Rz. 4
Die Vorschrift ist nur für VA anwendbar, die einen belastenden Inhalt haben (nicht begünstigend). Dies wird in Abs. 2 für sonstige belastende (nicht begünstigende) VA angeordnet, wobei die ausdrückliche Erwähnung belastender VA in Abs. 2 nur deklaratorisch ist. Auch Abs. 1 betrifft ausschließlich belastende VA (Leistungsablehnung – auch teilweise – sowie jeder Eingriff in bereits zuerkannte Rechte sowie geschützte Rechtspositionen). Mit sonstigen belastenden VA in Abs. 2 sind solche VA gemeint, die keine unrechtmäßige Vorenthaltung von Sozialleistungen oder unrechtmäßige Beitragserhebungen zur Folge haben.
Der Begriff des belastenden VA in § 44 ist weiter als der des "in Rechte eingreifenden" VA in § 24 (der ebenfalls häufig als belastender VA bezeichnet wird), denn in § 24 sind nur solche VA angesprochen, die in den bereits vorhandenen Rechtskreis eingreifen. Die Ablehnung eines Leistungsantrages wird von § 44 als belastender VA erfasst, in § 24 nicht (vgl. Komm. zu § 24).
Hat ein VA sowohl belastende als auch begünstigende Elemente, die in einen belastenden und einen begünstigenden Teil aufgespaltet werden können (z. B. Teilablehnung eines Leistungsantrages), kann jedes Element getrennt behandelt werden.
Ein besonderes Problem ergibt sich bei VA mit Doppelwirkung (besser: Mischwirkung), die untrennbar sowohl begünstigende als auch belastende Elemente enthalten (Beispiele in der Komm. zu § 45); sie sind nicht ohne weiteres als rechtlich begünstigend anzusehen, denn je nach Sichtweise kann z. B. die fehlende Beitragspflicht bei Ablehnung einer Versicherteneigenschaft begünstigen, der fehlende Leistungsanspruch jedoch belasten. In diesen Fällen richtet sich die Abgrenzung, ob der VA begünstigend oder nicht begünstigend ist, nach der gegenwärtigen subjektiven Sicht des Betroffenen (BSG, Urteil v. 28.9.1999, B 2 U 32/98 R, SozR 3-2200 § 605 Nr. 1; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 23.3.2006, L 10 U 585/04 zur Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis einer BG, hier aus Sicht des Betroffenen begünstigender VA, str. für Beurteilung nach der "objektiven" Interessenlage: Wiesner, in: v. Wulffen, SGB X-Kommentar, 5. Aufl. 2005, § 44 Rz. 6; wie hier aber Schütze, in: v. Wulffen, 7. Aufl. 2010, § 44 Rz 23: "individuelle Sicht des Adressaten").
Das Hessische LSG hat entschieden, dass bei einer untrennbaren Doppelwirkung von VA die Voraussetzungen des § 44 und des § 45 gleichzeitig beachtet werden müssen (Urteil v. 14.10.2009, L 6 AL 154/07 zu einem Abzweigungs-VA nach § 48 SGB I). Ein Bescheid nach dem SGB IX (Schwerbehindertenrecht), der zwar den begehrten GdB zuerkennt, aber gleichzeitig die Voraussetzungen eines ebenfalls beantragten Nachteilsausgleiches verneint, ist ein Bescheid mit Doppelwirkung. Hinsichtlich des begünstigenden Teils greifen § 44 Abs. 2, §§ 45, 48 ein, hinsichtlich des belastenden Teils ist § 44 Abs. 2 anwendbar (Straßfeld, SGb 2003 S. 94).
Rz. 4a
Auf Antrag zu erlassende rechtsgestaltende VA, die dem Antrag voll entsprechen, sind ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen i. d. R. als begünstigend anzusehen, so dass sie aus dem Anwendungsbereich des § 44 herausfallen. So hat die Abfindung einer Verletztenrente auf Antrag zwar auch belastende Komponenten, weil der Anspruch auf die dauernde Rente entfällt, aber diese Wirkungen nimmt der Antragsteller regelmäßig in Kauf, so dass sich der Abfindungsbescheid insgesamt als begünstigend darstellt (BSG, Urteil v. 28.9.1999, a. a. O.).
Begünstigende Wirkung können insbesondere auch VA mit belastender Drittwirkung haben, bei denen die Rücknahme ohne Vertrauensschutz möglich ist (vgl. Komm. zu § 49).
Rz. 5
Vielfach gehen dem Gesetzgeber die Rechtswirkungen des § 44 zu weit, so dass sich einige spezialgesetzliche Einschränkungen finden, die insbesondere die Rücknahme für die Vergangenheit zeitlich einschränken. Hinsichtlich der zwingenden rückwirkenden Rücknahme sind daher folgende vorrangig geltende Sondervorschriften zu beachten: Im Recht der Arbeitsförderung findet sich eine Sondervorschrift in § 330 SGB III, im Kindergeldrecht in § 11 Abs. 4 BKGG, bei Rentenleistungen in § 100 Abs. 4 SGB VI, aber auch bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 40 SGB II i. V. m. § 330 SGB III (zu einigen Neuregelungen insoweit durch das 9. SGB-Änderungsgesetz v. 26.7.2016 vgl. den Aufsatz von Staiger, info also 2016 S. 208). Dabei begegnet die Einschränkung des § 44 Abs. 1 durch § 330 SGB III keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BSG, Urteil v. 29.6.2000, B 11 AL 99/99 R, SozR 3-4100 § 152 Nr. 10). Über § 40 SGB II findet § 330 Abs. 1 SGB III auch im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Anwendung. Hieraus ergibt sich, dass § 44 mit den in § 330 SGB III angesprochenen Modifikationen auch für Ansprüche auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II anwendbar ist. Die besonderen Aufhebungs- und Rückforderungsvorschriften des § 255 SGB V und § 60 SGB XI verdrängen die §§ 44 f. SGB X (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 9.8.2012, L 1 R 300/11; Urteil v. 1...