Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwerfung eines formell ordnungsgemäßen Gesetzes im AdV-Verfahren (hier: Ehegattensplitting für die Lebenspartnerschaft)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verwerfung eines formell ordnungsgemäß zustandegekommenen Gesetzes im AdV-Verfahren bedarf eines besonderen berechtigten Interesses.
2. Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Aussetzungsinteresse besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
3. Die Entscheidung, ob eingetragenen Lebenspartnerschaften der Splittingtarif aus Gleichbehandlungsgründen zustehen muss, ist dem BVerfG vorbehalten.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; EStG § 38 Abs. 1, § 38b Abs. 1
Tenor
1. Der Antrag, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers für 2010 anstelle der Steuerklasse I die die Steuerklasse III einzutragen, wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutz gem. § 69 Abs. 3 und 4 FGO die Eintragung der Steuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte 2010 mit der Begründung, er sei zwar nicht verheiratet i.S.d. § 38b Einkommensteuergesetz –EStG–, lebe aber in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und sei daher auch nicht ledig. Mit der Legalisierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft sei somit betreffend § 38b Abs. 1 Nr. 1 EStG eine Gesetzeslücke entstanden. Diese sei im Wege der verfassungskonformen Auslegung dahingehend zu schließen, dass Lebenspartner wie Verheiratete zu behandeln seien. Das ergebe sich entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH–aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG–vom 7. Juli 2009 1 BvR 1164/07, BFH/NV 2010, 1404 zur betrieblichen Hinterbliebenenversorgung.
Der Antragsgegner lehnte die Eintragung der Lohnsteuerklasse III im Hinblick auf die Gesetzeslage ab.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag, einstweiligen Rechtsschutz gem. § 69 Abs. 3 und 4 FGO zu gewähren, ist statthaft (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 1983 VIII B 33/83, n.v.).
2. Dem Antrag des Antragstellers, auf seiner Lohnsteuerkarte für 2010 anstelle der Lohnsteuerklasse I die Lohnsteuerklasse III einzutragen, kann jedoch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entsprochen werden.
a) Nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Davon kann hier bei der im summarischen Verfahren zwar gebotenen, aber auch ausreichenden Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht ausgegangen werden, wenn man allein auf den Gesetzeswortlaut des § 38b EStG abstellt.
Gem. § 38b Abs. 1 Satz 1 EStG sind unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer – zu denen der Antragsteller zählt – für die Durchführung des Lohnsteuerabzuges in sechs Steuerklassen einzuteilen. Der Satz 2 dieser Vorschrift regelt hierzu abschließend, welche Arbeitnehmer auf Grund ihrer persönlichen Besteuerungsmerkmale in welche Steuerklasse gehören. Arbeitnehmer, die in eingetragener Lebenspartnerschaft leben, werden in dem Satz 2 allerdings nicht eigens aufgeführt. Nach Auffassung des Senats sind sie dem Personenkreis zuzurechnen, für den die Steuerklasse I anzuwenden ist. Ob sie unter Berücksichtigung der Voraussetzungen und wegen der Wirkungen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft wie „Verheiratete” i. S. des § 38b Abs. 1 Satz 2 EStG zu behandeln sind oder nach wie vor als „ledig” gelten, kann der Senat dahingestellt sein lassen. Da sie keinen „Ehegatten”, sondern einen „Lebenspartner” haben, erfüllen sie jedenfalls – nach dem Gesetzeswortlaut – die Voraussetzungen für die Steuerklasse III oder IV nicht. Davon ausgehend war für den Antragsteller daher gem. § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b EStG die Lohnsteuerklasse I einzutragen (ebenso Herrmann/Heuer/ Raupach, Komm. zum EStG u.a., § 38b EStG Anm.13, 20; Littmann-Bitz-Pust, Komm. zum EStG u.a., § 38b EStG Rn. 4; Blümich/Thürmer, Komm. zum EStG u.a., § 38b EStG Rz. 20).
Diese Auslegung entspricht unter Berücksichtigung der (bisherigen)...