Entscheidungsstichwort (Thema)
Nationale Regelung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen, Abzug bezogener Dividenden von Bemessungsgrundlage der Muttergesellschaft nur bei positivem Gewinnsaldo, Mutter-Tochter-Richtlinie
Leitsatz (amtlich)
Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der die von einer Muttergesellschaft bezogenen Dividenden in ihre Besteuerungsgrundlage einbezogen werden, um davon anschließend zu 95 % abgezogen zu werden, soweit in dem entsprechenden Besteuerungszeitraum nach Abzug der anderen steuerfreien Einkünfte ein positiver Gewinnsaldo verbleibt.
Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 90/435 ist unbedingt und hinreichend genau, um vor den nationalen Gerichten geltend gemacht zu werden.
Normenkette
EWGRL 435/90 Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
Hof van Beroep te Antwerpen (Belgien) (Urteil vom 27.02.2007; Abl.EU 2007, Nr. C 117/14) |
Tatbestand
„Richtlinie 90/435/EWG ‐ Art. 4 Abs. 1 ‐ Unmittelbare Wirkung ‐ Nationale Regelung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen ‐ Abzug des Betrags der bezogenen Dividenden von der Besteuerungsgrundlage der Muttergesellschaft nur insoweit, als diese steuerpflichtige Gewinne erzielt“
In der Rechtssache C-138/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hof van beroep te Antwerpen (Belgien) mit Entscheidung vom 27. Februar 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 9. März 2007, in dem Verfahren
Belgischer Staat
gegen
Cobelfret NV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilšič, A. Tizzano, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Cobelfret NV, vertreten durch A. Huyghe und M. Isenbaert, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von J. Werbrouck, advocaat,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal, W. Wils und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Mai 2008
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Belgischen Staat und der Gesellschaft Cobelfret NV (im Folgenden: Cobelfret) über die Bestimmung des körperschaftsteuerpflichtigen Ergebnisses von Cobelfret für die Steuerjahre 1992 bis 1998.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Nach ihrem dritten Erwägungsgrund sollen mit der Richtlinie 90/435 insbesondere die steuerlichen Nachteile beseitigt werden, die verbundene Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten im Vergleich zu verbundenen Unternehmen ein und desselben Mitgliedstaats erleiden.
4
Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 gilt als Muttergesellschaft jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die bestimmte, in Art. 2 dieser Richtlinie genannte Bedingungen erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt.
5
Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/435 sieht vor:
„(1) Bezieht eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft Gewinne, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so
‐ besteuert der Staat der Muttergesellschaft diese Gewinne entweder nicht oder
‐ lässt er im Fall einer Besteuerung zu, dass die Gesellschaft auf die Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichtet, und gegebenenfalls die Quellensteuer, die der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft nach den Ausnahmebestimmungen des Artikels 5 erhebt, bis zur Höhe der entsprechenden innerstaatlichen Steuer anrechnen kann.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann bestimmen, dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können. Wenn in diesem Fall die mit der Beteiligung zusammenhängenden Verwaltungskosten pauschal festgesetzt werden, darf der Pauschalbetrag 5 % der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht übersteigen.“
Nationales Recht
6
Die Richtlinie 90/435 wurde in das belgische Recht mit Gesetz vom 23. Oktober 1991 (Belgisch Staatsblad vom ...