Entscheidungsstichwort (Thema)
Abweichende Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Umsatzsteuernachforderung unterliegt der Vollverzinsung nach § 233a AO.
2) Eine abweichende Festsetzung von Nachzahlungszinsen, die darauf beruhen, dass der Stpfl. sog. "sale-and-Mietkauf-back-Verträge" zunächst als umsatzsteuerpflichtige Lieferungen erklärt hatte, kommt nicht in Betracht.
3) Die Höhe der Verzinsung mit 6% pro Jahr stellt keine Verletzung des Übermaßverbots dar.
4) § 233a AO verstößt nicht gegen das mehrwertsteuerliche Neutralitätsprinzip.
Normenkette
AO §§ 239, 163, 233a
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung zur Umsatzsteuer für die Streitjahre (2001 bis 2005).
Die Klägerin ist Unternehmerin. Gegenstand ihres Unternehmens sind Finanzierungsleistungen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Lkw. Eine der angebotenen Finanzierungsvarianten ist der Mietkaufvertrag. Die Finanzierung von Mietkaufverträgen wird dabei zum Teil als sogenannte „sale-and-Mietkauf-back Variante” abgewickelt.
In der „sale-and-Mietkauf-back-Variante” veräußert der Kunde den vom Hersteller erworbenen Lkw an die Klägerin, um ihn anschließend in Form eines Mietkaufvertrages anzumieten. Mit Auslaufen des Mietkaufvertrages und Zahlung der letzten Mietkaufrate geht das zivilrechtliche Eigentum an dem Lkw automatisch auf den Kunden über.
Die Klägerin und ihre Vertragspartner behandelten dies als umsatzsteuerpflichtige Lieferungen. Über beide Geschäfte wurden Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt. In Rechnung gestellte Umsatzsteuer wurde von der Klägerin unter Abzug von Vorsteuer entrichtet. Der Umfang der „sale-and-Mietkauf-back” Geschäfte der Klägerin ergibt sich aus Anlage 1 zum Betriebsprüfungsbericht vom 2. Juli 2008, auf die verwiesen wird.
Mit Beschluss vom 15. März 2002 (7 B 7047/02, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2002, 789) entschied das Finanzgericht Berlin, im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung, dass in sale-and-lease-back Fällen, in denen der Leasingnehmer (Mietkäufer) wirtschaftlicher Eigentümer des Leasinggegenstandes (Mietkaufgegenstandes) bleibe, zwischen dem Leasingnehmer (Mietkäufer) und dem Leasinggeber (Mietverkäufer) keine umsatzsteuerbaren Liefervorgänge stattfinden. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2002 (V B 60/02, BFH/NV 2003, 87) entschied daraufhin der Bundesfinanzhof, dass es ernstlich zweifelhaft ist, ob ein sale-and-lease-back-Geschäft als Darlehensgewährung zu beurteilen ist, da der V. Senat es für angemessen hielt, über die zutreffende Beurteilung der im Rahmen eines sale-and-lease-back-Vertrages bewirkten Lieferungen oder sonstigen Leistungen nicht in dem summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden.
Mit Urteil vom 9. Februar 2006 V R 22/03, BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727 betreffend das Streitjahr 1999 (vorhergehend Urteil des Finanzgerichts Berlin vom 18. März 2003 7 K 7516/01, EFG 2003, 887) entschied der Bundesfinanzhof (BFH), dass beim „sale-and-lease-back” Verfahren der Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums an dem Leasinggut durch den Leasingnehmer an den Leasinggeber eine bloße Sicherungs- und Finanzierungsfunktion zukommen kann, mit der Folge, dass weder diese Übertragung noch die Rückübertragung des Eigentums vom Leasinggeber an den Leasingnehmer umsatzsteuerlich als Lieferung zu behandeln ist.
Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde das Urteil des BFH in BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727 ab dem Veranlagungszeitraum 2001 angewandt. Der Vorsteuerabzug der Klägerin wurde für ab dem Jahr 2001 geschlossene „sale-and-Mietkauf-back” Verträge versagt. Eine Korrektur der Umsatzsteuer erfolgte aufgrund der Regelung des § 14c des Umsatzsteuergesetzes in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung (UStG) nicht.
Aufgrund der Betriebsprüfung erließ der Beklagte am 19. September 2008 geänderte Umsatzsteuerbescheide in denen er die Umsatzsteuer höher festsetzte. Mit der Steuerfestsetzung war auch die Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) aufgrund der Verzinsung der Umsatzsteuernachforderung verbunden. Diese Zinsen entfallen wie folgt auf die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den „sale-and-Mietkauf-back” Verträgen der Klägerin:
Jahr |
Betrag der Vorsteuerkürzung aufgrund der „sale-and-Mietkauf-back” Verträge nach Tz. 2.2. und Anlage 1 des Betriebsprüfungsberichts vom 2. Juli 2008 |
Zinsen hierauf |
|
EUR |
EUR |
2001 |
209.418,71 |
68.055,00 |
2002 |
516.518,72 |
136.872,50 |
2003 |
341.622,96 |
70.028,00 |
2004 |
325.683,34 |
47.212,00 |
2005 |
427.938,48 |
36.371,50 |
Mit Schreiben vom 14. August 2009 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf abweichende Festsetzung der Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO.
Mit Bescheid vom 20. August 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung sei es Sache der obersten Verwaltungsbehörden,...