Rz. 30
Nach § 363 Abs. 1 AO kann die FinB die Entscheidung über einen Einspruch aussetzen, wenn ein vorgreifliches Rechtsverhältnis besteht, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine entsprechende Aussetzungsbefugnis besteht für das FG gem. § 74 FGO im Rechtsmittelverfahren. Vorgreiflichkeit liegt vor, wenn der Ausgang des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens sich von dem Ergebnis der vom Gericht oder der Behörde zu fällenden Entscheidung unterscheidet. Betrachtet man ein anhängiges Steuerstrafverfahren mit der h.M. als vorgreifliches Rechtsverhältnis, ergibt sich eine wechselseitige Aussetzungskompetenz, einmal im Besteuerungsverfahren und zum anderen im Steuerstrafverfahren.
Rz. 31
Dies könnte theoretisch dazu führen, dass beide Verfahren ausgesetzt werden. Jedoch ist richtigerweise für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 396 AO stets dann kein Raum mehr, wenn die FinB ihrerseits das Besteuerungsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Steuerstrafverfahrens nach § 363 Abs. 1 AO aussetzt, um dessen Ausgang abzuwarten, da anders keine Möglichkeit gegeben wäre, das Strafverfahren überhaupt zu Ende zu führen. Diese Lösung ergibt sich bereits unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 396 AO, da diese voraussetzt, dass im Besteuerungsverfahren eine rechtskräftige Entscheidung ergehen kann, woran es fehlt, wenn die Finanzverwaltung oder das FG die Entscheidung ausgesetzt haben. Ein Ermessensspielraum des Strafrichters (der Ermittlungsbehörde) das Verfahren nach § 396 AO auszusetzen, besteht daher de facto nur so lange, wie die FinB ihrerseits nicht ausgesetzt hat.
Regelmäßig wird es jedoch an der für die Anwendung der §§ 363, 74 AO erforderlichen Vorgreiflichkeit des Steuerstrafverfahrens fehlen. Im Besteuerungsverfahren hängt die Entscheidung nämlich zumeist nicht von der Frage ab, ob eine Steuerstraftat vorliegt.
Eine Vorgreiflichkeit der Feststellung einer Steuerstraftat besteht allerdings in den Fällen der §§ 70, 71, 169 Abs. 2 Satz 2, § 173 Abs. 2, § 235 AO, soweit eine strafbare Steuerverkürzung im Streit steht. Hat das Strafgericht bis zur Klärung der steuerlichen Vorfragen ausgesetzt, darf das FG unter diesen Umständen nicht seinerseits das Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens aussetzen.
In der Praxis ist es zulässig und zu empfehlen, dass sich die beteiligten Behörden oder Gerichte miteinander ins Benehmen setzen und absprechen, in welchem Verfahren der in Rede stehende Gegenstand am besten aufgeklärt werden kann.