Verfahrensgang

AG Brühl (Urteil vom 30.06.2009; Aktenzeichen 21 C 115/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 30.09.2010; Aktenzeichen IX ZR 237/09)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Brühl vom 30.06.2009 – Az. 21 C 115/09 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten um die Insolvenzanfechtung von Zahlungen der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn E. (nachfolgend: Insolvenzschuldner). Dieser zahlte nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags Sozialversicherungsbeiträge an die beklagte gesetzliche Krankenversicherung. Der Kläger focht die Zahlung insgesamt an und begehrt mit der Klage die Rückzahlung auch der gezahlten Arbeitnehmeranteile. Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.06.2009 (Bl. 31 ff. GA), dem Kläger zugestellt am 07.07.2009, abgewiesen. Hiergegen wendet sich die am 15.07.2009 eingegangene und nach entsprechender Fristverlängerung am 06.10.2009 begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger wiederholt und vertieft seine Rechtsauffassung, die Regelung des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV stehe einer insolvenzrechtlichen Anfechtung auch der von dem Insolvenzschuldner geleisteten Zahlungen auf die Arbeitnehmeranteile nicht entgegen.

Er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Brühl vom 30.06.2009 zu verurteilen, an ihn 2 037,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung ihrer Rechtsansicht, die Neuregelung im SGB IV schließe eine insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit gezahlter Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen nunmehr aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden, aber in der Sache nicht begründet.

Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen; die tatbestandlichen Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden §§ 143 Abs. 1, 129, 130Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO liegen nicht vor.

Die fraglichen Zahlungen sind nicht anfechtbar, weil es auch nach Auffassung der Kammer an der hierfür erforderlichen Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO fehlt.

Im Einzelnen:

Die Parteien streiten einzig um die Rechtsfrage, ob § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung, wonach „(d)ie Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (.) als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht (gilt)”, im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers die Anfechtung der Zahlung der Arbeitnehmeranteile gegenüber dem Sozialversicherungsträger ausschließt oder nicht.

Diese für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Frage war in Instanzrechtsprechung und Schrifttum bislang umstritten. Nach einer Rechtsansicht sollte die Neuregelung in § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Anfechtung des Arbeitnehmeranteils mangels Gläubigerbenachteiligung ausschließen (z.B. LG Stendal, NZI 2009, 437; LG Berlin, ZInsO 2009, 1918; Plagemann/Radtke-Schwenzer, ZIP 2009, 899). Die wohl überwiegend vertretene Gegenauffassung hielt eine Anfechtung trotz der Neuregelung mit unterschiedlichen Begründungen weiterhin für möglich (z.B. LG Kiel, NZI 2009, 320; AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, NZI 2009, 439; AG Hamburg-Altona, NZI 2009, 730; Brinkmann/Luttmann, ZIP 2008, 901; v. d. Heydt, ZInsO 2008, 178; Leithaus/Krings, NZI 2008, 393). Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Rechtsfrage nunmehr mit Urteil vom 05.11.2009 (ZInsO 2009, 2293, für BGHZ bestimmt) Stellung genommen und die Auffassung vertreten, die Zahlung des Arbeitnehmeranteils könne – als mittelbare Zuwendung – auch weiterhin angefochten werden.

Die Kammer vermag dieser Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs nicht beizutreten:

Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 20, 283, 293; 79, 106, 121); zu seiner Ermittlung hat sich der Rechtsanwender der anerkannten Auslegungsmethoden zu bedienen.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV, die den Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet, wird eine Zahlung der dort näher bezeichneten Art als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbrach...

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