Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Ausschluss des Vorsteuerabzugs aus konjunkturellen Gründen, Italien
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 17 Absatz 7 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verlangt von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in Artikel 29 der genannten Richtlinie vorgesehenen Konsultationsverfahrensverpflichtung, den Beratenden Ausschuss für die Mehrwertsteuer darüber zu informieren, dass sie den Erlass einer von der allgemeinen Vorsteuerabzugsregelung abweichenden nationalen Maßnahme beabsichtigen, und diesem Ausschuss so weitreichende Informationen zu liefern, dass er diese Maßnahme in voller Kenntnis der Sachlage prüfen kann.
2. Artikel 17 Absatz 7 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat nicht dazu ermächtigt, Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung ohne vorherige Konsultation des nach Artikel 29 der Sechsten Richtlinie eingesetzten Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer auszuschließen. Die gleiche Vorschrift ermächtigt einen Mitgliedstaat auch nicht, zum Ausschluss von Gegenständen vom Vorsteuerabzug Maßnahmen zu erlassen, die keine Angaben zu ihrer zeitlichen Begrenzung enthalten und/oder zu einem Paket von Strukturanpassungsmaßnahmen gehören, mit denen bezweckt ist, das Haushaltsdefizit zu verringern und eine Rückzahlung der Staatsschulden zu ermöglichen.
3. Soweit kein Ausschluss von der Vorsteuerabzugsregelung im Einklang mit Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie 77/388 geschaffen worden ist, können die nationalen Steuerbehörden einem Steuerpflichtigen keine Bestimmung entgegenhalten, die von dem in Artikel 17 Absatz 1 dieser Richtlinie aufgestellten Grundsatz des Vorsteuerabzugs abweicht. Da der Steuerpflichtige dieser abweichenden Vorschrift unterworfen worden ist, muss er seine Mehrwertsteuerschuld gemäß Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 neu berechnen können, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet wurden.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 7, Art. 29
Beteiligte
Agenzia delle Entrate - Ufficio di Trento |
Verfahrensgang
Commissione tributaria di primo grado Trient (Italien) (Beschluss vom 21.03.2005; ABl. EU 2005, Nr. C 193/16) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Artikel 17 Absatz 7 und 29 ‐ Recht auf Vorsteuerabzug“
In der Rechtssache C-228/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Commissione tributaria di primo grado Trient (Italien) mit Entscheidung vom 21. März 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2005, in dem Verfahren
Stradasfalti Srl
gegen
Agenzia delle Entrate ‐ Ufficio di Trento
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. Malenovský, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), A. Borg Barthet und U. Lõhmus,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Stradasfalti Srl, vertreten durch B. Santacroce, avvocato,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und M. Afonso als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Juni 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 45, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Stradasfalti Srl (im Folgenden: Stradasfalti), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, und der Agenzia delle Entrate, Dienststelle Trient, wegen der Erstattung von Mehrwertsteuer, in Bezug auf die Stradasfalti vorträgt, dass sie sie in den Jahren 2000 bis 2004 für die Anschaffung, den Gebrauch und die Instandhaltung von Personenkraftwagen, die nicht Gegenstand ihrer eigentlichen Geschäftstätigkeit seien, ohne rechtlichen Grund entrichtet habe.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 17 der Sechsten Richtlinie mit dem Titel „Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“ bestimmt in seinem Absatz 2 Buchstabe a:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer … die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleist...