rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Rückzahlungsforderung. Stundung. sachliche Zuständigkeit. Inkasso-Service. Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord
Leitsatz (redaktionell)
§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist entsprechend auch in den Fällen anzuwenden, in denen eine andere Behörde als die ursprünglich tätige die Einspruchsentscheidung erlassen hat.
Der Bescheid, mit dem die Bundesagentur für Arbeit Agentur für Arbeit Recklinghausen Familienkasse Inkasso-Service (Inkasso-Service) einen Antrag, die Rückzahlung zu Unrecht gezahlten Kindergelds zu stunden und eine Ratenzahlung zu bewilligen, ablehnt, ist wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben.
Die Einspruchsentscheidung der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord als nicht für den Wohnort des Antragstellers zuständiger Familienkasse über einen Einspruch gegen die Ablehnung eines Stundungsantrags durch den Inkasso-Service ist wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben.
Normenkette
FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, § 17 Abs. 2; AO §§ 16, 6 Abs. 2 Nr. 6, § 222; FGO § 63 Abs. 2 Nr. 1, § 101
Tenor
1. Der Bescheid über die Ablehnung des Stundungsantrags vom 20. August 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2019 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Stundung einer Forderung gegen den Kläger wegen der Rückzahlung von Kindergeld in Höhe von 2.485 EUR nebst Säumniszuschlägen in Höhe von 64,50 EUR zu Recht abgelehnt worden ist.
Mit rechtskräftigem Bescheid der Familienkasse X vom 8. Februar 2016 wurde der Kläger verpflichtet, Kindergeld in Höhe von 3.900 EUR zurückzuzahlen. Nachdem der Kläger bei Fälligkeit am 10. März 2016 keine Zahlung leistete, entstanden Säumniszuschläge in Höhe von 39 EUR. Mit Schreiben an die Bundesagentur für Arbeit Agentur für Arbeit Recklinghausen Inkasso-Service Familienkasse (Inkasso-Service) vom 11. April 2016 beantragte der Kläger die Gewährung von Ratenzahlungen in Höhe von 35 EUR, weil er Ende März 2016 seine Arbeit verloren habe. Gegen die Rückforderung als solche erhebe er jedoch keine Einwendungen. Entsprechend der Ratenzahlungsvereinbarung zwischen dem Inkasso-Service und dem Kläger vom 4. Juni 2016 zahlte der Kläger ab April 2016 monatliche Raten in Höhe von 35 EUR, sodass im Juni 2019 von der Hauptforderung noch 2.570 EUR offen waren. Mangels Ratenzahlung im Juni 2019 fielen bis 30. Juni 2019 weitere Säumniszuschläge in Höhe von 25,50 EUR an. Den Gesamtbetrag in Höhe von 2.634,50 EUR mahnte der Inkasso-Service am 1. Juni 2019 an.
Mit Schreiben vom 5. Juli 2019 beantragte der Kläger, ihm monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 50 EUR zu bewilligen. Er verdiene ca. 1.041 EUR monatlich, unterhalte eine fünfköpfige Familie und erhalte für die fünfköpfige Familie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag wertete der Inkasso-Service als Stundungsantrag hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von noch 2.485 EUR nebst Säumniszuschlägen von 64,50 EUR und lehnte diesen mit Bescheid vom 20. August 2019 ab. Zur Begründung führte der Inkasso-Service aus, dass eine Forderung nach § 222 der Abgabenordnung (AO) nur gestundet werden dürfe, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Schuldner verbunden sei und die Forderung durch die Stundung nicht gefährdet werde. Die Einziehung sei für den Schuldner erst dann mit einer erheblichen Härte verbunden, wenn er sich auf die Erfüllung des Anspruchs nicht rechtzeitig habe vorbereiten können oder sich augenblicklich in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befinde. Als Ursache für eine erhebliche Härte kämen insbesondere persönliche Gründe in Betracht, wobei Voraussetzung für eine Stundung aus persönlichen Gründen die Stundungsbedürftigkeit und Stundungswürdigkeit des Schuldners sei. Eine erhebliche Härte sei insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Schuldner auf Grund ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse vorübergehend in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten befinde oder im Fall der sofortigen Zahlung in diese geraten würde. Da im Streitfall der Lebensunterhalt von unpfändbarem Einkommen bestritten werde, sei davon auszugehen, dass der Kläger nicht nur vorübergehend in seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gemindert sei. Aufgrund dessen sei die Forderung gefährdet, weshalb eine Stundung nach pflichtgemäßem Ermessen nicht in Betracht komme.
Der hiergegen erhobene Einspruch blieb in der Einspruchsentscheidung der Beklagten (der Familienkasse) vom 16. Oktober 2019 ohne Erfolg. Es sei weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass der Kläger sämtliche Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschöpft oder ein unvorhergesehenes Ereignis zu einer momentanen Zahlungsunfähigkeit geführt habe. Die Orientierung an den Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozessordnung (ZPO) bei Arbeitseinkommen stelle sicher, dass der Kläger nicht nur den notwendigen Lebensunterhalt behalte. Da im Streitfall...