Rz. 2
In Abs. 1 wird der sachliche Geltungsbereich der gemeinsamen Vorschriften dahin bestimmt, dass sie für die gesetzliche Kranken-, Unfall-, Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung für Landwirte sowie die soziale Pflegeversicherung gelten.Der Sinn der Legaldefinition des Begriffs "Versicherungszweige" erhellt sich allerdings nicht, weil es dieser terminologischen Klarstellung nicht bedarf (zutreffend Grüner/Dalichau, Sozialgesetzbuch, SGB IV, § 1 Rz. 1). Im Ergebnis werden damit in § 1 Abs. 1 Satz 1 die verschiedenen Versicherungszweige der Sozialversicherung umschrieben und insoweit lediglich das wiederholt, was durch § 4 SGB I bereits vorgegeben ist. Insoweit wäre es ausreichend gewesen, wenn der Gesetzgeber sich auf die Formulierung beschränkt hätte: Die Vorschriften dieses Buches gelten für die Sozialversicherung i. S. d. § 4 Abs. 1 SGB I. Die Einbeziehung der Alterssicherung für Landwirte durch das Wort "einschließlich" stellt klar, dass das SGB IV rechtssystematisch nicht von einer berufsbezogenen Gliederung der Sozialversicherung ausgeht (Seewald, in: KassKomm-SGB IV, § 1 Rz. 2). Durch das KSVG v. 27.7.1981 (BGBl. I S. 705) werden auch die "selbstständigen Künstler und Publizisten" in den Schutzbereich der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Insoweit ergänzt das KSVG die Regelungen des SGB V und SGB VI (vgl. hierzu §§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 250 Abs. 2 SGB V, §§ 2 Nr. 5, 169 Nr. 2 SGB VI).
Rz. 2a
Im Ergebnis bedeutet die Eröffnung des sachlichen Geltungsbereichs, dass die Vorschriften des SGB IV dann heranzuziehen sind, wenn die Bücher des SGB ausfüllungsbedürftige und dort nicht konkretisierte Rechtsbegriffe enthalten. So ist für die nähere Bestimmung des Begriffs "Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit" auf § 15 SGB IV zurückzugreifen, der über § 1 Satz 1 SGB IV auch für die Rentenversicherung gilt, weil § 34 Abs. 2 SGB VI hierzu keine nähere Bestimmung enthält (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 24.7.2013, L 3 R 173/11). Die Vorschriften des SGB IV gelten für die im SGB VI geregelte gesetzliche Rentenversicherung auch insoweit, als die die Durchführung der Nachversicherung regelnden §§ 181ff. SGB VI keine eigenständigen Vorgaben über die Erhebung von Säumniszuschlägen für fällig gewordene Nachversicherungsbeiträge enthalten.
Rz. 3
Sachlich grenzt § 1 Abs. 1 den Anwendungsbereich zur Privatversicherung, zur betrieblichen und überbetrieblichen Altersversorgung sowie zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen ab (vgl. Grüner/Dalichauzuberufsständische Versorgungssysteme siehe auch BSG, Urt v 13.6.1989, 2 RU 50/88). Die Gemeinsamen Vorschriften beziehen sich nach § 1 Abs. 1 Satz 1 in erster Linie auf die Sozialversicherung, für die sie bis zur Einfügung des Abs. 2 Satz 2 und 3 ausschließlich galten. Vom sachlichen Geltungsbereich nicht erfasst ist ferner das soziale Entschädigungsrecht (§ 5 SGB I).
Rz. 4
Mittels des durch § 1 festgelegten sachlichen Geltungsbereichs werden die allgemeinen Vorschriften des SGB I verdrängt. So sind z. B. unbeschadet des in § 30 Abs. 1 SGB I verankerten Wohnsitzprinzips gemäß § 37 Satz 1 SGB I die in § 3 SGB IV aufgestellte Bestimmungen für den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich vorrangig (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 13.2.2009, L 9 KR 234/07).
Rz. 5
Gleichermaßen war die Arbeitslosenversicherung ursprünglich ausgenommen. Durch den mit Wirkung zum 1.1.1998 angefügten Abs. 1 Satz 2 gilt das SGB IV auch für den bislang nicht einbezogenen Bereich des Arbeitsförderungsrechts (SGB III). Ausgenommen hiervon sind lediglich der Erste und Zweite Titel des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts, also die Vorschriften über die Verfassung und Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane (§§ 29 bis 66) sowie die Regelungen über die Versicherungsbehörden (§§ 91 bis 94). Die Bundesagentur für Arbeit gilt insoweit als Versicherungsträger. Lediglich für Organisationsregelungen haben die Vorschriften des SGB III Vorrang. So ist § 3 SGB IV wegen § 1 Abs. 1 Satz 2 im Bereich der Arbeitsförderung anwendbar.
Die Frage, ob die Arbeitslosenversicherung zur Sozialversicherung rechnet, wird allerdings nicht durch § 1 beantwortet. In § 3 SGB I wird u. a. die Arbeitsförderung und in § 4 SGB I die Sozialversicherung umschrieben. Demgemäß galt § 1 ursprünglich nicht für den Bereich der Arbeitsförderung. Damit war die Arbeitslosenversicherung aus dem Begriff der Sozialversicherung im Sinne des SGB ausgeklammert. Im Ergebnis hält das SGB IV an der in den §§ 3, 4 SGB I vorgegebenen grundsätzlichen Unterscheidung zwischen der Arbeitsförderung und der ihr zugeordneten Arbeitslosenversicherung und den in Abs. 1 Satz 1 aufgezählten und der Sozialversicherung im Sinne des SGB zuzuordnenden Versicherungszweigen fest. Abs. 1 Satz 2 erweitert insofern zwar die Anwendbarkeit des SGB IV auf die Arbeitsförderung, nimmt aber weiterhin Teilbereiche des Gesetzes davon aus und begründet die Eigenschaft der Bundesagentur für Arbeit als Ve...