Dr. Carl Ulrich Hildesheim
Rn. 92
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Eine Erstattung von Vorauszahlungen kommt nach § 36 Abs 4 S 2 EStG bei fehlender Tilgungsbestimmung im Regelfall nur hinsichtlich desjenigen Betrags in Betracht, um den die Vorauszahlungen die Summe der für beide Ehegatten festgesetzten ESt übersteigen. Dies gilt sowohl im Fall der Zusammenveranlagung als auch bei Wahl der Einzelveranlagung (bzw getrennten Veranlagung) und folgt aus dem Sicherungszweck der Vorauszahlungen (BFH BStBl II 2011, 607; BFH/NV 2015, 1347; FG München v 29.01.2019, 12 K 715/17, DStR 2019, 970).
Nach § 37 Abs 2 AO ist erstattungsberechtigt (Erstattungsgläubiger) derjenige, auf dessen Rechnung eine Zahlung ohne rechtlichen Grund bewirkt worden ist. Das ist derjenige, dessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem FA gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte, wobei es nicht darauf ankommt, von wem und mit wessen Mitteln gezahlt worden ist (BFH BStBl II 2016, 730).
Diese Grundsätze gelten auch für den Fall, dass mehrere Personen als Gesamtschuldner die überzahlte Steuer schulden, wie es bei zusammen veranlagten Ehegatten hinsichtlich der ESt und der daran anknüpfenden Steuer der Fall ist, § 26b EStG.
Zur Aufteilung eines Erstattungsbetrages bei zusammenveranlagten Eheleute (überhöhte ESt-Vorauszahlungen) gilt daher: Werden ESt-Vorauszahlungen für zusammen zur ESt veranlagte Eheleute geleistet, kann aus der Sicht des FA als Zahlungsempfänger mangels entgegenstehender ausdrücklicher Absichtsbekundungen aufgrund der zwischen den Eheleuten bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft angenommen werden, dass derjenige Ehegatte, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt, mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm zusammen veranlagten Ehepartners begleichen will (so auch FG München v 29.01.2019, 12 K 715/17, DStRE 2019, 970). Das hat zur Folge, dass bei einer Überzahlung beide Ehegatten erstattungsberechtigt sind. Der Erstattungsbetrag ist zwischen ihnen hälftig aufzuteilen (zur Tilgungsvermutung auch s Rn 6). Allein der Umstand, dass über das Vermögen des anderen Ehegatten das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Im Übrigen ist die Entscheidung über die Aufteilung eines Erstattungsbetrags auf Ehegatten nicht notwendigerweise einheitlich zu treffen, weswegen im Klageverfahren keine Pflicht zur Beiladung des anderen Ehegatten nach § 60 Abs 3 FGO S 1 besteht (BFH BFH/NV 2017, 906).
Rn. 93
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Die vorgenannte Tilgungsvermutung ist problematisch bei Unkenntnis des FA über eine Scheidung. So war über den Fall zu entscheiden, dass die Ehe zum Zeitpunkt der Festsetzung von Vorauszahlungen schon geschieden ist, die Vorauszahlungsbescheide aber bestandskräftig werden und einer der früheren Ehegatten Vorauszahlungen leistet, ohne dass im Zeitpunkt der Zahlung gegenüber dem FA der Wille erkennbar hervortritt, nur auf eigene Rechnung zahlen zu wollen.
Das FG SchlH EFG 2014, 2014 (bestätigt durch BFH BFH/NV 2015, 1346) nimmt mE zu Recht auch hier eine hälftige Aufteilung an und führt unter Hinweis auf das FG Nds EFG 2014, 883, rkr, an, dass das FA nach den ihm zu dem Zeitpunkt der Entrichtung der Vorauszahlungen bekannten Umständen davon ausgehen konnte und musste, dass die Ehe und die sich daraus ergebende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft noch bestand. Die nachträgliche Kenntniserlangung konnte die nach den Verhältnissen der Zahlungszeitpunkte zu bestimmende Tilgungswirkung nicht rückwirkend verändern. Der klagende Ehemann zahlte, so stellte es sich dem Beklagten zum Zeitpunkt der Zahlung dar, für Rechnung seiner geschiedenen Ehefrau und sich.
Das bedeutet: Die Rspr zur Tilgungsvermutung bei Zahlung eines Ehegatten auf die Gesamtschuld der Ehepartner (etwa BFH BStBl II 2011, 607) gilt auch dann, wenn die Ehe zum Zeitpunkt der Zahlung nicht mehr bestand, dies für das FA aber nicht erkennbar war (BFH BFH/NV 2015, 1346; vgl auch FG München v 29.01.2019, 12 K 715/17, DStRE 2019, 970).