Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Absicht
Rz. 608
Absicht oder direkter Vorsatz ersten Grades liegt vor, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Der Täter handelt in diesen Fällen zielgerichtet, was allerdings nicht bedeutet, dass dieses Ziel auch das Motiv seines Handelns sein muss. Auf vom Willen unabhängige Merkmale, wie bspw. die Existenz eines Steueranspruchs, kann sich die Absicht nicht erstrecken bzw. ist irrelevant; insofern kann es nur um die Vorstellung des Täters gehen, ob ein solcher Steueranspruch besteht oder nicht. Ob Angaben falsch sind oder nicht, ist ebenso nur Gegenstand der Kenntnis, nicht des Wollens. Strebt der Täter den tatbestandlichen Erfolg an, liegt Absicht auch dann vor, wenn er seinen Eintritt nicht als sicher, sondern nur als möglich voraussieht, etwa wenn befürchtet wird, die Falschangaben könnten von der FinB nicht akzeptiert werden.
Beispiel 3
Benutzt der Täter mehrere Scheinfirmen mit dem Ziel, nicht gerechtfertigte Vorsteuererstattungen zu erlangen, liegt absichtliches Handeln nicht nur dann vor, wenn er sicher, sondern auch dann, wenn er nur möglicherweise mit den Vorsteuererstattungen rechnet. Der eigentliche Grund, warum er die Vorsteuererstattungen erstrebt (bspw. aufwendiger Lebensstil, Geldnot etc.), ist für das Bejahen der Absicht irrelevant, kann allerdings Indiz für ihr Vorliegen oder für die Strafzumessung von Bedeutung sein.
b) Wissentliche Tatbestandsverwirklichung
Rz. 609
Der Täter verwirklicht den Tatbestand mit direktem Vorsatz zweiten Grades, wenn er weiß oder als sicher voraussieht, dass sein Verhalten die Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 AO verwirklicht. Weiß der Täter, dass sein Verhalten den Tatbestand erfüllt, liegt das voluntative Element des Vorsatzes auch dann vor, wenn dem Täter der Erfolgseintritt unliebsam ist. Denn wer erkennt, dass sein Verhalten notwendig bestimmte Folgen hat, kann nicht gleichzeitig wollen, dass diese Folgen nicht eintreten.
c) Dolus eventualis
Rz. 610
Eine der nach wie vor umstrittensten Fragen des Strafrechts ist die, was den bedingten Vorsatz in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit ausmacht. Streitig ist insb., ob der dolus eventualis von der Fahrlässigkeit allein durch den Kenntnisstand des Täters abzugrenzen ist oder ob dazu mit der h.M. zusätzlich ein voluntatives Element heranzuziehen ist.
Rz. 611
Die Rspr. meint, dass dolus eventualis dann vorliegt, wenn der Täter den Erfolgseintritt als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigend in Kauf nimmt. Billigen in diesem Sinn liegt aber auch dann vor, wenn der Erfolg dem Täter eigentlich unerwünscht ist, er sich allerdings mit dessen Eintritt abgefunden hat:
"Die Billigung des Erfolges, die [...] das entscheidende Unterscheidungsmerkmal des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit bildet, bedeutet [...] nicht etwa, dass der Erfolg den Wünschen des Täters entsprechen muss. Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Im Rechtssinne billigt er diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles willen, d.h. sofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, dass seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will."
Rz. 612
Die Abgrenzung nach dem Gegensatz "sich abfinden mit oder vertrauen auf", wobei Ersteres den Vorsatz, Letzteres die Fahrlässigkeit kennzeichnet, hat sich auch in der Literatur weitgehend durchgesetzt. Bedingter Vorsatz ist deshalb nach h.M. zu bejahen, wenn der Täter mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ernsthaft rechnet und sich mit dem Erfolgseintritt abfindet, so dass er ihn in Kauf nimmt. Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Täter auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut hat.
Rz. 613
Eine in der Literatur stark vertretene Auffassung will hingegen die Abgrenzung ohne Berücksichtigung des Wollenselements durchführen. Das führt allerdings in den meisten Fällen nicht zu anderen Ergebnissen. Denn je sicherer der Täter ist, dass er den Erfolg herbeiführen wird, desto weniger kann er sich (glaubhaft) darauf berufen, dass er die Erfolgsherbeiführung nicht wollte oder sich nicht mit ihr abgefunden hatte (s. Rz. 609). In den Fällen also, in denen der Täter bewusst ein besonders hohes Risiko für das geschützte Rechtsgut schafft, ergeben sich keine relevanten Unterschiede.
Rz. 614
Der Streit um die Anforderungen des dolus eventualis spielt praktisch fast ausschließlich bei den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten eine Rolle. So kann derjenige, der eine für das Opfer gefährliche Handlung vornimmt, darauf vertrauen, dass trotz der erkannten Gefährlichkeit seiner Handlung der Erfolg ausbleibt oder statt des Tötungs- nur ein Körperverletzungserfolg eintritt. Bei § 370 Abs. 1 AO ist Vergleichbares in aller Regel aber nicht vorstellbar und der