rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung kann bei endgültiger Nichtberücksichtigung nicht ausgenutzter Fehlbeträge sachlich unbillig sein
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Begriff der Unbilligkeit des § 163 AO ist mit demjenigen des § 227 AO identisch.
2. Allein die Einschränkung des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags durch eine zeitliche Streckung gem. § 10a Satz 2 GewStG begründet keine sachliche Unbilligkeit i. S. v. § 163 Satz 1 AO.
3. Das Fehlen einer Sonderregelung in § 10a Sätze 1 und 2 GewStG für den Fall eines endgültigen Ausschlusses (Untergangs) des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags bzw. Fehlbetrags (im Streitfall wegen Einstellung der gewerblichen Tätigkeit und des Ausschlusses einer zukünftigen Entstehung von Gewinnen) rechtfertigt die besondere Prüfung einer sachlichen Unbilligkeit i. S. v. §§ 163 Satz 1, 227 AO.
Normenkette
AO § 163 S. 1, §§ 227, 5; GewStG 2002 i.d.F. v. 23.12.2003 § 10a S. 2
Nachgehend
Tenor
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 wird der Beklagte verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO bzw. Billigkeitserlass nach § 227 AO bezüglich des Gewerbesteuermessbetrags 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin und dem Beklagten jeweils zur Hälfte auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine in Liquidation befindliche Grundstücksentwicklungsgesellschaft, die eine Billigkeitsmaßnahme hinsichtlich des Gewerbesteuermessbetrags bzw. der Gewerbesteuer 2004 begehrt, nämlich entweder eine Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 Abgabenordnung – AO – oder einen Erlass gemäß § 227 AO.
Komplementärin der Klägerin war die nicht am Kapital der Klägerin beteiligte D GmbH (nunmehr: i. L.); Kommanditisten waren ursprünglich die E AG und Herr C, seit 2002 nur noch die E AG und seit 2004 die B AG.
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 von der G AG das Grundstück XY-Straße … in Z. Die Klägerin plante, das mit einem … bebaute Grundstück zu modernisieren und zu veräußern.
Mit Darlehensvertrag vom 23. Dezember 2002 gewährte die H Bank AG der Klägerin ein Mezzanine-Darlehen über EUR 1.250.000,–, das am 31. Dezember 2003 auf Grund der zwischenzeitlich fällig gewordenen Zinsen in Höhe von EUR 1.370.331,61 valutierte. Weiterhin gewährte auch die Gesellschafterin E AG im Jahr 2003 der Klägerin Darlehen, die die Klägerin als Verbindlichkeiten auf dem Verrechnungskonto buchte und dessen Stand am 31. Dezember 2003 EUR 496.751,23 betrug.
Auf Grund der Planungsmaßnahmen und Finanzierungskosten erlitt die Klägerin in den Erhebungszeiträumen 2001 bis 2003 folgende Verluste:
Erhebungszeitraum |
Verlust |
2001 |
DM 37.952,25 |
2002 |
EUR 598.628,23 |
2003 |
EUR 2.556.218,91 |
Zum 31. Dezember 2003 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05. November 2004 einen vortragsfähigen Verlust zur Gewerbesteuer in Höhe von EUR 2.656.561,– fest.
Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Projekts abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag mit der G AG, so dass die Klägerin zur Rückgabe des Grundstücks verpflichtet war und über kein weiteres (Aktiv-)Vermögen mehr verfügte. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. Februar 2004 die H Bank AG als Hauptgläubigerin um einen Verzicht ihrer Forderung. Am 02. Juli 2004 vereinbarten die H Bank AG und die Klägerin einen Verzicht auf sämtliche Forderungen der H Bank AG; der Verzicht wurde mit einer Besserungsabrede versehen. Nach Angaben der Klägerin verzichteten auch die B AG sowie die weiteren Gläubiger auf ihre Forderungen, so dass insgesamt die folgenden Forderungen entfielen:
Gläubiger |
Forderungsverzicht (in EUR) |
H Bank AG |
1.370.332 |
G AG |
235.897 |
B AG |
189.780 |
I GmbH |
96.361 |
D GmbH i. L. |
27.320 |
weitere Gläubiger |
25.237 |
Summe |
1.944.927 |
Die Klägerin buchte diese Verbindlichkeiten auf Grund der Verzichtserklärungen im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von EUR 1.862.924 Euro. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 19. Dezember 2005 den Gewerbesteuermessbetrag 2004 auf EUR 14.830,– und die Gewerbesteuer auf EUR 60.803,– fest. Hierbei ging er von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 1.862.924,– aus und zog hiervon einen Verlustvortrag von EUR 1.517.754,– ab; dieser Betrag ergab sich aus dem zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Verlust zur Gewerbesteuer in Höhe des Höchstbetrags von EUR 1.000.000,– sowie in Höhe von 60 % des übersteigenden Betrags von EUR 862.924,– (= EUR 517.754,–). Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von EUR 345.100,–; dies waren – unter Berücksichtigung der Abrundung – 40 % von EUR 862.924,–, die gemäß § 10a Satz 2 Gewerbesteuergesetz – GewStG – unberücksi...