0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde mit Inkrafttreten des SGB IV durch Gesetz v. 23.12.1976 (BGBl. I S. 3845), am 1.7.1977 in das SGB IV eingeführt. Sie beruht auf dem seit langem von Rechtsprechung und Praxis anerkannten Rechtsinstitut der Ausstrahlung (BSG, Urteil v. 28.11.1990, 5 RJ 87/89, SozR 3-2200 § 1251a Nr. 11 m. w. N.; zur historischen Entwicklung vgl. Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, SGB IV, § 4 Rz. 1; Wiertek, in: LPK-SGB IV, § 4 Rz. 2). Die Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 2 des Ersten SGB III-ÄndG v. 16.12.1997 (BGBl. I S. 2970) mit Wirkung zum 1.1.1998 geändert. Der bisherige Abs. 2, der die Ausstrahlung auf nicht unter deutscher Flagge fahrenden Seeschiffe regelte, wurde gestrichen und Abs. 3 zu Abs. 2. Seither gelten auch für deutsche Seeleute in einem inländischen Beschäftigungsverhältnis die allgemeinen Ausstrahlungsregeln. Bekanntmachungen der Neufassung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch v. 23.1.2006 (BGBl. I S. 86) und v. 21.11.2009 (BGBl. I S. 3710) haben zu keiner inhaltlichen Änderung geführt.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 4 ist eine allgemeine Vorschrift für sämtliche Bereiche der Sozialversicherung i. S. d. § 1 Abs. 1. Hierdurch wird der in § 3 definierte persönliche und räumliche Geltungsbereich über das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus erweitert. Sinn der Regelung ist es, dass den Arbeitnehmern in der Sozialversicherung keine Nachteile entstehen, wenn sie infolge der zunehmenden internationalen Verflechtung der Wirtschaft im Ausland beschäftigt werden. Hierzu bestimmt die Vorschrift, dass Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich des SGB bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, ihren Versicherungsschutz nicht verlieren (vgl. BSG, Urteil v. 10.8.1999, B 2 U 30/98 R, SozR 3-2400 § 4 Nr. 5; Begründung zu Art. 1 § 4 des Entwurfs eines SGB IV, BT-Drs. 7/4122 S. 30). Im Ergebnis wird bewirkt, dass das deutsche Sozialversicherungsrecht unter bestimmten Voraussetzungen weiter gilt, wenn die Erwerbstätigkeit abhängig (Abs. 1) oder selbstständig (Abs. 2) im Ausland ausgeübt wird. Die Verwendung des Adjektivs "entsprechend" in Abs. 2 beruht auf den unterschiedlichen Bedingungen insbesondere hinsichtlich der Begriffe "Entsendung" und „zeitlich begrenzt bei abhängigen Beschäftigungen einerseits und selbständigen Tätigkeiten andererseits.
Rz. 3
Die Regelungen über die Ein- und Ausstrahlung erfassen die Kranken-, soziale Pflege-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Da nach § 1 Abs. 1 das SGB IV grundsätzlich auch für das Recht der Arbeitsförderung direkt gilt, finden insoweit auch die Bestimmungen über den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich (§ 3) sowie über die Aus- und Einstrahlung (§§ 4 f.) Anwendung (hierzu auch Mette, in: BeckOK/SGB IV, § 4 vor Rz. 1). Die Regelungen des § 3 über den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich der Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten nach § 1 nur für die soziale Pflegeversicherung (vgl. dazu die Komm. zu § 1 Rz. 2). Ob die Regelungen der §§ 4 und 5 in der privaten Pflegeversicherung entsprechend angewendet werden können, hat das BSG im Urteil v. 2.9.2009 (B 12 P 2/08 R, SozR 4-3300 § 110 Nr. 2) offengelassen. Die AusEinstrRL (nachfolgend Rz. 4) differenzieren nicht; sie gehen davon aus, dass die §§ 4, 5 einheitlich für die Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfallversicherung und das Recht der Arbeitsförderung gelten (Rz. 10 ff.), sich mithin mangels weiterer Differenzierung (wohl) auch auf die private Pflegeversicherung erstrecken.
Rz. 4
Zur Auslegung und Anwendung der §§ 4 und 5 haben die Spitzenverbände der Träger der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die Bundesagentur für Arbeit Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung und Einstrahlung am 2.11.2010 erlassen (AusEinstrRL). Die AusEinstrRL sind gegliedert in
- gesetzliche Grundlagen,
- Anwendungsbereich,
- Ausstrahlung,
- Einstrahlung,
- Entsendung auf fremdflaggige Seeschiffe,
- Beispiele.
AusEinstrRL haben die Rechtsnatur einer Verwaltungsvorschrift. Sie sind von den Versicherungsträgern bei der Auslegung der §§ 4 bis 6 heranziehen und führen hierdurch zu einer Selbstbindung der Verwaltung. Dies schlägt wegen Art. 3 Abs. 1 GG auf das Außenverhältnis zum Versicherten durch (Gleichbehandlung). Die Vorgaben der EGV 883/2004 (vgl. dazu Rz. 38 ff.) werden von den AusEinstrRL berücksichtigt.
Rz. 5
Grundsätzlich gelten nach § 3 Nr. 1 die deutschen Rechtsvorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung für alle im Geltungsbereich des Gesetzes beschäftigten Personen (Territorialitätsprinzip). Die Vorschrift soll § 30 Abs. 1 SGB I ergänzen, wonach – von den Ausnahmen nach §§ 4 f. SGB IV abgesehen – nur solche Personen der Versicherung angehören, die im Inland beschäftigt oder selbständig sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20.8.2009, L 5 AL 17/09). Hiervon sieht § 4 Ausnahmen vor. Die Vorschrift weitet insofern das du...