Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung auf Rücknahme eines Insolvenzantrags
Leitsatz (redaktionell)
1) Ein Anspruch auf einstweilige Anordnung der Rücknahme eines gestellten Insolvenzantrags besteht, wenn das Festhalten des Finanzamts am Eröffnungsantrag ermessensfehlerhaft ist. Dies ist der Fall, wenn die offenen Steueransprüche im Wege der Einzelzwangsvollstreckung voraussichtlich befriedigt werden können. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt hierfür ist die abschließende Beratung des Gerichts.
2) Ungeachtet der Frage, ob in Fällen der Insolvenzantragstellung durch eine Finanzbehörde ein Anordnungsgrund überhaupt gegeben sein muß, liegt ein solcher jedenfalls dann vor, wenn die Existenz des Schuldners durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gefährdet wird.
3) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Rücknahme eines gestellten Insolvenzantrags ist als Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache ausnahmsweise zulässig, wenn anderenfalls kein effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.
Normenkette
AO § 251 Abs. 1, § 254; FGO §§ 102, 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; ZPO § 920 Abs. 2; InsO § 13 Abs. 2, §§ 16-17; AO § 249 Abs. 1
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Insolvenzantrages.
Der Antragsteller ist als Software-Entwickler selbständig tätig. Aus einer Betriebs- und Steuerfahndungsprüfung in den Jahren 2003 und 2004 resultierten erhebliche Steuernachzahlungen, die in Höhe von ca. 62.000 Euro inklusive steuerlicher Nebenleistungen im Februar 2005 in Vollstreckung gerieten.
Nachfolgend führte das Finanzamt zahlreiche Vollstreckungsmaßnahmen durch. So pfändete es Honoraransprüche des Antragstellers am 11.02.2005 gegenüber der … GmbH, am 27.10.2005 bei der A. AG und am 18.05.2006 bei der B. AG … group. Daneben brachte er Forderungspfändungen am 13.09.2005 bei der C. Bank und der D. Lebensversicherungs AG, am 20.09.2005 und 23.10.2007 bei der E Bank und am 21.10.2005 bzw. 23.10.2007 bei der Sparkasse F aus. Die Vollstreckungsmaßnahmen waren teilweise erfolgreich. Mehrfach begehrte der Antragsteller Stundung und Vollstreckungsaufschub, was jedoch stets erfolglos blieb.
Am 12.12.2007 unternahm das Finanzamt einen erfolglosen Sachpfändungsversuch. Im Rahmen dessen stellte der Vollstreckungsbeamte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers fest. Hiernach zahlt der Antragsteller seiner geschiedenen Ehefrau monatlich 312 Euro Unterhalt, hat ein Konto bei der Stadtsparkasse F und besitzt einen VW Passat Baujahr 1990 sowie ein defektes Motorrad der Marke Yamaha XJ R 1300. Mit Verfügung vom 29.01.2008 forderte das Finanzamt den Antragsteller zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses sowie zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 10.03.2008 auf. Hiergegen legte der Antragsteller am 20.02.2008 Einspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Parallel hierzu beantragte das Finanzamt mit Schreiben vom 20.02.2008 beim Amtsgericht … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners gemäß § 17 und § 19 der Insolvenzordnung –InsO– wegen Steuern sowie steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von 35.971,82 Euro.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag. Er ist der Ansicht, dass der Insolvenzantrag ausschließlich auf seine Existenzvernichtung gerichtet sei. Er habe einen großen laufenden Auftrag, über die H., …strasse, in …, der ihm eine Zahlung von monatlichen Raten von 7.500 Euro ermögliche, so dass die Steuerschulden in einem halben Jahr getilgt seien. Auch habe er Herrn … (Erhebungsbezirk) angeboten, die Honoraransprüche abzutreten oder nach Rücksprache mit seinem Auftraggeber dort eine Pfändung auszubringen. Hieraus ergebe sich, dass nicht alle Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung ausgeschöpft worden seien, was die Durchführung des Insolvenzverfahrens im vorliegenden Fall unverhältnismäßig mache.
Der Antragsteller beantragt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den beim Amtsgericht – Insolvenzgericht … (Az. …) unter dem 20. Februar 2008 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers zurückzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass der Antragsteller zahlungsunfähig sei, da dieser seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme. Auch handele es sich bei den umfangreichen Zahlungen des Antragstellers nicht um Eigenzahlungen, sondern um solche im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen. Daher sei der Insolvenzantrag auch nicht unverhältnismäßig.
Der Kläger zahlte auf die Forderungen des Antragsgegners am 04.04.2008 7.297,45 Euro, am 13.05.2008 3.500 Euro und am 03.06.2008 3.000 Euro. Daneben gingen Drittschuldnerzahlungen ein, so dass von den Forderungen des Finanzamts in Höhe von 35.971,82 Euro, die dem Insolvenzantrag vom 20.02.2008 zugrunde liegen, am 10.06.2008 noch 13.490,91 Euro offen waren. Aufgrund der zum 10.03. und 10.06.2008 fällig gewordenen Einkommensteuer-Vorauszahlung...