Rz. 154
Verkürzt der Täter dieselbe Steuerart durch verschiedene Willensbetätigungen mehrfach, so kann zunächst danach unterschieden werden, ob die Verkürzungshandlungen in einen oder in mehrere Besteuerungszeiträume fallen.
Fallen sie in einen Besteuerungszeitraum, so kann unter Umständen Gesetzeskonkurrenz anzunehmen sein, wenn die späteren Handlungen nur dazu dienen, die bereits vorher bewirkte Steuerverkürzung aufrechtzuerhalten. Dann ist eine straflose Vor- bzw. Nachtat anzunehmen (s. § 370 Rz. 880 f.).
Werden aber im selben Besteuerungszeitraum mehrfach verschiedene Steuerbeträge verkürzt, dann liegt regelmäßig Tatmehrheit vor.
Beispiel
A gibt leichtfertig bei einer Anfrage hinsichtlich der Bemessung seiner Einkommensteuervorauszahlungen einen Teil seines tatsächlichen Einkommens nicht an. Bei der Einkommensteuererklärung bewirkt er leichtfertig eine weitere Verkürzung, indem er einen Aktivposten in der Bilanz irrtümlich unter den Passiva aufführt.
Die Einkommensteuer wird hier zweimal durch verschiedene selbständige Handlungen verkürzt. Es liegen zwei leichtfertige Steuerverkürzungen vor, die zueinander in Tatmehrheit stehen.
Rz. 155
Wird eine Steuerart über mehrere Steuerabschnitte hinweg verkürzt, so stehen die einzelnen Verkürzungshandlungen regelmäßig selbständig nebeneinander, so dass grds. Tatmehrheit anzunehmen ist.
Rz. 156
Verschiedene Verkürzungshandlungen innerhalb desselben Besteuerungszeitraumes oder über mehrere Steuerabschnitte hinweg konnten nach der früheren Rspr. zu einer rechtlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Da die Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs (s. § 370 Rz. 874) bei fahrlässig begangenen Taten begrifflich ausgeschlossen ist, hatte die Rspr. speziell für das Ordnungswidrigkeitenrecht die Rechtsfigur der fahrlässigen Dauerordnungswidrigkeit entwickelt. Eine Dauerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung liegt nach der (bisherigen) Rspr. vor, wenn sich der Täter eines in dauernder Unachtsamkeit bestehenden Gesamtverhaltens schuldig macht, aus dem mehrere, bei gehöriger Achtsamkeit voraussehbare Gesetzesverletzungen von selbst ohne weiteres Zutun des Täters entspringen, wenn also eine jeweilige neue Prüfung und Entscheidung des Täters, die ihn zu einer erneuten Achtsamkeit veranlassen mussten, nicht in Betracht kommt.
Die Rspr. hat eine Dauerordnungswidrigkeit der fahrlässigen Steuerverkürzung stets nur bei Unterlassungstaten angenommen. So hat auch das BayObLG im entschiedenen Fall, in dem dem Betroffenen die Unterlassung jeglicher Überwachung seiner Ehefrau in der Kassenführung und auch in der Weitergabe der richtigen Daten an den Steuerberater vorgeworfen wurde, eine einheitliche Tat abgelehnt und führte hierzu aus:
"Eine Dauerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung liegt nach der Rspr. vor, wenn sich der Täter eines in dauernder Unachtsamkeit bestehenden Gesamtverhaltens schuldig macht, aus dem mehrere bei gehöriger Achtsamkeit voraussehbare Gesetzesverletzungen von selbst ohne weiteres Zutun des Täters entspringen, wenn also eine jeweilige neue Prüfung und Entscheidung des Täters, die ihn zu einer erneuten Achtsamkeit veranlassen mußte, nicht in Betracht kommt. Dies ist aber nicht der Fall, wenn, wie hier, der Täter für mehrere Steuern und Steuerabschnitte verschiedene unrichtige Erklärungen abgibt. Er unterläßt nicht Handlungen, weil er ein für allemal versäumt hätte, sich die Kenntnis über seine Steuerpflicht zu verschaffen. Ihn trifft vielmehr eine Verantwortung für ein aktives Tun. Der Angeklagte hatte jedesmal aufgrund neuer Sachlage die Frage der Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen von neuem zu prüfen und einen neuen Entschluß zu fassen. Damit wurde er jedesmal von neuem auf seine Pflicht zur Achtsamkeit hingewiesen. Es liegt deswegen kein einheitliches Verschulden mit mehreren ordnungswidrigen Teilerfolgen, sondern eine Kette einzelner Zuwiderhandlungen mit gleichartigem Verschulden vor."
Rz. 157
Nachdem der BGH mit Beschluss vom 20.6.1994 (s. § 370 Rz. 875) für das Steuerstrafrecht die Rechtsfigur der fortgesetzten Tat aufgegeben hat, muss dies m.E. auch für die vergleichbare Rechtsfigur der fahrlässigen Dauerordnungswidrigkeit gelten, zumal sich der äußere Tathergang der vorsätzlichen und der leichtfertigen Steuerverkürzung entsprechen. Göhler, der allgemein für das Ordnungswidrigkeitenrecht eine rechtliche Zusammenfassung unter den Gesichtspunkten der Bewertungseinheit, der Dauerordnungswidrigkeit oder der sog. fortdauernden oder fortwährenden Handlung für möglich hält, differenziert hier. Wiederholte leichtfertige Verkürzungshandlungen in einem oder mehreren Besteuerungszeiträumen stellen daher rechtlich selbständige Taten im prozessualen Sinne dar, so dass regelmäßig Tatmehrheit (§ 20 OWiG) zwischen ihnen besteht und jede einzelne Tat auch gesondert verjährt. Eine Ausnahme kann sich allenfalls dann ergeben, wenn sich das Tatge...