0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 86 ist zusammen mit den übrigen Vorschriften des SGB IV mit Wirkung zum 1.1.1977 in Kraft getreten und seither nicht geändert worden. Die Vorläuferregelung fand sich in § 26 Abs. 3 RVO a. F., der die abweichende Anlegung zeitweilig verfügbarer Bestände widerruflich erlaubte.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Norm eröffnet die Möglichkeit, die Rücklage mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde abweichend von den Regelungen des § 83 anzulegen. Ihr Zweck besteht darin, wirtschaftlichen Veränderungen und besonderen Sachverhalten Rechnung zu tragen (vgl. RegE-SGB IV, BT-Drs. 7/4122 S. 38 zu § 87 SGB IV). Die abweichende Regelung muss jedoch stets den allgemeinen Anlageerfordernissen des § 80 genügen; insoweit stehen der Aufsichtsbehörde Beurteilungsspielräume zu (Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, SGB IV, § 86 Rz. 3).
Als abweichende Vermögensanlage kommen etwa auch Aktien oder Vermögensanlagen im Ausland außerhalb der Europäischen Gemeinschaft in Betracht (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, § 86 Rz. 5; nach BSG, Urteil v. 18.7.2006, B 1 A 2/05 R, Rz. 33 ff. jedoch keine Anlage in Wertpapier-Spezialfonds mit Aktienanteil ohne Eigensicherung).
Die Ausnahmegenehmigung ist auf Einzelfälle beschränkt: Dies bedeutet, dass generelle Ausnahmen vom Wortlaut nicht erfasst sind. Als Ausnahmevorschrift ist § 86 eng auszulegen (Borrmann, in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 86 Rz. 1; zum Rechtscharakter der Genehmigung als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt und zum Umfang der Prüfungsbefugnis vgl. die Komm. zu § 85).
In aller Regel wird sich der Versicherungsträger im Vorfeld der Anlage mit der Aufsichtsbehörde ins Benehmen setzen; der Wortlaut der Norm "Genehmigung" (vgl. § 184 BGB) schließt jedoch auch eine nachträgliche Einschaltung nicht aus (vgl. Borrmann, a. a. O., § 86 Rz. 5; strenger im Sinne einer ausschließlich vorherigen Einwilligung: Engelhard, a. a. O., § 86 Rz. 18 m. w. N.).
2 Rechtspraxis
Rz. 3
§ 86 erfasst zwei Fallgestaltungen:
2.1 (Aktuelle) Unmöglichkeit der Anlage nach § 83
Rz. 4
Eine abweichende Anlegung der Rücklage ist zum einen dann zulässig, wenn sie im fraglichen Zeitpunkt nicht oder noch nicht in einer der von § 83 vorgesehenen Anlagearten angelegt werden kann. Dieser Fall ist angesichts der Breite der von § 83 eröffneten Anlagevarianten höchstens denkbar, wenn der Kapitalmarkt hierfür praktisch nicht mehr aufnahmefähig ist, was kaum vorkommen dürfte; er ist hingegen nicht bereits einschlägig, wenn nur die Bedingungen für eine § 83 entsprechende Anlage wirtschaftlich ungünstig sind (Borrmann, a. a. O., § 86 Rz. 3).
2.2 Wichtige Gründe im besonderen Interesse
Rz. 5
Die zuletzt genannte Situation erfasst die zweite Alternative, die eröffnet ist, wenn wichtige Gründe eine im Interesse des Versicherungsträgers liegende abweichende Anlegung rechtfertigen.
Wichtige Gründe können finanzieller, wirtschaftlicher oder auch sozialer Natur sein. Kumulativ setzt die Ausnahmeregelung voraus, dass die abweichende Anlage gerade im individuellen und besonderen Interesse des Versicherungsträgers liegt, sodass gesamtwirtschaftliche oder generell sozialpolitisch wünschenswerte Ziele nicht ausreichen (vgl. Baier, a. a. O., § 86 Rz. 4).
3 Literatur
Rz. 6
Vgl. Literaturhinweise bei § 80.