Rz. 176
§ 130 OWiG findet nur dann Anwendung, wenn sich der Aufsichtspflichtige nicht selbst als Täter oder Teilnehmer nach §§ 370 ff. AO strafbar gemacht hat bzw. einen der Bußgeldtatbestände der §§ 378 ff. AO verwirklicht hat. Hat er selbst die Pflichtverletzung begangen, tritt § 130 OWiG aufgrund der allgemein anerkannten Stellung der Norm als "Auffangtatbestand" zurück. Eine Subsidiaritätsklausel enthält § 130 OWiG zwar nicht, jedoch ist nach der Rspr. anerkannt, dass vor allem in den Fällen, in denen der Betriebsinhaber die Zuwiderhandlung selbst oder als Teilnehmer begeht oder er die Zuwiderhandlung eines anderen duldet, also ein Einschreiten unterlässt, § 130 OWiG lediglich subsidiär anzuwenden ist.
Beispiel
Unternehmer U hat mit der Erledigung seiner Steuerangelegenheiten seinen Buchhalter B beauftragt, der diese Aufgaben selbständig bearbeitet. U weiß, dass B zwischenzeitlich mehrmals bei der Erledigung seiner Aufgaben gegen Steuervorschriften verstoßen hat und beaufsichtigt ihn dennoch nicht. Aus Unachtsamkeit bucht B aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorgänge nicht. U hätte die (erneuten) Fehlbuchungen des B erkennen können.
Dadurch, dass U trotz dessen er um die Arbeitsweise des B wusste, seine Aufsichtspflicht verletzt hat, hat er die Steuerverfehlung des B in voraussehbarer und vermeidbarer Weise mitverursacht. Er ist Täter einer Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 379 Abs. 1 Nr. 3 OWiG. Daneben ist er nicht auch nach § 130 OWiG verantwortlich, obwohl der Tatbestand ebenfalls erfüllt ist.
Rz. 177
Nach h.A. fällt die Verletzung von Aufsichtspflichten nach § 130 OWiG nicht unter den Begriff der Steuerordnungswidrigkeiten. Da es in der Praxis durch die verletzte Aufsichtspflicht vor allem zu Steuerstraf- bzw. -ordnungswidrigkeiten kommt, gebietet es jedoch allein dieser Sachzusammenhang, die Vorschriften der §§ 409, 410 AO, die das steuerliche Bußgeldverfahren betreffen, auch auf § 130 OWiG anzuwenden.
Rz. 178
§ 130 OWiG findet auch im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten in Betrieben und Unternehmen Anwendung, die insbesondere auf den Gebieten der Lohnsteuer, Umsatzsteuer, Verbrauchsteuer und Eingangsabgaben begangen werden.
Rz. 179
Durch die besondere Ausgestaltung erweitert § 130 OWiG die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und sonstiger Aufsichtspersonen in den Fällen, in denen ihnen bloße Fahrlässigkeit bzgl. einer vorsätzlichen Bezugstat anzulasten ist bzw. wo sich ihr Verschulden nicht auf die Zuwiderhandlung selbst bezieht oder wo die Zuwiderhandlung eine besondere Vorwerfbarkeitsform, z.B. Leichtfertigkeit, voraussetzt.
Beispiel
Unternehmer U lässt seinen Buchhalter, der seit langen Jahren in der Firma zur Zufriedenheit des U tätig ist, die Steuerangelegenheiten selbständig bearbeiten. Der Buchhalter B bucht leichtfertig aufzeichnungspflichtige Betriebsvorgänge falsch. Dadurch werden die von ihm gefertigten Steuererklärungen unrichtig. Als U die Steuererklärungen zur Unterschrift vorgelegt werden, bemerkt er die Unrichtigkeit leicht fahrlässig nicht. Bei gehöriger Aufsicht hätten die Falschbuchungen vermieden werden können.
Der Buchhalter hat sich – wenn hier einmal das Tatbestandsmerkmal des "Angabenmachens" unterstellt wird – wegen einer Verletzung des § 378 AO zu verantworten, der Unternehmer dagegen nicht, da er hinsichtlich der Steuerverkürzung nur leicht fahrlässig handelte. Es kann im Einzelfall fraglich sein, welche Person bei wertender Betrachtung Angaben i.S.d. §§ 370, 378 Abs. 1 AO gegenüber der FinB macht. Hier ist letztlich auf eine Rollenverteilung abzustellen (vgl. Rz. 65). Nach § 130 OWiG ist U aber für die leichtfertige Steuerverkürzung des B verantwortlich, da U die Tat des B bei gehöriger Erfüllung seiner Aufsichtspflicht hätte verhindern können. Nach § 130 OWiG kann gegen U schon bei leicht fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht ein Bußgeld verhängt werden.
Das vorstehende Beispiel verdeutlicht, dass, obwohl dem Unternehmer selbst kein leichtfertiges Handeln vorgeworfen werden kann, er dennoch nach § 130 OWiG für die leichtfertige Steuerverkürzung der von ihm mit der Buchhaltung beauftragten Person zur Verantwortung gezogen werden kann. Die nach § 130 OWiG zu verhängende Geldbuße unterscheidet sich dabei in ihrem Höchstmaß nicht von der, die bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung verhängt werden kann (§ 130 Abs. 3 OWiG). Ob der Gesetzgeber diese Konsequenz bedacht hat, ist fraglich.
Rz. 180
Randt weist zu Recht darauf hin, dass § 130 OWiG nicht in erster Linie auf die Ahndung steuerlichen Fehlverhaltens ausgerichtet ist, sondern vielmehr allgemein ein organisatorisches Defizit im Unternehmen durch Androhung von Geldbuße verhindern soll. So auch Heerspink, der darauf hinweist, dass es sich bei der unternehmerischen Aufsichtspflichtverletzung gem. § 130 OWiG nicht um eine Steuerordnungswidrigkeit handelt. Zur Auswirkung auf die Verjährungsfrist s. Rz. ...