Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 17
Zu den unbestreitbaren Vorzügen des Strafbefehlsverfahrens gehört, dass in vielen Strafsachen, die tatsächlich und rechtlich einfach gelagert sind, eine richterliche Entscheidung schnell und mit geringem Kostenaufwand herbeigeführt werden kann. Dies entspricht in der Regel auch dem "Interesse des Staatsbürgers, dem daran gelegen ist, einfachere Straffälle verhältnismäßig billig und auch diskret, ohne Zeitverlust und Aufsehen erledigen zu können". Das Strafbefehlsverfahren "enthebt ihn auch der mit einer öffentlichen Verhandlung für sein Ansehen, seinen Erwerb und sein Fortkommen verbundenen Nachteile" (s. Rz. 18).
Rz. 18
Wenn der Angeklagte sich entschließt, den Strafbefehl anzunehmen, verzichtet er weitgehend auf rechtliches Gehör, nimmt eine eingeschränkte Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht in Kauf (was wiederum auch von Vorteil sein kann) und ist letztlich vorbestraft. Dies könnte auch Präjudizwirkung in einem noch anhängigen Rechtsbehelfs- oder Finanzgerichtsverfahren entfalten.
Andererseits verkürzt sich das Strafverfahren und er vermeidet eine ihn mit ziemlicher Sicherheit belastende öffentliche Hauptverhandlung mit allen Auswirkungen, die diese zwangsläufig zur Folge hat. Sie reichen vom Zeitaufwand über die Nervenbelastung bis zur möglichen "Stigmatisierung" des Täters.
Offensichtlich fällt dieser Vorteil – Erledigung der Strafsache im schriftlichen Verfahren – mehr ins Gewicht als die dem Strafbefehlsverfahren anhaftenden Mängel, die sich zwangsläufig aus seinem summarischen Charakter ergeben.
Die Möglichkeit zur diskreten Erledigung des Strafverfahrens durch Strafbefehl erscheint vielen Beschuldigten als vorzugswürdig, insb. wenn sie aufgrund ihres Bekanntheitsgrades oder ihrer gesellschaftlichen Stellung um ihr Ansehen und ihre Reputation und das Medieninteresse bei Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung fürchten müssen. Dennoch gilt es zu bedenken, dass erfahrungsgemäß oft ein Strafbefehl "teurer" kommt als eine im Urteilsverfahren festgesetzte Geldstrafe oder Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wer nicht darauf angewiesen ist, kann es daher auf eine Anklageerhebung ankommen lassen.
Manch zahlungsunfähiger Mandant ist zudem eher bereit, einen Strafbefehl über eine kurze Freiheitsstrafe zur Bewährung zu akzeptieren als eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage gem. § 153a StPO, die er nicht imstande ist aufzubringen.
Rz. 19
Andererseits ist nicht zu übersehen, dass diesen Vorteilen ganz gewichtige Nachteile gegenüberstehen. Wie jedes summarische Verfahren ist das Strafbefehlsverfahren mit Unzulänglichkeiten behaftet. Die Gefahr, dass unzureichende Ermittlungen zu einem der wahren Sachlage nicht gerecht werdenden Strafbefehl führen, lässt sich nicht ausschließen. Darauf hat das BVerfG zu Recht hingewiesen. Schließlich besteht auch die Gefahr, dass unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsersparnis das Strafbefehlsverfahren gewählt und die Strafe absichtlich bewusst niedrig bemessen wird, sei es, um den Beschuldigten von einem Einspruch abzuhalten, sei es, dass sich die Strafverfolgungsbehörde gerne auf einen Handel: "Geständnis gegen Strafbefehl" statt einer Anklage einlassen möchte. Auch der umgekehrte Fall, dass eine unangemessen hohe Strafe verhängt wird als Preis für die stillschweigende Verfahrenserledigung, ist in der Praxis anzutreffen.
Der Umstand, dass eine Hauptverhandlung durch Nichteinlegung eines Einspruchs vermieden werden kann, mag den Beschuldigten "zur Übernahme einer ungerechten Strafe als einem geringerem Übel veranlassen, um so den ihm aus einer öffentlichen Hauptverhandlung auch im Falle der Freisprechung erwachsenden Nachteilen zu begegnen". Von diesen Überlegungen werden sich insb. Mitglieder der Geschäftsleitungen von in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen oder Prominente leiten lassen, gegen die steuerstrafrechtliche Ermittlungen geführt werden. Kommt es nicht zu einer Hauptverhandlung, dann entbehrt das Strafbefehlsverfahren der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit und damit der wichtigsten Mittel zur Erforschung der Wahrheit und zur Verhängung einer gerechten Strafe.
Auch die bei einer Verurteilung durch Strafbefehl möglichen nichtstrafrechtlichen Sanktionen (s. Rz. 64.1) sollten bei Überlegungen für konsensuale Verfahrenserledigungen von der Verteidigung bedacht werden.
Rz. 20
Im Hinblick darauf sollte stets sorgfältig abgewogen werden, ob man den Strafbefehl "hinnimmt". Der Wert einer mündlichen Verhandlung, in der der Angeklagte sich unmittelbar vor dem Richter verteidigen kann, ist nicht gering zu achten. Auch darf nicht übersehen werden, dass der persönliche Eindruck, den der Angeklagte auf den Richter macht, sich auf das Strafmaß auszuwirken vermag. So fällt denn auch oft die vom Strafrichter nach Einspruch verhängte Strafe niedriger aus als die im Strafbefehl ausgewiesene (zu einem krassen Gegenbeispiel s. aber Rz. 218).
Rz. 21
Wünscht der ...