Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckung - Beitreibungshilfe: Feststellungklage gegen EG-Beitreibungsersuchen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei drohender Vollstreckung aus einem EG-Beitreibungshilfeersuchen ist die Feststellungsklage - etwa zur Geltendmachung des Nichtvorliegens von Voraussetzungen des EG-BeitrG oder von Verstößen gegen den ordre public - zulässig, auch wenn konkrete irreparable Nachteile durch die Vollstreckung nicht drohen.
2. Das EG-BeitrG umfasst auch Haftungsforderungen.
3. Liegen keine Verstöße gegen den ordre public vor, hat das um Beitreibung ersuchte deutsche FA kein Ermessen, ob es dem Ersuchen nachkommt, sondern muss vollstrecken, auch wenn der ausländische Bescheid im Ausland bereits vor dem Ersuchen angefochten wurde (gegen BMF).
Normenkette
EG-BeitrG § 1 Abs. 2 Nr. 7; EG-BeitrG § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 3; RL 2008/55/EG Erwägungsgrund 8; RL 2008/55/EG Erwägungsgrund 12; RL 2008/55/EG § 2 Buchst. g; RL 2008/55/EG Art. 6, 7 Abs. 2 Buchst. a, Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2; FGO §§ 40, 41 Abs. 1-2; AO §§ 69, 44 Abs. 1 S. 1, § 91 Abs. 1, 2 Nr. 5, §§ 219, 256; GG Art. 19 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung einer spanischen Steuerschuld.
I.
1. a) Der in A wohnhafte Kläger ist deutscher ... und spanischer "..." (...), geschäftsansässig in A und B (Finanzgerichtsakte - FG-A - Bl. 1R). Er war zudem einziger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer (administrador único) der spanischen Gesellschaft "C", einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung spanischen Rechts (sociedad de responsabilidad limitada), ansässig im B. Gegenstand der Gesellschaft ist gemäß Artikel 2 ihrer Satzung Vermietung, Kauf, Verkauf, Bau und Unterhaltung von Grundstücken und Gebäuden sowie Erschließung und Parzellierung von Grundstücken.
b) Aufgrund einer Steuerprüfung im Februar 2003 wurde gegen die Gesellschaft in Spanien Körperschaftsteuer 2000 (impuesto sobre sociedades) festgesetzt, die von dieser nicht beglichen wurde und die in Spanien wegen dortiger Vermögenslosigkeit der Gesellschaft auch nicht vollstreckt werden konnte. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gegen die Gesellschaft überreichte deren Rechtsvertreterin am 17. April 2007 dem spanischen Finanzamt - FA - eine Auflistung von Gegenständen, die in den Büchern der Gesellschaft geführt wurden, im Gesamtwert von 200.011 €. Es handelt sich im Wesentlichen um Mobiliar (z. B. Teppiche, Sofas, Esstisch, Schränke, Fernseher, Heizkörper, Rasenmäher, Fahrräder), kategorisiert in Esszimmer, Wohnzimmer, Küche, Waschküche, Hauptschlafzimmer, Zimmer I, Zimmer II, Zimmer III, Zimmer IV, Gästezimmer, Empfangshalle, Büro, Badezimmer I, Badezimmer II, Badezimmer III, Geräte für den Außenbereich und Sonstiges. Angaben zum Gebrauchszustand oder zur Wertermittlung enthielt die Auflistung nicht (Anlageband, Fach Schriftsatz 20.10.2011, Anlage K 6). Am 10. August 2007 teilte die Vertreterin der Gesellschaft dem FA mit, die beweglichen, pfändbaren Güter befänden sich unter der Anschrift "Dr. ... D, X-Straße ..., ... E, F, Deutschland" (Anlageband, 1.Fach "zu Bl.22 f", nicht foliiert).
c) Gleichwohl kündigte das spanische FA dem Kläger mit Verfügung vom 19. September 2007 die Haftungsinanspruchnahme an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme (Übersetzung Anlageband, 1.Fach "zu Bl.22 f", nicht foliiert).
d) Mit Haftungsbescheid (Acuerdo de Derivación de Responsabilidad) vom ... 2007 nahm das örtliche FA für Steuererhebung auf den ... Inseln den Kläger wegen rückständiger Körperschaftsteuer 2000 (impuesto sobre sociedades) in Höhe vom 177.612,47 € in Anspruch (105.425,86 € Steuer zur Rechnungsnummer [clave de liquidación] A...-1 und 72.186,61 Strafzuschlag zur Rechnungsnummer A...-2, Anlageband Anlage AS 8). Der Bescheid wurde dem Kläger am 20. ... 2007 zugestellt.
e) Hiergegen erhob der Kläger am 06. Februar 2008 Steuerbeschwerde (Anlageband Anlage AS 4), die mangels Abhilfe durch das FA in einen Rechtsstreit vor dem regionalen Finanzgericht der ... mündete. Ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war im spanischen Verwaltungsverfahren erfolglos.
f) Die Steuerbeschwerde wird im Wesentlichen darauf gestützt, dass das spanische FA den Kläger nicht hätte in Anspruch nehmen dürfen, ohne vorher auf die Güter der Gesellschaft zurückzugreifen. Nach spanischem Steuerrecht setze eine Inanspruchnahme des Klägers als subsidiären Schuldners voraus, dass der Hauptschuldner ausgefallen sei. Soweit das spanische FA in dem Haftungsbescheid einen Nachweis der Zugehörigkeit des Mobiliars zum Vermögen der Gesellschaft sowie der zutreffenden Bewertung fordere, habe es diese Forderung vor Erlass des Haftungsbescheides nie erhoben. Die Güter entstammten früheren Vermietungsaktivitäten der Gesellschaft; nach dem Verkauf der Immobilien seien die Ausstattungsgegenstände nach Deutschland geschafft worden, wo der Gesellschafter und Geschäftsführer ansässig...