Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation – Grossherzogtum Luxemburg. Freier Dienstleistungsverkehr – Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat angefallener Krankheitskosten – Vorherige Genehmigung der zuständigen Krankenkasse – Gesundheit – Zahnbehandlung. 1 Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit – Grenzen – Beachtung des Gemeinschaftsrechts – Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr (EG-Vertrag, Artikel 59 bis 60). 2 Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Krankenversicherung – In einem anderen Mitgliedstaat gewährte Leistungen – Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 – Bedeutung – Erstattung der Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Behandlung zu den im Versicherungsstaat geltenden Sätzen durch die Mitgliedstaaten – Keine Regelung (Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 22). 3 Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Nationale Regelung über die Erstattung von Krankheitskosten, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind – Zahnbehandlung – Erfordernis einer vorherigen Genehmigung durch den Träger der sozialen Sicherheit des Versicherungsstaats – Unzulässigkeit – Rechtfertigung – Kontrolle der Gesundheitskosten – Schutz der öffentlichen Gesundheit – Keine Rechtfertigung (EG-Vertrag, Artikel 56, 59 und 60)
Leitsatz (amtlich)
4 Daß eine nationale Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört, schließt die Anwendung der Artikel 59 und 60 des Vertrages nicht aus.
Zwar lässt das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten.
5 Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 soll dem Versicherten, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, insbesondere dann erlauben, ohne zusätzliche Kosten Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers nach den Rechtsvorschriften des Staates zu erhalten, in dem die Leistungen erbracht werden, wenn dies wegen seines Gesundheitszustands erforderlich ist. Diese Bestimmung regelt hingegen nicht den Fall, daß die Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat ohne vorherige Genehmigung erbrachte Behandlung zu den Sätzen erstattet werden, die im Versicherungsstaat gelten, und hindert die Mitgliedstaaten daher nicht an einer solchen Erstattung.
6 Eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten für Zahnregulierungen durch einen Zahnarzt in einem anderen Mitgliedstaat nach den Tarifen des Versicherungsstaats von der Genehmigung des Trägers der sozialen Sicherheit des Versicherten abhängig macht, verstösst gegen die Artikel 59 und 60 des Vertrages.
Eine solche Regelung hält die Sozialversicherten davon ab, sich an ärztliche Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, und stellt sowohl für diese wie für ihre Patienten eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
Sie ist weder durch eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit gerechtfertigt, da die Erstattung von Kosten einer Zahnbehandlung, die in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wurde, nach den Tarifen des Versicherungsstaats keine wesentlichen Auswirkungen auf die Finanzierung dieses Systems hat, noch unter Berufung auf den Gesundheitsschutz mit der Begründung, daß die Qualität in anderen Mitgliedstaaten erbrachter ärztlicher Leistungen gewährleistet werden und eine ausgewogene, allen Versicherten offenstehende ärztliche und klinische Versorgung sichergestellt werden müsse. Da die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung der Tätigkeiten des Arztes und des Zahnarztes Gegenstand mehrerer Koordinierungs- oder Harmonisierungsrichtlinien sind, müssen in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Ärzte und Zahnärzte für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs als ebenso qualifiziert anerkannt werden wie im Inland niedergelassene. Im übrigen ist nicht vorgebracht, daß die streitige Regelung zur Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines unabdingbaren Niveaus der Heilkunde im Inland erforderlich sei.
Normenkette
EGVtr Art. 59-60; EWGV 1408/71 Art. 22
Beteiligte
Union des caisses de maladie |
Tenor
Eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten für Zahnbehandlung durch einen Zahnarzt in einem anderen Mitgliedstaat nach den Tarifen des Versicherungsstaats von der Genehmigung des Trägers der sozialen Sicherheit des Versicherten abhängig macht, verstösst gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag.
Gründe
1 Die luxemburgische Cour de cassation hat dem Gerichtshof mit Urteil vom 25. April 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen na...