Rz. 68
Die Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet (s. Erl. zu § 370 Rz. 12, 57 ff.). Überträgt man die in Rz. 66 f. dargelegten allgemeinen Regeln zum Verjährungsbeginn auf die Steuerhinterziehung, käme es für die Beendigung nicht auf die tatbestandliche Vollendung an, sondern auf den tatsächlichen Abschluss, den das Tatunrecht gefunden hat. Das wäre der Zeitpunkt, zu dem endgültig feststeht, dass zu wenig Steuern eingenommen wurden bzw. dem Täter der ungerechtfertigte Steuervorteil endgültig verbleibt und er mit einer Änderung des betreffenden Steuerbescheids nicht mehr rechnen muss; letztlich also erst mit Eintritt der Festsetzungsverjährung (zehn Jahre, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
Rz. 69
Diese Konsequenz wird indes zu Recht nicht gezogen. Sie wäre mit der Gesetzeskonstruktion nicht zu vereinbaren. Entstehen würde ein Zirkelschluss, weil § 171 Abs. 7 AO verhindert, dass die Festsetzungsverjährung endet, bevor die Strafverfolgung verjährt. So könnten sowohl die Strafverfolgungs- als auch die Festsetzungsverjährung niemals enden: Die Festsetzungsverjährung würde erst mit Ablauf der Strafverfolgungsverjährung einsetzen, die Strafverfolgungsverjährung würde indes nicht vor Ende der Festsetzungsverjährung zu laufen beginnen, die wiederum nicht endet, weil die Strafverfolgungsverjährung noch nicht einmal zu laufen begonnen hat etc..
Der Zeitpunkt der Beendigung ist daher der des Steuerbescheids mit zu niedriger Festsetzung oder, im Falle der Nichtabgabe einer Erklärung, spätestens (str., s. Rz. 93 f.) der Zeitpunkt, in dem aufgrund des allgemeinen Endes der Veranlagungsarbeiten nicht mehr mit einer Bescheidung im allgemeinen Geschäftsgang zu rechnen ist.
1. Steuerhinterziehung durch positives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO)
Rz. 70
Der tatbestandsmäßige Erfolg im Rahmen des § 370 Abs. 1 AO konkretisiert sich durch die Verkürzung von Steuern oder durch die Erlangung des ungerechtfertigten Steuervorteils (s. § 370 Rz. 376 ff., 424 ff.). Hinsichtlich der einzelnen Steuerarten ergeben sich folgende Besonderheiten:
a) Veranlagungssteuern
Rz. 71
Zu den Veranlagungssteuern zählen insb. die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Gewerbe- und die Grunderwerbsteuer.
Die Veranlagungssteuern setzen eine Tätigkeit des FA voraus, die auf den Erlass eines förmlichen Steuerbescheids gerichtet ist. Dieser Bescheid setzt die geschuldete Steuer aufgrund von Steuererklärungen oder der von Amts wegen ermittelten Besteuerungsgrundlagen fest, § 155 Abs. 1 und § 157 Abs. 1 AO. Zum tatbestandsmäßigen Erfolg der Steuerhinterziehung gehört die zu niedrige Steuerfestsetzung, damit ist die Tat auch vollendet.
Die für den Beginn der Verjährung ausschlaggebende Beendigung tritt sodann frühestens mit der Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids ein (s. § 370 Rz. 400 ff. m.w.N.). Ob dabei die Bekanntgabefiktion des § 122 AO (drei Tage nach Aufgabe) anzuwenden oder auf eine ggf. in dubio tatsächlich frühere Zustellung abzustellen ist, ist str. Bekanntgabemängel dürfen dabei nicht zu Lasten des Stpfl. gehen, denn jedenfalls mit dem Fiktionszeitpunkt wird der Bescheid rechtswirksam.
Teilweise wird auch auf einen späteren Beendigungszeitpunkt abgestellt: Dieser falle auf den Tag einer tatsächlich späteren Zustellung oder den Fälligkeitstermin der zu niedrigen Nachzahlung oder auf den einer tatsächlich erfolgenden Erstattung. Allerdings ist die Steuerhinterziehung ein konkretes Gefährdungsdelikt und diese Gefährdung ist mit dem Wirksamwerden des Bescheids abgeschlossen. Die Realisierung der Gefahr durch Eintritt eines realen Vermögensschadens liegt – anders als etwa beim Betrug – außerhalb des Tatbestandes; er ist weder für die Vollendung noch für die Beendigung von Bedeutung.
Rz. 72
Problematisch war in der Vergangenheit immer die Beurteilung von Verjährungsfragen im Zusammenhang mit Feststellungsbescheiden.
So war maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist bei der Hinterziehung von Körperschaftsteuer nach § 78a StGB nicht schon die gesonderte Feststellung nach dem früheren § 47 KStG, sondern erst die Bekanntgabe des auf die unrichtige Erklärung ergehenden Steuerbescheids (s. Rz. 73). Wird dieser Steuerbescheid infolge von in späteren Jahren eingetretenen Verlusten durch einen weiteren Steuerbescheid abgeändert, der den nach § 8 KStG i.V.m. § 10d EStG festzusetzenden Verlustrücktrag berücksichtigt, ist dies für den Lauf der Verjährungsfrist ohne Belang. Der BGH führte hierzu aus:
"Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags trägt einer später eingetretenen wirtschaftlichen Entwicklung steuerlich Rechnung, ohne daß damit die bereits e...