Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 303
Stand: EL 140 – ET: 12/2019
Eine nach außersteuerlichen Gesetzen bestehende Verpflichtung, Bücher und Aufzeichnungen zu führen, ist auch für die Besteuerung zu erfüllen, § 140 AO. In steuerliche Pflichten überführt werden damit insb handelsrechtliche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Die Befreiung für kleine Einzelkaufleute gem § 241a HGB iVm § 242 Abs 4 HGB (s Rn 304a) wirkt damit auch im Steuerrecht (ggf aber Buchführungspflicht nach § 141 AO, da Kriterien nicht vollständig abgestimmt, s Rn 308a).
Nach Wertung des BFH werden nach ausländischen gesetzlichen Vorschriften begründete Buchführungspflichten durch § 140 AO ebenfalls zu steuerlichen Pflichten (BFH v 14.11.2018, I R 81/16, BStBl II 2019, 390; ebenso AEAO zu § 140 AO; R 4.1 Abs 4 S 2 EStR 2012; BMF v 16.05.2011, BStBl I 2011, 530 Rz 3; OFD NW, Vfg v 05.09.2017, DB 2017, 2384; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 140 AO Rz 7 (Oktober 2015)). § 140 AO verweist demnach nicht nur auf inländische, sondern auch auf ausländische Buchführungspflichten. Der Grundsatzentscheidung lag der Fall einer AG liechtensteinischen Rechts zugrunde, die in Deutschland mit Einkünften aus der Vermietung im Inland belegenen Grundbesitzes (mangels ständigen Vertreters und/oder Betriebsstätte) nach § 2 Nr 1 KStG nur beschränkt stpfl und (mangels Zweigniederlassung gemäß §§ 13d – 13g iVm § 238 Abs 1 S 1 HGB) handelsrechtlich nicht buchführungspflichtig war. Aus der in Liechtenstein eingreifenden Buchführungspflicht kraft Rechtsform ist nach BFH-Wertung eine Buchführungspflicht auch in Deutschland abzuleiten, da sowohl der offene, nicht auf inländische Rechtsnormen beschränkte Wortlaut des § 140 AO, als auch der Zweck des § 140 AO, möglichst viele außersteuerliche Pflichten für das deutsche Steuerrecht nutzbar zu machen und dadurch den Steuergesetzgeber zu entlasten, für dieses Ergebnis sprächen. Dieser Zweck könne nur eingeschränkt erreicht werden, wenn lediglich an inländische außersteuerliche Pflichten angeknüpft würde.
Die Frage war bis dato hoch umstritten (ablehnend zB FG He v 15.11.2012, 11 K 3175/09, EFG 2013, 503; FG Nbg v 28.02.2013, 6 K 875/11, EFG 2013, 1018; Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 140 AO Rz 11; Könemann/Blaudow, Stbg 2012, 220, 221; Richter/John, ISR 2014, 39; vgl auch RFH v 06.06.1934 IV A 42/34, RStBl 1934, 823) und hat hohe praktische Bedeutung insb für Freiberufler-PersGes ausländischer Rechtsform und ausländische Immobiliengesellschaften mit fiktiv gewerblichen Einkünften (s Rn 308), für die das Wahlrecht zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG jeweils ausscheidet, wenn nach ausländischem Recht Buchführungspflicht besteht.
Die durch den BFH konstatierte Maßgeblichkeit ausländischer Buchführungspflichten für das deutsche Besteuerungsverfahren hebt sich deutlich von der sonst durch die Rspr typischerweise für das Besteuerungsverfahren verneinten Bindung an ausländische Wertungen ab (zB BFH v 25.05.2011, I R 95/10, BStBl II 2014, 760 bzgl Qualifikation von Rechtsträgern als transparent/intransparent; BFH v 06.06.2012, I R 6, 8/11, BStBl II 2013, 111 zur Frage der Qualifikation von Kapitalüberlassungsverhältnissen als Fremd-/Eigenkapital), vgl auch Weiss NWB 2019, 1353. Das Verständnis des Verweises des § 140 AO auf "andere Gesetze" (iSd § 4 AO) als "Blankoverweis" (Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 140 AO Rz 11) mit der Folge einer pauschalen, voraussetzungsfreien Inkorporation ausländischer Gesetze schränkt der BFH lediglich mit dem Hinweis auf eine ggf entsprechende Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre public ein, demgemäß eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn deren Anwendung zu einem Ergebnis führt, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts – insb mit den Grundrechten – unvereinbar ist.
Diese Inkorporationsgrenze ausländischen Rechts wird vom BFH nicht weiter ausgelotet, dürfte aber unter Berücksichtigung des Grundrechtsverweises und der Wertung, dass die fehlende Eignung konkret des liechtensteinischen Rechts für die deutsche Gewinnermittlung sowie die Schwierigkeiten der Gesellschaft, liechtensteinische Buchführungsergebnisse für die deutsche Gewinnermittlung überzuleiten (was die Vorinstanz dazu veranlasst hatten, die Anwendung des § 140 AO abzulehnen, vgl FG SAnh v 25.5.2016, 3 K 1521/11, EFG 2016, 2024), keine durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken begründen (BFH v 14.11.2018, I R 81/16, BStBl II 2019, 390), nur in Ausnahmefällen überschritten werden.
Die Konsequenzen sind weitreichend: Einem nach ausländischem Recht buchführungspflichtigen StPfl steht für die inländische Einkünfteermittlung kein Wahlrecht zur Gewinnermittlung durch EÜR nach § 4 Abs 3 EStG zu; Gewinnermittlung nach § 5 EStG iVm § 4 Abs 1 EStG ist zwingend. Der – unabhängig von Umsatz- und Gewinnhöhe – eingreifende Buchführungspflicht-Automatismus für inländische Einkunftsquellen, die einer beschränkten StPfl unterliegen, bei bestehender ausländischer Buchführungspflicht, wird in zahlreichen Inbound-Konstellati...