Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz: Verrechnung von Zahlungen des Schuldners im Kontokorrent
Leitsatz (amtlich)
1. Soweit der Schuldner durch Zahlungen, die in ein Kontokorrent eingestellt werden, einen von der das Kontokorrent führenden Bank gewährten Kredit bedient, handelt es sich um eine kongruente Deckung, die kein Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO ist.
2. Verrechnungen im Kontokorrent, die zur Verringerung einer nicht von der Bank genehmigten Überziehung führen, sind zwar bei „unmittelbarer” Verrechnung kongruent, sie sind aber keine Bargeschäfte.
3. Verrechnungen im Kontokorrent, die darauf beruhen, dass die Bank die laufenden Kosten und Zinsen für dieses Konto einstellt, können ein Bargeschäft darstellen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 27.08.2002; Aktenzeichen 9 O 597/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 27.8.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des LG Berlin – 9 O 597/01 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.523,68 Euro (49.919,98 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung, soweit sie nicht hinsichtlich der Zinsen teilweise zurückgenommen worden ist, wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreites haben die Beklagte 82 % und der Kläger 18 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Tatbestand
Für den Sachvortrag und die Anträge der Parteien in erster Instanz und die Entscheidung des LG wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Gegen das am 16.10.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.10.2002 Berufung eingelegt und diese am 7.11.2002 begründet.
Die Parteien setzen ihren Streit im Wesentlichen mit den gleichen und teilweise vertieften Argumenten fort. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass die Leistungen an die Beklagte inkongruente Deckungen darstellen und als solche erfolgreich angefochten seien. Der Kläger hat hinsichtlich der Zahlungen an die I.B. (…) nun ausdrücklich seinen Anspruch auch auf Bereicherungsrecht gestützt. Die Beklagte hat inzwischen hierzu die Einziehungsvollmacht des Schuldners vorgelegt. Der Kläger hält diesen neuen Vortrag für unzulässig.
Der Kläger beantragt, nachdem er hinsichtlich des weiter gehenden Zinsanspruchs die Berufung teilweise zurückgenommen hat, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.128,20 Euro (60.881,47 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens das angefochtene Urteil. Sie ist der Auffassung, dass die Leistungen Bargeschäfte i.S.v. § 142 InsO und daher nur eingeschränkt anfechtbar seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, denn der Kläger hat sein Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache hat das Rechtsmittel auch überwiegend Erfolg, denn dem Kläger steht der mit der Klage verfolgte Zahlungsanspruch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu.
Auf das Berufungsverfahren waren grundsätzlich die Vorschriften der Zivilprozessordnung in der nach dem 1.1.2002 geltenden Fassung anzuwenden, denn die mündliche Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist, wurde nach diesem Zeitpunkt geschlossen (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Materiell waren der Entscheidung die Vorschriften der am 1.1.1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung zugrunde zu legen, denn die zu beurteilenden Rechtsverhältnisse sind nach diesem Zeitpunkt entstanden (vgl. Art. 104 EGInsO).
Der Kläger hat auch im Berufungsrechtszug folgende Forderungen geltend gemacht:
1. Zahlung an die I.B. (…) 9.900,00 DM
2. Tilgungsraten zur Ablösung des Kontokorrentes 43.375,64 DM
3. Zinsen und Kosten des Kontokorrentes 1.061,49 DM
4. Darlehenskonto 297,89 DM
5. Rest 6.246,45 DM
Dem Kläger stehen hiervon die Forderungen zu 2), 4), und 5) i.H.v. insgesamt (49.919,98 DM) 25.523,68 Euro zu. Im Übrigen ist die Klage unbegründet und war die Berufung zurückzuweisen.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Zu 2.: Tilgungsraten zur Ablösung des Kontokorrentes, 43.375,64 DM
Der Anspruch ist aus §§ 143 Abs. 1, 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 InsO begründet.
Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewähren, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, und die Rechtshandlungen die Insolvenzgläubiger benachteiligen (§ 129 Abs. 1 InsO).
Die objektive Gläubigerbena...