Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld, Ermessensentscheidung, Erfüllungswirkung
Leitsatz (redaktionell)
1) Kommt der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nach, kann das Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden (§ 74 Abs. 1 EStG).
2) Die Vermutung, eine Unterhaltsverletzung sei nicht gegeben, solange das Kind im Haushalt des Kindergeldberechtigten lebt, kann durch den Nachweis eigener Kostentragung des Kindes für Unterkunft und Verpflegung entkräftet werden (entgegen Bundesamt für Finanzen, Newsletter 1/2005 vom 7.04.2005, Ziffer 3).
3) Die Entscheidung über die Auszahlung des Kindergeldes an das Kind nach § 74 Abs. 1 EStG ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO). Jedoch ist eine Verpflichtung der Behörde zum Erlaß einer Abzweigungsentscheidung nach § 74 Abs. 1 EStG auszusprechen, wenn das Ermessen in der Weise beschränkt ist, dass ein bindender Anspruch auf Erlaß einer solchen Entscheidung besteht (Ermessensreduzierung auf Null).
4) Sind die Voraussetzungen der Abzweigung zum Zeitpunkt der Zahlung objektiv erfüllt und der maßgebliche Sachverhalt der Familienkasse bekannt, über die beantragte Abzweigung aber noch nicht bestandskräftig entschieden, tritt mit der Zahlung des Kindergeldes an den Berechtigten keine Erfüllungswirkung ein.
Normenkette
AO § 37 Abs. 1, §§ 47, 224 Abs. 3; FGO § 102; EStG § 74 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin macht die Auszahlung des Kindergelds an sie als Kind nach § 74 Abs. 1 EStG geltend, weil die kindergeldberechtigte Mutter ihr keinen Unterhalt gewähre.
Die am …1982 geborene Klägerin, die seit dem Wintersemester 2003/2004 ein Hochschulstudium im Diplom-Studiengang … an der Universität L absolviert, bewohnte im Streitzeitraum mit ihrer Mutter eine Mietwohnung, deren Mieterin ihre Mutter ist. Sie bezog ab Oktober 2004 375 EUR und ab Januar 2005 377 EUR Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG). Am 10.01.2005 beantragte die Klägerin die Auszahlung des Kindergelds an sie (Bl. 326 d. Kindergeldakte). Die Mutter der Klägerin stimmte dem Antrag zu. Mit Schreiben vom 06.01.2005 teilte sie dem Beklagten mit, von den BaföG-Leistungen ihrer Tochter wären ein Mietanteil von 200 EUR, 50 EUR Studiengebühren monatlich, Bücher, Kleidung, Strom, Essen, Telefon, Pflegemittel etc. zu entrichten. Dies sei nicht möglich. Sie selbst sei als Sozialhilfeempfängerin nicht in der Lage, ihre Tochter zu unterstützen. Zum Nachweis legte sie die Anlage zum Bescheid des Bürgermeisters der Stadt L1 vom 20.12.2004 vor, der die Bedarfsberechnung für die Sozialhilfe über 712,46 EUR enthält. In der Berechnung wurden Beträge für den Wohnbedarf der Klägerin in Höhe von 177,57 EUR nebst Heizkosten von 21,67 EUR abgezogen. Als Einkünfte wurde Kindergeld für die Klägerin und für deren Bruder angerechnet.
Mit Schreiben vom 18.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Klägerin werde Unterhalt durch die Aufnahme in den Haushalt der Mutter gewährt. Die Beklagte zahlte weiterhin Kindergeld an die Mutter der Klägerin.
Nach erfolglosem Einspruch macht die Klägerin mit der Klage geltend, ihre Mutter sei mangels eigener Leistungsfähigkeit weder zum Unterhalt verpflichtet noch leiste sie tatsächlich in irgendeiner Form Unterhalt. Die Klägerin zahle einen Mietanteil von monatlich 200,47 EUR und habe auch ihr weniges Mobiliar in der Vergangenheit selbst finanziert. Die Lebensmitteleinkäufe erfolgten unter Beteiligung der Klägerin reihum. Zeitweise werde sie im Haushalt ihres Freundes mitverpflegt. Es liege keine Aufnahme in den Haushalt der Mutter, sondern eine Wohngemeinschaft vor. Die könne durch das Zeugnis der Mutter bestätigt werden.
Zur Miete trug die Klägerin im einzelnen vor: Die Mutter sei Hauptmieterin, die Klägerin Untermieterin gewesen. Ein schriftlicher Untermietvertrag sei nicht geschlossen worden. Dies sei auch nicht erforderlich. Die Warmmiete habe insgesamt 611,40 EUR betragen. Der auf die Mutter und den Bruder der Klägerin entfallende Mietanteil werde unmittelbar vom Sozialamt an die Vermieterin überwiesen. Der auf die Klägerin entfallende Mietanteil von 200,47 EUR werde in den Aufstellungen der Vermieterin gesondert ausgewiesen. Die Zahlung dieses Anteils sei ab März 2005 durch Banküberweisung der Klägerin an die Vermieterin erfolgt. Für den Zeitraum vor März 2005 sei der anteilige Mietanteil der Klägerin von dem der Mutter zustehenden Sozialhilfebetrag in Abzug gebracht, die Miete dennoch in voller Höhe an die Vermieterin überwiesen worden. Die sich daraus ergebende Differenz habe die Klägerin dann an ihre Mutter gezahlt. Die Zahlungen der Klägerin seien nicht aus dem Kindergeld beglichen worden. Dieses habe der Mutter nicht zusätzlich zur den Sozialleistungen zur Verfügung gestanden, da diese entsprechend gekürzt worden seien.
Die Klägerin ist der...