Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rödder/Schumacher, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, DStR 2001, 1637;
Crezelius, FR 2002, 805;
Weiss/Brühl, Teleologische Reduktion der Sperrfrist des § 6 Abs 5 S 6 EStG? Zugleich Anmerkung zu FG München v 10.07.2019, 7 K 1253/17, DB 2020, 914;
Thörmer/Eitrich, Die jüngere BFH-Rspr zur teleologischen Reduktion von § 6 Abs 5 S 4–6 EStG – Anmerkungen zu den Urteilen des BFH v 15.07.2021, IV R 36/18 und BFH v 18.08.2021, XI R 20/19, XI R 43/20, StuB 2022, 329.
Rn. 1671
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
§ 6 Abs 5 S 4 EStG ist in Ergänzung zur Regelung des StSenkG durch das UntStFG mit Wirkung ab VZ 2001 in das Gesetz eingefügt worden. Nach dieser Regelung ist rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen, wenn das nach S 3 übertragene WG innerhalb der gesetzlich vorgesehenen dreijährigen Sperrfrist entweder entnommen oder veräußert wird. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet worden sind.
Hinter dieser Regelung verbirgt sich insbesondere der Rechtsgedanke der Steuerverhaftung stiller Reserven beim betreffenden Steuerrechtssubjekt oder umgekehrt die Verhinderung des intersubjektiven Überspringens stiller Reserven (s Rn 1527). Deshalb erfasst die Sperrfrist zwar alle Übertragungen nach § 6 Abs 5 S 3 EStG, nicht aber Überführungen nach S 1 und 2 dieser Regelung (s Rn 1530).
Rn. 1672
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Beispiel:
A überträgt auf die AB-OHG – Beteiligung von A und B je 50 % am Kapital und Gewinn – aus seinem Sonder-BV ein Grundstück mit einem Buchwert von 400 EUR und einem Teilwert von 800 EUR. Das Grundstück wird bei der OHG zum Buchwert aktiviert mit der Gegenbuchung in eine Kapitalrücklage. Zwei Jahre später verkauft die OHG das Grundstück.
Lösung:
Nach § 6 Abs 5 S 4 EStG ist rückwirkend auf den Übertragungsstichtag in das BV der OHG hinein der Teilwert anzusetzen. Dadurch werden die (damaligen) stillen Reserven dort versteuert, wo sie ursprünglich entstanden sind.
Diese Rechtsfolge würde jedoch nicht eintreten, wenn die in dem Grundstück zum Zeitpunkt der Übertragung enthaltenen stillen Reserven durch eine Ergänzungsbilanz ausschließlich dem A zugeordnet worden wären.
Rn. 1673
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Im Grundsatz soll die Regelung nach S 4 des § 6 Abs 5 EStG verhindern, dass Übertragungen einzelner WG zu Buchwerten lediglich der Vorbereitung einer Veräußerung oder Entnahme dienen. Voraussetzung für ihre Anwendung ist eine Übertragung nach S 3 (nach den Nr 1–3) ohne Zuordnung der stillen Reserven durch Ergänzungsbilanz (s Rn 1673 und 1543, 1596, 1599).
Ausnahmsweise findet nach Auffassung des BFH aufgrund einer teleologischen Reduktion des Gesetzeswortlauts S 4 auch ohne Erstellung einer Ergänzungsbilanz Anwendung, wenn die Zuordnung der stillen Reserven durch die Übertragung bis zur Veräußerung oder Entnahme des übertragenen WG unverändert bleibt (zB bei Einmann-GmbH & Co, s Rn 1673). Dabei unterfallen S 4 alle denkbaren Übertragungen nach § 6 Abs 5 S 3 Nr 1–3 EStG, wie zB auch die des unentgeltlichen Anteils einer teilentgeltlichen Übertragung, und zwar auch dann, wenn im Zusammenhang mit diesen Übertragungen keine Ergänzungsbilanz aufgestellt werden kann, so zB bei Übertragungen aus dem Gesamthandsvermögen.
Fehlt es an einer solchen Zuordnung (entweder weil keine Ergänzungsbilanz aufgestellt werden kann, muss oder worden ist), ist weitere Voraussetzung die "Veräußerung" und "Entnahme" des übertragenen WG innerhalb der dreijährigen Sperrfrist (s Rn 1674).
Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des FG Münster auch für die Sperrfrist nach § 6 Abs 5 S 6 EStG, auch deren Anwendung beschränke sich auf den Fall, dass es zu einem Überspringen von stillen Reserven kommt (vgl FG Münster v 24.06.2020, 13 K 3029/18 F, Rev zugelassen, XI R 43/20, inzwischen entschieden, s unten). Ansonsten sei diese Regelung teleologisch zu reduzieren.
Damit schloss sich das genannte FG der Auffassung des FG München an. Dieses hatte mit Urt v 10.07.2019, (FG München, 7 K 1253/17, EFG 2020, 522) entsprechend entschieden (ausführlich zu diesem Urt Weiss/Brühl, DB 2020, 914). Mit diesem Urt hat sich das FG München gegen die Auffassung der FinVerw entschieden. Der BFH hat die Entscheidung des FG München in dieser Hinsicht bestätigt (vgl BFH v 18.08.2021, XI R 20/19, BFH/NV 2022, 403).
In der teilweisen Parallelentscheidung BFH v 18.08.2021, XI R 43/20 hat der BFH entschieden, dass ein rückwirkender (einkommenserhöhender) Ansatz von Teilwerten bei einer Einbringung zu Buchwerten wegen eines sog Sperrfristverstoßes iSd § 6 Abs 5 S 6 EStG ausgeschlossen ist, wenn die vollentgeltliche Übertragung von Anteilen durch den Einbringenden an eine Körperschaft innerhalb der Sperrfrist im Ergebnis zu einer Aufdeckung der stillen Reserven in den zuvor eingebrachten WG führt. Damit hat der BFH die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen, weil das FG Mü...