Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Umsatzsteuerbefreiung für Verkehrstherapeuten
Leitsatz (amtlich)
Leistungen von Psychotherapeuten, die "verkehrstherapeutische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung" anbieten und erbringen, sind nicht als arztähnliche Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 14; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. c
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von den Klägerinnen erbrachten Leistungen gem. § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von der Umsatzsteuer befreit sind.
Die Klägerinnen sind approbierte Psychotherapeutinnen i. S. d § 1 Abs. 1 Satz 1 Psychotherapeutengesetz (PsychThG). Sie verfügen über einen Heilkunde-Nachweis i. S. d. § 1 Heilpraktikergesetzes sowie über eine Kassenzulassung; sie sind zudem ins Arztregister eingetragen (s. Nachweise Bl. 19 ff. der Betriebsprüfungsakte). Die Klägerinnen arbeiten ausschließlich mit Erwachsenen.
Neben ihrer jeweiligen Einzelpraxis unterhalten sie unter der Bezeichnung "... Verkehrstherapie" eine gemeinsame psychotherapeutische Praxis in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mit der sie die hier streitigen Umsätze erwirtschaftet haben. In die gemeinsame Praxis kommen Menschen, denen aufgrund ihres Verhaltens im Straßenverkehr der Führerschein entzogen wurde und die ihren Führerschein zurückerlangen wollen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Menschen mit Suchtproblemen (vor allem Alkoholkranke), aber auch um solche mit posttraumatischen Störungen oder Anpassungsstörungen. Allen gemein ist, dass ihnen ärztlicherseits entweder die Nichteignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs attestiert worden ist oder aber eine solche Attestierung ansteht (sog. Medizinisch Psychologische Untersuchung).
In den Streitjahren boten die Klägerinnen im Rahmen der "... Verkehrstherapie" neben einem individuellen Beratungsgespräch einen zweistündigen "Check-up" vor einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung und eine Verkehrstherapie in zwei Teilen an. In den Vertragsunterlagen, die die Klägerinnen benutzten, wurde die zu erbringende Leistung als "verkehrstherapeutische Maßnahme zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung" beschrieben (s. Anlagenband, Anlage K 5 Bl. 10). In einem Faltblatt, das die Klägerinnen erstellt hatten, und auf der Homepage der "... Verkehrstherapie" im Internet wurde der Gegenstand des einleitenden Beratungsgespräches wie folgt umschrieben (s. Ausdruck in der Betriebsprüfungsakte, Bl. 3 ff.): "Warum wurde gerade mir der Führerschein entzogen? Wie geht es jetzt weiter mit meinem Führerschein? Was erwartet die Verkehrsbehörde von mir? Was erwartet mich bei einer medizinisch-psychologischen Untersuchung? Warum hat mich der Gutachter negativ beurteilt? Wie komme ich zu einer positiven Beurteilung? Warum wurde mir eine Verkehrstherapie empfohlen?" In den Unterlagen, die den Interessierten im Anschluss an das Beratungsgespräch ausgehändigt wurden, heißt es zu dem "Check-up": "Ziel dieses Check-up ist es, Ihnen in einer simulierten Untersuchungssituation eine fachpsychologische Einschätzung Ihrer Ist-Situation zu geben, die als eine Entscheidungshilfe zur Teilnahme an einer sofortigen oder späteren MPU dienen kann. Der Check-up beinhaltet: Fragebogen zur Alkoholvorgeschichte; diagnostische Exploration; Auswertung der Ergebnisse und Beratung". Der erste Teil der Verkehrstherapie erfolgte entweder in einer Kleingruppe (2-6 Teilnehmer) zu fünf Doppelstunden oder als Einzeltherapie in fünf Einzelstunden. Der Inhalt wurde in den ausgehändigten Unterlagen wie folgt beschrieben: "Zielvereinbarungen; Delikt- und Alkoholanalyse; Wissensvermittlung; Rückmeldung und Selbsteinschätzung; Selbstbeobachtung; Erarbeitung eines Lebenspanoramas; Zwischen-Check up". Der zweite Teil der Verkehrstherapie umfasste entweder neun Doppelstunden in einer Kleingruppe oder zehn Einzelstunden. Er beinhaltete den Unterlagen zufolge: "Zielvereinbarungen; Erkennen der eigenen Fähigkeiten; Einsetzen der eigenen Fähigkeiten; Rückmeldung und Selbsteinschätzung; eine Analyse der Bedingungen, die zu Ihrer/n Verkehrsauffälligkeit/en geführt hat; bei Alkoholdelikten: Erarbeitung der Trinkanlässe und -motive; Ihre Zukunftsplanung; Abschluss-Check up". Den Teilnehmern wurde im Falle einer positiven Abschlussdiagnostik eine Bescheinigung erteilt, die neben einer Beschreibung der durchgeführten verkehrstherapeutischen Maßnahmen eine abschließende Beurteilung enthielt, ob aus verkehrstherapeutischer Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Teilnehmer künftig "ein angepasstes Verhalten im Straßenverkehr zeigen" könne. Ergänzend wurde ein gesondert berechnetes ausführliches Gutachten angeboten (s. Bl. 80 ff. der Gerichtsakte). Die Behandlungen erfolgten weder aufgrund von Verschreibungen durch einen Arzt noch unter ärztlicher Verantwortung. Ihre Leistungen rechneten die Klägerinnen nach der Gebührenordnung ...