundstellen

BVerwGE, 10

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