Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 309
Der BGH (s. § 393 Rz. 111 ff.) geht davon aus, dass nur in Ausnahmefällen das Verbot von Zwang zur Selbstbelastung zu einer Aussetzung der Strafbewehrung steuerlicher Erklärungspflichten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann. Eine unauflösliche Konfliktlage besteht nach dieser Auffassung dann, wenn bzgl. desselben Besteuerungszeitraums und derselben Steuerart, für den bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weitere Erklärungspflichten bestehen. Der BGH meint, dass für die Dauer des Strafverfahrens die Strafbarkeit wegen Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung entfällt, wenn wegen der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen schon ein Strafverfahren anhängig ist. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Suspendierung steuerartenübergreifend für den gesamten Veranlagungszeitraum gilt, also bei Einleitung eines Strafverfahrens wegen Umsatzsteuerhinterziehung auch für Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen. In der Literatur wird auch insoweit teilweise ein Verwendungsverbot bevorzugt.
"Der Angeklagte L. hatte im Jahr 1997 von Januar bis Oktober jeweils inhaltlich unrichtige monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, insoweit ist er vom Landgericht auch verurteilt worden. Mit seiner Verhaftung im Dezember 1997 wurde ihm eröffnet, dass ein Steuerstrafverfahren gegen ihn am 9.12.1997 eingeleitet worden war. Die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 1997 waren dann Gegenstand des Haftbefehls vom 5.3.1998, wobei dieser zusätzlich noch die Umsatzsteuervoranmeldung für November 1997 umfasste. Angesichts dieser Situation war der Angeklagte L. – unter dem steuerstrafrechtlichen Aspekt – nicht mehr verpflichtet, eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1997 abzugeben. b) Einer Verurteilung steht hier das in § 393 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot (‚nemo tenetur se ipsum accusare‘) entgegen (vergleiche BGH v. 13.10.1992 – 5 StR 253/92, wistra 1993, 66, 68) [...] Er kann im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung entweder durch eine Korrektur mit den richtigen Umsätzen sich selbst belasten oder den Steuerschaden durch die Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung vertiefen. Diese Konfliktlage will § 393 Abs. 1 AO vermeiden. Dies kann im Falle der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im Hinblick auf Umsatzsteuervoranmeldungen nur bedeuten, dass die Strafbewehrung der Verletzung der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung bis zum 31. Mai des Folgejahres (§ 149 Abs. 2 AO) jedenfalls solange suspendiert ist, wie das Steuerstrafverfahren andauert (vgl. auch Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. § 393 Rdn. 36 ff.; Meyer DStR 2001, 461, 465) und soweit sich die Erklärungszeiträume der Steuererklärungen decken."
Die Pflicht zur Abgabe der Erklärungen wird nicht schon mit der Verfahrenseinleitung suspendiert, sondern erst mit Bekanntgabe bzw. Kenntnis von der Einleitung des Steuerstrafverfahrens. Möglich bleibt nach Auffassung des BGH eine Strafbarkeit wegen versuchter Steuerhinterziehung.
Rz. 310
Hat der Täter durch den Ankauf von unversteuerten und unverzollten Zigaretten den Tatbestand der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AO) verwirklicht, entfällt nach Auffassung des BGH die Steuerklärungspflicht aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG a.F. (s. auch Rz. 362.1):
„Hier resultiert aus dem nemo-tenetur-Grundsatz eine Befreiung der Angeklagten von der strafbewehrten Erklärungspflicht. Die Angeklagte befand sich hinsichtlich ihrer Erklärungspflicht aus § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG in einer unauflösbaren Konfliktsituation. Hätte sie als Steuerhehlerin die unversteuerten und unverzollten Tabakwaren in dem dafür vorgesehenen Verfahren bei der zuständigen Zollbehörde erklärt, hätte sie damit zugleich die begangene Steuerhehlerei durch den Ankauf oder das Sich-Verschaffen der Tabakwaren offenbart. Dies führte zur Unzumutbarkeit, überhaupt Angaben zu machen, da der Vorgang der Steuerhehlerei den Behörden noch nicht bekannt war und die Offenbarung naheliegend die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach sich gezogen hätte.
Es kommt hinzu, dass sich die Steuerhehlerei und die Hinterziehung der Tabaksteuer auf dieselben Tabakwaren beziehen und insgesamt einen einheitlichen Lebenssachverhalt betreffen, der von derselben Tatmotivation getragen wird, nämlich der gewinnbringenden Veräußerung der unversteuerten Tabakwaren. Das Unterlassen der nach § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG erforderlichen Steuererklärung stellt sich dementsprechend stets als notwendiger (weiterer) Schritt zur Verwirklichung dieses Gesamtunrechts dar. Der Straftatbestand der Steuerhehlerei und die Regelungen des Tabaksteuergesetzes verfolgen mit der Verhinderung des Inverkehrbringens unversteuerter Zigaretten letztlich auch ein identisches Ziel, so dass durch die Steuerhinterziehung im Ergebnis kein weitergehendes Tatunrecht geschaffen wird. Zudem sind die Ausführungshandlungen der Steuerhehlerei und der Steuerhin...