Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei der Erfassung und Kappung von Mehrarbeit. Nachwirkung bei Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung einer Erfassung von Arbeitszeit, die über arbeitstäglich 10 Stunden hinaus geleistet wird, bei gleichzeitiger systembedingter Kappung dieser Stunden, ist vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG im Rahmen einer Gleitzeitvereinbarung mit umfasst. Die Arbeitnehmer werden durch die Stundenklappung nicht enteignet, wenn ihnen - wie hier - diese Regelung vor deren Inkrafttreten bekannt war.
2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Betriebspartner einem Teil der Beschäftigten (AT-Angestellten) die über 300 Stunden hinausgehenden Arbeitszeitkontingente zum Jahresende hin zu kappen. Die Differenzierung dieser Personengruppe ist gerechtfertigt, da diese weit freier in der Lage sind, aufgebaute Arbeitszeitguthaben rechtzeitig abzubauen. Auch hier tritt wegen der Kappung keine Enteignung ein.
3. Die ausgesprochene Teilkündigung der vorstehenden Regelungen durch den Betriebsrat beendet diese jedenfalls nicht ohne Nachwirkung.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 6; GG Art. 14, 17; EU-Grundrechtecharta Art. 17; BetrVG § 75 Abs. 1, § 77 Abs. 5, § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3; BGB § 611 Abs. 1, § 612
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 08.11.2011; Aktenzeichen 25 BV 182/11) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.11.2011 - 25 BV 182/11- wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten auch im Beschwerdeverfahren über die Wirksamkeit einzelner Passagen einer Betriebsvereinbarung.
Der antragstellende Betriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat) ist Betriebsrat des u.a. von der Beteiligten zu 2. (nachfolgend: Arbeitgeberin) geführten Gemeinschaftsbetriebes in AStadt.
Unter dem Datum 13. Mai 2009 schlossen die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit (Anlage ASt 1, Bl. 11 ff. d. A.; nachfolgend BV Arbeitszeit), auf welche Bezug genommen wird und die u.a. regelt:
"...
2. Gleitzeit
2.1 Alle Mitarbeiter können Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Inanspruchnahme von Gleitzeit (Gleitzeit und Gleitzeittage) innerhalb der in dieser Vereinbarung genannten Grenzen (vgl. 2.2.) selbst bestimmen.
...
2.3 Dem Arbeitszeitgesetz entsprechend darf im Rahmen der Gleitzeitregelung eine werktägliche Arbeitszeit von 10 Stunden grundsätzlich nicht überschritten werden.
2.4 Persönliches Gleitzeitkonto
2.4.1 Bei Über- oder Unterschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit pro Monat wird die Differenz auf die Folgemonate übertragen. Der Gleitzeitrahmen beträgt +/- 150 Stunden. Trifft der Vorgesetzte keine Anordnung nach 2.4,3 Satz 2, so werden für AT-Mitarbeiter auch Zeitguthaben über + 150 Stunden dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben, für tarifliche Mitarbeiter werden die über 150 Stunden hinausgehenden Stunden entspr. Ziff. 4 dem Freizeitkonto zugeführt. Verbleibt bei AT-Mitarbeitern am 31.12. ein positiver Saldo von mehr als 300 Stunden, so verfällt dieser. Wiedereinsetzen verfallener Gleitzeit ist ausgeschlossen. Der Betriebsrat wird über verfallene Gleitzeit informiert.
2.4.2 Für den Ausgleich des persönlichen Zeitkontos handelt jeder Mitarbeiter eigenverantwortlich; dies unterliegt aber auch der Kontrollpflicht der zuständigen Führungskraft. Mitarbeitern und Führungskräften stehen mindestens monatlich "Gleitzeitliste/Mitarbeiter" bzw. "Gleitzeitliste/Abteilung" zur Verfügung.
2.4.3 Bei einem Stand des Gleitzeitkontos zum Monatsende ab +/- 80 Stunden sollen Führungskraft und Mitarbeiter Maßnahmen vereinbaren, die die Einhaltung der Grenzen von +/- 150 Stunden sicherstellen, wobei Zeit nur durch Zeit ausgeglichen werden kann. Zur Sicherstellung der Gleitzeitgrenzen von +/- 150 Stunden kann die Führungskraft bei einem Gleitzeitstand von +/- 100 Stunden Arbeitszeit bei negativem Guthaben oder die Entgegennahme von Gleitzeit bei positivem Guthaben anordnen.
..."
Am 13. Sept. 2009 haben die Betriebspartner zu Ziff. 2.3 der BV Arbeitszeit eine Protokollnotiz vereinbart (Anlage ASt 2, Bl. 13 d. A.; nachfolgend: Protokollnotiz), die wie folgt lautet:
"Die tägliche Arbeitszeit darf gemäß dem Arbeitszeitgesetz 10 Stunden nicht überschreiten. Darüber hinaus geleistete Zeiten, sowie Zeiten außerhalb der Rahmenarbeitszeit sind im Zeiterfassungssystem zu protokollieren, werden aber dort systemseitig gekappt. In Fällen, die als Ausnahme/Notfälle im Sinne des Gesetzes zu betrachten sind, kann der Mitarbeiter mit schriftlicher Zustimmung seiner Führungskraft sowie Personalbereich und Betriebsrat diese Zeiten seinem Gleitzeitkonto gutschreiben lassen.
Dieses Verfahren gewährleistet einerseits die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und stellt andererseits klar, dass dem Mitarbeiter in den o.g. Ausnahmen/Notfällen keine Nachteile entstehen. Die Beteiligung des Betriebsrats ist bei diesem Verfahren sicherg...